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[OBF-420321-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 21. März 1942

Herzallerliebste mein! Mein liebes, teures Herz!

Sonnabendabend ist. Ganz allein sitze ich im Zimmer bei der Stehlampe – Kamerad K. ging ins Kino – eine Stube ganz allein, einen Ofen, eine Lampe, es ist doch wie im Frieden, nicht schlechter als in meiner Junggesellenzeit. Wie gut haben wir es! Das wollen wir immer bedenken. Dein lieber Sonntagbote ist gekommen. Ich wollte anfänglich mitgehen ins Kino, aber ich will doch lieber allein sein mit Dir heute. Ich gehe dafür mal in der Woche. Ab Montag spielt man [siehe Ausschnitt aus dem Brief] „das Herz der Königin“, den Film habe ich mir schon vorgemerkt.


Herzelein! Beraten soll ich mit Dir. Es ist so schwer über die Ferne und wäre soviel leichter, wenn wir einander dazu nahe wären. Aber es geschieht nun so nicht minder lieb, und mit dem Willen zu liebstem, innigstem Verstehen. Und wir sind damit bisher noch immer zurechtgekommen. Herzlieb! Ich weiß nicht, ob ich nun heute schon die rechten, passenden Worte finde. Es bewegt mich alles zu sehr, und Du weißt es, daß einem ein besserer und klarerer Gedanke oft erst nachträglich einfällt. Darum bitte ich Dich um Nachsicht und Geduld.

So ganz fern unseren Gedanken und Erwägungen liegt all das nicht. Ich habe Dir erst vor ein paar Tagen, als hätte ich es geahnt, davon geschrieben.

Zunächst: Was Dein Einspringen am Sonntag bei Ankunft des Transportes betrifft, so konntest Du nicht anders handeln – und ich hätte es an Deiner Stelle nicht anders gekonnt. – Und vielleicht kannst Du nun auch nicht anders, als Dich zum Bereitschaftsdienst melden, so wie Du mir das schilderst und nahelegst. Und vielleicht kannst Du eines Tages nicht mehr anders, als Dich zur ständigen Hilfe im Lazarett bereiterklären. Du bewährst Dich beim Dienst, es werden Kräfte dringend gebraucht, man appelliert an Opfersinn und Gewissen, an das Pflichtgefühl – und Du kannst nicht mehr anders. Ich will damit sagen, daß in diesem Gange eine Zwangsläufigkeit liegt, so wie auf A – B folgt. Weil Du Dich bewährt hast im Kursus – und wie hättest Du anders gekonnt? – wirst Du nun herangezogen: Es ist wie bei Deinem Mannerli! Weil es sich bewährt hat, wird es zum Uffz.  vorgeschlagen – und, Ironie des Schicksals, muß so vielleicht länger beibleiben und Dir ferne sein. Zwangsläufigkeit auch insofern, als Du nun eigentlich selbst entscheiden mußt. Du kannst nicht hintreten und sagen: „mein Mann wünscht nicht, daß ich mich aktiv betätige“! Herzelein! Mein Rat käme und kommt zu spät. Er wäre zurecht gekommen, bevor Du Dich zu dem Kursus meldetest. Und ich weiß, ich hätte Dich damals daraufhingewiesen [sic], daß Du in dieserm [sic] Zeit um eine Verpflichtung nicht herumkommst. Hat man mich doch seinerzeit schon schief angesehen darum, daß ich nur Gast sein wollte und meine Kenntnisse erweitern. Du selbst mußt nun für Deine Entscheidung eintreten in der Frage des Bereitschaftsdienstes. Und unser Raten und Beraten kann sich nur darauf beschränken, Klarheit und rechtes Verstehen zwischen uns zu schaffen. Und dieses Klären und Verstehen geht um die Herzenspein, die uns das Ringen zweier entgegengesetzter Pflichtgefühle verursacht. Unser Lebenlang [sic] geraten wir einmal tiefer, einmal weniger tief in solchen Konflikt. Es ist ein stetes Ringen in uns und um uns zwischen Pflicht und anderer Pflicht; Pflicht und Neigung, zwischen Eigennutz und Allgemeinnutz, Eigenliebe und Nächstenliebe, Recht der Persönlichkeit und Recht des Staates, des Volkes.

