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[OBF-421108-001-02]
Briefkorpus

 Sonntag, den 8. Nov. 1942

Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde]!

So – jetzt sind wir allein – Du, so wie früher manchmal zum Dämmerstündchen, wenn die Eltern in liebem, feinem Verständnis uns allein ließen – ach, meist es war es die Abschiedsstunde auch! Ach Du! Wie werden wir dankbar aufatmen, wenn wir nicht mehr an den Abschied denken müssen. Aber ich komm doch ganz froh zu Dir. Es regnet noch immer. Das Wetter hat uns zu haus gehalten. Es ist rauh zu der Nässe. Im Stübchen sitzen wir warm, bei hellem Lampenschein. Von nebenan kommt vertrautes Geräusch: Der Benzinkocher macht ein mächtiges Fauchen, man brät Kartoffeln. Das Mannerli hat seine auch schon bereitstehen, wird ein feines Abendbrot.

Aber ich hab Dir doch so viel anderes noch zu erzählen. Ja, wenn es brutzelt, dann wird das Mannerli aufmerksam, auch wenn es sonst vertieft ist – und ich glaub, mit einem feinen Duft aus der Küche meines lieben Frauchens läßt sich das Mannerli sogar mal vom Klavier weglocken – wenn das Stück gerade zu Ende ist. Na, und im übrigen weißt Du ja, daß der Satz "die Liebe geht durch den Magen“ nicht von Deinem Mannerli geprägt wurde – weil er sich mit männlicher Konsequenz und Wertsetzung nicht verträgt. Aber Deine These aus dem heutigen Boten "wir brauchen ja gar nicht viel zu essen, wenn wir einander haben" kannst Du mit den Erfahrungen der vergangenen Urlaubstage nicht stützen, Du! Fein, feiner als sonst habt Ihr Kost geschafft – soviel bedarf es tatsächlich nicht. Ist doch vorhin Dein lieber Bote gekommen, wie erwartet, Schätzelein – ach, wie glücklich sind wir daran noch – und wie so lieb bist Du wieder zu mir gekommen! Sonnenschein! Goldherzelein! Am Stempel sehe ich doch, daß Du ihn in Chemnitz eingeworfen hast – beim Weihnachtsmann! Herzliebes!

Elfriede – die Arme! Ach, helfe Gott, daß alles gut geht. Ach Herzelein! Wenn ich wüßte, daß Du irgendeine Anfälligkeit hättest, die mit einem Kindlein erst recht zum Ausbruch käme, ich könnte Dir kein Kindlein schenken in meinem Willen, solange ich Dir ferne sein müßte. Und Du müßtest das ganz lieb verstehen. Welche Sorgen tuen sich auf, jetzt, wo jeder Mensch mit sich beschäftigt ist, wo es an allem fehlt, dessen der Mensch bedarf zur Genesung, innerlich und äußerlich, wo es sogar an der ärztlichen Hilfe und den Arzneimitteln fehlt. Elfriede, die ärmste, hat nun keine Mutter mehr, die Schwestern sind alle mit sich beschäftigt – und der ihr am nächsten steht, Hellmuth, muß ferne sein. Ach, schenke Gott ihr Kraft und Geduld, alles recht zu ertragen. Die Venenentzündung ist wohl weniger schmerzhaft als heimtückisch und gefährlich.

Nun ist unsre liebe Mutter wieder zur Stelle – sie ist auch ein rechter Nothelfer – und vergißt über ihrem Helfen ganz ihr eigenes Kreuz. Gott erhalte sie uns noch recht lange. Es wird ihr auch manchmal schwer fallen, jetzt, in dieser Jahreszeit. Man denkt doch, daß die Löbauer Schwester nun auch so in die Bresche springen wird, wie Elfriede es selber getan hat. Sie hat den einen Jungen und es muß ihr doch ein Leichtes sein, ihrer Schwester diesen Liebesdienst zu erweisen. Elfriede habe ich schon mit einem Briefe bedacht, wie alle meine Schreibkundschaft.

Die liebe Tante K. hat auch rechte Sorge mit ihren Kindern. Ach, wie glücklich kann der Mensch sich preisen, der ohne eine bestimmte Anfälligkeit seine volle Gesundheit hat. Und trotzdem – wie schnell ist auch dem gesündesten etwas geschehen – unser Leben ist so schwach und hinfällig wie ein Gras – und das einzig Gewisse bleibt Gottes Gnade und Güte – unsere einzige Zuflucht das Gebet zu ihm.

