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Briefkorpus

81.

Montag, am 4. Mai 1942.

Herzallerliebster! Mein geliebter [Roland]! Herzensschätzelein!

Es ist nachmittags ¾ 2 Uhr. Ich bin wieder fertig mit meiner täglichen Hausarbeit und komme nun zuerst zu Dir, ehe ich ans nächste Geschäft gehe: Wäschelegen. Erst muß ich mal ein wenig verschnaufen; es ging doch nun seit Sonnabend in Trab mit der Wäsche. Ein besondres Glück hatten wir aber, Herzlieb! Heute ist der Himmel grau und es regnet tüchtig. Wir sind heilfroh, daß alles zurande ist [sic]. Und das nur, weil wir zwei Frauensleut` zwei sooo artige, gute Männer haben, gelt?!!

Herzelein! heute ist von Dir kein Brief gekommen, von Hause die liebe Mutter [Nordhoff] schrieb. Es geht ihnen noch gut und sie ladet [sic] uns schon für die Ferien ein! Zur Heidelbeerzeit sollen wir kommen! Ei gewiß! Wenn mein Mannerli nicht gerade auf Urlaub kommt, dann bin ich gern dabei: Du! Ich hoffe aber, daß ich nicht bis zur Heidelbeerzeit auf Dich warten muß! Meine Herzelein!! Wollen abwarten.

Ach, eine gar traurige Nachricht erhielt ich noch heute. Von Onkel Karl aus K. Mariannes Mann ist gefallen. Ich bin ja so erschrocken. Anfangs meinte ich, daß von [Nordhoffs] selbst jemand gestorben sei. Der Mann von Marianne, Kurt S. Du kennst ihn gewiß. Er ist ja noch gar nicht so lange draußen, soweit ich b mich entsinnen kann. Er war doch so lange im Protektorat, gelt? Auch Marianne selbst kenne ich noch nicht. Er war Unteroffizier bei einer Panzerbrigade und wurde am 14. April bei seinem ersten Einsatz im Osten schwer verwundet, er ist in einem Feldlazarett gestorben. Am 16.4. wurde er in Simferpol auf dem Heldenfriedhof beerdigt.

Ach Liebster! Das ist so furchtbar. Der erste Todesfall in unsrer Verwandtschaft durch diesen unseligen Krieg. Ein so kurzes Eheglück war ihnen nur beschieden. Das ist so bitter. Und beide, Marianne wie ihr Mann, sie stehen noch mitten im Lebenssommer. Er ist so alt wie Du. Im Januar 1908 geboren. Alles ist jäh zerstört abgebrochen. Sie standen auch erst noch im Anbeginn aller Freuden eines gemeinsamen Lebens. Ach – ich wüßte nicht was ich tun sollte vor Schmerz und Verzweiflung. Und doch darf sie nicht verzweifeln. Sie muß wachen über dem Pfand ihrer Liebe, über dem Vermächtnis ihres Geliebten, der kleine Günter, ihr Kind! Sie kann glücklich sein bei allem Herzeleid, sie hat ein Stück des Geliebten für immer um sich. Aber der Riß im Herzen bleibt ewig. Die Wunde heilt nie, die geschlagen wird durch den Verlust einen geliebten Menschen. Gattenliebe, sie ist viel tiefer als Elternliebe, sie kann nie wieder ersetzt werden.

Ich will an Onkel und Tante schreiben und auch an die mir noch unbekannte Marianne ein Wort des Trostes und Mitgefühls richten. Ich denke, so ist es wohl richtig, Herzlieb.

Oh möge uns Gott vor solchen unsäglichen Leid bewahren!

Geliebter! Laß uns bitten darum! Sei zutiefst dankbar mit mir für alles Glück, das uns bis auf den heutigen Tag beschieden! Gott kann uns nicht solchen Schmerz zufügen, nein!!! nein!!!!! Und es ist Sünde, wenn wir uns einander das Leben schwer machen, mit den Gedanken als solches Herzeleid. Wir müssen froh an die Zukunft denken, Geliebter! Trotz Not und Herzeleid ringsher. Au[]f unsere Herzenskraft müssen wir uns stützen können zu jeder Zeit. Und besonders dann, wenn ein Mensch neben uns unseren Zuspruch, unseren Trost und unsre Hilfe braucht, dann sollen wir nicht selbst in Gram und Kummer versunken sein, weil die Zeit so bitterernst und schwer ist, durch die wir gehen. Auch mit unsrer seelischen Haltung helfen wir siegen! Siegen über Tod und Vergehen. Geliebter! Uns braucht davor nicht angst zu sein, daß wir eines Tages dazu nicht mehr die Kraft hätten. Solange Leben in uns ist, lebt unsere Liebe! Das kostbarste Gut auf Erden! Aus ihr kommt uns aller Glauben an Gottes Güte und Allmacht! Alle Kraft auch, mit dem Leben fertig zu werden. Oh mein Geliebter [Roland]. Ureigenster Besitz ist uns das Kleinod unsrer glückhaften Liebens und innigsten Verbundenseins! Und wollte es die Zeit, daß man uns aus Recht und Besitz vertreibt, daß man uns alles nimmt und nur das nackte Leben läßt. Ich gäbe alles hin, nur nicht mein Herz! Denn das gehört Dir allein! Mein Geliebter! Dir schlägt es in treuer Liebe bis an mein Ende. Ich hänge an Dir mit allen Lebensfasern, oh Du!!!!! !!!!! !!! Ich bin Dir soooooooo innig fest in Liebe verbunden! Dein bin ich, ganz Dein bis in den Tod.

