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[OBF-410723-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 23. Juli 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzlieb, Geliebte mein!

Manche Tage in unserem Leben, wo es auch sei, die verlaufen so glatt und harmonisch, es geht alles von der Hand, geht alles auf wie eine Teilaufgabe ohne Rest – und andere Tage sind, da ist’s, als führe man über einen Knüppeldamm von Horzeln und Holpern, da will auch das Einfachste nicht glücken, da zeigen sich überall Widerstände wie drohende Riesen. Ein so glatter, ebener Tag war heute – ohne große Spannungen. Man kommt mit der Zeit gut aus, früh schon vor dem Dienst – die Arbeit steckt – man hat Platz in der Straßenbahn und braucht nicht lange auf sie zu warten – das Essen schmeckt usw. usw. Es muß wohl mit in der Luft liegen so. Von oberirdischen und unterirdischen Spannungen sind wir ja immerzu umgeben. Und wir selber sind es, die den einen Tag besser fertig werden mit allem als an dem anderen. Deshalb zeigt uns der folgende Tag auch manchmal einen Ausweg, wo der vorhergegangene alle Hoffnung zu vernichten schien.

Ach Herzlieb! Wenn ich nur diese Arbeit hätte! - sie läßt sooo leer und macht nicht einmal müde, nur faul und bequem. Die besten Regungen sind daran fast unbeteiligt. Ein bißchen Aufmerksamkeit, Umsicht, Gewißenhaftigkeit, das ist alles, was sie verlangt. Da ist mein Beruf schon schöner. Immer wieder bringt er auch neue Anregungen für das eigene Leben – in ganz anderem Maß beansprucht er die ganze Person – und der Umgang mit lebendigen Wesen, mit Kindern, er bringt doch viel lebendige Freude.

Wie weißt ich meine Frau in meinen Beruf gucken lasse? So weißt sie will! Du weißt, ich bild mir nichts darauf ein – ich mache aus meiner Arbeit auch keinen Geheimniskr[am], vor dem die Frau respektvoll zu salutieren hat (es gibt solche Männer, genug, und Frauen, die ahnungslos und naiv davon noch groß Redens machen). Ich fasse alles auch immer am liebsten recht natürlich an und unkompliziert an; kompliziert wird’s schon noch von selber. Ich bin damit bis jetzt auch immer sehr gut gefahren.

Also soweit meine liebe Frau will – das ist sehr weit gefaßt und kann bedeuten, daß si[e] eben noch die Bücher abstaubt oder gar selber zu roter Tinte und Feder greift und in den Büchern blättert. Nein, nein – ich denk, das kommt höchstens mal in einer Druckperiode in Frage.

An allem aber, was an meiner Berufsarbeit über den engeren Kreis der Schule hinaus interessiert und mich bewegt, soll es ganz lieb teilnehmen – und das möchtest Du doch auch, ja? Du!!! Ich dächte es mir ja auch ganz fein, wenn die Frau Lehrer, wie schon einmal, sich mit dem Herrn Lehrer sehen läßt auf Wanderungen oder bei Veranstaltungen, auch ganz ungezwungen, frei und natürlich, damit die Erscheinung des Lehrers den Kindern auf diese Weise auch als natürlich und durchaus auf dem Boden der Tatsachen dieses Lebens stehend vor Augen tritt. Damit sie so noch mehr an Beispielhaftigkeit gewinnen. Aber dazu bietet ja die ganze Familie des Lehrers dann in ihrem Auftreten soviel Gelegenheit. Ganz bewußt, und doch ohne Krampf und Zwang und Aufdringlichkeit oder gar Lügenhaftigkeit, Beispiel sein, das gehört dann zu unserem Beruf – und dazu bedarf es bei uns doch gar keiner besonderen Anstrengungen. Und unser Heim, das wird ganz natürlich wieder, weil es nur darnach verlangt, eine Pflegstätte der Güter unserer Kultur – und darin soll uns erbauen, was über den engen Rahmen meiner Schularbeit weit hinaus weist – und daß Du daran Anteil nimmst, des bin ich ja ganz gewiß, und das ist mein Herzenswunsch. Am Herzen liegt es mir, weil ich selber so mit Dir viel Versäumtes nachzuholen hoffe, und weil ja nichts besser den Kreis der Familie und die Verbundenheit ihrer Glieder fördern kann. Du!! Im traulichen Stübchen beim Lampenschein – Herzlieb!!! – wir 2 ganz allein im eignen Nest – wie dünkt mir das herrlich! – und dann lassen wir uns führen von

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Ach, ich freu mich so, daß ihr Euch so tapfer durchschlagt, die Chemnitzer Gegend ist zu mies in punkto Ernährung, schon in normalen Zeiten.

