Montag, den 18. Mai 1942
Herzensschätzelein, Geliebte! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Hab ich doch eben einen Bogen erwischt, auf dem ich unsre Geburtstagsherzen probiert habe. Schadet nicht, gelt? Unsre Herzen sind ja so lieb vereint und innig verbunden nicht nur zum Geburtstag und an Festtagen – sien sind es immer – Geliebte! Immer und ewig!
Schätzelein! Das Mannerli sitzt wieder einmal im Wachstübchen – und die Zeit wird ihm doch gar nicht lang, noch weniger als früher beim Wachestehen – weil er heimdenken kann – zu Dir! zu Dir!!! Bei Tage habe ich doch heute mal dem Schulrat einen Brief geschrieben – seit über einem Jahr wieder einmal. Es ist schon Diplomatie dabei, aber doch in den Grenzen des Anstandes und ohne daß ich mir dabei etwas vergebe. Ich bin auch nicht gleich mit der Tür ins Haus gefallen, habe erst einen kurzen Bericht gegeben, die Versetzung nach Königstein angeknüpft und unseren Dank, auch den Deinen, zum Ausdruck gebracht. Damit bin ich diese Pflicht mal wieder für eine Weile los. Nun kann ich zu meinem Schätzelein kommen. Aber das schlummert doch jetzt fein süß und sanft – will es ihm wünschen – will es hoffen! – Du!!! Was sollte es denn sonst auch tun? Die Nacht ist doch zum Schlafen da – nur im Urlaub wird nicht immer geschlafen, gelt?! Wo doch die Stunden sooo kostbar sind – Du! Du!!! Ach – ich tät doch gleich einmal an das Bettlein treten von meinem Herzelein! Ob es auch richtig zugedeckt ist.Du weißt es doch! garlange könnte das Mannerli nicht geduldig zuschauen. So unwiderstehlich würde es gelockt, vom lieben Näschen oder Bäckchen ein Stückchen abzubeißen. Aber dazu käme es doch gar nicht – mein liebes Weiberl wäre längst aufgewacht – und hätte gezankt und – das Mannerli gleich in sein Bettlein gesteckt, wie es sich auch dagegen sträubte – und – ach, ich brauche doch gar nicht weiterzuspinnen – das Mannerli hat doch immer recht – damit, daß es Dich sooo lieb, sooooooooooooo lieb hat und sich sehnt nach Dir, Herzelein, Goldherzelein, Geliebte! Ich gehöre doch zu Dir! Ganz in Deine Nähe! An Dein Herz! Geliebte! Und das ist doch mein sehnlichstes Verlangen – nur der böse Krieg hindert es! Du! Du!!!
Geliebte! Zu Dir möchte ich, nur zu Dir! Und Du weißt, daß ich komme, ganz schnell, wenn ich frei bin! Daß ich immer mich bereithalte – oh Herzelein! daß ich immer auf Dich ziele mich meinen heimlichsten Gedanken und Wünschen – Dein Amor, Dein Mannerli, Dein [Roland] – Du, Dein Büblein!
Oh Herzelein! Alles war ein Mann empfindet für ein geliebtes Weib, was in ihm lebt aus den Tagen ersten Lebens, der Kindheit im Schutze der Mutter, was in ihm bebt und zittert an Regungen der Liebe – es kreist um Dich, um Dich allein! Du hast sie alle auf Dich gezogen – Erfüllung bist Du mir, Geliebte! Gläubig ergebe ich mich in Deine Liebe! Oh Du! Wie liebe ich Dich!!!!! Wie habe ich mich geborgen in Deine Liebe! Oh Herzelein! Wie glücklich bin ich, daß ich zu Dir kommen kann, Dich zu beschenken – mich beschenken zu lassen! Geliebte! Mann soll nicht an Menschen glauben – aber Liebende, wenn sie sich von Herzen lieben, die dürfen und müssen mit Gottes Hilfe aneinander glauben!
Oh Herzelein! Ich glaube Dir doch! Ich vertraue Dir ganz! Und Du glaubst und vertraust mir! Darin gipfelt doch alles Lieben! Das ist daran doch das Köstlichste! Das Stärkste!
Und der zerstörte Glaube ist doch das furchtbare einer zerbrochenen Liebe! Oh Herzelein! Geliebte! Fühlst Du es, wie fest ich Dich halte? Wie mein Herz, meine Seele zu der Deinen drängt, sich ihr zu verbinden, dich nimmermehr zu lassen?
Und so liebst Du mich! Du hast mich doch zuerst geliebt, Du!!!!!
Herzelein! Ich denke, so können zwei sich gar nimmer lieb gewinnen. Zwei Herzen sind so ganz in Liebe zueinander entbrannt – Du! Du!!!!! !!!!! !!!
Neben mir liegen Deine lieben Boten vom Sonnabend und Sonntag, die zu beantworten ich doch noch gar nicht Zeit fand. Erzählst mir von der Begegnung mit Lehrer O. nebst Gemahlin! Mit seiner Rede vom Steckbrief beugt dieser Filou schon vor. [D]ieses Sichselbstzumbestenhabenkönnen [sic] ist noch sein liebenswerteste Seite, aber im übrigen ist er ein Lausbub, wird es bleiben sein Lebenlang [sic] – Lausbub im üblen Sinne, ein Mensch ohne Grundsätze und Halt, kein Mann. Seine Frau soll wohl ab und an ihn zu erziehen versuchen. Der Mensch kann ein satanisches Lachen aufstecken. Ich halte ihn auch für nicht ganz arisch.
