Freitag, am 26. Juni 1942.
Herzelein! Mein lieber, liebster [Roland]! Geliebtes Herzelein!
Du! Nun ist Abend geworden und ich kann mich zu Dir setzen, zwar ist das Abendbrot noch nicht vorbei, doch die Zeit bis dahin will ich mit Dir verplaudern. Du!! Die Sonne hatte sich ein wenig verkrochen und die Luft [w]ar recht abgekühlt, so bin ich heute einmal nicht sonnenbaden gegangen auf den Hutberg, sondern habe mich fein nützlich gemacht im Hause. Die ganzen Front Fenster putzte ich schon gestern Nachmittag, als die anderen schliefen. So nur kann ich mich nämlich nur mal richtig nützlich machen; denn Deine liebe Mutter nimmt mir alle Arbeit wieder weg, die ich anfasse. Ich soll mich erholen die paar Tage! Na, so blaß und schmal und erholungsbedürftig sehe ich nun auch wieder nicht aus. Wenn ich auch ein bissel schmal geworden bin, schadet nichts! mein lieb‘s Mannerli ist ja auch schmaler geworden, gelt?
Wir haben heute alles fein sauber gemacht in den Zimmern, gebacken und alles für die nächsten Gäste bereitet. Wer morgen kommen will? Hellmuth, Elfriede, Lotti, Tante Gretchen auch. Und nur mein gutes Mannerli fehlt in der Runde. Ach Du! Wir denken immer so lieb an Dich, Herzlieb! Du mußt es doch fühlen, Du! Und die Eltern lassen Dir durch mich bestellen, sollst nur nicht etwa denken, daß sie Dich vergessen hätten, weil sie Dir schon 14 Tage nicht schrieben. Sie haben auch dauernd ihren Drasch. Kommst bald dran mit einem Brief. Vater hat bis abends 600 Dienst; aber er sieht wohl aus dabei. Und die Mutter, die nimmermüde… ach, Du weißt es ja, was eine Mutter stündlich sorgt und schafft. Alles für ihre Lieben. Ach Du! Ich möchte doch auch eine ganz gute Mutter sein, Du! Jetzt bin ich Dein Mütterlein, gelt Herzlieb? Du! Oh Du!!!!! Ach – wie muß ich Dich doch sooo liebhaben, mein Goldherzelein. Möchtest Du das doch immer recht gewiß spüren, mein [Roland]! Ob Du denkst in diesen Tagen, daß ich Dich nicht so liebhabe wie sonst? Ach Du! Was mich so denken läßt? Es ist das Leben um mich her, daß mich nicht allein läßt mit meinem Wesen, für Dich nur allein dasein läßt. Ich empfinde immer eine leise Unrast in mir, weil die Stunden des Tages vergehen, ich in süßem Nichtstun mittendrin stehe, wo ich doch einmal wie nie sonst im Alltag Dein denken könnte wo ich Dir tausend liebe liebe [sic] Worte schreiben könnte! Von früh bist spät mit Dir plaudern könnte in Gedanken nicht nur, nein auch im Briefe! Und kann es nicht. Weil ich Verpflichtungen habe all den lieben Menschen gegenüber, die um mich sind. Ich muß mich ihnen widmen, sie suchen meinen Umgang, ich kann mich nicht in mich selbst vergraben. Ach Du! Das alles verstehst Du doch mein Lieb, ich weiß es. Du!!! Und doch möchte ich in diesen Tagen, wo das Neue auf Dich einstürmt, ganz lieb und lang und innig um Dich sein. Oh Geliebter! Du weißt wie ich Dich liebe! Und eines kann mich trösten, Geliebter: meine Gedanken, meine Sehn[s]ucht, all mein Liebgedenken, es kommt zu Dir! Unsre Seelen sind so harmonisch aufeinander abgestimmt, daß sie die große Ferne überwinden und jedes andre Hindernis. Was ich im Innern für Dich empfinde, Dein Herz und Deine Seele nehmen es auf. Du fühlst, wie ich ganz Dein bin! Das ist mein Trost, oh Herzelein liebstes!