Herzelein! Erste, heiße Liebe brennt in uns, alles überströmend, alles einschmelzend in ihr Feuer – entschieden, eigensinnig, eigennützig. Und wir haben schon einigemale [sic] erkannt und empfunden, daß sie uns in Gegensatz und Widerspruch bringt zu dem Gebot der großherzigen Nächstenliebe. Aber wir werden deshalb nicht bange und wir wissen, erste, heiße, tiefe Liebe ist so, sie wird sich wandeln – im Gegenteil, wir sind beglückt davon, weil wir so spüren, daß wir einander ganz sehr liebhaben – und gut ist es so, weil wir bewahrt bleiben vor aller Versuchung.

Herzlieb! Alles hat diese Liebe übertönt.

Das große politische Geschehen, wir sehen es nur, konnten es nur [s]ehen in Bezug auf unsre Liebe. Und dieser Krieg, dieses schreckliche Unglück, ließ uns doch zuerst an uns denken, an unser Glück. „Muß nicht ein jeder sich einsetzen mit seinen besten Kräften? Wenn alle so zögern wollten wie ich, wohin kämen wir da? Bin ich nicht ein engherziger Mensch?“ Das sind Deine Worte, Herzelein. Paßten sie nicht, und noch viel gewichtiger und drastischer, auf den Augenblick, da Dein Mannerli vor der Wahl stand, vor die Wahl sich hätte stellen müssen, ob er sich freiwillig zum Kriegsdienst meldete oder nicht? Und wie habe ich gehandelt? Ach, ich habe gar nicht gewählt. Damit will ich nur sagen und zeigen, daß die Liebe darin uns alles andere sein läßt als tugendhaft. Wenn wir mit den Tugenden des Opfersinnes und des Einsatzes für das Vaterland ernst machen wollten – ja, dann müßten wir letztlich die Liebe in uns auslöschen und ertöten.

Also: es bleibt ein Ringen zwischen Pflicht und Pflicht, und Eigenliebe, Eigennutz, persönlicher Anspruch werden sich immer hervortun und behaupten wollen. Und es gilt nun zu wägen, abzustimmen – vielmehr, es ist in mir ein immerwährend Abstimmen und Wägen, so, wie wenn wir überschlagen, wieviel Pfennige zur Winterhilfe uns eine angemessene Spende erscheinen.

Herzelein! Und dieses Ermessen liegt bei jedem von uns selbst. Und unser beider Ermessen wird sich ganz ähnlich sein, weil uns beide große, heiße Liebe mit ihrem Anspruch erfüllt.

Du sagst: „es ist wenig, was verlangt wird, aller paar Wochen mal einen halben Tag (!), ist es nicht erbärmlich, wer da noch zögern kann? Ich will geizen mit einem geringen Teil nur meiner Zeit?“ Wenn Du es so siehst, wenn es Dir so vorkommt, wenn Du so unausweichlich Dich vor eine Pflicht gestellt siehst, dann wäre ich nicht Dein gutes Mannerli, wenn ich Dich daran hinderte, dieser Pflicht nachzukommen – dann würde ich Dich ja bloßstellen mit meiner Weigerung.

Nur – ich sehe es ein wenig anders. Häuslichkeit, Kinderschar, Kantorei, Rotes Kreuz, Frauendienst, Frauenschaft. Du schriebst jetzt: „mit der Übernahme dieses Amtes fühle ich mein Gewissen entlastet.“ Es ist wohl so, daß Du Dich ein wenig in die Enge getrieben fühlst mit der Übernahme des Bereitschaftsdienstes. Herzelein! Ich möchte Dich ganz lieb ermahnen: übernimm Dich nicht! „Geizen mit einem geringen Teil nur meiner Zeit“, ich glaube, so viel Zeit gehört Dir selber gar nicht mehr. Du bist drauf und dran, die Freiheit, die Du noch hast und die Du brauchst, zu verspielen. Wie unglücklich wäre ich, wenn ich von meiner freien Zeit auch nur eine Stunde abtreten müßte! Herzelein! Bedenke, daß Du und ich ein besonderes Recht und besonderen Anspruch darauf haben x  diesen Anspruch wird uns die Öffentlichkeit oder gar der Staat nie zubilligen, den müssen wir selber vertreten [*] : An der Schwelle zum gemeinsamen Leben riß uns der Krieg auseinander.

