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[OBF-410810-001-02]
Briefkorpus

Sonntag, den 10. August 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzlieb! Geliebte mein!!!

Du bist zu mir gekommen, heute, zum Sonntag! Ich danke Dir so sehr! Nun weiß ich auch, warum es am Sonnabend und Sonntag so still um mich war! Wie deutlich ich das doch gefühlt habe! Ich wußte doch gar nicht vorher, daß Du in Glauchau weiltest! Herzlieb! So lebendig und gegenwärtig ist mir Deine Liebe immer sonst! Ach – und wenn nun nicht schon wieder 8 Tage dazwischenlägen und wir unserem Wiedersehen nicht schon 8 Tage näher wären, müßte ich Dich doch erst einmal ganz lieb trösten. Aber darüber und dazu gibt es doch fast gar keinen Trost mehr – wir sind nun beide so voll Sehnsucht und Verlangen und Ungeduld – Gott im Himmel helfe uns in Gnaden! Der jüngste in unsrer Schreibstube war es, der meinen Urlaub störte. Ich bin doch jetzt mit 2 jungen Leuten und dem Hauptfeldwebel ganz allein. Und wenn ich auf Urlaub fahren will, müssen die beiden jungen [sic] dasein [sic]. Der jetzt auf Urlaub ist, ein Berliner, kaum 18 Jahr, ist ein guter Maschinenschreiber. Er hat schon lange auf Urlaub gespannt, verständlich, wir andern ja auch. Er hat oft halb scherzend, halb nicht, davon gesagt, daß er einen Weg finden werde, unter den ersten Urlaubern zu sein. Nach dem Plan, der nun bestand, wäre er etwa im Oktober drangekommen. Das wurmte ihn schon lange, und dazu hat er sich oft geäußert. Und nun bringt doch eines Tages ein Maat, Berliner auch, von den Eltern des Z. [sic] ein ärztliches Attest über die schwere Erkrankung der Mutter des Z. [sic] mit. Von diesem Attest hat er schon vielen Kameraden vorher erzählt, es war also bestellte Arbeit. Seine Mutter ist nämlich schon lange krank. Mir war sofort klar, weil ich den Schlingel kenne, daß der Kerl ‚auf eine Tour reiste‘, wie wir so sagen. Ich war ja erst ganz sprachlos vor innerem Groll – und dann konnte ich mich doch nicht enthalten, erst dem Hauptfeldwebel und dann Z. [sic] gegenüber selbst meinen Verdruß auszusprechen. Der Hauptfeldwebel verstand mich, Z. [sic] tat entrüstet. Herzlieb, immerhin, so wie ich nun einmal bin, war meine Position von Anfang an schwach: Gegen die Gemeinheit, die kranke Mutter ins Spiel zu bringen, kam ich nicht an. Ich war an diesem Tage zuletzt ganz zerfallen mit mir und machte mir Vorwürfe[,] so und so und hatte mich bis zum nächsten Tage doch dazu durchgerungen, nun zu allem eisern zu schweigen. Am folgenden Tage wurde die Angelegenheit gar nicht berührt in der Schreibstube. Der Hauptfeldwebel merkte meine tiefe Verstimmung. Z. [sic] aber machte unter Kameraden Stimmung für sich. Am dritten Tage kam die Rede wieder auf den Urlaub. Hauptfeldwebel: „[Nordhoff], sie fahren am 15. August und der Z. [sic] fährt nach Ihnen!“ Als Z. [sic] draußen war, sagte ich: „Herr Hauptfeldwebel, lassen Sie nur den Z. [sic] erst fahren, damit ich nun den Urlaub ganz sicher weiß und er mir gar nicht mehr gestört werden kann!“ Und so war es dann angenommen. Ich habe mich über die Stellungnahme des Hauptfeldwebels gefreut – er hat zu meinen Gunsten entschieden. Ich habe dem Z. [sic] seinen frühen Urlaub nun selber verschafft und fühlte nun mein Gewissen erst befreit von dem Gedanken, daß ich mit meinern Verdächtigung doch vielleicht Unrecht hab – und fühlte zum andern mich innerlich frei, als ich mit meinem Handeln diesem jungen Menschen ein Beispiel geben konnte und entschied mich so, um tatsächlich nun dem Uhr Urlaub ruhiger und gewisser entgegensehen zu können. Denn dieser Bursche hätte sich mit der Entschuldigung des Hauptfeldwebels nicht zufrieden gegeben, er wäre zum Leutnant gegangen, hätte seinen Willen durchgesetzt und ich hätte den kürzeren gezogen, indem mein Urlaub auf diese Weise noch weiter hinausgeschoben wurde. Dieser Z. [sic] ist ja noch ein halbes Kind, mit dem Trotz auch noch eines Kindes. – das ist die Geschichte [d]er Störung meines Urlaubs. Wer wartet mehr und ungeduldiger – die kranke Mutter oder mein liebes Weib? – ach, ich bin die beiden Bilder doch gar nimmer losgeworden – und ich hätte ja in unserem Urlaub nicht einmal Ruhe davor gehabt. Geliebte, Du verstehst mich! Ich konnte nicht anders handeln! Und Du weißt mit mir, daß mein moralischer Rechtsanspruch nun nur desto gewisser ist!

