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[OBF-411010-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 10. Oktober 1941.

Herzensschätzelein! Du!! Geliebter!! Mein liebster [Roland]!

Ach, ich muß doch gleich erst mal tief aufseufzen und mich auf den Allerwertesten setzen!

Das ging nun seit 7 Uhr im Galopp und mir tun die Beine weh, als wäre ich 'ne alte Frau! Wieder begrüßte uns der Tag mit Regenwetter, nur noch bissel schlimmer, als vorher. Ehe ich an meine Hausarbeit ging besorgte ich meine Gänge. Morgen ist Waschtag, da kann ich nicht laufen. Also: Gedanken zusammen nehmen.

Beim Fleischer organisierte ich ein feines Stück Lende – [(]die sah ich gerade liegen!) und heute zu Mittag gab's Brühreis mit Tomaten und Kohlrabi. Die alte Jule, die Schlimperin, wer weiß, für wen sie das feine Stück reserviert hatte, weil sie ein bissel zögerte beim abschneiden!! Tja, ich werde in Zukunft immer gleich um 7 [Uhr] früh gehen, da liegt so allerlei auf dem Hackstock, was gegen 8 [Uhr] schon nicht mehr zu sehen ist. An Lendenbraten gehört saure Sahne und Speck. Ich hatte eben noch eine Speckmarke über und im Vorratskämmerchen hatte ich noch eine kleine Büchse Sahne versteckt, die bekamen wir vor 14 Tagen; weißt, mal so für besondre Zwecke hatte ich eine zurückbehalten. Ein Schuß Essig dran – schon hatte ich saure Sahne. Und das duftete herrlich! Durchs ganze Haus, als ich meinen Braten anrichtete. Ich möchte Dich gleich dazu einladen! Dann sauste ich noch zum Holzbudenmann! Kein Kräutlein – rein nichts hatte der heute. So nahm ich 'nen Strauß Ringelrosen! Im Laden stand der Schupo mit dem Preiskommisar [sic]! Die hatten große Debatte mit Herrn W.!

Während mein Essen kochte und briet, räumte ich die Zimmer auf, putzte Schuhe und was noch so zur täglichen Ordnung gehört. Um 9 [Uhr] kam der Postbote, er brachte mir von meinem Herzlieb 2 Briefe!! Und einen für die Eltern! Ich habe mich aber sooo gefreut! Sei tausendmal lieb bedankt für all Dein liebes Gedenken, mein Schätzelein! Du!! Du!!!

Und da klingelt es wieder: der Ludwig B.! Er brachte 3 Ztr. Kartoffeln! Ich war froh und auch wieder nicht; denn nun kam zusätzlich au[ch] noch die Hausordnung zu wischen dazu!!

Er hat geschimpft wie ein Rohrspatz, weil er kaum ran konnte an die Kartoffelkiste, so eng ist es im Keller. Das wäre ja ein Loch ein finstres, aber kein Keller! So wetterte und schimpfte er laut! Die Paula ging ganz aufgeregt und verstört umher, nachdem der B. fort war. Sie hat ihn sicher schimpfen hören. Ich habe ihm weiter nichts geantwortet (wie) als: „Ja, der Keller gehört nun mal zu unsrer Wohnung, gute Worte nützen nichts, d[a] müssen mer [sic] halt sehn, wie wir verkommen und wenn wir mal dicker werden, müssen wir ein Stück Mauer abbrechen, daß wir wenigstens noch an unsre Kartoffelkiste rankönnen!“ Das hat Paula auch gehört.

Sie kam dann gleich geschossen, als ich mich mit Eimer und Lappen bewaffnet hatte: [Hilde], machen Sie's nur nicht so schön, Ruth muß sowieso noch scheuern heute! Ich hab garnischt weiter gesagt.

Als ich glücklich fertig war, klingelts wieder: Paketpost!! Vom Mannerli ein Päckchen!!! Hurra! Und soo schnell ist es gegangen, bloß 8 Tage! Fein! Nun, nachdem mich der Schneider vor Weihnachten nicht bedienen kann, ke hätte es garnicht so pressiert mit dem Futter. Aber Du!! Ich freue mich doch ganz sehr, daß es nun da ist! Und fein ist es! Ganz prima!!! Du!! Wie Du immer gleich das Richtige triffst! Ich muß Dich ganz sehr loben! Mannerli! Und einen ganz lieben, süßen Belohnungskuß kriegt mein Herzlieb! Ach Du! Du meinst es ja so lieb und so gut mit mir! Mir wird ganz eigen zumute, wenn ich Deine lieben Zeilen noch dazu lese, die mir Deine [l]iebe Fürsorge und zärtliche Liebe verraten! Ach Du!!! Ganz voll Dank und Liebe ist mein Herz, für Dich!! Wie freue ich mich auf unser Leben, Geliebter, da ich auch all meine Fürsorge und Liebe an Dich verschenken kann! Ach Du!! Wie schön wird das sein! Ich glaube, wir wetteifern dann miteinander, wer wen lieber hat!! Du? Dann, im gemeinsamen täglichen Leben und Schaffen ist doch viel mehr und viel besser die Gelegenheit gegeben, einander Liebes zu erweisen. Und besser als so, indem wir einander alle Steine aus dem Wege räumen, können wir uns ja unsrer innigen Liebe garnicht versichern! Du!!!