Herzensschätzelein! Geliebtes Weib! Hast so lieb mich verstanden in meinen Wünschen, meinem Wollen. Die Stunde der Unzufriedenheit, die sie gebar, ist vorüber. Es ist auch die Stunde der Unzufriedenheit oft eine Stunde des Lichtes und der Hilfe. Ach Geliebte! Du hast auch verstanden, daß die Leere, die Lücke, die ich da entdeckt habe, nicht Dein Versäumnis oder gar Verschulden ist – und Du erzählst mir, daß ein ähnlicher Wunsch auch Dich beseelt manchmal. Ach Du! Wenn wir beieinander wären, würden diese Fragen doch gar nicht kommen. Unsre Herzen stimmten ganz zusammen – wir fänden in unserer Liebe zur rechten Zeit das rechte Wort – und wenn wir es einmal nicht fänden, dann wissen wir einen Weg! dann stellen wir uns miteinander unter Gottes Wort. Und so deute ich mir doch auch Dein Verlangen nicht so, daß ich Dich nicht recht erfüllen könnte. Ach Du! Du! Du!!!!! Oh Geliebte! Trag auch Du all Deine Anliegen immer zu mir – nimm keine besondere Rücksicht – ich kann, ich will mit Dir tragen! Ich habe doch hier nichts zu ertragen sonst – Dein Nahesein füllt mich doch erst ganz aus – und mit ihm ist doch mein Tag am besten ausgefüllt – ach Du! Du!!! Ich wollte meinen ganzen Tag nur Dir schenken, meine ganze Kraft. Und ich werde für Dich immer einen Rat, ein Wort finden – weil ich Dich liebe, so sehr liebe!!!!! !!!!! !!! Ach Herzlieb! Wenn ich nun wirklich dazu komme, daß ich mich mit meinen Dingen beschäftige, dann muß ich Dich doch daran teilnehmen lassen, hier auch aus der Ferne.

Ach Geliebte! Geliebte!!! Ich lasse nicht nach, mich an Dein Herz zu drängen - ich weiche keinen Fußbreit von Deiner Seite – ich lasse nicht ein Herzfäserchen – aber immer lieber will ich Dich gewinnen, immer fester Dich halten – ach Du! Halt will ich Dir sein in dieser Zeit, Dein Beschützer! Du! Der Wille dazu lebt in mir unbändig, solange ich lebe – und was ihm Kraft leiht, unerschöpfliche Kraft, das ist die Liebe zu Dir – sie ist ohne Ende! Du! Mein geliebtes Weib! Oh, ergib Dich immer in diese Liebe – geliebtes Herz – meine [Hilde]! – oh Du, welch köstliche, süße Last! – so wie ich mich in Deine Liebe ergeben muß – Du! Du!!! Mein Alles! Meine Geborgenheit! Meine Heimat! Meines Herzens Zuflucht! Meiner Seele Hafen! Du! Du!!! Meine [Hilde]! Ich halte Dich so fest! Ich habe Dich so sooooooooooooo lieb! Ich halte Deine lieben Hände sooo fest! Ich halt mich an Dich in allen Dingen! Du bist mir von allen Menschenkindern doch das allerallernächste! Du Schätzlein! Wirst denn daheim dann auch noch ein Bibelbuch haben?

Ach Herzlieb! Sei ganz unbesorgt. Dein Mannerli wird deshalb kein wunderlicher Mensch, kein Spinner und Sinnierer – ach Du, liebes Weib, hieltest mich doch mit allem auf dieser Erde, bei diesem Leben, wenn wirklich eine solche Neigung in mir wäre. Du! Ich bleibe bei Dir, ganz ganz nahe, wie es näher gar nimmer geht – ich lasse Dich nie, nimmermehr allein! Ich entferne mich von Dir nicht im geringsten! Du! Ich liebe doch dieses Leben sooo sehr, seit ich Dich habe!!! Ach Du! Ich bin doch mit der ganzen Freude und Lust dieses Lebens um Dich! Geliebtes Herz!

Ob ich auch fleißig ans Wiedersehen denke, Herzelein? Ach Du! Du!!! Immer, immer. Bald wird der Urlaub bei unsrer Dienstselle, die ja neu eingerichtet ist, anrollen. Und dann rollt das Mannerli mit – und läßt sich nicht aus der Reihe drängen – ach Herzelein! Du! Du!!!

