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Briefkorpus

Donnerstag, am 5. Juni 1941.

Mein liebes, teures Herz! Du mein lieber, guter [Roland]!!

Du!! Jetzt habe ich mich einmal freigemacht von meinem Quälgeist, die Mutsch ist bei ihm! Es ist 7 Uhr durch, die Tante wollte gegen Abend herkommen, um Bärbel zu holen. Sie werden wohl erst mit dem 8 Uhr Bus in Oberfrohna ankommen nun. Ich fahre nun nicht noch einmal mit nach Mittelfrohna, das wird mir zu spät. Entweder muß die Tante allein fahren, oder geht die Mutsch ein Stück mit.

Herzlieb mein! Heute war wieder so ein herrlicher Tag. Aber so sehr warm, daß ich unmöglich mit dem Kind durch die heißen Straßen fahren konnte. Die Sonne glühte mir so herab, und die Steinmauern gaben die Hitze zurück, daß einem ganz unheimlich dabei wurde.

½ 6 Uhr heute früh meldete sich Kleinchen und ich war sofort wach. Siehste Hubo, solch kleines Dingel bringt es fertig meine Schlafmützigkeit auszutreiben!! Bin ich dann auch gleich in die Küche und hab Toilette gemacht, eingefeuert, um Badewasser zu haben. Erst wollte das Kind ein Fläschchen, dann war es naß – und ehe ich richtig eine Arbeit beendet habe, ist sie wieder naß. Oben füllt man's ein – unten läuft's durch – es ist ein ewiger Kreislauf; wenn's nur unten heraus auch gleich auf einmal käme!! Na, das gehört auch dazu.

Ach Liebster! Du solltest nur mal zusehen, wenn ich sie morgens bade!! Ist das eine Freude! Wie sie da jauchzt und wie sie plätschert! Ich freue mich selber mit darüber, wenn's ihr so gefällt im Wasser. Ich muß so aufpassen, daß sie mir nicht aus der Hand rutscht, sie gleitet so behende wie ein Fischlein umher. Was glaubst, wie ich aufpassen muß, daß sie mir nicht mit dem Köpfchen ins Wasser plumpst! Darnach ist sie aber soo müde, kaum kann sie die Flasche austrinken und schon fallen ihre Äuglein zu. Ich bringe sie zum Schlafen in mein Stübchen. Bis 11 oder 12 [Uhr] schläft sie dann, also 2-3 Stunden. Derweile wasche ich die Windeln, hänge sie auf die Leine, räume das Zimmer auf, wische den Fußboden auf und bereite das Mittagessen. Das ist aber auch gleich alles, was an so einem Vormittag fertig wird. So peinlich kann man dann einfach nicht mehr sein in allem, wenn ein Kind[lei]n da ist. Nach Mittag, ich füttere sie mit Mondamin Brei und geriebenen Möhren, ach Du!! Das Füttern ist ja auch ein ergötzliches Bild!!, nach Mittag habe ich sie in den Wagen gelegt und in den schattigen Hof gestellt. Mußte ich erst dabei sitzen bis sie schlief, hatte mir den Liegestuhl aufgestellt. Dann bin ich schnell hinauf zum Aufwaschen. Als ich mich nachher mit meinem Schreibzeug unten in den Liegestuhl setzte, überfiel mich plötzlich eine so große Müdigkeit, daß ich einschlief, richtig fest. Es war kein Me[nsc]h im Hause, außer Vater, der oben auch schlief. Aber nur 1 Stunde schlief ich, dann schreckte ich durch das Motorengeräusch eines Fliegers auf. Die Kleine war auch wach geworden und nun wollte sie beschäftigt sein. Da war an schreiben nicht zu denken! Weißt, so gut wie sie folgt, aber sie ist schon verwöhnt. So ein Kind von 18 Wochen muß ja noch ganz sich selbst überlassen sein, damit die Nerven ruhen, es muß sich selbst beschäftigen, wenn es wach ist, mit den Händchen oder so. Aber ich kann mir den Grund hier leicht denken. Sie hat nun die beiden Schwesterchen und die sind ganz närrisch auf die Kleine. Wenn sie einen Mucks tut, sind sie schon zur Stelle und albern mit ihr. Das merkt sich so ein Dingel ganz genau – sie denkt, das muß immer so sein.

