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[OBF-411115-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 15. November 1941.

Herzensschätzelein! Geliebter!! Mein lieber, guter [Roland]! Du!!!

Jeden Tag kommt jetzt Dein lieber Bote zu mir! Und er macht mich täglich so ganz froh und glücklich! So ganz sehr froh und glücklich, daß ich es Dir kaum sagen kann, Herzelein!! Heute kam der vom Dienstag an, aber eigentlich war schon Mittwoch, als Du ihn schriebst. Ich wollte Dir eben zürnen, weil Du frühzeitig im kalten Schreibzimmer sitzt und an mich schreibst, anstatt im Bettlein zu bleiben! Du!!! Unartiger Bengel! Ich weiß es doch ganz genau, daß Du an mich denkst – immer, auch wenn Du mir einmal nicht schreibst! Du! Liebster!! Erkälte Dich ja nicht einmal, wenn Du so aus dem warmen Bett kommend, still im ungeheizten Zimmer sitzt!!! Weil ich aber nun sehe, wie so lieb Du es mit mir meinst in Deinem lieben Briefe, will ich Gnade walten lassen! Ich hab Dich ja viel zu lieb, als daß ich Dir zürnen könnte im Ernste! Du Racker! Und das weißt Du auch. Du!!! Ach Herzelein!!! Ich fühl's doch so gewiß, wie sehr Du mich liebst!! Wie so sehr! Und auch in dem Boten heute, um den Du ein bissel bangst, er könnte mich nicht so ganz beglücken wie ein andrer – oh Du!!! Liebs' Dummerle!! Sollst Dir's doch immer ganz gut merken: Alles, alles, alles, was von Deiner Hand kommt, das liebe ich, das beglückt mich, das weckt helle Freude und Sonne in meinem Herzen – es erfüllt mich – auch das allerkleinste Wörtchen und wie Du meinst: auch das belangloseste, es ist mir soo wichtig, so wert, so lieb! Weil es doch vom Liebsten kommt! Von ihm!

Ach Du!! Weißt Du denn wieviel Seligkeit das in sich birgt? Vom Liebsten kommt mir all mein Lebensglück, alle Sonne und alle Herzensseligkeit! Du!!! Du!!! Herzelein!!! Die liebe Mutsch brachte ihn mir heute ans Bettlein, Deinen Gruß! Ja! Denke nur, 3/4 9  schlief ich noch! Aber da bin ich flugs aus den Federn, muß mich ja schämen im Nachtanzug vor Dir?! Meinst Du!! Aber dazu noch: ungewaschen, ungekämmt! Schnell machte ich mich fein und dann durfte ich mir von Dir etwas ganz Liebes erzählen lassen, Du!! Auf dem Sofa sitze ich beim Lesen immer – auf meinem Plätzel, und Du bei mir, als sei es Wirklichkeit, auch auf Deinem Plätzel! Herzallerliebster! Auch vom Hellmuth kam ein lieber Brief, ich lasse ihn Dir mal lesen [sic], [Du] schickst ihn zurück, ja?

Und dann war der heutige Vormittag so schnell um, ich habe strenges Ausgehverbot!!! Nur bis zum Lokus darf ich, nachher ganz schnell wieder herein in's Zimmer. Keine Wege brauchte ich zu gehen, keine Hausordnung zu scheuern, keine Betten machen, nicht stäuben, nicht bohnern. Ich kam mir ja heute vor, wie die Prinzessin auf der Erbse. Denn ich sollte liegen bleiben auf dem Sofa, auf Mutters Befehl!