Ach Du! Mit Dir leben! Mit Dir leben!!! Alles in mir drängt dahin! Gott walte es gnädig! Geliebter.

Und nun gab es doch noch die anderen Dinge zu bestaunen, die im Päckel waren! Nelken! Großartig, die lösten bei uns Weibsleuten viel Freude aus! Und Tabak! Werde Deine Anordnung zwecks Verwendung wohl befolgen! 1 P. Tabak = 2 l Milch mindestens! Eines muß ich dem Papa abgeben, daß er nicht futterneidisch wird! Und nun noch was ganz Gutes: schwarzer Tee! Du, eben habe ich den letzten Schluck durch die Kehle rinnen lassen! Er schmeckt fein! In Friedenszeiten gab es zwar welchen, von noch größerem Wohlgeschmack. Doch Deiner schmeckt uns sehr gut! Wirklich, man muß nur genug nehmen und ihn richtig zubereiten. Ein wenig Sahne verfeinert den Geschmack noch. Herzlieb, wenn Du da noch welchen bekommst, wir nehmen ihn mit Freuden! Er ersetzt den Bohnenkaffee. Und abends trinken wir gerne ein Tässchen Tee – oder wenn ich mal recht ausgefroren heimkomme. Butterschnitten und schwarzer Tee mit Zucker, das ist meine kleine Leidenschaft im Winter! Komisch, nur im Winter mag ich das.

Das kenne ich seit meiner Kindheit an so: wenn ich durchgefroren mit den Bretteln heimkam, oder auch vom Wegelaufen, dann hatte Mutsch ein Schälchen heißen Tee fertig für mich. Und das war mir immer ein Genuß. Ja, da hatte ich nun zu staunen und zu lesen und dabei eilte der Uhrzeiger auf 11 zu und ich hatte ja noch 3 Gänge zu machen vor Mittag. Zur Girokasse, ich habe Mutsch angepumpt, weil ich doch gleich das Buch gekauft habe für Dich! Und noch etwas, pssst! das kostet auch bald 10 M. Für Weihnachten. Ich hab Geldangelegenheiten am liebsten gleich geregelt, dann vergesse ich's und ich will nicht, daß die Eltern meine Extrawünsche bezahlen.

Dann hatte ich von 2 Mädels Abschied zu nehmen, die heute abend zum Arbeitsdienst fahren. Gertrud G. und Ilse M. Ich hatte jeder ein Päckchen Äpfel zurechtgemacht und ein Sträußchen Ringelrosen. Die Freude war riesengroß und unvermutet, sodaß ich selbst mich mit freute! Viel hat man jetzt nicht, aber sie sehen doch die Liebe. Die Ilse M. kommt in die Umgebung von Kiel. Die Trudi nach Munkwolstrup (Kreis Flensburg)! Ja – weiter gings wirklich nicht. Sie freut sich.

Und die Mutter muß sich trösten. Sie wird viel verreisen. Im Moment ist Herr G. da! Hat 6 Tage Urlaub. Da spürt sie das Alleinsein nicht gleich so schmerzlich. Ach, der hat erzählt von Rußland! Haarsträubende Dinge. Und er ist gewiß einer von jenen, die wenig Worte machen und nicht angeben! Sie hätten sich nach diesen 4 Wochen gefreut wie die kleinen Jungen, als es hieß: Abfahrt in die Heimat. Jeder der draußen Kämpfenden würde seinem Herrgott auf den Knien danken, wenn er lebend aus dieser Hölle entkäme! Er kann uns das garnicht schildern, was er erlebt. Und er meint, es ist Sünde, wenn hier drinnen in der Heimat einer unzufrieden ist, oder schimpft über eine kleine Mißstimmigkeit – all das wäre gegen die Umstände unter denen unsre Soldaten leben müßten, ganz nebensächlich, ganz lächerlich, nichtig.

