Sonntag, den 12. Sept. 1942.
Herzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]! Du!!!
Endlich, endlich komme ich zu Dir, Du! Geliebte!
Ist doch das Mannerli heute ausgezogen nach dem hohen Berg. Wir hatten es ja schon eine Weile vor. Am vorigen Sonntag zerschlug es sich. Ich war nun auch gar nicht mehr die treibende Kaft. Sondern die jungen Bürschchen. Die witterten nämlich darin eine gute Gelegenheit, einen fetten Urlaub herauszuschinden.
Das haben sie denn auch getan. Haben für heute Nachturlaub bis 1 Uhr und Zivilerlaubnis erwirkt, natürlich nicht, um den Berg zu ersteigen. Ich glaub, außer dem Mannerli ist nur noch Kamerad K. hinaufgestiegen. Kamerad H. hat etwas wundgelaufene Füße – und wenig Lust, Kamerad R. hat seinen Bruch. So ist das Mannerli heute früh ½ 8 Uhr aufgebrochen, angetan wie sonst mit seiner Uniform und den Brotbeutel umgehängt mit dem Proviant für den ganzen Tag. Ein herrlicher Morgen war’s, und das Gebirge lockte, wie kaum zuvor. Kamerad K. wollte einen anderen Anstieg – er ist mir auch nicht die liebste Gesellschaft – lieber wollte ich allein gehen. Ach Herzlein! Ich habe so recht das Bedürfnis wieder einmal allein zu gehen – mit Dir! Du warst doch immer mit mir. Laß Dir nur die Sprüchlein sagen, in denen mein Liebgedenken an Dich sich verdichtete:
Lieber geh ich allein als unverstanden zu zwein.
Aber mit Dir muß ich gehen, in Deiner Liebe!
Wählerisch ist wohl mein Sinn und eigen mein Herz – aber was sie umschlossen, bewahren sie ewig und treu.
–
Enzian, himmelblauer Enzian, selten und rein,
Blaublümelein, Treublümelein –
Das soll es Dir künden!
Dein! ewig Dein, Geliebte!!!
–
Auf halben [sic] Wege traf ich ein älteres Ehepaar, an die sechzig beide. Ich fragte nach dem Wege: nach dem Wituscha. Der Mann, bulgarischer Offizier, koönnte ein wenig Deutsch. Er erklärte mir, daß dieser ganze Gebirgsstock diesen Namen trage, daß ich aber den Weg zu dem von uns gemeinten Berge schon verfehlt habe. Er forderte mich auf, mit ihnen zu gehen, ich könne dann den höchsten Gipfel der Gruppe erreichen. Ich folgte der Aufforderung. Ein schöner, bequemer Höhenweg mit großartigem Ausblick führte zu einer Baude. Ich habe mich mit dem Mann über mancherlei unterhalten, zumeist aber darüber, was am Wege sich bot. An der Baude wurde Rast gemacht. Ein stattliches Gebäude, von einem Touristenclub unterhalten. An [sic] ganze Menge Menschen war unterwegs, davon etwa 25 % Deutsche, Soldaten auch, zum Teil in Zivil. Ich mußte einen Cognak mittrinken, bestellte mir dann eine Suppe und zehrte dazu von meinem Mundvorrat. Die beiden Leute wollten nicht weitersteigen, wollten wieder so zurück. Du weißt, das ist nicht mein Fall. So entschloß ich mich, über den höchsten Gipfel nach dem Vorort zu wandern, in dem wir am vorigen Sonntag waren. So bin ich gegen 1 Uhr wieder allein aufgebrochen. Der Weg wurde nun schmaler, steiler und steiniger. Die Bäume blieben zurück, nach der Höhe zu war das bedeckende Gras verdorrt. Nach einem Stündchen Steigung fand ich mich auf einem weiten Plan, von dürrem Gras bedeckt, mit Blöcken übersät, und an den 4 Zipfeln des Planes felsige Erhöhungen, davon einer mit einem Observatorium gekrönt – mein Ziel. Öde war es da oben, und das Auge flüchtete in die blauende Ferne. Aber ich war nicht allein. Immer begegneten mir wandernde Gruppen oder Paare, die freundlich grüßten oder meinen Gruß erwiderten. Und die Höhensonne meinte es gut, meine Backen brennen jetzt noch. ½ 3 Uhr war ich am Ziel. Wollte nun ein Stündchen mich langstrecken – ganz fest und innig Dein denken. Aber lange hielt ich es nicht aus. Es war mir zu öde – an den lieben Boten dachte ich, der unten mein wartete – und an die liebste Stunde, mit Dir zu sein. So habe ich mich bald wieder aufgemacht. Ich habe doch immer Dein gedacht, Herzlein! An unser Wiedersehen! An unser Wiedersehen!!!
