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[OBF-420314-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 14.3.42

Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Herz! Meine liebe [Hilde]!

Sonnabendabend. Es ist eben 8 Uhr vorbei. Warm ist's in unserm Stübchen. Kamerad K. hat sich eben ins Nachbarzimmer begeben zum Skatabend. Darauf hat doch das Mannerli gewartet. Nun kann es ganz ungestört mit Dir plaudern, ganz lieb Zwiesprache halten, geliebtes Herz!

Dein Sonntagsbote ist zu mir gekommen. Und nun drängt es mich zuerst, Dir ein bißchen ordnen zu helfen das Kunterbunt der Anregungen und Gedanken, die Euch am Sonnabend gegeben wurden und bestürmten.

Herzelein! Du machst zu ersten Malen [sic] Bekanntschaft mit solch parteiamtlich aufgezogenen Veranstaltungen. Und es geht Dir nun wie mir: Man wird ganz durcheinander gebracht, kommt heraus mit rotem, wehem Kopf und schlechtem Gewissen. Und das just am lieben Sonnabendnachmittag, den man sich sonst anders wünscht, ein entspannendes Ausschwingen – darum ist die Erkenntnis Numero eins: Willst du einen lieben Sonntag, so besuche am Sonnabend keine Parteiversammlung. Und warum ist das so? Nun, weil uns wir darin mit Forderungen und Idealismen nur so bombardiert werden, weil man uns darin vorhält und zeigt, was wir noch nicht tun und wissen und können. Und das geschieht mit gutem Vorbedacht, weil man weiß: wenn man  gar nichts wenig verlangt, wird garnichts [sic] getan – wenn man viel verlangt, wird vielleicht ein wenig getan. Man rechnet also mit der Trägheit der Masse.

Das zunächst zur Psychologie und Taktik solcher Versammlungen. Man muß das wissen und tut gut, nach solcher Versammlung die Person des Vortragenden selber ein wenig unter die Lupe zu nehmen und darauf anzusehen, ob er denn zu dem Vorgetragenen überhaupt ein Verhältnis hat. Also: Altmetall und Tee sammeln, Sonnenblumen ziehen und Seidenraupen züchten, Rettiche und Tomaten [an]bauen, in der Ernte helfen, sechs Wochen in den Warthegau ziehen.

Habe ich noch etwas vergessen? Weißt, ich kenne jemanden, der solch vielseitigen Anregungen zugängig ist, der alles macht und unternimmt: Lehrer V. in Oberfrohna. Aber frage nicht, wie es in seiner Schulklasse aussah und wie die tausend Beginnen [sic] endeten.

Aber nun mal etwas ernster nachgedacht.

Zum Idealismus, zur idealen Tat für das Vaterland werden wir aufgerufen. All diese Kleinigkeiten, so sagt man uns, helfen den Krieg entscheiden und den Sieg erringen; so wir können es nicht nachprüfen auf seine Wahrheit.

Wenn wir bedenken, mit welchen Mengen, Massen und Entfernungen und Maßen in diesem Krieg gerechnet werden muß, kann man kaum glauben, daß die Taten einzelner Idealisten überhaupt nur ins Gewicht fallen gegenüber dem, was organisiert werden muß. Denn wo ein deutlicher und rascher Erfolg sein muß, kann man sich auf Freiwiligkeit und Idealismus nicht verlassen – siehe Rüstungsindustrie oder Bauhilfe – dann wird eben organisiert und dienstverpflichtet. Oder wo es um den Vertrieb einer Mangelware geht, kann man nicht auf die Einsicht der Käufer bauen, sondern muß eben rationieren und Punktkarten verteilen. Und so, meine ich, wenn die Sonnenblumenkerne wichtig und entscheidend sind für den Krieg, würde wohl eines Tages die Verordnung kommen, daß jeder Landbesitzer eben gewisse Quadratmeter damit bepflanzen muß. Nur so würde überhaupt eine Menge zusammenkommen, die ins Gewicht fällt.

Also: so wie der Krieg an den Fronten in seinem Waffeneinsatz durch die bessere Kriegsmaschinerie und -organisation entschieden wird, so das Durchhalten daheim durch Organisation und Rationierung. Das ist überspitzt formuliert – es kommt natürlich auch auf die an, die diese Maschine bedienen, auf den Soldaten, der die Waffe führt, und darauf, daß die Menschen daheim verständnisvoll alle Einschränkungen auf sich nehmen und ihre Notwendigkeit erkennen. Ich will damit sagen, daß der Idealismus auch einmal kritisch bewertet werden kann.

Der Mann, der sich freiwillig zum Kriegsdienst meldet oder an eine Gefahrenstelle, zeigt gewiß Idealismus, der erhaben ist über alle Kritik und auf den es im Kriege ankommt.

Wenn Du Dich heute zur Arbeit im Warthegau meldetest, so wäre das auch Idealismus – seine Notwendigkeit seine unmittelbarer Nutzen ist vielleicht bestreitbar.

Was hindert und hemmt uns, solcher idealen Tat uns hinzugeben? Warum melde ich mich nicht freiwillig an [eine] andre Stelle? Warum sträubst Du Dich, Dein Haar abzuschneiden, oder Deine Wäsche zu geben?

