Dienstag, den 10.11.42
Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Weib!
Na hör, mein Kalender soll nicht stimmen? Wo ich doch erst kürzlich mir selber einen gebaut habe. Wo ich ihn doch jetzt täglich öfter als sonst geschäftlich mit mir herumtrage? Das will mir gar nicht in den Sinn.
Wär es denn aber ein Wunder, daß man ganz durcheinander kommt? Es sind zu viel Kalender, die da sich überschneiden – wann fuhr ich in Urlaub – wann war er beendet, – wann kam ich nach B. [sic] – wann und wann und wann – es sind noch eine ganze Anzahl Kalender, ein ganz lieber und wichtiger auch dabei! So kann es schon mal geschehen, daß ich etwas verwechsele.
Herzelein! Ich bin ja heute wieder so reich beladen heimgekehrt – heimgeeilt – Du!!! Dein lieber Freitagbote ist zu mir – und ein liebes Päckchen. Sei von Herzen bedankt. Ach, den Boten muß ich doch gleich aufbrechen – muß wissen, was mein Schätzelein mir sagen will – ach Du, muß allen Sonnenschein einlassen, muß alle Liebe in mich aufnehmen. Und die bewegt mich dann – ach Du! beflügelt mich – und läßt mich so froh und ungeduldig heimdrängen – ach täglich, Geliebte! Heim zu Dir! Zu der Stunde des Liebgedenkens! Da all meine Liebe Dir strahlt. Oh Du! Du!!! Heim zu Dir! Zum geliebten Weibe! Ach, daß ich mich ausspreche mit dem liebsten Menschen, daß ich einkehre bei Dir! Daß ich heimkehre – oh Geliebte!!! Heim zu Dir! Und so wie jetzt schon, so wird es dann sein – daß ich Dir heimkehre, froh und eilend in Liebe! Oh Herzelein, wie wird das sein! Du! Du!!! Täglich heimkehren zu Dir! Oh Du! Himmlis[ch] schön wird es sein! Und wenn wir uns auch einmal keine Neuigkeiten und Erlebnisse zu tauschen hätten – ach Du! nur um Dich sein! nur in Deiner Nähe – ach Du! in Jubel und Stille! Mein Weib! Du! Meine liebe, liebste [Hilde]!!! Das Päckchen hab ich doch erst zu Haus geöffnet – ach Du! Wie alle unsre Zeichen den Weg finden täglich! – es sagt uns doch, daß wir noch gar nicht so unendlich weit voneinander sind – Gott sei Lob und Dank darum!
Nun sitzt das Mannerli schon bei Dir im grauen Pullover – ist doch meines lieben Weibes Wünschen und Grüßen auch drin. Und vom Kuchen hab ich doch auch schon genascht – Du! bin immer wieder zu meinem Schranke geschlichen und habe mir ein Stück heruntergeschnitten – weil er so fein schmeckt – Du! Blaß sieht der Kuchen aus – ob er schon so gefroren hat über die Karpathen hinweg? Und in der Mitte ist er etwas schliffig – Du! Das mag ich doch gern!
Wie fein süß der Kuchen schmeckt? Ist süß nicht süß? Du! Du!!! Auf diese Frage könnten wir wohl Antwort geben! Ach Du! Geliebte! Geliebte!!! Stille sein! Stille!
