15.)
Sonntagabend, am 1. November 1942.
Geliebtes, teures Herz! Mein allerliebster [Roland] Du! Herzelein!
Das Beste kommt zuletzt! Ja Du, das ist nicht nur eine leere Redensart, Du bist mir wirklich das Beste, und zu Dir komme ich am liebsten, wenn garnichts mehr vorliegt, wenn nichts mich drängt, damit ich ganz ungestört bei Dir sitzen kann.
Mein Schätzelein! Sonntag heute. Ein ganz grauer, verregneter dazu. Man kann garnicht hinaus an die Luft heute. Wir sind ja heilfroh, daß unsre Wäsche nun fertig ist! Denke nur, heute früh habe ich es doch verschlafen! Bin erst 3/4 9 aufgewacht! Und die Eltern auch. Das kam daher, weil es heute früh noch so sehr dunkel war. Und weil wir spät ins Bett sind durch den Besuch, wo uns der Schlaf so nötig war, hatten es ja alle so zur Genüge satt. Na, am Sonntag kann man's mal verschlafen. Aber ich habe deshalb meinen Dienst in der Kirche verbummelt. Ich habs [sic] können nicht schaffen in so kurzer Zeit. Und dann lag wieder allerlei Arbeit vor, die Mutsch kann heute vor Schnupfen kaum aus den Augen gucken, da hab ich ihr tüchtig mitgeholfen, obwohl ich auch schon mein eignes Sonntagsprogramm hatte. Die Äpfel fangen an zu faulen, wir müssen sie abtrocknen, weil es an Gläsern fehlt. Die Birnen, bei denen es auch höchste Zeit war, haben wir heute in die leeren Gläser eingekocht, die kann man ja nicht trocknen. Mutsch hat immer noch mit Äpfeln zu tun jetzt, sie wollte Dir heute auch gern schreiben, es wird aber nichts, ich soll dich einstweilen herzlichst grüßen. Gurken haben wir umgesalzt, die wollten sich in der Essiglauge nimmer halten, weil es künstlicher Essig ist, sonst kommen solche Dinge nicht vor [*]. Ich habe am Morgen gleich Kartoffeln gekocht, wollte grüne Klöße kochen zu unserm Hammelbraten und Rotkraut mit Birnenkompott. Auch buk ich für den Nachmittagskaffee Kartoffelhörnchen mit Marmelade gefüllt. Die Marmelade mußte ich auch erst kochen, die alte war alle. Na und ehe ich mich versah wars [sic] ½ 1 Uhr, dann war erst mal Mittagpause [sic]. Der Papa war am Vormittag im Keller Briketts aufsetzen, Kartoffeln auslegsen, Holz hacken. Dann schlief er bis zur Kaffeestunde, weil er heute wieder Nachtdienst hat. Nach dem Essen aufwaschen, und aufräumen, zwischendrin habe ich noch einen Rührkuchen für mein Schätzeli gebacken; denn der Pullover fürchtet sich doch so allein auf seiner langen Reise! Da änderte ich heute erst mal den Halsaussch[ni]tt ab, damit Dir nichts rausguckt wenn Du ihn unterziehst. Wie er erst war, ging der Halsausschnitt viel zu weit an den Hals heran, hättest Du doch dauernd Ärger gehabt. Na, hoffentlich passt er nun. Das Päckel geht morgen früh weg, es wiegt 2 ℔ 100 g ohne Verpackung! Man wird es schon annehmen. Und dann habe ich erst einmal meine brennendsten Schreibschulden getilgt: Hellmuth ein Geburtstagsbrief und seine Elfriede, ich hatte mich noch nicht auf den Brief geauckt [sic], wo sie uns die Patenschaft für ihr Kindlein anträgt. Also Herzlieb, bleibt e[s] nun dabei, wie Du es wünschst,: daß ich die Patenschaft übernehme. Ach, im Grunde ist ja alles Dein und mein, alles eins! Ich habe es Elfriede auch im Briefe ganz lieb erklärt, warum wir so wollen. Und als Geschenk bleibt das Sparkassenbuch, sollte sich nicht noch etwas schöneres, sinnigeres finden. Aber ich hab keine Hoffnung. Ich hab mich wieder umgetan nach Geschenken für Weihnachten: überall gleich Null! Rein nichts! Na, ich weiß nicht, was da werden soll. Aber Weihnachten wird trotzdem! Du! Ach Du!! Ja, es war doch schon 5 Uhr, als ich die zwei Briefe fertig hatte. Und richtig! Was ich Mutsch gleich beim Aufstehen heute früh prophezeite Ilse S. kam kurz nach 500, nachsehen, was mit