Du weißt ja selbst, wie es in allen Gliedern mir zuckt, wenn ich untätig faulenzen soll, während andre sich rühren. Als Mutsch im Hause sich zu schaffen machte, kroch ich herunter vom Sofa, zog mich warm an und kümmerte mich ums Mittagessen und so fort. Na – die Mutsch konnte nischt machen, der Vogel war eben aus dem Nest gehüpft. Ich halt's nicht aus, ich halt's nicht aus! Aber hinausgehen will ich wirklich mal paar Tage nicht. Mal sehen, ob es dann besser wird mit mir. Da hat mich nun die Mutsch gestern wieder erst heiß baden lassen und anschließend zur Schwitzkur eingepackt. 1 ½ Stunden mußte ich schwitzen!! Ach Du!! Hast Du nicht den Schlucken gehabt? Wie sehr habe ich an Dich gedacht! Gestern hast ja auch Du fein gebadet, ja? Ach, als ich endlich von allem Wickelzeug befreit war, atmete ich ordentlich auf. Es ist so qualend [sic], weil ich keine Luft durch die Nase bekomme, mir wurde paarmal so angst, zum Ersticken! Vom Apotheker habe ich eine Emulsion bekommen, die ich in die Nasenlöcher träufeln muß und eine Weile bei zurückgebeugtem Kopfe wirken lassen soll, dann – sobald [i]ch die Flüssigkeit an der Gaumenwand spüre, sofort den Kopf tief herunterbeugen, damit auch die oberen Nasengänge mit gereinigt werden. Ich habe es schon versucht, doch es ist alles so zu, daß es garnicht hinterlaufen kann, das ölige Zeug. Dabei läuft mein Schnupfen. Aber ich denke, daß alles geschwollen ist innen. Ich soll es strickt durchführen, bis ich Wirkung spüre, hätte der Apotheker gesagt, es sei das Beste, was er gegen chronischen Schnupfen habe. Nun – wohlan! Bis jetzt kann ich Dir noch keinen Erfolg melden. Die Ohren sind auch noch zu, der [G]eruch und Geschmack noch abgestellt. Aber ich habe Hoffnung! Bis ich Pfefferkuchen backen will, muß ich meinen Geschmack wieder haben! – oder muß mein Herzlieb eben mit einer Verspätung des Adventsgrußes vorlieb nehmen. Magst Du? Ich habe mir vorgenommen, wenn es bis Mittwoch nicht anders ist bei mir, gehe ich zum Arzt.

Einen guten Hustensaft hat mir Mutsch auch mitgebracht: Pertussin. Da merke ich schon eine Linderung. Ich fühle mich heute ganz wohl, bis auf ein bissel Kopfschmerz, den bin ich nun bald gewohnt durch den Schnupfen und bis auf die allgemeine Mattigkeit. Doch die rührt vom Schwitzen her so denke ich. Ach, mit Grauen denke ich an gestern abend. Nach 8 Uhr bin ich zu Bett, die Eltern bald nach mir. Ich lag bis Schlag 9 wach, keine Luft bekam ich und ließ ich den Mund offen stehn, war im Nu alles so sehr trocken, das es stach und schmerzte. Immer wieder versuchte ich zu Atmen, ich schneuzte mich gründlich – nischt zu machen. Nach paar Atemzügen war's das alte. Ich legte mich höher, damit nicht’s [sic] in den Rachen käme, auch vergebens. Durch den Temperaturunterschied waren die Luftwege wieder verstopft. Ach Herzlieb!! Es wurde 10, – 11 –, Mitternacht. Wie habe ich mich nach Dir gesehnt – oh Du !!!!! !!!!! So schmerzlich, wie lange nicht! Ich habe so lange geweint, mein ganzes Kopfkissen war naß. Und ich war so verzweifelt, ich war auch so mutlos. Ich mußte immer denken, wie schrecklich es sei, wenn ich jetzt sterben müßte und Du bist mir so ferne, oh so ferne! Geliebter! Ich weiß, es ist ganz, ganz unrecht, was ich da dachte – doch der Wahn verließ mich nicht mehr. Es war eine schreckliche, trostlose Nacht. Du!! Oh Du!! Wie meine Seele nach Dir schrie – Du mußt es gehört haben, Geliebter!

