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[OBF-411015-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 15. Oktober 1941.

Herzensschätzelein! Geliebter! Mein lieber, liebster [Roland]!

Du!!! Ach, wie bin ich froh, daß ich endlich Deine liebe Hand fassen kann! Wie habe ich auf die Stunde gewartet. Eben ist unser Besuch zur Tür hinaus – eine gute Bekannte, eine Krankenschwester mit ihrer Nichte. und [sic] es ist bald 22 Uhr! Ich habe ja wie auf Kohlen gesessen, Du! Nun bin ich erlöst! Die Eltern kramen zwar noch umher, doch sie gehen sicher bald schlafen. Ach Herzlieb! Nun muß ich Dir erst einmal erzählen, ehe ich auf Deine beiden lieben Boten eingehe.

Da war nun die Mutsch gestern nach Chemnitz gefahren, ich habe die Wäsche versorgt. Und abends 8 Uhr hatte ich den ersten Übungsabend vom Roten Kreuz. Die Mutter war ¾ 8 [Uhr] noch nicht heim und ich bat Vater, daß er nochmal zur Bahn ginge.

Der Kursus ist gut besucht, an die 30 Mädel und Frauen. Ein Sanitäter hielt eine „Einleitungsrede“!

Wie Du vielleicht auch schon hörtest einst, erklärte er uns seit wann das Rote Kreuz überhaupt besteht und weshalb es entstand, wer der Begründer war. Ich wiederhole das alles nicht noch einmal, gelt? Die Hauptsache hebe ich nur hervor. Der Lehrgang ist gebührenfrei, man erwartet aber, daß man sich in die Bereitschaft meldet! Zumindest das Lehrbuch kauft am Ende des Lehrganges, um sich immer zu wiederholen und die Kenntnisse aufzufrischen. Das will ich gerne kaufen. Man kann auch als zahlendes Mitglied gehen! Man darf jedoch den Lehrgang auch nur für seine Privatzwecke verwerten. Da ergeht mirs aber wie Dir, Du!! Ich bin die einzige, die das nur für sich verwenden will. Die Frauen wollen Hilfsdienste leisten und die Mädels wollen als Bereitschaftsmitglieder gehen, teils welche als Hilfsschwestern, müssen aber anschließend noch Kurse besuchen. Das kümmert mich alles nichts – ich werde mich nicht verpflichten. Das wird mir dann zuviel. Und ich weiß, Herzlieb, darin sind wir uns auch einig. Gelernt haben wir gestern nichts als einige Verbände. Der Kursus besteht aus 20 Doppelstunden – also das sind 20 Abende, zwanzig Wochen. Du!! Da bin ich doch schon bald bis Februar beschäftigt! Dann w[i]rd wieder anderes sein, das mich in Atem hält, da kann ich mich garnicht irgendwie verpflichten.

Und momentan habe ich auch die Kinderschar alleine. Das ist mir voll und ganz genug.

Ja, komme ich nun gestern abend heim kurz nach 10 [Uhr] – ein Zettel liegt auf dem Tisch vom Vater, daß die Mutsch noch nicht gekommen sei mit dem Zuge. Er war nun schlafen gegangen und ich solle die andern Züge noch abwarten. Ich wußte, daß Mutsch mit zu Tante Herta wollte, aber weil sie nun ¾ 11 [Uhr] noch nicht [k]am und mit dem Mitternachtsbus noch nicht, da begann ich mich doch zu sorgen. Ich saß und lauschte, es ging mir keine Arbeit aus den Fingern, schreiben konnte ich auch nicht – ich hatte keine Sammlung. Lange sah ich aus dem Fenster – nichts rührte sich, nur der Regen fiel gleichmäßig und der Wind heulte ums Haus. Ich fror, ging zurück ins Zimmer. Zündete nochmal das Öfchen an, wärmte mich. Ich versuchte, im Keßler-Buch zu lesen – vergeblich. Ich hatte zu nichts Andacht. Dann legte ich mich endlich schlafen, es war eine Stunde nach Mitternacht. Ich hörte es noch 2 Uhr schlagen, dann muß ich doch eingeschlafen sein. Morgens ½ 6 [Uhr] erwachte ich, weil Vater umging. Ich mußte ihm dann den Schlips umbinden, das kann er nicht allein. Und dann blieb ich gleich auf. Heute früh mußte Mutsch ja nun kommen. – Der ganze Vormittag verging, ich verguckte mir bald die Augen. Endlich, ich wollte gerade dem Vater sein Essen bringen, da kamen sie an: Mutter, Herta und die zwei Jungen. Weil Herta bei Oma aushilft zur Kirmes, kam sie schon mit. Die Buben bleiben bei uns – bis Dienstag! Herta meint, wenn alles vorbei ist, mag ich die Oma auch nicht im Schmutze sitzen lassen; dann will sie erst alles wieder mit ordnen.

