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Briefkorpus

Sonntag, den 29. März 1942

Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Sonntagabend. Ich bin allein. Die Kameraden gingen zur Frontbühne. Kamerad H. hatte Sonntagsdienst – Kamerad K. war mit mir zusammen am heutigen Nachmittag. Ich verspürte keine Lust zum Varieté. Zum einen bin ich müde, es fehlen mir ein paar Stunden Schlaf – und ich habe noch nicht Zwiesprache mit Dir gehalten – das nimmt mir doch die Ruhe und Lust zu allem anderen.

Geliebtes Herz! Soviel Grüße und Boten und Zeichen der Liebe sind doch zu mir gekommen, gestern und heute! Gestern erhielt ich die drei Päckchen mit dem süßen Naschwerk, „sollen lauter süße Küsse sein von mir!" – oh Herzelein! Ich danke Dir! Ich danke Dir sooo sehr!!! Es tut so wohl, sich geliebt und gehalten wissen von einem guten, treuen Herzen! Hast tägleich mein sooo lieb gedacht. Du, liebes, herzensgutes Weib! Deine lieben Boten vom Sonnabend und Montag sind heute zu mir gekommen. Sei von Herzen darum bedankt. Heute kam dazu noch ein Büchlein, ohne jedes Wort, wie Du dazu kommst – ich vermute, Du hast es Dir auf der Reise gekauft in der Bahnhofsbuchhandlung. Ich habe es schon einmal überlesen – vielleicht, daß ich mich morgen oder in den nächsten Tagen dazu äußern kann. Ich werde es Dir mit meinen Unterstreichungen und Anmerkungen zurückschicken.

Nun will ich Dir erst von meinem Sonntag erzählen. Nicht ganz ausgeschlafen blickte ich heute in den Tag. Milde war es draußen, beinahe warm. [I]n der Nacht hat es wieder warm geregnet. Der heutige Tag blieb grau und verhangen, aber trocken und beinahe schwül. „Tag der Wehrmacht" war ja heute. Ein paar Fußballentscheidungsspiele wurden angesetzt und deren Besuch uns zur Pflicht gemacht. Das war wenig nach meinem Sinn. Über meine wenigen Freistunden lasse ich mir nicht gern befehlen – zumal des Sonntags nicht zum Fußballspiel mit seinen undisziplinierten, johlenden Zuschauermengen, die sich doch freiwillig schon in Mengen einfinden. So bin ich denn auch mit Kamerad K. nach wenigen Spielphasen weggegangen, hinaus zu den Höhen, die wir schon manchmal erstiegen. Der Frühling ist nun eingezogen, nicht prächtig und rauschend – das kann er hier nicht.

Die Höhen haben sich spärlich begrünt. Die Pfirsichbäume stehen in Blüte. Gestern sah ich die erste Schwalbe, hörte eine Drossel. Prächtiger kann er nicht einziehen, dazu fehlen die Bäume und Sträucher, der Wald, die Wiesen. Es ist ein armer Frühling wie das ganze Leben hier. Was würden diese Menschen wohl zum Wunder des heimatlichen Frühlings sagen? Ob sie es überhaupt fassen könnten?

Da denke ich eben daran, daß in den letzten Wochen, Griechen und Griechinnen nach Deutschland zur Arbeitsleistung transportiert wurden – auf freiwillige Meldung hin. Wie reißt diese Zeit doch die Menschen gewaltsam vom Mutterherzen der Heimat, der Familie und aller liebevollen Bindungen.

Sehr groß war unsre Unternehmungslust nicht heute – es war schwül – ein klein wenig lastet auch die Ungewißheit der kommenden Wochen auf uns. So haben wir uns treiben lassen, haben uns nicht viel von der Stadt entfernt. Bei der Zitadelle erreichten wir sie wieder. Immer wieder drängt sich einem die Ärmlichkeit, die Bedürfnislosigkeit dieses Lebens auf. Ob diese Menschen wohl die Möglichkeit zu einem reicheren Leben ergreifen und festhalten würden? Ich möchte es von der Mehrzahl dieser Menschen bezweifeln. Trägheit liegt ihnen im Blute.

In eine Kirche traten wir ein. Man richtete eben zu einem Gottesdienst. Es war ein Kommen und Gehen, zwischen Erwachsenen, vorwiegend Frauen, auch viele Kinder, die mit kindlicher Einfalt und kindlichem Unverstand neben den Eltern gingen, die doch irgendwie innerlich bereitet, herbeikommen. An verschiedenen Stellen sind silberne Heiligenbilder aufgestellt, die küßt man. Man bekreuzigt sich wie in der katholischen Kirche, man ersteht am Eingang Wachskerzen und steckt sie angezündet in dafür aufgestellte Behältnisse, Opfergaben. In dem engen, aber hohen, kuppelüberwölbten Kirchenraum stand die Menge wartend. An zwei Lesepulten, die sich gegenüberstanden, wurden die Schriftverlesungen vorbereitet. Zwei Laien, die Kantoren, bestiegen diese Pulte, um sie hier eine Anzahl junger Männer. Unterdessen bereitete die Priesterschaft sich hinter den Chorschranken, dem Lettner, zum Gottesdienst.

