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Briefkorpus

Dienstag, am 20. Mai 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Mein lieber, liebster [Roland]!

Herzlieb Du!! Heute ist ein Feiertag! Du!!

Ich schreibe Dir heute meinen 200. Brief.

Das heißt, seit Du Soldat bist! In Wirklichkeit habe ich Dir schon viel mehr geschrieben. Ach ja, Du! Ich könnte mich freuen darum, über diese große Zahl. Aber ich kann‘s nicht, viel lieber wäre mir ja, Du wärst bei mir und ich könnte Dir alles sagen, Herzlieb! Du!! Ob ich wohl die 300 auch noch vollmache?

Wenn schon, dann muß aber bald darnach Frieden werden, Du!! Sonst liefert man mir kein Briefpapier mehr! Ich glaube, wir beiden haben zusammen sicher schon einen ganzen Waggon voll verschrieben, seit wir uns kennen, ja? Mir gibt das Spaß, Du! Diese Briefzahlen sollte mal mein Buchbinder sehen! Der würde sagen: „Nun ists’ [sic] Schluß mit dem Briefpapier kaufen, sie [sic] haben ihr [sic] Kontigent [sic] weg!“ Was meinst, wie es wieder mal hapert am Papier. Aber heute früh, als [i]ch vom Markte kommend nachfragte, da bekam ich wieder eine Mappe M.- K. [sic]!

Ach Du!! Geliebter!!

Was sollte denn aus uns werden, wenn wir uns nicht mehr schreiben dürften? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen, Du!! Das ist doch die einzige Freude, die wir jetzt noch haben, daß wir uns durch unsre Briefe ganz nahe sein können! So nahe, als seien wir beisammen in Wirklichkeit!! Ach Du! Niemand darf uns diese einzige Freude nehmen! Wer sich uns hier hindernd in den Weg stellen würde, der wäre bestimmt mein ärgster Feind.

Du!! Heute früh kamen wieder 5 Briefe von Dir an. Ach Geliebter!! Wie ich mich immer freue! Ganz, ganz schrecklich sehr! Du!!! 3 davon enthielten Filme! Und ich habe mein Donnerwetter dafür wieder abgekriegt! Der Postmeister hat nochmals eine Warnung an mich ergehen lassen! Ich sage ihm: „nur [sic] gemach, die Post bis Saloniki geht 14 Tage, erst dann kann mein Mann sich darnach richten – also können unterdessen immer noch Filme in dieser ärgererregenden Aufmachung ankommen, sagen sie [sic] das ihrem Chef!“ Herr E., unser Briefträger[,] muß mich verwarnen! Also nochmals: bitte Herr [N.] [N.], richten Sie sich dan[ac]h.

Du! Nun zu Deinen beiden Schreibebriefen.

Mir scheint, Du warst doch ein bissel beschwipst, als Du am Sonntag vom Ausgang zurückkehrend meinen Boten noch schriebst!! Sonntag den 12. Mai, steht oben drüber. Sonntag, am 11. muss es heißen! Dickerle!! Oder rechnet man in Saloniki voraus, hm? Schlingel!

Du weißt ja wie ich‘s meine! Du!!!!!!

Der andre ist vom Dienstag, den 13. Mai.

Fehlen also in meiner Reihenfolge die Boten vom Freitag, den 9. Mai; Sonnabend, den 10. Mai und Montag, den 12. Mai. Sie kommen gewiß nach. Von Deinem Sonntag erzählst Du mir so lieb, das war unser Kantate-Sonntag. Und ich freue mich schon wieder ganz sehr auf die neuen Filme, die ich gleich heute früh schon wieder mit zu Entwickeln nahm. Ich habe reichlich Beschäftigung damit, erst vorhin saß ich dabei und führte genau Buch über alles. Heute geht nämlich wieder eine Sendung Bilder an die Frauen ab. Sie werden sich freuen! Nun bekommen sie noch 5 Filme, die sind aber noch in Arbeit. Ich muss gut aufpassen, damit ich nichts unternander [sic] krame und etwa die Abzüge zweimal an sie schicke. Aber, ich hab ja jetzt Zeit und ich tu‘s ja auch gerne!

