Sonntagabend, am 3. Mai 1942.
Herzensschätzelein! Mein geliebter, guter [Roland]! Herzlieb mein!
Nun ist es so weit! Ich kann mich zu Dir setzen, kann Deine lieben Hände fassen – ach, Geliebter! Ich bin doch so glücklich! Bin so von Herzen froh! Weil ich Dich sooo liebhaben kann, Du! Sooo liebhaben muß! Oh Herzelein! Könntest Du meine große, herzinnige Freude sehen! Ich glaube Du würdest ganz sehr froh und glücklich sein, weil Du soviel Macht über mich hast durch Deine Liebe!!! Du!! Ich bin doch ganz Dein! Herzelein! Heute Nacht habe ich doch von Dir geträumt, so ganz deutlich warst Du bei mir, ich habe mich doch gegen Morgen beim Erwachen besinnen müssen: war es Traum, oder war es Wirklichkeit? Du gingst neben mir im Sonnenschein, nicht in Uniform, ganz hell gekleidet; die Hainstraße entlang liefen wir Hand in Hand und waren so glücklich, daß wir einander hatten! Ich spürte es ganz genau, Du! Sogar das, was Du sagtest weiß ich noch, Du! Von unsrer Wohnung sprachst Du und wolltest das Wohnzimmer nach der Südseite einrichten! Wo aber die Wohnung war, weiß ich nicht. Jedenfalls hattest Du großen Drasch! Und ich lauschte ganz still und glücklich, was Du für Pläne entwickeltest. Und ich hatte eine Not, Du! Von einer jungen Frau wollte ich mir den Kinderwagen abkaufen, einen schönen Korbwagen und sie kam eben auch auf der Straße gelaufen, als wir da gingen, da sah ich, daß sie wieder ein Kindchen trug und ich war ganz enttäuscht; machte Dich aufmerksam, als sie vorüber war. Du tröstetest mich, wolltest mir schon auch einen schönen Wagen besorgen. Du!! Du!! Und dann liefen wir auf dem Weg, der am hohen Hain lang führt, weißt? Die Fichten und Lärchen waren aber garnicht mehr zu beiden Seiten, sondern lauter blühende Tulpenbäume. Und es war eine Pracht, sie zu schauen, so zart weiß und rosenrot! Einen Stengel brachst Du mir und ich war so froh und glücklich! So glücklich!! Als dann der Weg nach links abbog und Bäume dichter standen, Herzelein! Da warst Du mir doch plötzlich ganz nahe. Ich sah Deine lieben Augensterne ganz nahe vor mir leuchten, sah Dich! Dein geliebtes Bild – oh Du! Ganz deutlich habe ich doch Deinen Kuß gespürt, Geliebter! Mein Geliebter, Du!!!! Ich habe Dich doch ganz sehr liebhaben müssen. Oh Du!! Es war so süß!! Du!! Ach Herzelein! Wenn man so lieb träumt, dann will doch beim Erwachen die Sehnsucht schier ins Unendliche wachsen, Du!!! Und ich muß ganz lieb an Dich denken, ganz lieb! Und bin doch dann auch ganz vernünftig, weil ich weiß: es kann noch nicht sein, daß wir beieinander sind. Du!!!!!
Oh Herzelein! Das unendliche Glücksgefühl, daß unsere Herzen erfüllt, es kann uns doch trösten und schenkt uns Geduld und schenkt uns auch Hoffnung, blühende Hoffnung! Geliebter! Daß wir uns sooo liebhaben können, das ist ein so großes, glückhaftes Geschenk! Oh Du!!!!! Mein Herzensschätzelein! Wie bin ich glücklich, so glücklich, daß mich die Liebe zu Dir so ganz ausfüllt!! Geliebter!! Du! Den 80. Brief schreibe ich Dir schon wieder. Wieviele werde ich [Di]r denn noch schreiben müssen, bis wir uns wieder einmal alles mündlich sagen können? Vom letzten Sommerurlaub bis zum Urlaub im Januar habe ich Dir wohl 120 Briefe geschrieben. Du Schätzelein! Da hatten wir doch schon die Hälfte der Wartezeit wieder überstanden! Vielleicht! Ach – warum sollten wir unsre Hoffnung schmälern auf solches Glück? Du!!! Und wenn Kamerad K. schon langsam bohrt und rüstet, na – dann dürfen ja Hubo und [Hilde] auch langsam, leise das Hoffnungslichtlein aufstocken! Du!
