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[OBF-411020-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 20.Oktober 1941

Mein liebes teures Herz! Herzallerliebste mein!

Nun war es gestern doch 8 Uhr am Abend geworden – und ich so müde. Du bist mir nicht bös wenn ich nun heute Montag mich beeile, Dir zu berichten. Er geht schon am Nachmittag mit weg und erreicht Dich also mit einer kaum merklichen Verspätung.

Hör zu. Ist doch hier ein Berg, der so trutzig und herausfordernd in die Stadt hereinscheint. Wir nannten ihn fälschlich Kissor, sein richtiger Name ist Chortiatis, das Ch mußt richtig schnarchen. Der hat uns ja schon lange in die Augen gestochen – und gestern nun war er dran.

Ich habe mir mit Kamerad K. freigenommen den Sonntagvormittag. Wir haben uns für das Mittagessen Marschproviant geben lassen und morgens ½ 9 Uhr sind wir bei schönem, beständigen Wetter ausgezogen. Dein Mannerli bewaffnet mit dem Foto. Es war nur wenig Gelegenheit zu guten Aufnahmen. Am vergangenen Sonntag haben wir den ganzen Berg uns noch einmal aus der Nähe uns angesehen und hatten nun unseren Plan. Der Anmarsch führte uns auf bekannten Wegen zunächst, dann auf einer breiten Straße bis an den Fuß des Berges, ein romantisches Dorf liegt dort. Dieser Anmarsch war etwas gegen unsre Berechnung lang, am Fuße des Berges standen wir ½ 1 Uhr. 2 Stunden dauerte der Aufstieg, es war weniger beschwerlich, als wir dachten, nur etwas umständlich. ½ 3 Uhr hatten wir den Gipfel bezwungen. Und siehe da, wir waren nicht die einzigen, denen es dieser Gipfel angetan hatte. 4 Flieger in Kakiuniform hatten ihn ebenfalls bestiegen. Oben auf dem Gipfel war es recht windig, sodaß wir unsre Gipfelrast verkürzten. ½ 4 Uhr machten wir uns wieder auf den Rückweg. Zu diesem wählten wir einen ganz geraden, bequemen Abstieg, der uns zu der Straße führte, die wir schon am vorigen Sonntag heimwärts zogen. Beim Abstieg, etwa eine Stunde vom Gipfel entfernt, die Uhr zeigte ½ 5 Uhr, begegneten wir doch 3 Matrosen ganz in weiß, die auf den Berg stürmen wollten! 1 ½ Std. Aufstieg noch bis zum Gipfel – 6 Uhr, Rückmarsch nach Saloniki! Verrückt, verrückt. Und wir hatten tatsächlich einige Mühe, diese Kerle von der Unmöglichkeit ihres Vorhabens zu überzeugen. So ging es nun zu fünft weiter abwärts. 1208 m hoch ist der stolze Berg, und diese Meter mußten wir ja bis zum Schnittpunkt des Meeresspiegels alle mitrechnen. In der nun vergrößerten Gesellschaft vergaß man ein wenig die Müdigkeit. Ein Stück weiter holten wir auch noch zwei Griechen ein, Vater und Sohn, die vom Berge kamen. Ich habe mich mit ihnen ein gutes Stück Weg französisch unterhalten. Die beiden freuten sich, daß wir wie sie die Natur und die Berge liebten. Endlich erreichten wir bei Sonnenuntergang unseren Ort am Kapellenberg. Dort beginnt die Asphaltstraße, die in stetem sanftem Gefälle in einer guten Stunde hinabführt zur Stadt. Nun haben wir erst mal eine Rast eingeschoben. Durst hatten wir. Unterwegs stillten wir ihn mit saftigen Äpfeln. Hör zu, was ich getrunken habe: einen Kognak, 3 Täßchen Kaffee nach türkischer Art (schwarz, süß, mit allem Sa[t]z zu einem Glas Wasser zu trinken) und 2 Limonaden. Gegen 7 Uhr haben wir uns wieder in Bewegung gesetzt. Wir hatten Glück, daß wir gleich eine Straßenbahn bekamen – und so waren wir kurz nach 8 Uhr zu Hause. Nun hatten wir doch unseren Willen, sind nun befriedigt und haben Ruhe vor diesem Berge. Es war eine schöne Wanderung, ein wenig anstrengend. Sie führte uns wieder eindrucksvoll die Weiträumigkeit und Großartigkeit, aber auch die Öde dieser Gegend vor Augen. Immer wieder fesselnd in seiner Schönheit das Nebeneinander von Land, Gebirge und mehr Meer. Weit und breit hat der Chortiatis keinen Nebenbuhler seiner Wucht und Höhe, er beherrscht die Gegend. Die Landschaft schrumpft unter seinen Herrscherblicken beinahe zu einer Landkarte zusammen. Nun schaut man unser Meer eben nur als eine kleine Bucht und gewinnt einen Überblick über das ganze Gelände. Schönheiten und Eigenheiten am Wege? Zwei Schlangen flohen vor uns von ihrem Sonnenplatz ins sichere Versteck. Von fern haben wir einen Adler horsten und davonfliegen sehen. So weit wir nun gegangen sind – fast baumlos ist das Land, der Berg ohne Bäume außer an seinem Nordhange. Sonst nur kniehohes Gestrüpp. Die eine Art dicht, mit kleinen ledrig-glänzenden, stachelbewehrten Blättern – und eine Frucht tragend, die genau unsrer Eichel gleicht. Die andre Art, Büsche mit moosartigen [B]lättern und roten Beeren. Am Berge blaue Becherblumen, eine Art Krokus. Beim Abstieg trafen wir auch herrliche Glockenheide.

