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[OBF-420914-002-01]
Briefkorpus

OBERFROHNA i. SA., den

Montag, am 14. September 1942.

Herzallerliebster! Geliebtes, teures Herz! Mein [Roland]! Du!

Heute scheint doch wieder die liebe Sonne, viel heller als gestern! Und es wäre ein Prachtwetter gewesen für unsre Wäsche. Aber ich bin froh, daß sie trocken ist und das [sic] ich mich nicht noch länger damit herumplagen muß. Habe doch heute nachmittag fast 4 Stunden Wäsche gelegt! 

Nun ist es schon 6 Uhr durch, jetzt erst kann ich mich zu Dir setzen, mein Lieb. Die Mutsch ist doch vorhin zur Ärztin gegangen, sie will sich einmal krank schreiben lassen; denn für nichts und wieder nichts bekommt sie doch nicht frei! Daß die Ärztin sie krank schreibt, daran zweifle ich nicht, denn Mutsch sieht abgespannt genug aus. Ich bin nur neugierig, ob sie sich untersuchen lassen muß. Na, ich werde ja hören. Der Papa ist auch schon zuhaus vom Dienst, wir haben derweil miteinander einen Teller Grießsuppe gegessen; wollen mit dem offiziellen Abendbrot auf Mutsch warten. Nun ist Papa noch ein Ringel gegangen, er holt seine Mama ab! Du! Ich bin doch gleich so froh, daß ich alleine bin, kann ich Dir doch gleich ein ganz liebes, liebes Kussel geben, Du! Und werde garnicht gestört dabei! Ach Herzelein! Wie muß ich Dich liebhaben! Du! Ich habe doch heute wieder vergeblich auf den Postboten gewartet! Morgen wird sicher Dein lieber Brief wieder kommen. Ich erwarte ihn ja sooo sehnlich, Du!! Herzelein! Wie wird es sich nun entscheiden? Oh Du!!! Du! Ich habe doch heute nacht von Dir geträumt wieder. Es war ein sonderbarer Traum. Du warst ein Friseur und ich kam zu Dir, um mich friesieren zu lassen. Du tatest so, als kenntest Du mich nicht. Und ich war ganz betroffen, setzte mich in den Stuhl, dem Spiegel gegenüber und beobachtete Dein Tun. Du kämmtest mein Haar immer durch und sahst ganz gedankenverloren drein. Da senkte ich meinen Kopf auf die Brust und verharrte lange so. Und als ich das Geräusch einer Schere hörte, da sah ich rasch auf, erschreckt sah ich im Spiegel mich sitzen, Du hattest mir mein schönes Zöpfchen abgeschnitten und auch die vorderen Haare ganz k[ur]z verschnitten und auf mein entsetztes Fragen antwortetest Du, daß Du mir das Haar so schneiden müßtest, weil Du mich modern frisieren wollest. Ach Du! Ich war so empört und aufgeregt, daß ich aufwachte davon!

Es war Mitternacht vorbei. Du Liebster! Das wirst Du mir doch nimmermehr antun! Mein schönes Zöpfchen, das ich pflege und hüte wie meinen Augapfel, mir abzuschneiden!! Nein! Das tust Du mir nicht an! Ist ja mein ganzer Stolz!! Ach, Die wirst vielleicht lachen, aber es ist so. Ich freue mich über mein Zöpfchen, weil es endlich Fortschritte macht im Wachstum! Wirst schon sehen!! U[nd] ich beruhigte mich doch schnell über meinen Traum, weil ich weiß, wie Du Dich auch mit mir freust am Rattenschwänzchen! Du! So ein komischer Traum, gelt? Und dann träumte mir auch noch etwas Seltsames gegen Morgen. Ich hatte ein süßes, kleines Kindchen und es sah ebenso aus wie Pfarrers Kleinchen, die Jutta – übrigens ist das ein reizendes Kind, das ich sehr liebhabe, ich guck mirs immer mal an! – Na, kurzum: Ich fahre das Kind im Wagen und freue mich ,daß ich [e]s mein eigen nennen darf. Da trittst Du an den Wagen heran, in einer ganz neuen Uniform mit vielen Litzen und Abzeichen und einem Schleppsäbel; ganz scheu betrachtete ich Dich und ehe ich meinen Mund auftun kann, Dich zu fragen, bestürmst Du mich mit Vorwürfen und zornigen Fragen, wessen Kind das sei, es sei doch nicht Deines und es hätte ja überhaupt keine Ähnlichkeit mit Dir, wo ich es herhätte und so fort. Ach, Du warst so aufgebracht, wie ich Dich noch nie gesehen hab, Du! Und wie ich so fassungslos vor Dir stehe und schützend mich vor das Kind stelle, [d]a kommt unser Pfarrer und tritt zu mir und legt seinen Arm um mich und sagt zu Dir, ja es stimme, das sei sein Kind, aber auch das meine und Du solltest Dich nur beruhigen, er wolle die Vaterschaft anerkennen, ja er gedenke sogar, mich zu heiraten. Darüber war ich so wild, daß ich ihn abschüttelte und mich in Deine Arme flüchtete, ach – wie habe ich Angst ausgestanden! Herzelein, Du hast mich festgehalten und mir übers Gesicht gestreichelt und sagtest, es sei doch alles gut. Und Du wärest nur im Moment so ungehalten gewesen, weil das Kind nicht wie Du ausgeschaut hätte. Wir waren dann nur noch allein miteinander, das Kind war weg, der Pfarrer auch. Und ich hatte eine Unruhe in mir und habe Dich an der Hand genommen, das Kind zu suchen. Und darüber bin ich aufgewacht – es war um sieben [Uhr] und es läutete, Zeit zum Aufstehen! Ach Liebster! So komisch träumte ich aber lange nicht.

