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[OBF-411014-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 14. Oktober 1941.

Herzensschätzelein! Mein liebster [Roland]! Herzallerliebster Du!!!

Wieder ist ein Vormittag vergangen und es ist nun die Stunde da, wo ich ganz bei Dir sein kann, Du!!! Am liebsten möchte ich Dich doch jetzt ganz nahe bei mir haben, Du mein Herzlieb! Ich habe große Sehnsucht nach Dir, ach!!! Du!!! Du!!!

Und wenn Du jetzt, um dieselbe Stunde schläfst, dann nimmt es mich nicht Wunder, wenn ich Dir im Traum erscheine, Du! Ach, ich denke doch sooo lieb und sehnsüchtig Dein! Du solltest jetzt bei mir sein! Du!! Was meinst Du denn, was Schönes neben mir steht, am Fußboden? Rate einmal!

Unser Wärmeöfchen! Ach, wie fein das ist! Ich kann nun das Feuer im Ofen ausgehen lassen, nachdem ich fertig bin mit kochen. Das Öfchen schafft es ganz gut! Soweit ich jetzt seine Heizkraft beurteilen kann. Es brennt ½ Stunde, und im Umkreis verbreitet sich angenehme Wärme. Es ist heute wieder trübe und kalt draußen, großartig, daß wir das Öfchen nun haben! Die Eltern konnten es nun noch nicht mit ausprobieren; gestern schon bekam ich ihn im Geschäft, aber ich hatte noch nicht die Schnüre mit dem Kontakt dazu. Heute Vormittag besorgte ich sie mir. Die Eltern werden sich freuen!

Denke Dir nur! Heute mußte die Mutsch nach Chemnitz zum Frauenarzt. Sie bemerkte gestern plötzlich, daß sie Blutungen hatte. Nach 4 Jahren, nach ihrer Operation, das erste Mal wieder! Sie war natürlich sehr erschrocken. Sie klagte zwar schon länger, daß bei ihr eine Schärfe absondern [sic] würde, sie mußte täglich baden, sonst ertrug sie es nicht. Aber nun, nachdem Blut kam, habe ich sie gezwungen, sofort den Arzt aufzusuchen. Und Vater drang auch darauf. Sie fuhr heute früh ½ 10 Uhr nach Chemnitz zu Dr. P., bei dem ich auch war. Ich bin ja so besorgt um Mutter, hoffentlich ist es nichts Schlimmes weiter. Ich denke mir, sie hat sich bei der Wäsche etwas übernommen, daß vielleicht irgend ein Äderchen geplatzt ist an ihrer Operationswunde, innerlich. Ich weiß sonst wirklich nicht, was das sein könnte.

Ihr Arzt, der sie damals operierte, meinte zwar schon damals, daß die Möglichkeit bestünde, sie müßte sich nochmals einer Operation unterziehen. Weil der eine Eierstock noch nicht entfernt ist. Ob es schon nach 4 Jahren so weit ist? Mein Gott, das wäre ja schlimm.

Ich will mir nur nicht unnütz Sorgen machen. Erst muß ich einmal hören, was der Arzt meint. Sch[a]de, daß sie nicht zu dem alten gehen kann, der sie schon behandelte, er ist aber auch im Felde. P. ist auch tüchtig, ich habe Vertrauen zu ihm.

Ich kann es gar nicht erwarten, bis Mutter wieder da ist. Ich bin so gespannt, ich sorge mich so. Gebe Gott, daß es nichts Schlimmes ist!

Wie gut, daß ich noch zuhause bin, so kann ich wenigstens alles überwachen und auf Mutter achten. Ihr alles abnehmen. Ich versorgte schon heute die Wäsche vollends. Ein Boden voll war trocken und ich kann ja auch nicht erst warten, bis Mutter wieder kommt aus Chemnitz, daß sie mir durchwinden hilft. So habe ich mich allein darübergemacht. Es war zwar bissel umständlich, Wringmaschine drehen und zugleich die Wäsche durchlaufen zu lassen, aber es ging. Nur, bissel lange hats gedauert. Ich habe mich auch nicht überanstrengt dabei, Herzlieb! Ich sehe nicht ein weshalb. Nach uns will keiner waschen, also können wir uns auch Zeit nehmen. Die große Wanne ist nun noch voll Bettwäsche, damit warte ich, bis Mutsch mir mal hilft. Der Oberboden ist nun auch wieder ganz voll und es muß erst trocknen.