Ich glaube das auch. Herr G. ist noch ruhiger und nachdenklicher zurückgekommen, als er es erst war. Und er fragte viel nach Dir. Du sollst tief dankbar sein, daß Du in S. [sic] sein darfst, Herzlieb! Das soll ich Dir unbedingt sagen! Du sollst Gott täglich danken für diese Gnade. Es wäre für den, der Rußland erlebte, ein unverwischbares Erleben grausamster Art. Er wünscht Dir alles, alles Gute und läßt Dich herzlichst grüßen! Das soll ich nicht vergessen, Dir zu schreiben. Du!

Dabei hat er nun bloß einen Transport an die Front gebracht. Und nur die Nachwehen allen Schreckens erlebt. Wie muß das mitten im Kampfe sein?

Als er in Wilna, wo mal Stadtion gemacht wurde, durch die Zelte seiner Leute ging, stand er plötzlich vor einem seiner früheren Schüler aus Lichtenhain! R., ein Neffe von der Molkerei Rößler vorn an der Ecke. Die Freude war groß gewesen. Und er hat ihn rangenommen, weshalb er sich nicht schon längst mal vorgestellt habe, wo er gewußt hätte, wer sein Hauptmann sei!

Aber dieser junge Mensch sei zu schüchtern, schon von jeher. Diese zwanzigjährigen [sic] kommen unmittelbar an die Front. Über Smolensk hinaus hat er sie geschafft. –

Nun ist Mittag vorbei. Ich habe aufgewaschen. Mit Mutter die Wäsche runter getragen. Vater hat mir die Feuerung geholt. ½ Stunde lang habe ich Wäsche sortiert. Nun muß ich noch die Bettwäsche ausbürsten – weißt, in den Ecken der Überzüge sitzt soviel Staub, den bekommt man sonst nicht heraus. Das mache ich, wenn ich Dir geschrieben habe. Angefeuert habe ich auch, damit ich bissel lauwarm einweichen kann. Desto besser zieht es vorher den Schmutz heraus, und morgen gibts leichtes Arbeiten[.] Die Hausordnung muß ich auch noch scheuern. Den Oberboden bohnern. Zu S.s einkaufen gehen. Und beim Ludwig B. Milch holen, damit ich morgen etwas kochen kann; wenn's dunkel wird gehe ich. Und ne[h]me ein Paket Tabak mit! Auf sein Gesicht bin ich ja gespannt, Du!! Er wird strahlen wie eine Bogenlampe. Siehst Du, so geht mein Tag hin, angefüllt bis an den Rand mit Arbeit aller Art. Ich komme, wie Du Liebster, kaum zum Grübeln. Und das ist recht gut so. Arbeit vertreibt alle Sorgen und alle Zagheit. Wie froh bin ich und dankbar, daß wir alle gesund sind, gesund an Leib und Seele, so kommen wir auch durch die ärgste Zeit. Und wir wollen nie müde werden, von Gott den Segen zu erbitten, für unser Vollbringen, für unser Leben.

Herzensschätzelein! Du!! Laß Dir noch einmal herzinnig danken für Deinen so lieben, langen Sonntagsbrief! Ich habe weinen müssen vor Freude, Geliebter! Du!! Bist sooo lieb, sooo gut zu mir – läßt mich so ganz ein in Dein Herze, bis ins letzte Kämmerlein. Du hast mich sooo lieb! Ach Herzelein!

Womit könnte ich Dir besser sagen wie ich Dir dafür danke, als daß ich Dir immer wieder auf's neue meine große, unermeßliche Liebe bekenne? Sie gehört Dir so ganz, so ausschließlich! Du!!! Ich will Dich so ganz einnehmen, so ganz erfüllen! Du sollst nur noch von mir beseelt sein, sollst nie Dich eine Sekunde einsam fühlen! Ach Du!!! Wir haben einander sooo lieb! So unaufhaltsam strömt unser beider Liebe zueinander, so stark! Und es wird immer so bleiben, Geliebter! Ich weiß es!! Der Herrgott segne unsern Bund! Er führe uns in Gnaden recht bald für immer zusammen! Er behüte Dich mir! Du mein Ein und Alles! Du!! Mein Sonnenschein! Mein Leben und mein Glück!

Herzlieb! Ich muß nun Deine lieben Hände lassen, sei nicht bös, ich denke trotzdem immer Dein in Liebe, Du weißt es!! Und morgen, ich weiß noch nicht, ob ich ein Stündchen für Dich finde. Es gibt viel zu tun diesmal an der Wäsche. Du verstehst es, am Sonntag dann, auf frohes Wiederhören! Und nochmals, Du! herzinnigsten Dank für Deinen lieben Boten! Ich muß ihn noch vielmals lesen! Geliebter mein!

Ich liebe Dich! Oh, ich liebe Dich!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Ich bin in Treue immerdar ganz

Deine [Hilde].

Viel liebe Grüße von den Eltern und vielen, herzlichen Dank für Deinen so lieben Brief!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946