Trotzdem es nun doch bald Winter werden will, gehen die Kämpfe weiter. Eine neue Kampfphase scheint sich abzuzeichnen: Die verstärkte Tätigkeit in Nordafrika. Heute kommt dazu die Meldung, daß Amerikaner in Westafrika gelandet, daß ein Landeversuch auch bei Algier abgeschlagen wurde, also auf französischem Gebiet, im Rücken der Front in Nordafrika. Was ich schon ahnte, als der Amerikaner sich in Liberia festsetzte, bestätigt sich: Man versucht uns in Nordafrika in die Zange zu nehmen. Das wäre nicht ungefährlich. Man darf auf die Haltung und den Widerstandswillen der Franzosen gespannt sein. Bei ihnen steht so mancherlei. Sie besitzen noch eine ziemlich starke Flotte. Es werden in vielen Franzosen auch die Möglichkeiten, sich auf die Feindseite zu schlagen, aufschießen, und man wird versuchen, diese Elemente von außen zu stärken. Trotz der vielen Versenkungen ist es den Feinden gelungen, eine so große Angriffsarmee bereitzustellen.

Einen Ausschnitt aus unsrer Tageszeitung lege ich Dir bei. Er ist mehr als interessant. Es ist längst erkannt, der Antichrist. Und es wird ihm nicht gelingen, jemals wieder in einen Schafpelz sich zu hüllen. Jedermann wird die Erklärungen mit Mißtrauen aufnehmen, der nur ein wenig erfahren hat, wie diese unbedingte Duldsamkeit in der Praxis aussieht. Daß diese Erklärungen abgegeben wurden nicht aus irgendeinem Herzensbedürfnis, ist mehr als klar – und sie ist sind auch so gehalten, daß niemand daraus ein sicheres Versprechen leiten kann. „Unter der Voraussetzung, daß deren Wirken sich nicht gegen das germanische Sittlichkeitsgefühl oder gegen den Bestand des Deutschen Reiches richte." Was darunter zu verstehen ist, wird man zu gegebener Zeit auslegen, wie man es braucht. Ja – mehr als Mißtrauen ist hier am Platze — und wenn es wirklich eine Kursänderung sein sollte, wir wollen es nur dankbar begrüßen. Vielleicht wird dieser Krieg noch manches ins rechte Licht rücken. Herzelein! Las ich doch in einer Tageszeitung ein Gedicht von Kolbenheyer auf Wilhelm Stapel, Du weißt, das ist der Herausgeber meiner braunen Hefte, und ich bin nicht klug geworden daraus, ob das ein Nachruf ist auf seinen Tod, oder eine Widmung zu einem Jubiläumsgeburtstag. Vielleicht kannst Du mir darin Sicherheit geben. In diesem Zusammenhang möchte ich Dich bitten, beim Buchhändler nachzufragen, was seit 1940 von ihm erschienen ist. Ich möchte mir es zulegen. Denn was dieser Mann sagt, ist wichtig.

Herzelein! Nun ist dieser Sonntag bald wieder herum. Die neue Woche? Ich habe keine besonderen Pläne. Es gibt Geld diese Woche und damit die Mühe, es an den Mann zu bringen – wenn möglich auch an den Weihnachtsmann. Weißt – ohne Geld ist man glücklicher.

Ach Du! Ich möcht auch weiter nichts, als Dich beschenken, auch Du, recht lieb zu beschenken, Dir all meine Liebe und Verehrung zu zeigen!

Herzensschätzelein! Bleib Du froh und gesund. Ich denk ganz glücklich daran, daß ich Dein bin, daß ich Dich liebe, daß mein Herz nach Dir verlangt, daß Du mir bleiben mußt. Geliebte! Ich mag nur Dir noch leben, Dir will ich mein Leben erhalten! Dich will ich führen durch dieses Leben! Ach Schätzelein! Komm immer zu mir! Ich will mit Dir tragen! Behüt Dich Gott! Er segne unser Wollen, unsre Liebe! Wohin ich auch gehe, wo ich auch weilen muß – immer ist mDeine Liebe mir gegenwärtig als das Köstlichste, das Schönste, das Liebste auf Erden – nach dem ich mich sehnen muß – bis ich bei Dir bin! Ich küsse Dich vieltausendlieb! Ich liebe Dich!

Ewig Dein [Roland].

Die Blätter sind aus dem Park. Blätter einer besonderen Art Baumgehölz.[*]

 

[* seitlich am Rand der letzten Seite des Briefs von oben nach unten]

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Kommentare

Der Brief kann wie folgt zusammengefasst werden: Roland berichtet vom Kriegsgeschehen in Nordafrika. Roland schreibt, dass er Hilde einen Abschnitt aus der Tageszeitung über den Krieg beigefügt hat.

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946