Oh, wie war mir angst! So angst!! Ich war ganz feucht vor Angstschweiß, mein Haar klebte am Kopfe, an den Schläfen und immer liefen mir die Tränen herunter. Ich hatte auch keine Kraft aufzustehen, die Mutter zu  wecken – wie gelähmt lag ich, wie festgebannt. Du! Geliebter! Meine Lippen bewegten nur Deinen Namen, nur Dich rief ich. Nur Dich wollte ich – niemanden sonst! Ach Herzlieb! Du konntest ja nicht kommen. Du konntest ja nicht, zur gleichen Stunde! Du!!! Ganz langsam hat dann die Vernunft gesiegt über meine Schwäche. Und ich habe mich in den Schlaf geweint. Ich hörte es noch einmal schlagen von unsrer Uhr, schon im Dämmern, dann muß ich eingeschlafen sein. Heute früh, als Mutsch mich weckte, wußte ich garnicht gleich wo ich war – mußte mich so lange besinnen. Und dann sah ich den Brief in ihrer Hand! Du!! Deinen Brief! Da überlief es mich so warm, so eigen – ach – da wußte ich: nun bist Du gekommen! Geliebter!! Geliebter!! Nun war doch aller Schmerz vergessen! Du warst bei mir! Du warst mir nahe!!! Und ich lag noch ein Weilchen ganz still und verklärt war wohl mein Gesicht vor Freude, vor Freude!!! Du!!! Ich mußte ihn wieder auf meinen Lippen bewegen, Deinen Namen, den geliebten! Du!! Oh, wie ich Dich liebe! Wie von Herzen ich Dich liebe, ich fühle sie täglich heißer brennen in mir, die große, unendlich tiefe Herzensliebe zu Dir!! Ein Dankgebet mußte ich sprechen, ehe ich mich erhob von meinem Lager – vor ein paar Stunden noch war es so schmerzensreich gewesen – nun lag Sonne des Glückes darüber gebreitet. Wie froh erhob ich mich! Geliebter!!

Und die Schwäche konnte mich nicht unterkriegen, nun nicht mehr; denn Du warst ja bei mir! Mein Herz!! Weißt? Ich habe es mir heute schon einige Male durch den Kopf gehen lassen. Das Schwitzen gestern gegen Abend, das hat mich zu sehr angestrengt. Es schwächt den Körper erstens und regt auf. Und deshalb konnte ich auch keine Ruhe finden gestern. Und darum war ich auch so unfähig jeder Bewegung. Du!! Herzelein! Mußt Dich heute nun garnimmer sorgen um mich! Ich sitze ganz froh am Tische jetzt und rede mit Dir! Die Mutsch ist eben wieder herein vom Wegelaufen. Huh! Bringt sie eine Kälte mit, es sollen 6° sein. Dabei scheint aber die Sonne. Es ist jetzt 4 Uhr vorbei, wir wollen erst mal Kaffee trinken. Kuchen? O nein! Wer wird denn so verfressen sein! Mohnstriezel gibt's. Eine Seltenheit, aber ich habe mir schon lange welche bestellt beim Bäcker und heute brachte sie Mutsch angeschleppt. So! 1 Eßlöffel Hustensaft, dann Kaffee und Semmel – hinterdrin paar Tropfen in die Nasenlöcher! Nun sage aber bloß nicht, daß eine Öffnung an mir zu kurz gekommen sei! Komisch, wenn ich im warmen Zimmer [b]in und das Zeug einträufele, dann kann ich Luft hindurchziehen, durch die Nase – obwohl ich noch nichts rieche – aber das hält nur etwa 2 Stunden vor. So ist auch angedeutet in der Gebrauchsanweisung. Man soll aber immer wiederholen, bis es ganz frei wird. Du! Da habe ich nun eine Beschäftigung!

Ach Herzlieb! Was wirst Du denn heute angeben?

Bei Dir ist jetzt noch kein Feierabend, gelt? Aber bald! Und vielleicht geht Ihr beiden dann mal ins Kino. Ich möchte auch mal wieder gehen. Bei uns läuft j[etz]t: „6 Tage Heimaturlaub“ mit Gustav Fröhlich. Soll gut sein. Ich warte aber lieber auf den großangekündigten Film: „Ich klage an!“ Ein Arztschicksal in packender Handlungsweise wird gezeigt. Ich las irgendwo – in meiner Frauenwarte schon eine kurze Einführung dazu.