Herzelein! – Freust Dich nun, daß ich es wieder gut habe. Weißt, was das feinste ist auch , so wie ich es jetzt habe? Daß ich oft allein sein kann mit Dir! Vorgestern abend allein: Kamerad L. – Heinrich heißt er mit Vornamen – war aus mit einem befreundeten Reichsdeutschen – gestern abend: Mannerli U.v.D. Heute abend: Heinrich U.v.D. Morgen abend: Heinrich zu einer Veranstaltung, die in der heutigen Zeitung für die Verwundeten angekündigt ist. Weißt: ich habe gar keine Lust u[n]d Freude an solchen kunterbunten Veranstaltungen, in denen alle Sinne auf ihre Kosten kommen sollen – in denen man aus einer Stimmung in die andere gestoßen wird – in denen man in keiner Weise geführt wird, in denen man den Besucher für so ganz anspruchslos und minderbemittelt hält. Daran ändert auch nichts, wenn klangvolle Namen den Programmzettel zieren. Viel lieber höre ich mir dann eine [sic] schönes Konzert im Radio an. Wir packen unseren Apparat jetzt jeden Abend wieder aus – tagsüber aber stecken wir ihn wieder weg, die Rußlandfahrer – das – Gros ist doch immer noch da – nehmen alles weg, was nicht angewachsen ist – sogar die Bilder von den Wänden – Alles alles. Fein, fein geht unser Kästl. Nur die Straßenbahnen stören mit ihrem – Funkenschlagen den Fernempfang durch – schreckliches Kratzen. Aber unser Kästl reicht bis nach Hause mit seinen Armen – und das ist doch so schön. Es geht mir so wie Dir, wenn ich schreibe, stört mich die Musik – ganz leise darf sie höchstens spielen. Eben singt man ein Beethovenlied: „Adelaide". Da muß ich an meine Seminarschulzeit denken. Eine Stunde mit einem Sänger war angesetzt in unsrer Aula. Wir freuten uns auf diese Abwechslung. Der Sänger hätte vielleicht zwei Lieder gesungen. Dann mitten in dem Liede „Adelaide", mußte er aufhören wegen Heiserkeit. So etwas vergißt man nicht.
Hast wohl auch vorhin Nachrichten gehört, und Hans Fritzsche zuvor? – Aufschlußreich die Äußerungen eines Amerikaners über den Zweck des Eingreifens der Amerikaner in Nordafrika: 1) um Rommel zu treffen 2.) um Stützpunkte für die Sowjethilfe zu gewinnen 3.) um Stalien angreifen zu können. Das sind Absichten und Gefahren, die ernst genommen werden müssen. Freilich haben die Angreifer ein großes Risiko auf sich genommen: daß sie von den U–Booten geschnappt werden. Aber die sind nicht so schnell wie die mächtigen Transporter und die Kriegsschiffe. Ja – der Amerikaner kommt – seine Rüstungsindustrie kommt nun erst auf Touren und wird in der nächsten Zeit erst recht zur Geltung kommen.
Der Sieg ist durch seinen Eintritt in den Krieg nicht leichter geworden – und wenn der Japaner nicht zu uns hielte – er wäre gar ein gefährlicher Gegner mit seiner mächtigen Flotte. Was ist das doch ein mächtiger, lodernder Haß, der solche Kriegsmaschine in Gang setzt und hält – grimmiger, verbissener Haß! Wenn auch das Gute den Menschen zu solchen Anstrengungen und Taten beflügelte wie der Haß im Kriege. Was mag Gott über unserem Volke beschlossen haben? – Und wir können doch nicht anders, als mit auf den Sieg hoffen – weil er die einzige Basis ist, von der aus wir jemals wieder zu einem freieren Leben gelangen können.
Gestern kam ein Brief von Mutter aus Kamenz. Sie schrieb, daß Elfriede geduldig ihre Krankheit trägt. Hellmuth hofft, zu Weihnachten daheim zu sein. Siegfried schreibt immer von Urlaub. Ich glaube nicht recht daran, zumal nun bei der erneut nun bedeutender gespannten Lage.
Schätzelein – hast noch gar nicht meinen Boten vom Sonntag, den 25.10. erwähnt, in dem ich Dir von meinem Spaziergang erzählte. Auch ich warte noch auf einen Sonntagsboten, den vom 18. Okt., er muß aus S. [sic] kommen – kann ich schon noch eine Weile warten.
Herzensschätzelein! Die Musik klingt in meinen Boten. Der Bukarester Sender bringt ein Konzert, das ich schon im Sinfoniekonzert in Dresden hörte: Konzert für Violine und Cello von Dvorak. Ich erkenne es wieder. Ach, diese Begegnung mit so Bekanntem macht Freude wie die mit einem guten Freunde. Ach Herzelein! In der großen Kunst kann man doch nur beste Freunde gewinnen.
Oh Du! Darauf freue ich mich doch am allermeisten, die Bekanntschaft noch we[iter]er, vieler solcher Freunde zu machen – mit Dir! mit Dir!!! Oh, ich weiß, viel glücklicher wird die Begegnung dann noch! Wirst Du das wollen mit mir? Ach, was frage ich? – Du! Du!!! Liebes, liebes Weib willst mit mir das Leben an allen vier Zipfeln packen – ach, auskaufen wollen wir es, wie wir es nur können – ach Du! uns nach allen Schönheiten, nach allen Quellen des wahren Reichtums strecken – in diesem Sinne das Leben auskosten – oh Du, von ihm trinken und essen – Ach, daß Gott uns beistehe! Daß er unser Wollen segne!