Es macht gewiß, weil ich zu lange geschrieben habe, meine Nerven waren etwas überreizt. Du! So etwas kann ja zwischen uns in Wirklichkeit garnicht vorkommen, Du! Wo alles so rein und klar zwischen uns ist! Und wenn ich schon ein Kindlein habe, dann ist’s ja nur Deines, Du!!!

Ach Herzelein! Träume sind Schäume. Du! Solch närrisches Zeug! –

Du! Am Morgen heute schrieb ich doch zuallererst der Mutter einen lieben Geburtstagsbrief, ganz schön lang war er: 3 Blätter voll. Und ich erzählte doch auch, daß Du, mein Schätzelein bald heimkommen willst! Wie wird sich die Mutter freuen, diese frohe Botschaft gerade zu ihrem Geburtstag zu erfahren! Und der Vater dazu! Aber so wie ich freut sich doch keiner! Es darf sich garniemand so freuen wie ich, weil Du mein bist! Und weil Du doch zuerst zu mir kommst und zuliebst auch, Du!!! !!! !!! !!!! Ach Du! Ganz allein ich nur will Dich soo sehr liebhaben, Herzelein!!! Du! Und Mutter Sch. schrieb ich auch paar Zeilen, daß sie der Mutter einen feinen Blumenstrauß besorge, weil ich doch noch nicht da bin morgen. Und dann habe ich erst mal die Zimmer aufgeräumt, Schuhe geputzt und Hausordnung gemacht, das Essen angesetzt; dann bin ich einholen gegangen. Strümpfe vom Repassieren geholt, mein Winterkleid aus der Reinigung, Zeichenpapier hab ich gefochten für Hellmuth! Bis jetzt 5 große Bogen. Bei T. bestellte ich paar Bücher für Weihnachten. Eines für meine Schararbeit, natürlich aus der Kasse! Beim Schuhmacher war ich auch. Und dann war es schon gleich 12 [Uhr] als ich heimkam.

Kartoffelmus, Rotkohl mit Bratentunke und einem Spiegelei gabs. Das bekannte Montagsessen Herzlieb! Bald wirst Du es wieder mitessen dürfen! Ach, ich habe richtig Angst, daß Dir's daheim nicht mehr schmeckt, da ist's nicht mehr so üppig und gut wie am [sic] letzten Urlaub, es wird von Jahr zu Jahr ein wenig schlechter, und Du bist das gute Essen gewöhnt. Ach Du bist nicht unbescheiden, Liebster! Und wir werden schon verkommen, gelt?

Nun will ich noch etwas zu Deinem lieben Sonntagboten sagen, Du!

– Eigentlich könnten nun die Eltern heimkommen, ich hab Hunger! Und ich will nicht allein anfangen. Ich hätte auch heute Abend Vortrag im Käufmännischen Verein, aber ich bleibe doch lieber bei Dir, Du! Es ist schon 8 Uhr. Ich hätte sowieso nicht viel Andacht, ich denke ja einzig und allein noch an Dich und unser Wiedersehen, Geliebter! Ach Geliebter mein!

Auch morgen habe ich Dienst im Roten Kreuz, Dr. H. spricht über das Operieren. Ich entschuldige mich. Ich habe keine Lust. Ich will viel lieber an den Vorbereitungen sein für unser Wiedersehen. Ach, ich brauche ja nichts, nichts in meiner großen Freude auf Dich, Du!! –

Es war also Sonntag und Ihr konntet den Ausflug nicht unternehmen, weil man Euch nichts zu essen mitgab. Und nun höre ich erfreut, daß Ihr doch einmal in der großen Kirche gewesen seid, einen Gottesdienst zu besuchen. Es ist interessant, was Du mir davon alles erzählst, Liebes. Und ich kann mich schon ein wenig hineindenken in alles, wenn ich auch nicht dabei war. Sonderbar ist, daß keine Orgel da ist. Und nicht einfach ist somit die Arbeit des Chorleiters! Das wäre mal was für die bequeme O.er Kantorei, die immer die Töne auf der Orgel angegeben haben will! Weil der Gottesdienst später begann, verloren die beiden andern die Lust, die ollen bequemen Großväter! Aber so ist der Kamerad H. ein wenig. Ich kann ihn mir nicht für eine Sache begeistert vorstellen, er ist nicht idealistisch, eher phlegmatisch, gelt? Und wenn einer gar keine Passion hat, gar so fade und interessenlos dahinlebt, das mag ich nicht leiden. Allzubequem [sic] sein ist gleichviel [sic] wie stursein [sic]. Na, manche können halt nicht aus ihrer Haut. –