mir sei, weil ich nicht in der Kirche war! Sie hatte ihre Post, wollte zum Postamt und fragen, ob ich was mitzunehmen hätte. Aber sie saß trotzdem über 1 ½ Stunden da, na – als die Abendbrotzeit ihrer Herrschaft herankam, brach sie aber dann eilends auf. Ich soll Dich herzlich grüßen! Sie ist momentan so glücklich, sie vertraute mir an vor kurzem, daß der Damenschneider, der in Rußland jetzt ist, ihr Freund, daß er so an ihr hinge und sie glaubt, daß sie einander heiraten, wenn er wiederkommt. Erst durch die Trennung hätten sie gemerkt, was sie einander bedeuten, obwohl sie sich schon so lange kennen. Ach, ich gönnte es ihr, wenn sie auch im Leben noch einen eignen Hausstand gründen könnte. Wenn G.s mal tot sind, steht sie ja auch allein, denn mit der Stiefmutter mag sie nicht zusammenleben. -
Und nun ist Abend. Wohltuende Stille. Nur das schürfende Geräusch des Apfelschälens ist zu hören, was Mutters geschäftige Hände verursachen. Aller Drasch des Tages ist verflogen wie ein Traum. Ich sitze nun bei Dir, ganz selbstvergessen. Oh Du! Wenn ich doch gleich einmal ganz lieb und leis [sic] über Dein Köpfchen streicheln könnte! Über Dein liebes Gesicht, Deine lieben, guten Hände. Oh Geliebter! Du meine Sehnsucht! Mein inniges Verlangen! Mein!!!!! Du bist heute wieder so lieb, so lieb zu mir gekommen in Deinem lieben Dienstagbrief. Ich muß Dir von ganzem Herzen danken, Du! Ach, der ganze große Reichtum Deiner köstlichen Liebe leuchtet mir entgegen, Geliebter! Du liebst mich unendlich! Ach Du! Wie ich Dir danke! Mit all meiner Liebe! Und so ganz kannst Du mir vertrauen, Dich mir auch anvertrauen in allen Dingen, wie mich das tief beglückt, Du! Hast mir Deine Unruhe nicht verschwiegen, die in Dir war, ehe nicht völlige Klarheit über Deine Weiterverwendung herrschte. Ach Du! Daß ich das Menschenkind bin, zu dem Du Dich flüchten kannst immer. Dem Du Dich anvertrauen kannst so ganz in allen Dingen, auch in schwersten Stunden. Ach Du! Du! Wenn Gott mir doch die Kraft schenkte, Dir meines Herzens Geborgenheit für alle Lebenszeit ganz weit offenzuhalten! Du! Sollst ja immer, immer so ganz zu mir finden! Geliebter! Ich will Dir Heimat sein, tiefste, letzte Geborgenheit! An meinem Herzen sollst Du ausruhen von des Lebens Unrast einst! Sollst Dich so ganz glücklich bergen! Geliebtes Herz! Ich will Dein liebster, bester, verstehendster Kamerad sein. Ach Du! Ich weiß es ja auch, erlebe es ja umgekehrt an mir, daß dann erst Alleinsein und Fremde ist, wenn wir denken müßen, daß wir nicht mehr miteinander gingen, daß wir nicht voneinander wüßten, und das wird nimmermehr sein, auch wenn unsre Boten einmal nicht so schnell folgen können, das wird nimmermehr sein, weil wir einander so in Liebe festhalten. Du! Immer sind wir einander nahe, wir spüren es so gewiß. Ach Du! Und Du sagst es mir heute, worum ich doch bangte, meiner eignen Sorge und Unruhe verfallen – "ich war nicht allein in den Stunden des Bangens und Zweifelns." Herzelein! Ach, Du zweifelst nie an meiner Liebe, ich weiß es. Das kann nicht sein, Zweifel zwischen uns! Es war ein Ringen mit dem Geschick. Ach, das packt uns alles doch erst so, seit wir miteinander gehen. Wir sind so gnädig bedacht worden bisher. Ach so ein gütiges Geschick ward uns, wir sind geradezu verwöhnt worden – und nun drängt es doch in uns aus heißer Liebe zueinander, so ungestüm und ungeduldig. Nun möchten wir unser Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten, möchten umeinander sein, möchten einander leben. Und nun schauen wir schon so lang aus nach einem Lichtschein in dieser Zeit, hoffen, daß wir ihm täglich näher kommen – und immer größere Ferne sollte sich zwischen uns schieben?