Eigennutz – Bedenken – Rücksichten – Bindungen?

Sie alle sind Hemmnisse auf dem Wege zur idealen Tat. Und darum ist die Jugend, frei und ungebunden, am besten dazu befähigt. Der Idealismus, das rücksichtslose Einsetzen des gebundenen Menschen, ist nicht mehr so rein und pflichtenlos: der Mann, der nur seinem Berufe lebt, vernachlässigt seine Frau – die Mutter, die dem Vaterland beruflich dient, und ihre Kinder in den Kindergarten schickt. Der gebundene Mensch gerät zumeist in einen Konflikt entgegengesetzter Strebungen.

Ich kann mir zwei Menschen denken, die so wie wir dastehen, jung verheiratet, aber noch kinderlos, ohne Heim, die sich in die Wellen des Geschehens stürzen, kraftvoll und lebensmutig und tatenfroh – der Mann überall vornan, die Frau überall und nirgends bei frohem Zupacken – und beide sind glücklich, sind glücklich über solchem Erleben und Schaffen – ein seltenes Menschenpaar wäre es schon, vom Typ des Tatmenschen.

Herzelein! Ich bin nicht so. So viel Lebensmut steckt nicht in mir. Ich bedenke zu viel. Wenn ich rüstig zufassen soll, muß ich wissen, wofür und für wen ich es tue. Und wenn ich etwas nicht billige, kann ich überhaupt nicht zufassen. Meine Bildung und Ausbildung weist mich zudem zu meinen Neigungen und Kräften[,] zu geistigem Tun, mein Wesen zu verweilendem Betrachten und Überdenken. Diese Einsicht in meine Kräfte und Grenzen zum einen – und die Bindung unsrer Liebe zuallermeist, haben den En[t]schluß, mich freiwillig zu melden, gar nicht aufkommen lassen.

Und du, geliebtes Weib?

Kann ich Dich darin schon beurteilen, kenne ich Dich darin recht?

Oh Geliebte! Die Liebe hat sooo große Macht über uns gewonnen. Wir lieben einander zu sehr. Die Liebe bindet uns sooo fest – daß wir keinen Augenblick schwankten, wenn wir zwischen zwei Bindungen zu wählen hätten.

Sie ist sooo reich und doch so zart zugleich erblüht und hat uns[e]re Wesen so fein und tief durchdiegen [-]drungen [sic], Herzblümelein! Und so wie sie uns als ein Gottesgeschenk erscheint, so ist sie uns Angel- und Mittelpunkt unsres Lebens geworden. Uns[e]re Zukunft können wir nur in dieser Liebe denken. Und darum müssen wir sie sooo festhalten, sie hüten und hegen und schützen mit uns[e]rer Sorge und Umsicht, ach, daß es wohl manchmal eigennützig erscheinen mag – aber wir können nicht anders, Herzallerliebste! Erkenne ich es so recht? Oh Du liebes Weib! Du faßt wohl gern zu und hilfst und bist tätig und emsig. Aber Du liebst mich auch so heiß und innig und zärtlich, wie ich Dich liebe. Du sorgst Dich um mich. Du mußt allzeit mein [ge]denken, Du betest für mich. Du, liebes Seelengeschwister! Ich fühle es, wie wir in unseren Wesen und unserem Lieben uns ganz verwandt sind. Ich kenne Dein Wünschen und Deine Bitte und verstehe sie wie du die meinen, Herzelein! Ist es nicht, als ob wir jetzt den Atem angehalten hätten – um dann ganz tief und frei aufzuatmen? Ein Warten ist unser Leben jetzt, ein sehnsüchtiges Warten auf ein frohes Beginnen und Schaffen. Seit an Seite. Oh Geliebte! Du sagst es selbst: was wir jetzt treiben und anfassen müssen, es ist uns nur Beschäftigung, es kann uns nicht recht froh machen.

Geliebte! Ich bin mit Dir guter Zuversicht. Es wird alles gut werden. Gott wird uns nach unseren Kräften bedenken. Er kennt unsre Herzen und wird uns helfen.

Herzelein! Dir bin ich in Liebe ganz fest verbunden. Ich kann nicht mehr sein ohne Dich! Du hast mein Herz! Nur mit Dir bin ich ein Ganzes! Du bist mein erster und letzter Gedanke! Für Dich muß ich alles tun! Für Dich eintreten! Die Liebe zu Dir bestimmt mich in allem, sie bewegt mich allein! Du! Mein Reichtum! Mein Leben! Ziel meiner Sehnsucht! Erfüllung! Heimat und Hafen meiner Seele! Meines Herzens Ergänzung!

Oh Du! Du!!! Ich bleibe Dir! Ich verlasse Dich nie und nimmer! Ich will Dir heimkehren! Gott helfe uns in Gnaden!

Ich habe Dich sooo von ganzem Herzen lieb!!!!! !!!!! !!!

Oh Herzelein! Ich bin Dir so ganz nahe immer!!!!!

Ich bin so glücklich in Deiner Liebe, Du!!!!! !!!!! !!!

Ich glaube und vertraue nur Dir!

Ich liebe Dich! Ich küsse Dich ganz lieb!

Ich bleibe ewig Dein! In Liebe und Treue

ewig

Dein [Roland]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946