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[OBF-420305-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 5. März 1942

Herzallerliebste mein! Mein liebes, treues Weib!

Wo find ich Dich wohl jetzt? In der Singstunde wohl. Wird sie jetzt nicht in der Pfarre abgehalten? Ach Herzelein! Ich kenne nicht einmal mehr all Deine Wege und Steige und möcht Dich doch so gern begleiten, überallhin – nur nicht gern in die Pfarre – sie ist mir ein unheimliches Haus.

Freier Nachmittag war heute. Mit Kamerad K. zusammen hielt ich ihn. Gegen Mittag heiterte es auf, und wir beschlossen, ein Stück zu marschieren. Erst nach drei Uhr haben wir uns auf den Weg gemacht. Die Tram brachte uns bis in die Außenstadt. Und dann schlugen wir ,unseren‘ Weg ein nach Arsakli, den Ort am Kapellenberg, gegenüber dem Chortiatis. Durch eine der schönsten Straßen führt er erst, mit einstöckigen Villen inmitten gepflegter Gärten. Veilchen und Hyazinthen stehen in Blüte, und die Tulpen werden üppig. In einem der Vorgärten ein blühender Strauch – wir bleiben stehen, um ihn zu bewundern. Schon bricht eine Frau einen Zweig und reicht ihn uns. Seit vielen Tagen erste, wärmende Sonnenstrahlen. In Gärten und auf Feldern bereiten Menschen der neuen Frucht das Bett. Vorfrühling ist mit erstem, scheuen Grün. Bin nur gespannt, ob die Berge, die kahlen, sich auch einmal begrünen. In den Weinbergen zeigt sich noch keine Spur neuen Lebens. Männer, Frauen und Kinder begegnen uns, Bündel dürren Sparrichts [sic] schleppend, dorniges Knieholz, das im Herbst die Eicheln trägt – ein mühvolles Heimbringsel. Die werden einen Hunger heimbringen. Pilä heißt das Dorf, das wir zuerst berühren. Ich mußte an Kaufungen denken: jeder Hof eine kleine Trutzburg, eigensinnig und verschlossen. Hier alles offen – ärmliche Hütten, wohl ein Raum zumeist nur. Alles sitzt draußen in der Sonne – schmutzig, die Kinder fast alle mit laufenden Nasen. Sie werden groß trotz Schmutz und Enge. Die nächste Häuseransammlung bildet die ehemalige amerikanische Niederlassung. In gepflegten Parks stattliche Steinhäuser, Villen, in halber Höhe, entrückt dem gefährlichen Fiebersumpf und dem Schmutz der Eingeborenen. Zur Linken eine Schule, im Garten ein Tennisplatz. Deutsche Posten stehen am Eingang: hier sitzt ein Generalstab. Zur Rechten dann eine Weinbauschule. Nun die schöne Asphaltstraße weiter bergan in einigen Serpentinen. Die liebe Sonne hat es gut gemeint, sie hat auch unsre Herzen erwärmt und wir haben einander erzählt vom Wandern daheim – von Wanderplänen auch – Herzelein! Später dann, mit Dir! mit Dir!!! Im Gasthaus ließen wir uns nieder zu kurzer Rast. Es gab keinen Flaschenwein. Den anderen vom Faß mag ich nicht, es graut mir davor. Die kleine Gaststube war fast gefüllt mit etwa 20 Männern. Sie saßen da bei Brett- und Kartenspiel, die meisten hatten gar nichts vor sich stehen. Bäurische Gesichter zumeist. Die Frauen bleiben daheim und müssen wahrscheinlich arbeiten. Und nun genossen wir den leichten Abstieg. Von der amerikanischen Kolonie ab benutzten wir den Autobus, der die Soldaten der Wachkompanie allabendlich zur Stadt bringt und wieder abholt. So klang unsre kleine Unternehmung auch insofern recht befriedigend aus, als wir ohne große Müdigkeit in unserem Quartier anlangten. Wer weiß, wie oft wir diesen Bummel noch haben.