Oh ich weiß, Dich haben Fremde und Einsamkeit schon hart gemacht, aber nun, da Du mit mir lebst, in mir lebst, Geliebter! Nun ist es doch alles anders. Doppelt wiegt nun auch alle Enttäuschung aller Schmerz, doppelt alle Freude. Und das ist doch unser Kummer, und unsre große Ungeduld, daß wir einander noch nicht können alle Liebe erzeigen. Daß ich Dich immer wieder ziehen lassen muß, und Du mich allein lassen, warten lassen mußt.
Ach Geliebter! Alles ist uns doch bekannt und unabänderliches Geschick. Und ich sehe doch in allem, da Du Dich zu mir flüchtetest in Deinem Kampf, Deiner Ratlosigkeit um die Zukunft, sehe doch nichts andres als Deine große Liebe, Deine große Liebe! Ach – ich weiß es, mein Geliebter Du! Sie ist ohne Ende.
Wie die meine zu Dir, ohne Ende.
Du! Du hast recht, in solchem Kampf, solcher Ratlosigkeit liegt eine Schwäche; Schwäche des Glaubens, Ungeduld vor Gottes Willen.
Ach, wen wandelte nicht einmal eine Schwäche an, angesichts der Not ringsumher, des namenlosen Herzeleides, der Gewalt dieses Kriegsungewitters? Wer würde nicht unruhig in Stunden solcher Entscheidungen? Wer wäre nicht einmal müde des Hoffens und des Duldens? Ach Geliebter! So unbarmherzig wardst Du erst entführt vom Liebsten was Du hast, aus dem heimatlichen Land voller Liebe und Geborgenheit, und nun nochmal 8 Tage Bahnfahrt, ach Du! Du! Wieviel Abertausende, die das Schicksal garnicht erst darnach fragt!
Ach mein [Roland]! Und nun ist es uns doch vorerst erspart geblieben; ich will mit Dir darüber ganz still und dankbar sein! Ganz still und so dankbar! Und wenn es uns anders beschieden war. Ach Du! Wir hätten es ertragen – ich weiß es ganz gewiß – um unsrer Liebe willen, um unsrer großen Liebe willen! Gott schenkt uns soviel Kraft zum getreuen Durchhalten! Oh, Dank sei ihm, Dank! Möge er uns unsere Ungeduld und unser Zweifeln vergeben! Geliebter! Ich will mit Dir gehen, wohin Du auch Dich wendest, Geliebter! Und harre Dein, so getreulich, bis Du mir wirst heimkehren! Ach Du! Sei froh darum! Sei zuversichtlich! Sei stark! Ich bin Dein! Geliebter! Mein Einziggeliebter! Wie liebe ich Dich! Oh Du!!!
Du! Es freut mich doch so ungemein, das wir den Rembrandtfilm sahen, wie auf Verabredung. Auch Dich hat es so erschüttert.
Geliebter, auch Du hast Dich so sehnen müssen nach mir. Welch ein Schicksal! Ach Herzelein! Gott behüte Dich mir, mein Leben! Ach, wann wird für uns der Tag des gemeinsamen Lebens anbrechen? Ich freue mich doch so unsagbar darauf, mein [Roland]! Du!
Oh schenke uns Gott in Gnaden recht bald solches Glück! Was magst Du um diese Stunde treiben? Bist zuhaus, oder mal ausgegangen? Hörst Du Musik? Vorhin hörte ich Bruckners 5. Sinfonie. Und nachher will ich nochmal sehen, was ich bekomme. Den Deutschlandsender krieg ich abends am besten. Beim schreiben aber darf mich nichts stören! Du! Heute nacht dürfen wir doch auch eine Stunde länger schlafen – Papa muß 13 Stunden wachen, der Arme! – weil die Sommerzeit aufgehoben wird. Denkst daran? Nun haben wir wieder normale Zeit. Ach, wenn sie nur erst in anderem Sinne normal wäre, ja? Ich will nur Mutsch noch bissel auffädeln helfen, sie schafft es nicht allein. Dann wollen wir Abendbrot halten. Ach, wenn Du schnell mal einen Blick her zu uns werfen könntest! Ich wollte Dich gleich ganz festhalten!! So ganz fest! Herzensmannerli mein! Du! Ich küsse Dich!
Ich liebe, liebe Dich!
Deine glückliche [Hilde].
[*3 Kreuze am linken Rand gezeichnet, wahrscheinlich hinterher]
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Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946