Die Frau des berühmten Professors und Arztes wird von einer ganz heimtückischen Krankheit befallen – keiner kann helfen, keiner kennt anfangs die Ursache. Bis es ihm selbst und unter Beistand eines Freundes, auch eines Arztes gelingt, die Ursache, den Erreger festzustellen. Jedoch zu spät. Rettung kann er der geliebten Frau nicht mehr bringen, nur Linderung – Erlösung. Die Lähmung hat dann auch die Atmungsorgane ergriffen und sie muß qualvoll leiden, bis es eines Tages wird zu Ende gehen mit ihr. Da erlöst er seine Frau, er gibt ihr Morphium und sie schläft schmerzlos ein. Nun kommt es zur Anklage. Und dieses Schicksal wird dann vor Richtern und Menschen aufgerollt und über Recht und Unrecht soll der gesunde Menschenverstand entscheiden.

Ich verspreche mir viel von diesem Film. In Chemnitz läuft er schon 6 Wochen. Außerdem sind die Rollen gut besetzt. Mathias Wiemann, Heidemarie Hatheyer, die mir aus der „Geyerwally“ noch lebhaft in Erinnerung ist und Paul Hartmann!

Aber erst muß ich gesund sein, gelt, mein Mannerli? Ehe ich mir andre Kranke anseh'!

Du! Vorhin hat die Mutsch ganz 'was Feines mit aus der Stadt gebracht. Soll ich Dir's sagen? Aber hergeben tu ich's noch nicht!! Nein!!! Es ist zu schön!! Heute noch nicht, morgen noch nicht und übermorgen? Ach – von einigen kann ich mich doch überhaupt nicht trennen! Ich muß sie immerzu anschaun!! Du bist zu reizend! Zu süß! Zu niedlich! Ach – zum Freßssen lieb hab ich Dich doch! Du lieber, goldiger Eselreiter!!

O weh! Du! Das kann ein böses Mißverständnis geben, wenn ich mich nun nicht näher erkläre! Mein lieber, goldiger Eselreiter, Du!! Denke mal 30 Jahre zurück, da hast Du geschrien wie einer am Spieß im Lößnitzgrund, als Du auf das Tierchen solltest. Und heute? Sitzt doch der große Hubo auf dem kleinen, kleinen Eselein und lacht ganz verschämt und schelmisch! Ach! Das bist Du wirklich!!! Mein lieber, lieber, großer Hubo! Wie sehr Du mir gefällst auf dem Bild, das weißt Du ja nicht! Und Du darfst es nur mal anschaun, paar Tage! Dann mußt es mir wiederschicken ja? Ach bitte!!! Denke nur, ich kriege doch jetzt gar keine Negative mehr nachentwickelt, weil es kein Material gibt. Ich kann auch den beiden Frauen keine Bilder mehr machen lassen. Ich bekomme nur einmal welche. Ich muß ihnen eben die Negative schicken, daß sie sich selbst kümmern. Kannst es dem K. mal immer erzählen. So leid mir's tut. Ich habe es gerne getan, es machte Freude – auch Arbeit.

Du! Mutsch war auch beim Schuster, ich wollte so gerne Pantoffeln für Dich haben. Du hast doch bloß die alten unbequemen Segeltuchschuhe, das dauert mich. Aber es ist überhaupt keine Aussicht. Ich bin ganz traurig nun. Was mache ich nur? Soll ich Dir Deine Bunzelschuhe schicken, Herzlieb? Du wirst vielleicht frieren nun, wenn's kälter wird! Bitte schreibe mir gleich Antwort, daß ich mich darnach richten kann! Und nun muß ich erst einmal aufhören mit schreiben. Es ist 6 Uhr. Der Vater kommt. Er will etwas essen und dann mit Mutter nach M., da bekommen sie Rotkraut zum Einkochen. Und Mutsch will sehen, ob Oma bissel Zucker und Mehl hat! Ich werde schon nochmal zu Dir kommen, wenn ich dann alleine bin, Du!! Du!! Herzallerliebster! Jetzt aber:

Gott befohlen! Und tausend innige Grüße und Küsse

von Deiner Dich liebenden [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946