Nun erzählte Mutsch. Dr. P. war verreist. Da ist sie zum Professor Dr. S., der ist nur Privatarzt, hat sich trotzdem untersuchen lassen auf ihre Rechnung. Ja – nun weinte sie; es hat sich wieder etwas gebildet, eine Entzündung, ist auch schon eitrig. Das, was ihr Dr. V. schon voraussagte ist da. Ob sie nun operiert werden muß, ich weiß es nicht. Also: Kassenpatienten kann Dr. S. nicht behandeln, er riet aber Mutter dringend sich in Behandlung zu begeben. Nun war es doch Mittag, die Sprechstunden geschlossen. So ist sie erst mal zur Schwester Herta raus, hat gegessen, um dann Nachtmittags [sic] wieder in die Stadt zu einem Frauenarzt zu gehen. Dr. Franz V. – ein Vetter von dem Dr. V. der sie operierte – auch ein guter Arzt. Er sagte ihr dasselbe. Hat ihr auch verschiedenes aufgeschrieben, was ich ihr heute besorgte, zum Einführen. An der Gebrauchsanweisung ersah ich, daß es Mittel sind, die einen Ausfluß beheben, einer inneren Entzündung Abhilfe schaffen. Wenn die Medikamente alle sind, soll sie wieder kommen.

Das sind nun freilich trübe Aussichten. Und ich bin doch recht in Sorge um Mutter. Ich darf das aber um keinen Preis merken lassen! Ich muntere sie auf wie nur irgend möglich. Sie ist ganz hoffnungslos – nochmal unter's Messer. Davor graut ihr so sehr. Du! Ob ich einmal bei Gelegenheit hingehe zu dem Arzt und ihn bitte, mir Aufschluß zu geben, ganz genau, was mit Mutter ist? Ich möchte es ja so gerne wissen – ich bin dann beruhigter. Man weiß ja auch nicht, ob es zur Operation kommt, aber wenn schon eine Entzündung da ist, ich weiß nicht – die Ärzte vermögen oft viel – oft nichts. Es wird schon so sein, daß nun auch noch der andere Eierstock angegriffen ist, und da gibt es wohl nichts andres, als operativ einzugreifen.

Die Hauptsache ist nun, man probiert und versucht nicht ewig an ihr herum, ehe es zu spät ist! Dann lieber noch einmal gewagt zu operieren. Denn jetzt ist Mutter nicht schlecht bei Kräften und ich bange nicht, daß sie es nicht übersteht. Beim ersten Male war sie viel, viel mehr herunter. Und um Klarheit zu haben, möchte ich den Arzt um Gewißheit fragen. Ob ich es tue, Herzli[e]b? Du! Ich will Dich mit alledem nicht belasten, Du!! Und Du sollst ganz ohne Sorgen sein, Geliebter!

Vertraue mir nur, was in meinen Kräften steht, werde ich tun in der Angelegenheit mit Mutter. Ich muß Dir das aber alles erzählen, und ich weiß: meine Sorgen sind auch Deine Sorgen – sowie meine Freuden auch die Deinen sind. Wie gut nur, daß ich noch zuhause sein kann! Mutter ist nicht allein.

Liebster! Und ich will nicht zagen, nicht verzweifeln[,] nicht klagen – demütig will ich empfangen, was Gott mir schickt, sein Wille geschehe allezeit.