Ich würde mein Kind in den ersten Monaten so viel wie nur möglich in Ruhe lassen, damit es garnicht nervös gemacht wird. Es kommt nun drauf an, ob es ganz gesund ist oder nicht. Bei einem kränklichen Kind geht das nicht, das muß man mehr beobachten und unter Aufsicht haben. Aber ein gesundes, das kann man getrost sich selbst überlassen, wenn es richtig versorgt ist; d.h. satt und trocken! Ja Du!! [D]ickerle!! Satt und trocken, das sind beim Säugling die beiden Dinge, die die Welt bewegen! Wenn das klappt, dann sind alle Kleinen die artigsten Kinder der Welt.

Du!! Vorhin, als Mutsch nach Hause kam, sind wir nochmal hin an die Anlagen der Kirche gefahren; wir haben die Kleine photographiert! Mit der Großen! Ich bin so neugierig, ob etwas geworden ist! Ich will Dir gleich die Bilder zeigen, Du!! Und wenn ich Dir gefalle, Herzlieb? So als Mutti? Was bekomme ich wohl dann? Du?!!!

Ach, ich weiß Geliebter!! Du schenkst mir das Liebe, Schöne! Aber ich möchte doch warten mit Dir, bis Du ganz bei mir bist! Ja, Herzlieb! Es ist ganz bestimmt schöner, ganz bestimmt! Und wir freuen uns ganz gewiß viel, viel inniger noch, wenn wir gemeinsam dieses Glück erleben! Ich brauche Dich ja auch, Du!! Wenn ich unser Kindlein trage, oh – ich brauche Dich ja sooo sehr!! Herzlieb!! Weißt Du, was ich mir auch ganz sehr schön ausdenke und vorstelle? Wenn wir dann ein eigenes Heim haben werden, Du!! Dann müßten Du und ich noch 1-2 Jahre ohne Kinder sein, damit mir und Dir das Heim, das Nest, in dem uns[e]re Kinder aufwachsen sollen, ganz vertraut und lieb geworden ist. Es muß uns erst ganz zur heimlichsten, glücklichsten Bleibe geworden sein, unser trautester Ort, wo wir all unser Liebesglück bergen können – und verbergen, Du!! Vor Fremden! Und dann, wenn ich erst eine lange Weile ganz ausschließlich nur meinem Herzlieb gelebt habe, wenn ich es ganz für mich allein umhegt und umsorgt und mit aller Liebe eingehüllt habe – dann erst sollen die Kinderchen kommen, weil sie dann ein ganz warmes, liebes, glückvolles Nestchen haben, worin sie aufwachsen! Aber erst, zuerst wünsche ich mir ganz sehr, daß ich [D]ich mein liebes Mannerli recht umhegen darf!! Dich allein!!!!! Du bist nun schon sooo lange draußen in der kalten Fremde, sollst nun endlich auch einmal Dein eigenes, warmes Heim um Dich wissen! Du!!! Und drinnen die, die Dich liebt!! Über alles in der Welt liebt!! Die Dir den Himmel auf Erden bereiten möchte!! Und den will sie anfangs mit keinem anderen teilen als mit Dir!!! Oh Geliebter!!! Geliebter!!! Mein [Roland] Du!!!!! Du!!!!!!!!!!!!! Gebe der Herrgott seinen Segen zu meinen Wünschen und Hoffnungen! Ich glaube Herzlieb! Du möchtest unser gemeinsames Leben und Schaffen auch so beginnen, wie ich es mir wünsche und vorstelle, ja? Du?!!

Ach Du!! Wie schön!! Wie soo schön wird das sein!!! Gebe Gott, daß uns dieses Glück bald, bald widerfahre!! Daß sich unser inniges Wünschen und Hoffen erfülle!! Ach Geliebter!! Wenn Du mir nur wiederkehrst, all das andere erfüllt sich dann bestimmt mit dieser großen Gnade. Du!! Ganz lieb und fest befehle ich Dich unserm Herrgott an immer, in meinen Gebeten.