Herzelein! Du fragst, was wohl nun wird aus uns? Noch nichts ist entschieden. Aber schon, wenn Du diese Zeilen erhältst, kann es sich entschieden haben. Abgesehen von der Möglichkeit, auf die wir einige Hoffnung setzen, steuern wir mit einiger Gewißheit auf den Unteroffizierslehrgang los. Sein Beginn liegt noch nicht fest. Und ob man uns drei zugleich dahin läßt, steht noch dahin. Geduld! Geduld! Wohin es auch geht: ‚Du, Geliebte bist immer bei mir, zu allernächst, in meinem Herzen!

Heute ist Siegfrieds Geburtstag. Wie wird er ihn begehen – in welcher Umgebung? Dieser Geburtstag in Rußland wird ihm unvergessen bleiben. Gott stehe dem Bruder bei!

Auf die Geburtstage muß ich doch jetzt gut achtgeben. An den Deinen, Herzelein, hab ich doch heute schon gedacht!

Ein Nachzügler unter Deinen Boten, der vom Dienstag, ist heute zu mir gekommen. Sei recht lieb bedankt dafür, Geliebte mein!

Du hör, Herzelein! Sitz nicht zu lang über dem Häkeln – es macht nervös. Wenn es schön wird, nimm die liebe Mutsch und führ sie hinaus – lüftet Eure Lungen aus, hockt nicht daheim, lauft Euch müde.

Ich habe täglich auch meine Bewegung, und bin dessen ganz froh. Ein paarmal die Treppe in munteren Schwüngen, der Gang zum Mittagessen, an schönen Tagen auch wieder zurück. Stube fegen, Kohlen und Wasser tragen, des Morgens ein bißchen turnen – und mein liebes Frauchen in der Ferne – da bleibt das Mannerli ein Schlankerl [sic], ja, ja! Und ich glaube, das letztere gibt den Ausschlag. Na – das zu beobachten, werden wir später noch genug Gelegenheit haben, ja, Schätzelein? Das schlanke Mannerli zu bewundern vielleicht gar nimmer – Du! Du!!! Hast Schlimmes mit mir im Sinn? – Ich fürcht[‘] mich nicht. Das Schlimmste ist doch dann die Gefangenschaft. Oh Herzelein! Ich tät doch gleich eine große Dummheit machen, wenn ich in Dein Gefängnis käme! Ja! Du!!!!!

Morgen [ist] nun schon wieder Freitag. Die Wochen fliegen. Wenn wenig anliegt, muß ich morgen wieder zwei Stunden exerzieren. Es macht mir nichts aus.

Am Sonntag möchte ich – seit langem wieder einmal – den Gottesdienst besu[ch]en. Zu einem Brief für die lieben Eltern hat es noch nicht gelangt. Vielleicht zur nächsten Nachtwache.

Herzensschätzelein! Bekennst mir sooo lieb Dein Glück! Du! Mein liebes Weib! Du hast mich sooo lieb! Du bist mein, ganz mein!!! Du bist glücklich in meiner Liebe, jetzt schon, Du! Und dann? Und dann? Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!! Oh Herzallerliebste! Ganz glücklich will ich Dich machen! Herzelein! Ein Wogen und Drängen wird sein von Dir zu mir, von mir zu Dir – Liebe – Liebe – Liebe ohn‘ Ende!

Gott walte es gnädig! Er behüte Dich und bewahre Dich vor allem Bösen.

Herzensschätzelein! Ich bin immer bei Dir! Ich halte Dich soo fest, ganz fest! Ich lasse nimmermehr von Dir! Ich muß Dich sooo sehr liebhaben! Zu Dir drängt alles Sehnen, alle Liebe – zu Dir allein! Mein einziges herzliebes Weib! Ich bin so ganz ganz glücklich in Deiner Liebe! Ich drücke Dich ganz fest an mich – und küsse Dich – und bleibe ewig Dein!

Dein [Roland]

Viel liebe Grüße auch den Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946