Daß es so schlimm ausgeht, daß mir meine Mutter genommen würde – nein! Das kann nicht sein! Das glaube ich nicht! Einmal müssen wir hier auf Erden Abschied nehmen voneinander – aber jetzt noch nicht, so jung wie Mutter noch ist! Das kann nicht sein!! Liebster, ich sehe vielleicht auch gleich zu schwarz – wir wollen nur erst mal abwarten, wie der Erfolg ist, nachdem, was der Arzt verordnet hat.

Ach Du!! Ich soll Dir nichts von alledem schreiben, Mutter sagte mir es ausdrücklich; Du sollst Dich nicht sorgen! Du!! Darfst nur mit mir allein darüber reden! Vielleicht vertraut sie es Dir selbst einmal an. –

Herzlieb! Da wollte ich Dir nun heute einen recht lieben und frohen Brief schreiben, Du! Und nun muß ich Dir soviel Trübes erzählen. Ich bin froh auf eine Art, daß die Kinder da sind, die heitern die Mutter richtig auf, gerade heute, wo alles noch so neu ist. Ich weiß, Mutter wird ruhiger werden über diese Geschichte, wenn eine Weile vergangen ist. Sie ist so tapfer, immer schon gewesen, wenn sie etwas hatte. Und nun, da ich immer älter bin geworden und verständiger, hat sie auch in mir eine Vertraute, kann sie ein wenig anlehnen.

Die Buben? Ich habe schon meinen Drasch mit ihnen. Und Du siehst, ich kann Dir, solange sie bei uns sind, erst abends schreiben, wenn die Geister schlafen! Wir „Jungvolk“ müssen im Elternschlafzimmer hausen. Die beiden brachte ich ½ 8 [Uhr] ins Bett, habe ihnen noch eine Geschichte erzählt und mit ihnen gebetet und nun schlafen sie friedlich nebeneinander. Ganz wunderlich wird mir ums Herze, wenn sich die beiden so mir anvertrauen, wenn ich sie so friedlich schlummern sehe. Du! Herzlieb! Wenn wir beiden erst im eigenen Stübchen an solch Kinderbetten stehen [haben]! Ach! Ich glaube[,] das ist soooviel Seligkeit und Freude! Du und ich!! Und das, was unsre innige Liebe sichtbar werden ließ! O schenke uns Gott in Gnaden dieses reiche Glück! Du!!

Nun hatte ich heute Kinderschar. Die Buben nahm ich mit. So waren wir über 20 weit [sic]. Es ging ganz fein, so zum ersten Male allein. Und dann, als wir mittendrin waren im Laternen basteln, da vergaßen wir alle die Zeit! Es war bald ½ Stunde darüber. Also: ein Zeichen, daß es den Buben heute gefallen hat. Sie waren alle so eifrig bei der Sache. Und ich hatte es mir schwieriger gedacht, die Rasselbande in Schach zu halten. Nun brauche ich nur noch mit zweien fertig zu werden – na, es wird mir schon gelingen. Und am Dienstag geht die Fuhre wieder ab. Hoffentlich bessert sich das Wetter, daß ich die Geister mal bissel draußen umherführen kann. –

Schätzelein! Geliebter! Deine lieben Boten vom Mittwoch und Donnerstag, sie sind soo lieb! Du!! Ich danke Dir! Mein Herzelein! Der Mittwochbrief, Du träumst Dich zurück, in die Heimat, zur Herbstzeit. Ach Liebster! Ich kann es verstehen, wenn jetzt einmal das Heimweh wach wird. Du erlebst das Jahr mit seinem Wechsel zum ersten Male in der Fremde. Und Du liebst Deine Heimat so sehr, weil Du sie immer mit besonderem Auge schautest! Keiner, der den deutschen Herbst kennt, der nun in der Fremde nicht Sehnsucht nach der Heimat empfände. So warm und tief leuchten sie alle auf, die Bilder der Heimat im Herbstschmuck. Und ich freue mich, wie Du sie noch in Erinnerung hast, so getreu und fest bewahrtest! Du! Bis in die Jahre vor unsrer Begegnung liegen die Bilder Deiner Erinnerung zurück. Du! Rechenberg-Bienenmühle, ich möchte es doch auch einmal kennen lernen! Wo mein Lieb noch einsam war, voller Sehnsucht das Herz – voller Heimverlangen. Als seine heiße Sehnsucht noch keinen Wiederhall [sic] hatte. Und doch hattest Du einen Unterschlupf, der Dir so lieb war, daß Du wie nie zuvor spürtest, wie schön, [sic] das Heimkehren ist in eine Geborgenheit. Aber schöner noch und viel köstlicher ist das Heimkehren des Herzens und der Seele in die Geborgenheit!