Mein liebes, liebes Weib!!! Ich sehne mich so wie Du – und freue mich so wie Du auf unser Wiedersehen!!! Auf Deine holde, holde Nähe, geliebtes Weib! In Deinen Räumen weilen – und um Dich sein zu allen Stunden, viele Tage – und Dir gegenüber sitzen und neben Dir schreiten – und alleinsein mit Dir wie später in unserem Heim, Du, ganz allein – und in diesen Stunden wird unsre Liebe sich nimmermehr halten lassen, dann wird sie alle künstlichen Dämme durchbrechen und verströmen, verströmen, Geliebte! Und auf die stilleren Stunden freue ich mich doch so sehr, da wir lieb und traut miteinander plaudern und unsre Wesen sich ganz nahekommen. Oh Du!! Du!!!!! Dir ganz nahe sein! Ich sehne mich doch sooo danach wie mein Herzlieb – ich verlange sooo sehr danach – ich brauche es wieder einmal, Du!!!

Sollst nicht trübe und dunkel sehen, Herzliebes! Gott ist mit uns! Er meint es gut mit uns! Auch wenn er uns harte Proben stellt!

Ach, und nunm schaut mein liebes Weiberl doch auch schon wieder froh drein. Zwei liebe Überraschungen will Dir Dein Mannerli bereiten. Aber ich verrate nichts davon! Herzlieb – alle Liebe will ins Schenken münden – oh Du! meine liebe, liebste [Hilde]!!! Mein Weib! Geliebtes Weib!!!

Und ein Geschenk hat doch auch schon wieder eine kleine Geschichte. Ich muß es wieder hinterlegen lassen und bin nun schon wieder ein paarmal dort gewesen. Und die Verkäufer, ein junges, liebes Ehepaar nehmen nun a[u]ch innerlich Anteil an meinem Kauf. Und beim letzten Besuch fragte ‚sie‘: „Le gateau, est-il pour votre mere ou votre soeur ou votre femme?“ Meine Antwort: „Pour ma femme“. Sie: „Vous aimez beaucoup votre femme!“ Das ist nicht griechisch, Herzlieb, französisch und bedeutet: „Ist das Geschenk für Ihre Mutter oder Schwester oder Frau?“ „ „Für meine Frau!“ “ [sic] „Sie haben Ihre Frau sehr lieb!“ Ach Herzlieb! Dein Mannerli hat doch ein bissel verschämt dreingeschaut, ertappt!, aber doch nur einen Augenblick – und dann hat sein Auge doch dieser fremden, liebenswürdigen Frau gerührt und froh und stolz Zustimmung gestrahlt – ja, ja, oh ja!!! Ich habe Dich sooooooo lieb!!!!!

