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[OBF-410620-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 20. Juni 1941

Herzallerliebste! Mein liebes, teures Herz! Geliebte mein!

Feierabend ist, Herzlieb! Und nun darf ich mit Dir plaudern – ich freue mich schon den ganzen Tag darauf! Du!! Und am liebsten säße ich jetzt ganz allein! H. hat seinen freien Tag und ist noch aus – K. aber, heute mal aufgeräumt, redet immer mal in mich hinein – redet und fragt heute die gleichgültigsten Dinge – und ich sehe ihn dann ganz groß und erstaunt an. Herzlieb! Dein liebes Wesen, und der Unterschied einfacher und komplizierter Wesen, bewegt mich noch immer. Und am Ende meiner Gedanken stehst immer Du – Erfüllung meiner Sehnsucht, mein einziges, liebes Weib, oh Du! Geliebte!!!!! Ich bin so glücklich darum!!! Du! Weil wir uns sooo  gut verstehen, weil wir sooooo  gut zusammenpassen, Du!!! Willst mir ein bissel zuhören? Deinem Philosophenmannerli? Du!!! Wenn es Dir zu trocken wird und langweilig, gibst mir einen lieben Kuß, – und eine bessere Kritik und Belohnung mag ich auch nicht dafür – wenn Du mich nur liebhast und lieb behältst, Du!!! Dann ist alles gut!!!!!

Kompliziert nennst Du Frau G. [sic] – einfältig, formlos, natürlich nennst Du Dich. Herzlieb! Mir ist, als hätten wir das Urteil ‚kompliziert' schon miteinander gefällt über diese Person – besinne ich mich richtig? Und wenn ich mich recht erinnere, so gewann ich diesen Eindruck von einer gewissen Schleierhaftigkeit und Feinnervigkeit ihres Wesens.

Kompliziert sind unser Körper und unsre Seele in ihrem Getriebe, in ihrem wundersamen Zusammenspiel – alle Kompliziertheit aber mündet doch beim gesunden Menschen in einer schönen, klaren, einfachen Harmonie, die diese Kompliziertheit kaum ahnen läßt, die klar und schön ihren Schöpfer preist.

Kompliziert ist unser modernes Leben gemessen am Leben naturhafter Völker. Kompliziert, ein phantastischer Organismus, schon die Form des Zusammenlebens im Volk, im Staate. Kompliziert die Kultur, so kompliziert, daß viele Menschen sie schon gar nicht mehr in sich aufnehmen können und damit eigentlich nicht fruchtbar mitleben. Nicht Schlafen, Essen und Wohnen allein beschäftigt den Menschen, sondern auch, wenn er wirklicher Teilhaber und Mitträger dieser Kultur ist, die Probleme und Gebiete des Glaubens, der Kunst, Wirtschaft und Technik, der Wissenschaft. Über aller Kompliziertheit aber steht doch die Forderung und das Ideal eines lebenskräftigen, harmonischen, glücklichen Menschen - und es ist nur eine Möglichkeit, über dieser Kompliziertheit nicht konfus und irre zu werden und eine Richtigung [sic] zu finden: der Glaube.

Kompliziert sind alle virtuosen Kunststücke im Zirkus, der Reiterin, des Jongleurs, der Tänzerin usw. Spielerisch un[d] anmutig und leicht sie vorzutragen gehört zur Vollendung dieser Künste.

Herzlieb! Aus diesen angeführten Beispielen erhellt ein Gemeinsames: Kompliziertheit schließt Schönheit und Klarheit nicht aus, sondern in aller Vollendung sehen wir sie sich begegnen. Ja, woh will ich denn nun hinaus?

Kompliziert sind auch wir beide, mein liebes Weiberl und sein Mannerli. Das Mannerli? O ja! Hat viel Gedanken in seinen Kopf stopfen müssen, hat so viele Fächer im Kopfe, so viele Bilder, so viele Menschenbilder, so viele Regungen – ach Herzlieb, wenn sie mir alle einmal im Traume erscheinen, das wäre ein wahrer Hexentanz. Und mein Herzlieb soll Richter sein darüber: es ist ein ganzes Mannerli geblieben darüber, nicht zersplittert in seinem Herzen, fähig noch, alles frohen, gläubigen Herzens zu schauen, fähig reiner Freude.