Schade, daß Euer Dienst schon so bald begann und Ihr gehen mußtet. Für Hellmuth wäre es bestimmt auch schön, wenn er mal den Südosten kennenlernte! Es bieten sich gewiß für seine Kunst viele schöne Motive. Er malt jetzt in russischen Wäldern, der Arme. –

Und dann läßt mich so lieb auch teilhaben an Eurem schönen Ausflug. Ach Herzelein! Ich glaub Dir wohl, daß Du einige Male den Wunsch hattest, ganz allein zu gehen in Deinen Gedanken an mich. Du! Geliebter!

Ach, weil ich Dich nur ganz froh und glücklich machen kann mit meinen Boten.

Schön muß das Land sein, nach Deinen Beschreibungen, Du kannst Dich manchmal in die Heimat versetzt wähnen. Ach Du! Und Ihr habt dann im Geiste die Bahnlinie fortgesetzt nachhaus, die Ihr im Landschaftsbild feststellen konntet! Seid doch schon mitgefahren im Geiste – auf Urlaub!! Und bald, so Gott will, bist Du doch wirklich bei mir, mein geliebter [Roland]! Mein!!! Ein treffendes Beispiel nennst [Du] mir wieder über die leichte, allzuleichte [sic] Auffassung der Menschen gegenüber der Moral. Man hat Euch gefragt, warum Ihr so allein spazieren geht. – Ach Du! Solchen Fragern gegenüber wissen wir uns ja so genau zu verhalten. Und sie verursachen in uns nicht den geringsten Konflikt mit ihren schnoddrigen Redensarten. Himmelhoch stehen wir mit unsrer Liebe über jenen! Und fühlen uns garnicht einsam in unsrer Höhe, im Gegenteil! Ach, wir kennen einander! Und bauen auf unsre Liebe und Treue nicht vergeblich! Du bleibst mein und ich bleibe Dein! Mag kommen, was da wolle. Es ist doch bezeichnend: überall findest du diese seichte Allerweltsmeinung. Oh Geliebter! Wir suchten einander nicht, um Spaß zu machen! Du! Um einander zu lieben und zu leben!

Und wie der Thron in Deinem Herzen bereitet ist für Deine Herzenskönigin, für Dein geliebtes Weib, Herzelein! So ist doch der Platz in meinem Herzen nur allein für meinen Geliebten bestimmt, für meinen Auserwählten. Und er wohnt darinnen immer, ist mir gegenwärtig immer! Dieser Platz gehört ihm allein.

Und – Geliebter! Das ist doch nicht etwa schwer, das ist doch nicht etwa Pflicht! Ich könnte ja garnicht anders! Weil ich Dich liebe! Weil ich Dich unendlich liebe! Du!!! Und alles ist in mir gute Liebe! Ist unbedingter Glauben an gute Liebe! Ich mag keine Halbheiten, ich verachte sie. Und nirgends ist Stückwerk verachtenswerter als in der Liebe! Wer nicht so völlig ausgefüllt ist vom geliebten Menschen, wie Du und ich, der lernte nie die gute Liebe kennen, der hat sein Wesen verseucht mit seichtem Allerweltsgefühl. Und derjenige ist so arm, ist so bejammernswert; denn er hat sich um das Beste gebracht in dieser Welt. Ach Du! Wir sind so sehr glücklich zusammen! Und auf uns hat kein Mensch Einfluß mit bösen Einflüsterungen. Ach Du! Ich glaube an Deine Liebe! Ich halte Dich sooooo fest!!! Ich glaube mit Dir an das Gute! Und niemand kann mir diesen Glauben zerstören! Niemand! Mein [Roland]!!! Du! Nun laß mich heute schließen. Ich denke voll inniger Liebe und Zärtlichkeit an Dich. Voll heißer, drängender Sehnsucht auch, oh Du mein geliebtes, teures Herz! Komme bald zu mir! Wie ich mich sehne! Wie ich mich freue! Wie ich Dich liebe! Oh Herrgott im Himmel, sei uns gnädig, behüte meinen [Roland], laß ihn mir heimkehren! Amen.

Du! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich! Ewig Deine glückliche [Hilde].

Dein treues Weib – Geliebter!

 

 

[*am oberen rechten Seitenrand in Druckschrift vorgedruckt auf jedem Bogen vom Briefpapier]

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946