So weit habe ich geschrieben in der Mittagspause. Kamerad H. hat mir unterdes etwas vorgeschlafen. Darauf habe ich mich noch ein bissel lang gelegt – und dann haben wir uns ein wenig hergerichtet für den Ausgang. Rechte Lust hatten wir beide nicht: Kamerad H. hat auch Urlaubssorgen – seine Frau wird nun auch ungeduldig. Im Hafen klappt es noch schlechter mit der Vertretung. Er weiß noch gar nicht, wann er dran ist. Im geheimen hoffen wir, daß wir zusammen fahren können – es wäre schon fein. Ich verstehe mich mit Kamerad H. H recht gut. Ja – und so waren wir heute beide etwas gedrückt/ ich, weil wir noch so lange uns gedulden müssen/ er, weil sein Urlaub noch ganz in ungewissem Grau liegt. Aber darin waren wir uns denn doch einig, daß wir ein wenig Zerstreuung brauchten und Ablenkung. Und so sind wir gegen 5 Uhr losgezogen, richtig ein Spaziergängertempo stadtwärts – zuerst ins Kaffee – haben dort eine Schokolade geschlürft, Kuchen gab es schon nicht mehr. Und dann haben wir uns den Bahnhof wieder einmal besehen. Auf dem Vorplatz herrschte reges Leben. Gebirgsjäger mit Pferden und Geschützen wurden ausgeladen. Auf dem Bahnhofplatz lagerten englische Gefangene und warteten auf den Abtransport. Und am Zaun (so wie in Oberfrohna) saßen und hockten neben vielen, vielen Gepäckstücken schon die Urlauber (es war gegen ½ 7 Uhr). Und diese Bilder haben wir uns ein wenig eingeprägt; denn bald, so hoffen wir, werden wir nicht nur Zuschauer sondern selber auch Handelnde sein. Ach, wenn wir nur erst drin säßen. Den Zug haben wir auch stehen sehen. Herzlieb! Kein unnützes Bangen und noch ein klein wenig Geduld – Du!!! Du!!!!! Es wird alles ein Geschick kriegen!

Ein wenig zuversichtlicher haben wir uns getrennt von diesem Treiben. Ein wunderschöner, warmer Tag war heute. Ich schrieb Dir schon, daß die Hitze ihren Höhepunkt überschritten zu haben scheint – darfst darum ohne Sorge sein um mich. Und zeitig geht die Sonne jetzt schon in ihr Bettel, wie mein Herzlieb am Sonntag, ½ 8 Uhr. Im Kino wird nichts Vernünftiges gegeben. Im Frontkino der Film Ohm Krüger, die Vorstellung dauert von 18 – 22 Uhr, können wir sie nicht besuchen, denn unser Urlaub geht nur bis 22 Uhr. Und so bot sich uns sonst keine Zerstreuung weiter. Zum Draußensitzen war es mir in Anbetracht meiner kleinen Verkühlung vom vorigen Wochenende zu kalt. Einen Wunsch hatte das Mannerli nur noch: Appetit auf eine gute Suppe. Die haben wir eingenommen, und sind dann langsam zu unsrer Behausung gegangen. Und da sitzt nun Dein Mannerli und schreibt und schreibt – – – und wär doch nun viel[,] viel lieber schon bei Dir und brauchte gar n[im]mer zu schreiben. Die Ungeduld wird doch immer größer – und das Schreiben scheint immer mühsamer!

Geduld! Geduld! Nur noch ein wenig Geduld!

Herzlieb! Zur Neige geht nun auch dieser Sonntag. Will‘s Gott, noch zwei, die ich hier allein verleben muß – zwei nur noch – und der zweite wird schon ganz erfüllt sein vom Reisedrasch.

Mein liebes, teures Herz! Neben mir liegen schon Deine Boten alle – ich will darin lesen und damit diesen Tag beschließen. Ich freue mich schon darauf. Du bist doch mein erster und letzter Gedanke jeden Tag, Geliebte! Und das Deingedenken weicht den ganzen Tag nicht von mir!!! Ach, das ist so schön und gut – und manchmal doch auch so schmerzlich. Aber daran laß uns miteinander denken, wenn es ganz schlimm ist, wie gnädig Gott es doch mit uns vorhat, laß uns an die beiden Brüder denken im Osten! Gott sei mit Dir, geliebtes Wesen! Er helfe uns in Gnaden zu einem frohen, gesegneten Wiedersehen!

Laß Dich ganz viellieb [sic] küssen! Ich bin Dir sooooooo gut! Ich liebe Dich sooooo sehr – mein Leben Du! mein Ein und Alles [sic]! Ich bleibe in Liebe u. Treue ewig Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946