Ach Herzelein! Wo Schmutz im Nestel ist, wundert es einen dann noch, daß die Vöglein auch schmutzig sind? Soviel Gutes die Liebe anregen und zutagefördern [sic] kann, soviel Unerfreuliches, soviel Mißmut und Gleichgültigkeit muß dort sein, wo sie einschläft und gestört wird; wo der Strom der Liebe kein Gefälle mehr hat, da bilden sich trübe Lachen und Tümpel mit allerlei Unrat.
Und schon der andere Tag ließ Dich einen Blick tun in ein besseres Nest bei der Feier der goldenen Hochzeit. Du! 83 Jahre müßte das Mannerli werden, 71 mein Herzelein, wenn wir, wenn wir dieses Fest erleben wollten. Ach, soweit reicht unser Wünschen und Denken noch nicht – und wir fühlen, daß es unrecht wäre, wenn wir uns auf solches Wünschen versteigen wollten. In Gottes Hand liegt das alles. Und nur eines mag ich dazu sagen: daß mir die Zeit bis dahin gar nicht lang genug scheint, Dich recht lieb zu haben. Oh Geliebte! Wenn ich an Dich denke, dann möchte ich doch den Herrgott bitten, daß er mich recht, recht lange, ach, immer an Deiner Seite gehen läßt – möchte ihn so inbrünstig bitten, daß er uns zusammenwandern [sic] läßt durch dieses Leben! Du! Du!!!!!!!!!! !!! Oh Herzelein! Ich ergebe mich mit Dir in Gottes Willen, gläubig und demütig. Gott wird’s wohl machen! „Das Leben ist rauh und uneben für den, der es wahrhaft lebt, der nicht ausweicht und Bogen schlägt um Unangenehmes.“ [420509-2-1] Herzelein! Das ist so wahr. Und vielen mag unser Weg und Schicksal als besonders glücklich und gnädig erscheinen. Und als solches erkennen wir es auch – tiefdankbaren Herzens! Und auch unser Weg hat Klippen und Unebenheiten – aber wir wollen sie froh bezwi[ng]en miteinander – und werden uns unsre Liebe nimmer rauben lassen und werden darum immer glücklich sein! Das Leben eines Menschen ist so sonnig, als dieser Mensch Sonne im Herzen trägt. Die Liebe, die gute Herzensliebe, hat soooviel Sonne in unser Leben gebracht – oh Herzelein, wir können gar nicht denken, daß sie nachläßt in ihrem Scheinen! Und inbrünstig beten wir zu Gott, der sie uns schenkte, er möge sie uns in Gnaden erhalten! Oh Geliebte! Er sei mit Dir auf allen Wegen! Er erhalte Dich mir froh und gesund! Er füge es, daß wir recht bald zusammenleben können!
Gleich werde ich meine Ablösung wecken. Die Zeiger rücken auf 3 Uhr. Dann will sich das Mannerli rasch noch zwei Stunden auf Ohr legen. Will sich von gar niemandem stören lassen! Höchstens von meinem Herzelein! Wenn es nur zu mir will – im Traum – oh, das wäre doch fein! – dann bin ich doch gleich ganz munter und muß es einlassen! Du! Du!!! Meine [Hilde]! Meine [Hilde]! Mein liebes Weib! Mein Leben, mein Ein und Alles bist Du!
Ich liebe Dich! Sooo sehr, sooooooooooooo von ganzem Herzen! Ich küsse Dich, sooo lieb! Und denke immer Dein! Und werd nur recht bald wieder gesund! Du! Mein! Mein! Mein!!!
Ich bin doch ganz Dein! Ewig Dein! Dein glückliches Mannerli!
Dein [Roland]!
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Rosemarie Köhler
Roland hatte sich 1941 direkt an den Schulrat gewandt und sein Interesse betont, wieder als Lehrer zu arbeiten. Im April 1941 erhielt er in Plovdiv Nachricht, dass das Wehrbezirkskommando anfragt, ob eine UK –Stellung möglich wäre, da er in die Planung des Schulamtes aufgenommen sei. Das Projekt wurde dann durch den Balkankrieg zunichte gemacht.
Geschlechterrollen und Rassentheorien
Roland assoziiert Menschen “ohne Grundsätze und Halt” damit “kein Mann” sowie “nicht ganz arisch” zu sein. Dabei verwendet er Geschlechterrollen sowie Rassentheorien aus der NS-Propaganda, um sich von sogenannten “Asozialen” zu distanzieren. Da er diese Ideen in seinem Briefwechsel mit Hilde verwendet und in sein persönliches Verständnis von Geschlechterrollen einordnet, eignet er sie sich auch in seiner Liebesbeziehung an. Solche Ideen waren Roland bestimmt schon seit den 1930er-Jahren bekannt, als sie von den Nationalsozialisten eingeführt wurden. Dass er sie jetzt im Mai 1942 verwendet, hat wohl mehr damit zu tun, dass die verarmten bzw. verhungernden Griechen in Saloniki sichtbar leiden und er, bzw. die Besatzungsregierung, den Zustand erklären müssen. Damit spaltet er sich von dem Leid ab, das er als Bestandteil der deutschen Besatzung mit verursacht.