Ich kann Mutsch nicht verstehen manchmal: auf mich achtet sie wie ein Schandarm, daß ich nichts Schweres hebe und selbst ist sie so leichtsinnig, daß ich sie schon laut ausgezankt habe. Sie verausgabt sich mit ihren Kräften zu sehr. Das mache ich nicht, das ist unverantwortlich. Nur immer soviel, wie man mühelos meistern kann, lieber bissel länger zubringen. Was ist dann, wenn man daliegt, nicht mehr weiter kann? Hat man etwas gut gemacht? Im Gegenteil. Mutter denkt, weil sie nun operiert ist und sich nichts mehr verdehnen kann, sie darf alles wagen – o nein, sie muß bedenken: ein operierter Mensch ist nur noch ein halber Mensch. Aber in ihrer Güte und Rücksicht auf andre opfert sie ihre eigne Gesundheit und Kraft. Ich bringe sie auch nicht anders [sic], nicht im Guten und nicht im Bösen. Erst wenn es zu spät ist kommt bei ihr die Reue.

Überhaupt: eine Frau kann nicht vorsichtig genug umgehen mit ihrer Gesundheit. Vor allem vor schwerer Arbeit muß sie sich in acht nehmen. Ich werde aber von heute an andre Saiten aufziehen bei ihr! So ist sie ständig bedacht, daß sie anderen so wenig wie nur möglich Mühe macht und Arbeit. Aber wenn sie so draufzuarbeitet mit ihrer Gesundheit und sich ruiniert dabei, dann denkt sie nicht, daß sie uns Sorge und Mühe macht. Und mir, der sie sonst alles erleichtert, dann am meisten; denn alles ruht dann auf mir. Vater ist im Beruf. Ich muß ihr das immer und immer wieder ganz eindringlich sagen. –

Herzlieb mein! Ich hätte vielleicht heute noch ein wenig an dem Faden weiter gesponnen, den ich gestern fallen ließ, den mein Philosophenmannerli aufgegriffen [hat]. Aber nun ist mir heute garnicht so zumute, Du! Meine Gedanken richten sich heute ausschließlich auf das, was mit Mutter zusammenhängt. Du wirst es verstehen mein Lieb! Und, was wäre ich denn für eine Tochter, wenn mich ein Anliegen der Mutter kalt ließe! Wenn ich nur erst Gewißheit hätte! –

Gestern abend war ich noch auf einen Sprung bei Lore G., wegen der Kinderscharsachen. Ich benötige die Liederbücher und das Scharbuch, wo ich alle Buben eintrage. Sie war allein. Ihr Mann ist verreist, nach Hause, zu Geschwistern. Sie war wieder ganz durcheinander. Sie verstricken sich immer mehr in Mißverständnisse, die beiden. Es ist dieser Tage ein Brief gekommen von einem jungen 19 jähr. Mädel aus Berlin. Sie war mit H.[errn] G. zusammen in Kissingen. Obwohl er Lore erzählt hatte, ausdrücklich, er habe sich zur Kur da niemanden vorgestellt, um keine Verpflichtungen einzugehen. Also hat [er] ‚ihr‘ diese Bekanntschaft verschwiegen. Und nun schreibt ihm das Mädel. Erzählt in dem Brief von ihren gemeinsamen Erlebnissen in Kissingen.