Geliebter! Wenn ich nun Deine letzten Boten durchgehe, so will ich hier anknüpfend noch auf Deinen lieben Boten eingehen, den Du am Tage der Reichstagsrede schriebst. Auch Dich hat das alles ernst und besinnlich gestimmt. Es mußte alle ernst stimmen, die Recht und Freiheit lieben. Es ging auch alle an, es ging ja um das ganze deutsche Volk.

Wenn man hineinhört in die Stimmung des Volkes, so kann man ein Murren hören, das immer mehr ansteigt. Wie könnte man durch Beispiele hier im Briefe drastisch begreiflich machen, wie es so zuhaus zugeht. Ich will das auch nicht. Es ist nicht ungefährlich! Und ich gestehe ein: es gibt auch noch viele, die mit Fanatismus die Idee der Bewegung vertreten. Aber im großen und ganzen hat es das Volk satt, zur Genüge satt. Du und ich, wir sind uns auch einig über unser Denken, Tun und unsre Haltung. Wer die Rede des Führers hörte, der merkte: er braucht neue Vollmachten, größere auch. Es ist ein Ringen der persönlichen Rechte gegen die Machtansprüche des Staates. Wir sehen an vielen Beispielen wie z.B. in Deiner Lehrerzeitschrift in verschiedenen Zeitschriften auch, wie weit der Staat schon praktisch eingreift. ‚Im Namen des Volkes‘ zu gern bedient man sich dieses Wortes. Ich kann das Ganze Weben in der großen Geschichte nicht einmal so scharf mit Worten umreißen, wie Du es kannst, wie Männer es mögen bringen und andre ebenso kluge Personen. Aber daß vielerorts Unrecht geschieht, das spüre selbst ich. Wir sehen eine Welt in Schmerzen, so drückst Du ganz recht die Stimmung aus, die vorwiegend herrscht. So bedingungslose Gefolgschaft ist noch nie von uns verlangt worden! Es ist nicht nur immer mangelnde Einsicht, mangelnder Weitblick, der die Menschen zum Widerstand bringt. Noch stärker als Einsicht und Vernunft ist in uns der Wille. Mit einem großen Baumeister können wir den Führer vergleichen, der mit seinem Werke Großes vollbringen will. Das Werk ist begonnen worden und wir können nicht anders sagen, als daß es mit Genialität und einem unbändigen Willen begonnen wurde. Beinahe einem furchtbaren Willen. Oh wohl dem mächtigsten Menschenwillen unsrer Zeit auf Erden. Und Liebster, mit Deinen gleichen Worten kann ich das wiederholen, was ich auch empfinde. Wir kennen die Baupläne sowohl im Umfang als auch in ihren Einzelheiten nicht. Wir erfahren es nur, wie dieser Wille andere Willensregungen niederzwingt und bricht und sich dienstbar macht. Wie dieser Baumeister seine Arbeiter zu immer neuen und größeren Anstrengungen zwingen muß und ihnen alle Eigenwilligkeiten nehmen. Das begann ja schon in Friedenszeiten und mußte sich naturgemäß in Kriegszeiten steigern. Wir verstehen den Baumeister und verstehen die Bauleute. Es kann nicht jeder Baumeister werden, die meisten müssen Bauleute sein. Und haben doch auch ihren Plan, mag er auch kleiner sein und haben auch ihren Willen und lieben die Freiheit, ihre Freiheit. Und wir erleben es, wieviel Schmerzen [s]olche gestörte Pläne, solche gebrochene Willen bereiten können. Ach ja. Herzlieb! Eine Welt in Schmerzen sehen wir. Möchten sie die Geburt eines guten Friedens ankündigen, einer größeren, besseren Freiheit.

Können wir daran glauben? Können wir dem Baumeister vertrauen? – Wer kann das Schicksal ergründen? Und wer von uns, die zum mitbauen bestimmt sind, kann die Wunden und Schmerzen übersehen? Wessen Blick ist nicht getrübt durch eigenen Schmerz und sei es [n]ur den der Trennung oder einer kleinen, verlorenen Freiheit? Und wessen Herz hinge nicht an eigenen Plänen, sowie des Baumeister an dem seinen?

Ach Herzelein! In solchen Stunden denken wir mehr denn je darüber nach, ob Menschen die Führer und Walter dieses Schicksals sind oder nicht. Sie sind nur Vollstrecker. Es geschieht nichts ohne Gottes Willen. Und wir können nur ganz stille werden und Gott bitten, daß er mit seinem Volke nicht ins Gericht geht, daß er ihm gnädig und barmherzig sei.

Ach Geliebter! Was auch kommen mag – was auch kommen mag! Ich weiß mich mit Dir eins in heißer, inniger, ewiger Liebe und bin dessen ganz froh gewiß, in unlösbarer Herzensverbundenheit. Diese Lie[be] wird mit uns sein und bleiben bis in den Tod.

Und mit dieser Liebe wird uns auch die Hoffnung bleiben! Diese Liebe wird uns auch die Kraft schenken, durchzuhalten. Ach Herzelein! Es kommt ja alle Kraft von ihr, von ihr allein! Und wir werden nicht ablassen, Gott zu bitten um seinen Segen, seine Gnade. Oh, möge er Dir allezeit beistehen!

Ihm befehlen wir uns an – ihm allein.

Geliebter! Wenn ich Deine Liebe nicht hätte in dieser Zeit! Oh [D]u! Sie hat den Grund gelegt zu reiner, tiefer Herzensfreude – und die kann mich nicht verlassen. Ich weiß sie immer mit mir, mein Glück. Geliebter! Die Sonne ist in unsren Herzen aufgegangen mit unsrer Liebe! sie muß zuletzt alle Wolken sieghaft durchdringen! Du!! Du!!!!! Ich bin sooo glücklich mit Dir! Ich liebe, liebe Dich! Du! Gott sei mit Dir, mein Leben! Es küßt Dich innig Deine [Hilde].

 

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946