Herzlieb! Und Du warst mit mir – den ganzenWeg – hast mich zu Umsicht und Vorsicht angehalten – hast mit mir geschaut und Dich gefreut an der Erhabenheit dieser Gotteswelt – und hast mich dann doch mächtig heimgezogen an den Ort, wo Du mich sicher findest und geborgen weißt! Das war die letzte große Umarmung vor diesem Winter und[,] will's Gott[,] die letzte auch hier überhaupt. Oh Herzensschätzelein! Nun war ich doch ganz sehr froh, daß ich wieder daheim war. Und da warteten ja auch schon zwei liebe, liebe Boten mein, die vom Montag und Dienstag, der vom Sonntag steht noch aus. Ich habe sie ja wieder und wieder lesen müssen, weil sie mir in ihrer Art sagten, wie sooo lieb Du mich hast und welch liebes Weib ich in Dir besitze. Will sehen, daß ich heute abend noch auf etliches eingehen kann. Sei jetzt nur eben tausendlieb bedankt dafür.

Ich schreibe jetzt am Montagvormittag. Der Spieß ist unterwegs und die Arbeit eilt nicht. Wie wird mein Herzlieb seinen Montag zugebracht haben?

Ach Du! Geliebte! Ich sorge [mich] mit Dir um die liebe Mutter. Gott bewahre sie davor, daß sie zum zweiten Male operiert werden m[u]ß! Ich warte auf Deinen Boten vom Mittwoch, der mir Nachricht bringen wird. Ich bin froh, daß Du der lieben Mutter recht ins Gewissen redest und daß Du Dir alles recht als Lehre dienen läßt. Eben pfeift der Läufer „Ausscheiden mit Dienst“. Nun mache ich mich bereit zum Mittagessen – und eile, um zu sehen, ob die Post etwas für mich hat.

Mein liebes, teures Herz! Ich habe Dich sooooo lieb! Ich bin ganz Dein! Und bin Deiner Liebe ganz gewiß! Herzlieb! Du sollst nicht bangen darum, daß Du mein Vertrauen verlieren könntest – dann könnte ich Dich d[oc]h auch nicht mehr liebhaben! Und ich bin nicht in Angst um Deine Liebe! Oh Du!!! Du!!!!! Das glaube mir! Ich sorge mich nicht um Deine Liebe! Ich habe sie, oh Geliebte!!!!! Du bist ganz mein!!! Ich sorge mich nur manchmal noch um unsre Liebe!

Heute Mittag vielleicht schon und heute abend will ich Deine lieben Hände wieder fassen. Oh Du! Die lieben, lieben Hände !!! Ich liebe Dich sooooooooooooo sehr, Du!!! Gott behüte Dich! Er sei mit Dir auf allen Wegen, Er behüte auch die lieben Eltern, die liebe Mutter aber jetzt zu allermeist.

Ich bin ewig

Dein [Roland]! Ganz Dein!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946