Wundert mich beinah, daß Dich Pfarrer [Nordhoff]s so schnell wieder haben ziehen lassen. Der Onkel Hubo läßt Dich nicht wieder aus so schnell – nein, überhaupt gar nimmer, Du!!! Gefangen, Herzlieb! In meiner Liebe!! Gefesselt, [Hilde]lieb! Mit dem goldnen Ringlein!! Gefangen, gefesselt, verstrickt wir Beide in heißer Liebe, Du!!! Oh, welch liebes, glückliches, süßes Gefängnis!!!!!

Na, und nun hast wieder mal einen Haushalt gesehen, und da krabbelt und kribbelt es Dir in allen Finger- und Zehenspitzen, das weiß ich schon – so wie dem Hubo, wenn er, wie vorgestern in der Lehrerzeitung, so richtigen Blöd- und Irrsinn aus seinem Fache liest und hört – zum Dreinschlagen! Wir wollen’s schon besser machen. Du hast mir neulich von einer Prüfung zum Hauptschullehrer geschrieben. Darüber konnte ich nun nachlesen. Nach preußischem österreichischem Muster sollen im ganzen Reiche Hauptschulen eingerichtet werden, gehobene Volksschulen, umfassend 5. - 8. Schuljahr, in die alle begabteren Kinder übergeführt werden sollen. In den Dienst an diesen Schulen sollen bewährte Volksschullehrer übernommen werden, die ihre Befähigung in etlichen Fächern durch Prüfungen nachweisen sollen. Diese Gelegenheit würde ich natürlich nicht auslassen wollen. Die Hauptschulen werden nur in größeren Dörfern und Städten sein – und das wäre doch in unserem Sinne. Muß mein Weiberl noch mal fleißig lernen mit dem Mannerli und eine Prüfung bestehen. Wenn das Mannerli durchfällt, ist’s bloß aus Faulheit, zu dumm ist’s nicht, gelt? –

In der letzten Lehrerzeitung war auch der ganze Gehaltskram noch einmal abgedruckt. Und weil mir Herr S. noch immer nicht geschrieben hat, habe ich doch gleich selber noch einmal nachgerechnet – weißt, es kann kaum anders sein, als daß sie mich nun endlich richtig wie einen ständigen Lehrer eingestuft haben. Das wäre zu fein! Verdienen wir zusammen dann 250,00 M im Monat! Weißt, da hat der Hubo sich mal geschworen, ehe er nicht 250 M verdiene, werde er nicht heiraten. Siehste! Aber wenn Du liebes Weiberl mir eher über den Weg gelaufen wärst, dann hätt ich auch schon mit 100 M geheiratet! Ist aber doch gut, daß das Mannerli so seine Grundsätze hatte frühe[r] – sonst wäre er gar nicht zu seinem lieben Weib gekommen!

Herzlieb! Nun hattest Du ein ganz anderes Erlebnis noch! „Ich müßte auch so traurig sein, wenn es uns so ginge“ – und ich würde trauern mit Dir – und wir würden einander tragen und trösten und beistehen – ach Herzlieb, das ist so gewiß wie unsre Liebe groß ist! Und ich wäre ja so erschrocken und in Ängsten und Sorge – und ich könnte sie gar nicht anders vertreiben, als daß ich Dich ganz liebend umsorgte – ach Du! Du!!! Du weißt es wie lieb!!! Und Du möchtest es von keinem lieber als von mir – Du! Du!!! Wie stolz und glücklich macht mich dieses Vertrauen!!!!! – und ich wäre ja eifersüchtig auf jede fremde Person, die Dir diesen Liebesdienst erweisen dürfte und mich verdrängte. Ach, Herzlieb! So sehen wir das in unsrer großen Liebe zueinander! Wir sind uns ja sooo nahe – und Du!!! bist mir der allernächste Mensch auf der ganzen weiten Erde – und ich darf es Dir sein! Oh Geliebte! Geliebte!!!!!