Ach – Du weißt es nun Geliebter! Das unsre Seelen sich begegneten auf diesem Erdenrund, wie ein unfaßbares Wunder scheint es uns manchmal noch. Und doch – hätten unsre Seelen Ruhe gefunden, wenn nicht das Geschwister ihm begegnet wäre? Wohl nie! Immer noch wären sie nun zum Suchen, zur Ruhelosigkeit verurteilt. Ach, so schmerzlich-verlangend, so quälend und bitter-weh kann das tun. Und es macht den Menschen friedlos und arm. Allein ist kein vollkommenes Glück, keine vollkommene Freude – allein ist die Welt wie ohne Sonnenschein, Herzlieb! Erst wenn ein geliebtes Antlitz Dir Dein Bild spiegelt, Deine Seele und Dein Wesen offenbart im glücklichen Gleichklang – dann ist Erfüllung, dann ist reine Freude, ach, dann erst ist die Welt voll Sonne, dann erst ist das Leben lebenswert! Geliebter!!!

Du trugst sie so lang in Dir, diese Sehnsucht nach einem Seelengeschwister, Du!! Geliebter! Und nun sagst Du mir zu meiner höchsten Seligkeit und Freude, daß all dieses ferne, feine Sehnen ein Ziel gefunden hat, ein Ziel in mir, Deinem Weibe! Oh Du!!! Du setzt mir die Krone auf! Mir, Deines Herzens Königin! Geliebter! Geliebter!!! Oh Schätzelein!!! All die feinen, zarten, guten, hohen Sehnsüchte, sie woben wie feine Fäden eine Krone – mein Haupt darf sie tragen! Und mein Geliebter weiht sie mir, mir, aus Liebe! Oh Du!! Ich will sie hüten, als unseren Schatz!! Du!! Nur uns beiden sichtbar! Geliebter! Ich will sie würdig tragen, Dein ganzes Leben mit Sonne des Glücks erfüllend! Mein Leben gehört Dir, in endloser Liebe! Du!! Oh Du!!! Ich kann nicht anders – Du weißt es, Geliebter!

Seit ich Dich sah, liebte ich Dich – nur der Tod kann je diese Liebe auslöschen. Herzallerliebster! Nicht vom Tode, vom Leben wollen wir reden, wollen wir träumen – nur mit dem Leben wollen wir gehen! Unserem gemeinsamen Leben! Ach Du! Nun kommt bald die Kerzenzeit, Dämmerzeit – Seelenzeit, Herzenszeit, auch Du sagst es – wie schön, könnten wir sie nun endlich auch einmal ohne Trennung, ohne Abschied zusammen erleben. Noch ist es nicht so weit, noch steht uns das Tor zur ganzen Heimlichkeit und Traute nicht ganz offen – aber die Gedanken, sie eilen der Zeit voraus, sie malen das Glück, unser Glück innigsten Einsseins! Und nur heißer wird das Verlangen, nur brennender der Wunsch, einander ganz zu gehören in allen Tagen, die Gott uns schenkt. Und fester wird der Wille und nur noch stärker: auszuhalten, auszuharren in Geduld und dankbar uns unsres Geschickes zu erinnern, das ein gütiger Stern uns bescherte, neben der Not so vieler neben uns gemessen ist es eine große Gnade! Du, Herzlieb! Täglich wollen wir dem Herrgott Lob und Dank sagen für all seine Güte und Liebe! Nie müde werden, um Gnade fernerhin zu bitten! Ihm vertrauen wir, vertrauen wir bis ins letzte. Und dabei will mir so leicht ums Herz werden! Herzlieb! Sei froh und zuversichtlich mit mir! Sei stark und hoffnungsfroh!

Ich bin bei Dir allezeit! Ich liebe Dich in Ewigkeit! Gott sei mit Dir! Du mein Ein und Alles!

Ich küsse Dich herzinnig! Du!! Und bin ganz Deine [Hilde].

Du!!!!! !!!!! !!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946