Herzlieb! Eben schlägt die Kirchenuhr 9. Die Sonne ist untergegangen, ihre Strahlen färben noch immer den Westhimmel rosenrot und violett. Morgen wird es vielleic[ht] noch einmal schön! Ich sitze in unsrer Stube, vorm geöffneten Fenster, am Tisch. Ich bin allein! Wieder allein! Vor einer Stunde war die richtige Mutti da und hat mein Schutzbefohlenes mitgenommen! Die beiden Schwestern konnten sich ihrer Wiedersehensfreude kaum enthalten! Es ist wieder still um mich, kein unruhiger, kleiner Atem geht in meiner Nähe mehr. Ich wähne immer noch ihr Stimmchen zu hören. Sonderbar! Seit das Kind [d]a war, achte ich wie instinktiv auf jedes kleinste Geräusch, jeden Laut. Das ist mein Pflichteifer – der legt sich nun wieder, wenn ich allein bin. Und Du siehst es schon, Geliebter!! Er wendet sich wieder ganz dem Liebsten zu!!! Du!! Vernachlässigt habe ich Dich aber nicht in diesen zwei Tagen, ja?, da das Kindchen da war!!

Du!! Herzlieb! Ich muß Dir eines bekennen. Ich glaube, ich habe Dich noch viel zu sehr lieb, um schon eine gute Mutter zu sein. Du mußt mich jetzt recht [v]erstehen, Du!! Weißt, ich muß erst eine Zeit mit Dir zusammengelebt haben, um ganz uns[e]rer großen Liebe zu leben – Du mußt mich noch viel, vielmals erlösen Du! Geliebter!! So glückvoll, wie Du es nun kannst!! Ich muß Dich ganz, ganz für mich allein haben erst, bis das Feuer in mir ruhiger brennt. Verstehst Du das recht? Du!! Ich denke an das Kindlein, daß [sic] unter so einem Zwiespalt aufwachsen müßte – ich kann das vor meinem Gewissen nicht verantworten, Geliebter!! Ich sehe jetzt noch nur Dich! Nur Dich!

Wenn Du wie jetzt, nicht bei mir weilst, da sind alle Sinne bei dem Kinde, ich spürte es diese Tage. Aber, wenn Du um mich wärst! Geliebter! Oh Du!!! Ich habe Dich ja so, sooo sehr lieb, ich will Dir jede Minute weihen, die ich lebe – und das könnte ich nicht, wenn Pflichten als Mutter auf mir lägen. Ach Du!! Du!!!

Wir stehen ja noch so im Anbeginn aller Liebesseligkeit!! Geliebter!! Geliebter!! Ich hänge ja soo sehr an Dir!! Ich will Dich noch allein haben, eine Weile! Ganz für mich allein! Du sollst mich ganz erfüllen und beglücken, mich, Dein Weib! Ich will Dich noch viel, viel inniger, immer noch inniger lieb gewinnen. Du!!!

Und dann, dann, wenn wir am allerseligsten sin[d] zu Zweien – dann soll es sich erfüllen, Du!!!!! Dann wollen wir unser großes Glück krönen! Du!!!!! Sag Herzlieb? Magst Du so wie ich will mich lieben? Du!!! Mein [Roland]! Mein Sonnenschein! Mein Glück bist Du! Wie ich Dich liebe! Wie so sehr liebe ich Dich, mein Herz! Und nun ist meine Sehnsucht wieder so groß nach Dir!!! Herzlieb! Ich will mich in mein Bettlein legen, in unsres! Will träumen von Dir – von unserm großen Glück!! Du!!! Heute kam kein Bote von Dir an. Geliebter! Ach Du[!!] Der Sonnenschein von Deinem Boten von gestern und vorgestern leuchtet mir noch im Herzen! So hell, so warm! Ach Du!! Wie kann ich Dir nur danken für alle Deine treue Liebe? Geliebter mein!!! Ich muß alles aufheben, bis Du zu mir kommst! Ja Du!! Du!!! Ich hebe alles auf fürr [sic] Dich! Ich will Dich sooo ganz glücklich machen und so reich beschenken, wenn Du bei mir bist. Geliebter!!! Wie ich mich der Zeit freue! Wie ich sie herbeisehne!!! Geliebter!! Gut Nacht – es will Abend werden. Morgen wieder plaudere ich mit Dir! Gott behüte Dich mir allezeit!

Er führe Dich gesund heim und bald! Zu Deiner Holde!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946