Ach! Unsre ganze Seligkeit hängt doch an einem Wiedersehen, gelt? Und wenn es erst ein Heimkehren für immer sein wird, dann kennt ja unser Glück keine Grenzen mehr, Du!!! Oh Herzelein! Wir müssen und [sic] doch zu sehr liebhaben! Schätzelein! Wie wird es sein, wenn wir einmal an Abschied nicht mehr zu denken brauchen?! Freilich, es wird auch die überquellende Freude des Wiedersehens dann fortfallen. Aber an ihre Stelle rückt die Freude des Schenkens, Beglückens des gemeinsamen Erlebens und Schaffens und das ist die tiefere, beständigere! Oh – wie freue ich mich auf dieses gemeinsame Leben! Oh Geliebter! Ich ahne doch auch Deine große Freude auf unser Leben! Du! Wie will ich Dich [do]ch glücklich machen! Immer ganz glücklich, mit allen meinen Kräften Dich beschenken. Ach Herzelein! Mein liebes Herzelein! Schenke uns Gott in Gnaden solches hohe Glück!
Heute, als wir nun glücklich unsere Wäsche unter Dach und Fach hatten, da dachte ich doch wieder, wie so oft und wie ich den ganzen Tag denke: wenn es erst für uns beide geschieht, das ganze frohe Werken und Schaffen! Ach, doppelt glücklich werde ich dann sein! Geliebter! Wenn ich dann mit Dir Feierabend halte! Wenn Du mich dann erfreust mit einem schönen Spiel – Du kannst das soo lieb, soo gut, Dich in mein Herz hinein spielen – ach, [d]as wird mir doch der schönste Lohn und Dank sein, ganz still und froh werde ich dann in einer traulichen Ecke sitzen und mich in unserm Glücke sonnen, mich an Deiner Liebe wärmen, Du! Wie heute abend, nachdem ich alle Arbeit beendet habe und mit Dir, meinem Allerliebsten zusammensitze, so wird es immer sein, Du! Nun laß Dir nur mal erzählen, wie alles der Reihe nach verlief.
Also am Freitagabend wurde eingeweicht. Anschließend bin ich doch zur Prüfung [als Rotkreuzhelferin]! Ach Du! War das eine Aufregung vorweg und dann wars garnicht so wild. 50 Prüflinge (Scholaren) waren wir, saßen in der Mitte des großen Saales im J.haus. Im Rücken saßen sämtliche Anwärterinnen der Bereitschaft! Alle männlichen auch und die Führung dazu! Die Prüfungskommission bestand aus 4 Personen. Dr.R.K [sic] Oberführer Dr. P. (Chemnitz), Polizeipräsident W., Stabsarzt Dr. H. und ein ältliches Frauenzimmer. Dr. P. fragte uns aus! Es ging zögernd los, kam aber dann schön in Gang. Ich mußte über die Funktion der Niere reden, das ist mir gelungen und hat mir ein Lob eingetragen. Ich bin auch nicht nochmal gefragt worden. Manche hatten Dr. P. dauernd beim Kanthaken! Denke nur! bis nach Mitternacht dauerte die Prüfung!! Ich bin bald verrückt geworden. Eine Kälte war im Saal, wir hüllten uns in unsre Mäntel. Naja, dann war noch das Praktische. Wir hatten einen komplizierten Unterschenkelbruch zu vieren wieder zu reparieren, d.h. den Notverband anzulegen. Ging auch in Ordnung. Und dann das Prüfungsergebnis: Von 50 Prüflingen hatten 48 bestanden, 2 sind durchgefallen. Die Tochter vom Kommissar Sch. und eine Bräunsdorfer Es ging ziemlich streng alles. Weil eben Krieg ist und eventuell Einsatzmöglichkeit besteht. Man hat an uns appelliert! Es wird Nachschub gebraucht nach Osten in die Feldlatzarette [sic], Soldatenheime, Nachrichtenhelferinnen u.s.w. Das alles läßt mich unberührt. Jetzt ist alles noch freiwillig. Es kann passieren – wenn die Ausmaße noch toller werden – daß Einberufungen erfolgen, aber dann kommen zuerst die Ledigen dran, dann Verheiratete ohne Kinder, soweit sie abkommen können und gesund sind, und so weiter, bis eben alle vertan sind! Es möge Gott verhüten, daß der Krieg so schlimme Ausmaße annimmt! Aber man kann noch nicht absehen, wie es noch kommt. Der Polizeimensch sagte das uns und vor allem sollen wir uns gut bewähren hier zuhaus, wenn einmal solch schlimmer Fall eintritt, wie in Lübeck und Rostock, wo Tausende helfender Hände gebraucht wurden. Ach, für eine Frau ist es niemals fehl am Platze, wenn sie Bescheid weiß in solchen Hilfestellungen. Daß ich mich nicht freiwillig melde zum aktiven Dienst, ist klar. Und ehe sie so kraß eingreifen, gibt es sicher genug Freiwillige.
Wir wollen ruhig die Dinge an uns herankommen lassen, dann wird auch noch Rat.
