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[OBF-421020-001-02]
Briefkorpus

Dienstag, den 20. Oktober 1942.

Herzallerliebste! Meine liebe, liebste [Hilde]!

Feierabend ist. Stille in der Stube. Stille auch nebenan. So still, daß man das Summen der Straßenbahn hören kann. Ach Du! Fast wagte ich doch nicht, Dir die neuen Örtlichkeiten zu schildern – als ob sie entschwinden könnten und verloren gehen, wenn ich nur darüber schriebe. Es ist auch weiter noch nichts entschieden – aber ich hoffe und glaube, daß ich hierbleiben kann.

Ach Herzelein! Wenn Du mich sähest, Du kenntest mich gar nicht wieder. Noch kein Ort, an den ich versetzt wurde, wo ich nicht sogleich die Himmelsrichtungen ausmachte und mir einen Überblick verschaffte. Ganz scheu und behutsam schau ich alles an, den Park, durch den ich morgens gehen muß – ich kann mich noch nicht recht freuen an ihm – wiewohl ich es möchte. Das Stadtgetriebe, die Auslagen der Geschäfte, die Möglichkeiten des Hierbleibens – ich kann sie noch gar nicht ins Auge fassen. Wie ein verscheuchtes Schnecklein kriech ich umher. Die drohende Ferne hat es verscheucht.

Aber die nächsten Tage müssen nun Klarheit bringen.

Ach Herzelein! Und nicht einmal nach Hause wollen die Gedanken recht froh gehen, wiewohl sie es möchten, froh und dankbar nach diesen Tagen unsres Wiedersehens! Oh gebe Gott, daß ich Dich nicht enttäuschen muß! Oh Geliebte! So froh, sooo froh im Innern bin ich doch geschieden – so ganz erfüllt und gehalten von Deiner Liebe. Und diese Freude möchte ich Dir doch widerstrahlen, diese Liebe doch auch Dir bringen.

Ach Herzelein! Da liegen nun die Fotos auf dem Tisch – keines zeigt mir, wie Du nun bist – wie Du immer mehr mein liebes Weib geworden bist, wie ich Dich schaute in den glücklichsten Tagen. Ach Geliebte! Möchtest Du gefühlt haben, wie ich mich zu Dir drängte, wie ich mit Dir gehen, wie ich ganz Dich an mich fesseln will. Und die liebste Erinnerung sind mir doch wieder die Stunden, da wir Seit an Seite wandelten. Ach, ich wollte doch jeden Tag so ein Stück mit Dir gehen – mit Dir heimkehren dann. –

Ach Herzelein! So hat der Gedanke an den Abschied, die Wehmut solchen Abschiedes noch keinmal ^mich bedrängt. Einmal ist es die Gewißheit, daß dieser Krieg noch dauert, die uns dieses Jahr gebracht hat, zum anderen die Ungewißheit des künftigen Aufenthaltes. Ach Du! Herzelein! Solche Gemütsbewegungen legen sich mir auf die Sprache, auf die Mitteilsamkeit – Du weißt, ich war deshalb nicht weniger zu Hause mit allen Sinnen – oh, ich war es ganz, war ganz zu Hause - war ganz zu Hause auch bei Dir – habe alles vergessen, habe nur Dich gedacht und geschaut und gehalten – oh Geliebte! Geliebte!!! mit allen Sinnen – mit allen Herzfasern! und habe gefühlt und war dessen ganz bewußt, daß ich nur Dich habe, daß Du mein Alles bist!

Ach Geliebte! Mit Dir will ich doch gehen, Dir will ich doch leben! Und daß ich es noch immer nicht kann, will mich doch manchmal recht traurig stimmen. Ach, bald werden wir einander in unseren Boten die Hände wieder reichen können.