Herzlieb! Ich war stets ein Feind aller künstlichen Kompliziertheit, allens Komplizierens, Verdunkelns, Aufblasens und Aufblähens. Alle Blasiertheit, Prahlerei, Dünkel und Dummstolz sind von dieser falschen Art. Alle Halbbildung bringt den Menschen in die Versuchung dieser Untugenden. Wahre Bildung geht mit Bescheidenheit, mit dem Streben nach Wahrheit und Klarheit stets Hand in Hand.–

Und mein Weiberl? Ist es nur einfältig und harmlos und natürlich? Ist es auch kompliziert? Wie kann denn das Mannerli darüber urteilen wollen? Hat es denn schon hineinschauen dürfen? Ja! Ja!! Es urteilt nun eben so, wie es sich alles in seinem Männeraug spiegelt. Ob zartfühlend und feinfühlend, so reich in der Empfindung, so eigensinnig – das ist wohl kompliziert, und darin besteht wohl im Besonderen die Kompliziertheit weiblichen Wesens – und diese Kompliziertheit [wird] doch zusammengehalten, durch die große Güte seines Herzens; zu einem schönen, natürlichen Menschenkinde verschmolzen durch die Tiefe seiner Liebe und den Glauben an alles Gute.

Herzlieb! Du!! Schaust so gläubig und froh und hell wie ich in diese Welt – liebst so wie ich die Klarheit und Helle, Wahrheit und Schönheit – und verstehst mich doch auch in der Tiefe und inm der Feinheit der Seele – Geliebte! Du!!! Groß und weit ist unser Herz, unsre Liebe, und tief und fein doch zugleich. In V unsrer Ganzheit gehören wir einander wie auch in deren Zeiten. Herzlieb! Ich bin so wie Du, nur eben ein Mannerli! Kann so natürlich und unbefangen und harmlos sein wie Du.

– Kompliziertes Wesen nun dagegen? Es ist nicht so sonnig und glückhaft – es ist getrübt. Getrübt vielleicht durch Enttäuschung, durch Krankheit des Herzens, durch mangelnde Wahrhaftigkeit, mangelnde Liebe zu Helle und Klarheit – und gewiß oft getrübt, weil diesem Leben ein Ziel, eine Aufgabe, ein Sinn, ein Gefälle fehlt. Ein Gewässer ohne Gefälle wird ein schwarzer Sumpf – sonst aber ist es ein munterer, fröhlicher, lebensfroher Bach. Geliebte! Wir sehen das Ziel, die große Aufgabe – die einen ganzen Menschen erfordert, der alle Teilkräfte in ihrer Gesamtheit dienstbar sein müssen, die uns bewahrt vor Dumpfheit und Zersplitterung, die uns ruft zu einem tätigen, frohen, gläubigen Leben: Gott setzte dieses Ziel, er stel[lte] diese Aufgabe: Liebe zu betätigen in dieser Welt, immer tüchtiger zu werden in dieser Liebe zum Nächsten, und damit zu Gott. Groß und klar und leuchtend auch dieses Ziel – tausendfach verästelt und verschlungen und schwierig [ist] auch der Weg zu diesem Ziel. Ein ganzes Menschenleben und viel mehr mag er ausfüllen.

Mein liebes, teures Herz! Meine [Hilde]!

Du, weißt Du denn, wie lieb ich Dich habe? Ganz heiß und wild Dich küssen und umschlingen könnt ich jetzt: Mein Liebstes, Einziges, Kostbarstes hielt ich dann im Arme – wie es mich drängt und beglückt, wie es mich zieht und festhält – Du!!! Du!!!!! Dich ganz zu umfangen, Dich mein zu fühlen, Dich zu erfüllen!!! Das ist die Liebe in ihrer beglückenden Ganzheit, in ihrer Gewalt, Geliebte! die uns beiden geschenkt wurde. Und dann doch auch, lieb und leise und zärtlich Dir zu begegnen, auf meinen Wegen und Pfaden der Seele Dich zu führen – und auf den Deinen Dir zu folgen – und mit Dir ganz neue zu gehen und zu entdecken - mit niemandem mag ich es lieber als mit Dir!!! O Geliebte!!! Unsre Liebe – wie eine himmlische Musik ist sie in mir – jetzt gewaltig – dann engelzart und -fein – Gott erhalte sie uns!! Du bleibe mir froh und gesund!!

Ich liebe, liebe Dich, Du!!!!! !!!!! !!! Ich küsse Dich ganz lieb!

Dein[Roland] bin ich, ganz Dein!!! Immer, Du!!!!! !!!!! !!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946