Die Tür zum Allerheiligsten öffnete sich und sie schritten heraus, der höchste unter ihnen wurde mit einem violetten, bestickten Überhang bekleidet, in der Hand trug er einen Stab, wir vermuten, daß er der Bischof war. Er bestieg einen Thron und machte segnende Bewegungen. Und nun begann ein immerhin dramatisches, wenn auch für unser Empfinden monotones Wechselspiel. Im Sprechgesang war ein Hin und Her und Zusammenklingen, zwischen den beiden Kantoren und den Priestern.

Die Menge verharrte schweigend, bekreuzigte sich nur an einigen Stellen. Das war eine Art Liturgie. Dann folgten, wieder halb singend Sch vorgetragen, Schriftverlesungen, undeutlich, gleichförmig, sodaß die Menschen kaum die Worte werden verstanden haben. Die Hauptverlesung fiel dem höchsten Geistlichen zu.

Wir sind dann gegangen. Der erste Eindruck solchen Gottesdienstes ist der eines Ungeordneten, leerer Geschäftigkeit – dabei wird dieser Gottesdienst bestimmt nach altüberlieferten, strengen Formen gehalten. Unverständlich wird uns Protestanten bleiben, wie man das Wort so stiefmütterlich behandeln kann. Darin begeht ja auch die Mehrzahl unsrer Geistlichen noch Fehler, daß sie nicht allen Nachdruck und Wert auf den Vortrag der Vorlesungen des Gotteswortes legen: laut, deutlich, langsam, bedeutsam, eindringlich und richtig betont.

Draußen besannen wir uns, daß ja heute Palmsonntag ist. Ich ginge gern jeden Sonntag zum Gottesdienst hier in der Fremde – auch zu dem Bibelkreis jeden Sonntagnachmittag um 5 Uhr. Ich gestehe, daß mir zu solchem Bekennen ein klein wenig Mut fehlt – ich mag mich auch den Kameraden nicht ganz entziehen.

Wenn Du diesen Boten erhältst, dann begehen wir das liebe Osterfest. Meine Gedanken werden dann doppelt lieb und oft zu Euch Lieben daheim gehen, insbesondere aber zu Dir, liebe [Hilde]! Recht froh und glücklich möchte ich Dich wissen, meiner Liebe ganz gewiß! Und dieses innere Frohsein soll den Schmerz und die Sehnsucht übertönen. Oh Geliebte! Halte Dich an mich, wie ich mich an Dich halte in Freud und Schmerz! Oh Herzelein! Ganz stille kann ich werden bei Dir – ganz still – lieb getröstet – so wie heute auch, wo mich die Sehnsucht und die Ungeduld schmerzen wollen. Ganz ruhig will ich mich nun in mein Bettlein legen – in den Armen Deiner guten, unendlichen Liebe geborgen ruhen – in der Gewißheit dieser Liebe, im Glauben an ihre Treue und ihren Sieg!

Oh Herzelein! Du liebst mich so sehr, Du hältst mich so fest, Du wirst mich liebhaben für dieses ganze Leben – Du! Du!! Geliebte!!! Du liebst so wie ich – du bist ganz eins mit mir!!! Gott schütze Dich! Er segne unsern Bund! Ich drücke Dich in heißer, inniger, dankbarer Liebe an mein Herz, Du, mein Reichtum, mein Leben, Du! Mein liebstes, einziges Weib! Meine liebe [Hilde] – Ich bleibe in Liebe und Treue ewig ganz Dein [Roland]

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Ende 41 hatte Deutschland zur Anwerbung von Fremdarbeitern 24 Kommissionen in besetzte Gebiete entsandt. Während aus Jugoslawien z.B. >100.000 Freiwillige im Dritten Reich arbeiten, waren es nur 550 Griechen! In Saloniki wird Jan. 42 ein Anwerbungsbüro eröffnet – es kommen <20 Interessenten!! Es wurden keine Griechen entführt, aber verbreitet, daß eine Verschickung an die Ostfront drohe. (nachzulesen bei Mazower) Zwangsdeportationen von Fremdarbeitern beginnen im Mai 42 i. d. Ukraine.

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Ba-OBF K02.Pf1_.420429-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946