Ich bin nun froh, daß ich’s hinter mir habe! Aber dann und wann finden wir uns noch zu Übungsabenden zusammen.
Am Sonnabendfrüh, dem Nationalen Feiertag, war bei [Laubes] Waschfest. Mutter ging schon um 6 früh ins Waschhaus. Die gute hat mich schlafen lassen! Um 8 war ich aber auch startbereit, Du! Nun ging es lebhaft bis abends um 9 Uhr. Aber alles wurde fertig! Von der Bleiche weg spülten wir sie nochmal heiß in der Waschmaschine durch. Heute früh haben wir alles nochmal kalt gespült, gestärkt, durch die Wringmaschine gedreht und aufgehängt. 2 Leinen mußten wir noch von Großmutter [Laube] holen, unsre langten nicht! Schönes Wetter hatten wir!! Artiges, gutes Mannerli! Ein wahres Glück war’s! Ich habe den ganzen Nachmittag abgenommen und umgehängt, es trocknete prima. Bin ganz rot im Gesicht und an den Armen, von der lieben Sonne, die es so gut meinte. In wenigen Tagen wird unser Kirschbaum im Garten blühen! Dann ist es richtiger Mai, Du! Die Eltern haben derweil vorn im Waschhaus rumgewirtschaftet, alle Körbe gescheuert – auch eine Arbeit, die wir einmal im Jahr machen, den Kohlenkasten – dann machten sie noch das Waschhaus sauber, scheuerten die Wannen, damit sie trocknen an der Luft. Wenn U.s heimkommen, ist alles wieder in Ordnung und sie haben garnichts gemerkt von unsrer Wäsche. Heute früh mußte ich doch auch erst in die Kirche, war doch Kantate heute! ½ 11 kam ich heim, da war Besuch im Waschhaus. Eine junge Kollegin von Mutsch, die nach Rainsdorf [sic] b. Wittenberg in eine Munitionsfabrik gekommen ist. Ihr erster Wochenendurlaub. Ganz schlechte Hände hatte sie! Sonst hält sie es aus, sie muß. Ich erzähle Dir mal davon. Das hat uns bissel aufgehalten, sonst wären wir schon am frühen Nachmittag fertig geworden. So aber kam 400 heran. Dann mußten wir ja wohl baden! Und mittags hatten wir gefrühstückt, weil die Wäsche auf die Leine sollte, ich konnte nicht weglaufen und Essen kochen. Papa verstand es nicht: Hennenbraten und Rotkraut! So aßen wir um 6 abends Mittag! Aber herrlich hat’s geschmeckt! Wir haben nun so an Dich gedacht, Herzlieb! Hast Du es wohl gemerkt? Einen Kuchen habe ich auch noch gebacken! zur Belohnung für die Waschfrauen und -männer. Ein neues Kriegsrezept: 2 ℔ gepreßte heiße Kartoffelmasse mit 2 Eigelb, 1 Tasse Zucker und Rum Zitronenschale verrühren, zuletzt Eischnee und paar Rosinen untermischen. Alles 1 Stunde bei guter Hitze backen. Ich sage Dir: fein ist das geraten! Wir haben schon die Kostprobe abgelegt. Das ist ein billiger Kuchen ohne Fett! Aber lange kann man den nicht aufheben, sonst werden die Kartoffeln sauer.
Ach Herzelein! Nun bin ich eigentlich rechtschaffen müde. Alle Glieder tun mir weh. Ich muß mich mal schön ausruhen, ausschlafen. Aber für mein Herzelein habe ich schon noch Kraft zum schreiben! Wenns auch miserabel ausfällt – macht heute mal nichts gelt? Wenn Du es nur erkennen kannst. Du!
Und von meinenr großen Freude muß ich Dir noch sagen, ehe ich ins Bettlein krieche. Heute bekam ich doch 2 liebe, so liebe dicke Boten!! Schätzelein!!! Und ein leckeres Päckchen! Mit Schokolade, Keks, Rosinen! Oh Du gutes Herzensmannerli! Wie habe ich mich gefreut! Gerade am Waschtag!!! Du!!! Fein hast Du das doch eingerichtet Goldherzelein! Geliebt[er]! Wie süß! Wie gut hat alles geschmeckt! Deinem Leckermäulchen. Auch die Eltern ließ ich kosten! Viel liebe Grüße von ihnen!!
Ach, auf all Deine Liebe muß ich doch morgen antworten, Du! Heute fallen mir doch bald die Augen zu. Herzelein! Ich habe Dich ganz sehr lieb! Immer – immer! Du! Du!!!!!! Gott behüte Dich! Es küßt Dich innig Deine treue [Hilde].
Komm Herzelein! Nun nehme ich Dich mit in mein Bettlein, Du!!!!!
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Referenzen
Rainsdorf b. Wittenberg in eine Munitionsfabrik