Hast Du es wohl recht gelesen und bemerkt? Was ich schrieb? Dein Glück ist mein Glück – Dein Leid ist mein Leid! D Wir sind eins nun, auch vor Gott! Und wenn er uns ein Kindlein versagte – so versagt er es nicht Dir und mir, er versagt es uns! Geliebte! Niemals könnte ich Dich vorwurfsvoll auch nur ansehen! Gemeinsam ist unser Weg nun. Ganz fest führe ich Dich an meiner Hand. Gemeinsam stehen wir vor Gott – gemeinsam empfangen wir aus seiner Hand Liebes und Leides. Welch großes Geschenk des Glaubens ist das!!! Nicht besser können wir unsere Liebe gründen, als auf diesem Glauben.

Ich darf doch mein Herzlieb gar nicht sehr herauslassen – da sieht es hier einen mangelhaften Haushalt, und da braucht man dort seine gute, hilfreiche Hand – Du!!! Ich bin ganz einverstanden mit Deiner Handlungsweise – und ich sehe Dich mitfühlend und verstehend und tief berührt teilnehmen an dem Geschick dieser Frau, der Du Deine Hilfe nicht versagen kannst. Und ich verstehe, wie ihr beide euch die Hand reicht zur Freundschaft und ich wünsche Dir nur, daß sie Dir inneren Gewinn bringe. Herzlieb, ich kann nicht eifersüchtig darauf sein; denn ich habe Dich ganz!!! Und das wirst Du selber bedenken und beachten: Daß Du Dich freihältst von den Empfindlichkeiten dieser Ehegemeinschaft, die doch vorhanden zu sein scheinen – keineswegs da einmischen. Genug schon damit, daß Du mit Deinem Freundschaftsdienst zwischen die beiden treten mußt – auf ein paar Tage nur.

Ach Herzlieb! Ich empfinde mit Dir ganz glücklich und dankbar die Kostbarkeit unsrer Liebe, unsres Vertrauens. Wenn mein Herz voller Freude ist, dann komme ich zu Dir – und wenn es voll Kummer ist, dann drängt es zu Dir – und Dein Herz ist so groß und weit und steht mir offen allezeit! Was ist köstlicher als ein solches Herz zu wissen? Und was kann glücklicher machen, als zu fühlen wie das Geliebte Wesen Zuflucht sucht in höchstem Vertrauen? Oh Herzlieb! Niemand kann zwischen uns treten, niemand eindringen in den Bezirk unsres Vertrauens, unseres Liebens – wir brauchen keinen Mittler – und ich bin wohl das glücklichste Mannerli auf Erden, dem sein Weiberl auch den allerheimlichsten Kummer zu allerst [sic] anvertrauen würde! Du!!! Du!!!!! Geliebtes Weib!!!!!

Gott segne unseren Bund und bewahre uns gnädig vor solchem Unglück! Ach Herzlieb! Wenn wir ängstlich sein wollten, Du und ich – wieviel Leid kann nicht über ein Menschenpaar hereinbrechen, auf wie harte Proben kann die Liebe nicht gestellt werden. Und wir wollen nicht vermessen sein! Aber wir glauben an Gottes waltende Güte, an die Allgüte seines Geschicks, jeden Geschickes, und glauben an die Kraft unsrer Liebe! „Herrgott, wir lassen Dich nicht, Du segnest uns denn!“ Und so kann ich nur froh und mutig mit Dir voranschreiten – kein Leid, kein Unglück kann unsre Liebe auslöschen!

Mein liebes, teures Weib! Laß Dir dank sagen für Dein so liebes, treues Gedenken! Freude und Sonnenschein, mein Ein und Alles ist mir Deine Liebe! Ich liebe Dich! Ich muß Dich lieben bis an mein Ende! Ich küsse Dich!! Ich bin und bleibe in Ewigkeit Dein [Roland]! Ganz, ganz Dein!

Du! Mein liebes, geliebtes Weib!!!!!

 

[* = an dieser Stelle scheinen ein oder mehrere Seiten zu fehlen, denn inhaltlich schließen die Seiten nicht an]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946