Geliebte! Und laß Dich weiterblickend ganz ganz lieb daran ermahnen, daß wir unsre Liebe um keinen Preis gefährden möchten. Herzelein! Du weißt, wie ich Dich liebe! Du weißt, wie mir Deine Liebe alles bedeutet, alles! Und ich weiß, ich kann dieser Liebe auch Opfer bringen, ich kann auch Schmerzen leiden um sie – ich kann nicht mehr von Dir mich scheiden, ich kann von dieser Liebe nicht lassen, und wenn sie mich noch so schmerzte – [.] Ich habe Dir von meiner Bitte geschrieben vor wenigen Tagen. Ich tue sie nicht aus Mißtrauen gegen Dich – ich tue sie für mich und Dich, aus Eigennutz unsrer Liebe also. Herzelein! Wer kann sagen, wielange [sic] dieser Krieg noch währt? Gebe Gott, daß er bald, recht bald ein Ende nimmt! Daß wir damit auch erlöst werden von dem Schmerz der Sehnsucht, erlöst auch von diesem Konflikt, dieser Herzenspein. Rücksichtslos heischt dieser Krieg Menschenopfer – der Mensch wird zur Zahl, zur Nummer, aller persönlichen Rechte geht er verlustig, aller persönlichen Freiheit – nur wenigen gibt er dafür die Gelegenheit zu leuchtendem Heldentum – den meisten aber raubt er noch viel mehr als nur ihre persönliche Freiheit.

Oh Gott im Himmel, hilf uns und nimm dieses schreckliche Gericht von uns! Schenke uns Kraft und Geduld zu rechter Treue und Liebe! Erhalte uns unsre Liebe!

Ach Geliebte! Wie schwach sind wir Menschen doch, daß wir nicht bedingungslos Gott vertrauen können, daß wir uns sorgen! Wie unvollkommen auch, daß wir bei aller Liebe doch auch einander Schmerz zufügen müssen.

Es ist schon spät, Herzelein! Ich will jetzt aufhören. Ich bin müde – und bin es auch nicht. Ich werde nicht gleich können einschlafen. Morgen will ich wieder zu Dir kommen und mit Dir reden, Herzelein!

Ach Du! Was läßt mich so grübeln und raten? Warum sorge ich mich: „ja, Du tust recht daran, daß Du hilfst, es freut mich, es ist Deine Pflicht sogar, ich mag Dich keinen Augenblick daran hindern, am liebsten folge Deinem Wunsche, melde Dich als Schwester! – – – “. Wäre das nicht gut und tapfer und gerade und ebenso, nein, erst recht lieb gesprochen und geraten?

Was hemmt mich, was hindert mich daran? Oh Geliebte! Es ist wohl der Liebe Eigensinn, Eigennutz, das Festhalten, das Festklammern. Ist meine Liebe so? Ist sie darin anders als die Deine? Daß wir einander darin nicht verstehen könnten?

Nun frage ich selber, und wollte Dir doch Antwort geben.

Herzelein! Ich will Dir helfen, Klarheit schaffen. Wir wollen einander helfen. Wir wollen ganz klar und ungetrübt sehen.

Laß es heute genug sein.

Ach, daß ich Dir näher sein könnte mit meinem Rat! Daß ich Dir zeigen könnte, wie lieb ich es meine! Daß Du mich sehen könntest und hören und verstehen!

Gott behüte Dich mir! Er erhalte Dich mir froh und gesund. Ich behalte Dich lieb! Ganz lieb!

Ich bin Dein! Ganz Dein! Und bleibe ewig Dein – bis kein Atem mehr in mir ist –

Ich liebe Dich! Ich halte Dich ganz fest, sooooooooooooo fest.

Dein [Roland].

 

[* = Anmerkung am Ende der Seite eingeschoben] 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946