Lore ist großzügig gewesen, hat ihm den Briefwechsel nicht vorgeworfen, nur ihn gefragt, wenn sie sich schon schreiben wollten, warum dann diese Lüge zwischen ihr und ihm? Er hat sich herausgeredet, er habe das Mädel erst in Oberhof kennengelernt – und doch erzählt ‚sie‘ von Kissingen. Lore hat den Brief gelesen. Wenn wenigstens ein Gruß an sie, seine Frau, mit drin gestanden hätte; dann wäre ihr alles garnicht so schlimm erschienen. Aber auch das nicht. Sie vermutet nun beinahe, daß er sich da als Lediger aufgeführt hat. Arno hat dem Mädel auch wieder geschrieben und Bilder geschickt, sie hat es beobachtet. Und nun hat sie wieder Schmerzen am Herz, sie regt sich so auf. Er ist seit voriger Woche weg. Donnerstag beginnt die Schule wieder. Und nun fährt sie weg, bringt das Ferienmädel, ihre Nichte heim, auch nach da, wo Herr G. zuhause ist. Sie werden sich auch dort treffen, sie fährt aber nicht mit ihm zurück, sondern bleibt eine Woche da. Sie will ihn so strafen.

Ist es nicht erschütternd, wie die beiden Menschen aneinander vorbeileben? Wem gehört nun hier die Schuld? Ich weiß nicht, was ich denken soll! Und über Herrn G.s Verhalten bin ich sprachlos. Ich muß sagen, ich bin enttäuscht von ihm. Wie kann ein Mann, der eine Frau zuhaus hat, sich so benehmen? Sonderbar – es scheint gerade so, als ob er immer noch sucht, nach dem Menschenkind, das ihm seine Ilse, seine erste Frau ersetzen kann. Muß es ihm nicht einmal zum Bewußtsein kommen, was er hier tut? Wie er sich so an der Frau versündigt, die es auf sich nahm, ihm in allen [sic] gerecht zu werden? Das ist im höchsten Grade undankbar von ihm. Wenn er sie nun einmal geheiratet hat, dann muß er sich auch bemühen, mit ihr auszukommen. In seinem Alter kann man sich doch nicht mehr wie ein junger, unfertiger Mensch benehmen, der noch nicht recht weiß was er will. Ich möchte wissen, was er sich überhaupt unter einer Ehe vorstellt. – Aber das Ganze ist: Lore ist ihm zu überlegen, sie ist ihm ein zu selbständiger Mensch. Und er will nur seine Ansicht gelten lassen. Deshalb geraten sie bei der Ggerinsten [sic] Sache aneinander. Er muß einen Menschen zur Seite haben, den er selbst noch formen kann, der sich fügt – das hatte er in seiner ersten Frau. Das weiß ich von Bekannten. Ich glaube auch nicht, daß die beiden sich jemals ganz finden werden. Die sind beide zu kompliziert, glaubst?

Ich kann nichts dazu sagen – ich will auch nichts mit deren Eheangelegenheiten zu tun haben.

Herzlieb! Wie kontrastreich ist die Welt! Da haben nun zwei ein schönes Heim, sind nicht berührt von der bösen Kriegszeit, sind ungetrennt beisammen – und leben doch aneinander vorbei. Verstehen sich nicht.

Da sind noch zwei, die wünschen sich nichts heißer, als daß sie ihr gemeinsames Leben beginnen dürfen, das sie so herrlich vor sich sehen, so angefüllt mit Pflichten und frohem Schaffen und Beginnen. Die Liebe, die tiefe, einmalige, alles überstrahlende erfüllt ihre Herzen mit ihrer Glut bis in den letzten Winkel! Einssein – Liebe – Verstehen, wie ein gewaltiger Strom geht es von einem zum andern. Sie denken und fühlen nur noch eines: Du!! Du!!! Und innige Liebe erfüllt ihr ganzes Sein. Sie müssen sich gedulden – gedulden. In Gottes Händen liegt ihr Schicksal beschlossen.

Aber ihre Liebe macht sie sooo stark und ihr Glauben! Sie werden sich durchkämpfen – zum Sieg! Du!!!!! Zum Sieg herrlichster Erfüllung! Oh Geliebter!! Ich bin Dein in alle Ewigkeit!

Gott behüte Dich, er segne unsern Bund!

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946