Der Sonntag war also auch bei Euch verregnet. Nur, daß es da auch schnell wieder schön wird. Das ist hier nicht der Fall. Der vergangene Sonntag war so herrlich, Montags fing es an zu regnen wie toll und die ganze Nacht hindurch und heute immer noch! Wahre Sturzbäche kommen vom Himmel herab. Aber es ist ein warmer R[e]gen.

Im Kino wart Ihr 3 Sachsenmatrosen?

Und der böse Hubo ist allein, mutterseelenallein losgezogen? Ich will Dir‘s mal verzeihen, weil‘s noch am hellen Tage war. Aber Du!! [Du] Sollst ja nicht mal im Dunkeln allein ausgehen in Feindesland! Ich habe so Angst um Dich! Herzlieb!! Ich kenne den Film nicht „Fleisch in Fesseln“[,] auch nicht den lustigen. Du! Morgen wollen wir auch mal ins Kino gehen. Mutsch und die [Laube] Großmutter und ich: „Ohm Krüger“ – das soll sehr sehenswert sein. Ich freue mich darauf. Ich bange nur darum, daß es Großmutter nicht gefällt, es ist ein grusliger Film, spielt in der Zeit der Burenkriege. Und Großmutter kennt den Tonfilm überhaupt noch nicht, nur den Stummfilm. Bin ja gespannt! Sie holt schon so lange aus [sic], mit mir mal zu gehen und immer, wenn‘s soweit ist, dann mag sie nicht!

Die Woche des Wartens ist nun meinem lieben, armen Hubo endlich vergangen! Und jetzt, da ich schreibe, hast Du vielleicht schon wieder viele, viele Boten von mir bekommen! Du!!! Ach ja, schon geht es dem letzten Abschnitt des Monats Mai zu. Ich hatte mir den Wonnemonat schöner ausgedacht. Mit viel mehr Blütenpracht und viel Sonnentagen. Doch ich bin‘s auch so zufrieden. Wir beide durften den Mai gesund und froh erleben, das ist schon so viel Glück und Gnade. Mein [Roland]! sehnst Dich auch heim, nach dem zarten, keuschen Frühling in Deutschland. Oh, ich glaube Dir, Geliebter!! Die große Welt, die große Stadt – die großen Schönheiten, sie hemmen den Blick für das Feine, Zarte, Wundersame, für das Wunder im Kleinen. Du spürst es. Und es ist wohl so, der Mensch, der sie immer schaut, muß weitsichtig und oberflächlich werden, er verlernt das hinschauen. Und damit wird in ihm auch alle Tiefe und Innigkeit des Gemüts und des Empfindens verkümmern. Gerade die feinen, zarten Fasern sind es, die dem mächtigsten Baum die Säfte zutragen und ihn verwurzeln. So den Baum, so den Menschen.

Mein [Roland]! Du!! Du bist kein Ausreißer – Du bist mein Heimkehrer! Bist mein, ganz mein und hängst an Deiner Heimat mit tausend Fasern und Wurzeln! Und Du hängst an ihr mit aller Liebe und Treue und Du hast ja auch Dein Liebstes in dieser Heimat! Du!! Geliebter!!! Ich will sie Dir bewahren ganz lieb, ganz treu! Daß Du jederzeit fröhlich einziehen kannst um auszuruhen vom Sturm da draußen in der weiten Welt! Du!!! Du?!!! Ob ich mit Dir auch an den 13. Juli denke? Oh Herzlieb!! Aber ganz heimlich, soo heimlich, leise. Ach, ich kann‘s noch nicht glauben, daß so viel Glück Wahrheit werden könnte! Du!!!!!

Gebe der Herrgott seinen Segen dazu! Geliebter mein! Gott behüte Dich mir! Er erhalte Dich gesund und froh! Auf Wiederhören! Ich bin in aller Liebe und Zärtlichkeit, in aller Treue ganz Deine Holde, Du!!!

Ich hab Dich sooooo lieb! Ich sehne mich sooooo nach Dir. Ich küsse Dich, Geliebter! So heiß – so innig, Du!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946