Oh Geliebte! Und alle Wanderungen mit Dir sind an mir vorübergezogen.
Ach Herzlein! Es müssen nicht so hohe Berge sein. Die höchsten sind gar nicht die schönsten. Wenn Du mir nur folgst hinaus in die schöne Gotteswelt, auch dorthin, wo sie einsam ist und unberührt, wo wir allein nur noch unsre Herzen spüren – das ist das Schöne, das der Gewinn des Wandelns durch die schöne Gotteswelt.
Herzelein! So hast Du nun meine Schritte beflügelt auf dem Wege zu Tale. Dieser Weg war länger als ich ihn schätzte. Ich kam wieder an solche Hütte. Nicht weit dahinter, wurde ich von zwei Wanderern angesprochen und in Beschlag genommen und in meiner Gangart gehemmt. Es waren zwei Gymnasiallehrer. Der eine von ihnen hat eine Zeit in Deutschland Pädagogie und Psychologie studiert in Leipzig und Jena. Der andere verstand nur ganz wenig Deutsch. Er will nächstens nach Wien gehen, um dort seine Fertigkeit im Chordirigieren zu steigern. Man sieht, alles holt sich Lehre von uns und schöpft von unseren Brunnen. Mit dem Pädagogen habe ich mich sehr gut unterhalten bis hinein nach Sofia, über Politik, Kirche, und auch Fachfragen. Es war mir zuletzt ein bissel zu viel. Ich war doch ein wenig müde – und wollte doch Dein denken. Ich ja war froh, als ich in der Straßenbahn saß, die mich fast bis an unser Lager brachte. ½ 8 Uhr was ich zu Haus. Nun habe ich schon fein mich gewaschen, Abendbrot gehalten – und konnte nun endlich zu Dir kommen.
Der Bote ist anscheinend ausgeblieben heute, ich kann ihn nirgends entdecken. Was wirst Du heute angestellt haben, Herzelein? Ach Du! Hast Du wohl auch an unser Wiedersehen gedacht? Oh Geliebte!
Heute noch auf hohem Berge – und in 14 Tagen –
so habe ich doch immer gedacht. Wenn Du Dein Mannerli hättest finden wollen, hättest aber hochsteigen oder -gucken müssen. Aber das war nun auch der letzte Berg, der mich von [Dir] trennte – Du! Gott gebe es!
Ob Du denn wieder ganz gesund bist, Herzensschätzelein? Ach Du! Wie gerne tät ich ihm das Fellchen streicheln, es ganz lieb nun nehmen und an mein Herze drücken!
Ich hab Dich doch so lieb, sooo lieb!
Behüt Dich Gott! Er sei mit Dir auf auf allen Wegen!
Schätzelein! Du! Bald, bald ist der Tag da, Du! Du!!!
Sei froh und glücklich mit mir! Ich bin so glücklich mit Dir – und gehe so ganz in Deiner Liebe! Und trage Dich in meinem Herzen –
Herzenskönigin! Geliebte!
Ich küsse Dich vieltausendlieb! Ich bleibe ewig
Dein [Roland]
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Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946