Siegfried sieht in mir einen Ferienkameraden – und er ist um mich wie ein Bub um sein Mütterle. Er geht mir nach überallhin [sic]. Mutter meinte einmal, daß sie froh sei, daß ich da bin, denn ihm würde sonst die Zeit lang. Und Du weißt, ich bin zu gut, mich einfach zurückzuziehen. Es wäre einfach unmöglich, ich mag ihm seine wohlverdienten Tage daheim nicht trüben. Er soll viel Freude erleben, damit er die kommenden Tage in dunkler Zukunft nicht schreckend vor sich sieht. Was wir so treiben? Ach Liebster? Allerlei Unsinn. Wie ausgelassene Kinder sind wir oft, er ist zu spaßig. Und was ich an ihm lächerlich finde, das findet er an mir lächerlich. Ich wundere mich, daß er sich soviel Frohsinn erhalten hat, nach aller schweren Zeit. Spiele werden gemacht, alle mögliche Sorte. Und gestern mußte ich sein selbst erfundenes Seekrieg-Spiel mitmachen. Du weißt ja wie verzweifelt ich mich mühe gern mitzuspielen und das ist ihm der Hauptspaß dabei, meine Art zu spielen zu beobachten, der Sauhund! Heute drückte er mir seine Harmonika in die Hand, ich soll es erlernen. Rätsel muß ich lösen helfen, Wege mitgehen. Die Lichtschalter baute er – auch dazu muß die [Hilde] her, halten helfen. Beim Staubwischen heute geriet ich über Dein Klavier, Herzelein! Ich kann ein klein wenig schon spielen! Und husch war er auch da und wollte vierhändig spielen. Aber dazu waren wir beide zu unbegabt!! Und ich schaffte dann Abhilfe, indem ich ihm [sic] die oberen Noten spielen ließ und ich übernahm die Begleitung. Nur leichte Sachen! Das war ein Spaß! Gesungen haben wir auch dazu, [bi]s die Mutter uns mit dem Scheuereimer aufscheuchte.
Er ist voll Neckerei und Spaß wie ein Schelm. Man kann ihm nicht böse sein, denn er vergißt bei allem Scherz nicht den Abstand, den er als Schwager zu wahren hat. Ist ein lieber Kerl der Siegfried; Gott gebe, daß ihm nichts zustößt.
Kennst Du Deinen Bruder von dieser Seite? Ich kann mir gut das Gaudi vorstellen, als ihr 3 Buben zuhaus wart! Es ist wohl zu schön, wenn Geschwister [da] sind, die sich gut versteh[e]n.
Ach Herzelein! Ich kenne nun alle 3 Buben – der allerliebste aber davon ist doch mein [Roland]! Ihn habe ich soo fest in mein Herz geschlossen, sooo fest, wie keinen sonst auf Erden! Du!
Heute ist Siegfried nach Bisch. wegen seinem Grundstück. Er will bei Elfriede übernachten, weil sie da ist; denn Hellmuth wird heute Nacht kommen. Morgen früh wollen sie zu dreien herfahren zu uns.
Ja, Schätzelein! Daran, daß ich mal ohne Anhängsel bin merkst du auch, daß ich viel Zeit hab für Dich? Ach Du! Schätzelein! Du! Hab doch all meine liebsten, heimlichsten Gedanken immer bei Dir, Du! Die Eltern hatten mich heute mit ins Kino genommen und da wars so närrisch, der Film hinkte nach und der Ton war voraus! Das gab ein ganz närrisches Spiel! Ein dicker alter Mann auf dem Bilde redete mit einer zarten Stimme einer Frau! Zum Schreien wars eine ganze Weile. Es mußte abgebrochen werden. Der Besitzer war außer sich, so etwas sei noch nie passiert. Er muß einen neuen Film bestellen. Wir bekamen das Geld zurück und gingen heim. „Hochzeit auf Bärenhof“ nach einer Novelle von Sudermann. Ein guter Film.
Und nun ist das Abendbrot vorbei und ich sitze am Fenster und schreibe Deinen Brief im letzten Abendsonnenschein. Wir baden der Reihe nach und dann gehts` [sic] ins Bettlein! Kommst zu mir? Bin ganz allein heute, Du! Ach Du! Geliebter mein! Ich hab dich soo lieb, lieb! Und gar viel Sehnsucht hab ich im Herzen nach Dir, Dir! Du! Ganz tapfer will ich sein – mit Dir warten, Geliebter! Ach, wie mag es Dir ergehen? Bist Du gesund? Ob Du [d]en Dienst aushältst? Ich warte auf Deinen Brief! Ach Du! Ich bin richtig froh, daß ich die Wartezeit hier verbringen kann, wo ich nicht übers Grübeln komme, Herzelein! Haltet nur gut zusammen Ihr beiden Männer!
Du! Bis zum Mittwoch wollen mich die Eltern noch dabehalten. Vater hat 2 Tage Urlaub und am Montag wollen wir mal alle nach Königstein fahren, uns umsehen überall – im Reiche unsrer Zukunft! – auch nach einer Wohnung wollen wir uns umschauen!! Ich bin mit dem Plan einverstanden. Es kann sein, daß ich Frau H. mit besuche! Herzelein! Und Du wirst ganz eng mir verbunden sein auf Schritt und Tritt.
Morgen und Sonntag wird viel Leben sein im Hause! Besuch! Ach, wenn Du auch dabei wärest! Mein [Roland]!
Du! Und nun will ich den Brief noch zum Kasten tragen dann ins Wännel [sic] steigen und in mein Bettlein!
Oh – ich will voll Liebe Dein denken, Du!!! Geliebter! Gott sei mit Dir! Ich küsse Dich! Ich bleibe in Ewigkeit
ganz Deine glückliche [Hilde].
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Clara Gold
Hilde berichtet Roland über die Zeit, die sie mit ihrem Schwager Siegfried verbringt. Sie sorgt sich um ihn (eventuell wegen eines zukünftigen Fronteinsatzes). Sie berichtet Roland von einem Besuch im Kino.