Schätzelein! Nun sind die Kameraden wiedergekommen. Sie haben keinen Platz bekommen im Kino. Nun sind wir zu dritt im Stübchen. Es ist ein richtes [sic] Stübchen – viermal fünf Meter – wir beide hätten gut Platz drin. Parkettfußboden. Du trittst ein – dann steht zur linken ein Spind, an der Längswand dann mein Bettlein (Kopf nach Norden, behält das Mannerli einen kühlen Kopf!), ein großer Kachelofen außer Betrieb, denn wir haben Zentralheizung. An der Querwand dann zwei Bettlein, zur rechten ein Spind, das eine Fenster, es geht nach Westen. Unter dem Fenster eine große Kiste, darauf der Radioapparat. In der Mitte, unter einer großen Kugellampe der Tisch. Und darauf jetzt noch eine Tischlampe. Man kann ganz vergessen, daß man bei den Soldaten ist. Wir bewohnen hier ein größeres Haus, ist wohl ein Hotel gewesen. Kannst Dir gleich die Helenenstraße in Limbach denken, na ungefähr so, und da so das Hotel Deutsches Haus (so heißt es wohl), mit einer Toreinfahrt, das ganze Haus etwas verwinkelt mit 3 Aufgängen gebaut. Nach der Straße schöne große Zimmer, eines davon unser Speiseraum. Im Hinterhaus die Wohnungen, die unsere im zweiten Stock. Nicht weit vom Nordbahnhof liegt unser Haus, und des nachts bei offenem Fenster hört man den vertrauten Lärm. Der eine Kamerad muß noch in dieser Woche nach Varna abreisen zum Lehrgang. Dann sind wir nur noch zu zweien und werden wahrscheinlich umziehen, ein Stockwerk tiefer, näher an den Waschraum der im Erdgeschoß liegt. Ach Herzelein, wenn es so bleibt, dann werde ich recht rasch heimisch werden und Du kannst mich in einer menschlichen Bleibe wissen. Dann wird Dein Mannerli das Kasernenleben bald vergessen – ob auch mein Schätzelein dazu? Oh Du! Du!!! Nie und nimmer nie! Wenn ich mir ein ganz schönes, liebes Heim ausdenke – dann fehlte doch noch alles, die Seele, wenn Du, Herzlieb darin fehltest.

Wenn ich hier bleiben darf, dann gehöre ich zu einem kleinen Kommando, wie ich es mir schon manchmal gewünscht habe.

Herzelein! Wo wirst Du heute abend denn weilen? Vielleicht im Rotkreuzkursus? Ach, wenn ich Dich doch überallhin begleiten, Dich überall auch mit mir nehmen könnte!

Du! Hier muß man auf den Straßen mächtig aufpassen – soviel Autos fahren hier noch, ungewohnt viel, natürlich im Lande des Erdöls. Im übrigen habe ich von der Stadt noch nichts weiter gesehen als meinen Weg zur Dienststelle. Ich werde schon noch davon erzählen.

Herzensschätzelein! Nun will ich mich niederlegen. Das Mannerli hatte ja noch immer nicht rechte Gelegenheit, den versäumten Schlaf nachzuholen. Du! Wer ist denn der Dieb, der dem Mannerli die Leibesruhe, vielmehr aber noch die Herzensruhe stahl? – Kennst Du ihn? Ich halte ihn fest – ich halte ihn gefangen lebenslänglich! Behüt Dich Gott, mein liebes Weib! Er segne unseren Bund!

Herzensschätzelein! Ich hab Dich über alle Maßen lieb! Ich küsse Dich ganz lieb!

Ewig Dein [Roland]. Dein Herzensmannerli.

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Kommentare

- in Bukarest
- Roland ist in Bukarest angekommen und muss sich erst zurecht finden
- Wie schwer ihm der Abschied gefallen ist nach dem Urlaub
- Roland beschreibt , dass er in einem alten Hotel wohnt mit den Kameraden
- wohnt jetzt in einer menschlichen Unterkunft. In Bukarest gibt es viele Autos, im Land des Öles

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946