Oh Herzelein! – Du bist in allen Plänen! Was wären sie ohne Dich – nichtig! Oh Geliebte! Du regierst doch all mein Herze! Du beflügelst es! – Ach Du! Du!!! Meines Herzens Sonnenschein! Mein Alles Du! Behüt Dich Gott! Er sei mit Dir auf allen Wegen!
Ich liebe, ich liebe Dich – Du! Du! Du!!!!
Ich küsse Dich herzinniglich –
und bleibe ewig
Dein [Roland],
Dein glückliches Mannerli.
Herzelein!
Guten Morgen! guten Morgen – Du! Wenn das Mannerli U.v.D. ist, gewinnt es doch früh ein halbes Stündchen, braucht erst um ½ 9 Uhr zum Dienst zu erscheinen. Komm ich doch gleich noch zu Dir. Bist denn schon empfangsfähig? Ist doch gar nicht Besuchszeit jetzt. Ach Du! Liebende sind immer füreinander da – das ganze lange Leben – und so ist es doch bei uns. „Komm! komm!!!", – so ruft unser Herz nur immer. Schätzelein! Ich wollt Dich noch bitten, mir einige leere Schachteln mitzuschicken für 100–150 g. Will doch sehen, – ob ich ein paar Nußkerne schicken kann. Und dann auch für Vater wieder etwas zu rauchen. – Unsre Möbel sind scheint’s noch nicht gekommen. Nicht daß ich unruhig darüber bin - mich wundert nur, daß der B. es nun nicht so eilig mehr hat. – Fährt denn aus Chemnitz heraus gegen Mittag gar kein Bus mehr? – Hast denn noch immer keine Helferin für Deine Scharen? Der Schulleiter hat Weisung (in normalen Zeiten), daß der Unterricht so beendet ist, daß die Kinder vor Einbruch der Dunkelheit daheim sind. Und das ist auch richtig. Müßtest Deine Stunden eben verkürzen auf drei – jetzt gerade, wo die meiste Lust ist zum Arbeiten! Möcht nur wissen, wie Du mit der Gesellschaft Laternen bauen willst, und damit fertig werden, so daß – dann auch jedes Kind eine hat. Ich weiß doch, welche Mühe das macht bei den großen Kindern. Aber das ist richtig: in der Lust zur Arbeit sind Kinder nicht umzubringen und wenn es zehnmal mißlingt. Nun ist, es eben die Kunst, von dieser Lust, von diesem Wollen zu einer Leistung zu führen, und das gelingt in einer gewissen Breite nu[r] in schulischer Zucht.
Schätzelein! Nun muß ich gehen! Einen gesegneten, glückvollen Sonntag wünsche ich Dir und den lieben Eltern! Ich denke immer Dein — in heißer Liebe – in unwandelbarer Treue – und ganz glücklich mit Dir, mit Dir!!!
Dein [Roland]
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Rosemarie Köhler
[Bukarest] Dienstag, den 10.11.42 Roland hat ein Päckchen von Hilde bekommen mit einem grauen Pullover und einem Kuchen, der so blass aussieht, als wäre er gefroren gewesen auf der Fahrt über die Balkanberge. Aber er schmeckt ihm süß und lecker. – Er ist beim Schreiben jetzt oft allein, weil sein Zimmerkamerad, Heinrich L., befreundet ist mit einem Volksdeutschen und öfter ausgeht. Dann sind sie noch abwechselnd als U.v.D. eingeteilt. Roland hört dann gerne Konzerte im Radio. Das Radio packen sie am Tage weg, damit es nicht verschwindet. Es sind noch die Russlandfahrer da, die alles nur Mögliche mitgehen lassen. Er kann den Heimatsender hören und fragt, ob sie auch die Nachrichten gehört habe? - - Der Zweck des Eingreifens der Amerikaner, meint Roland, ist es, in Nordafrika Rommel zu treffen, 2 Stützpunkte für die Sowjethilfe zu gewinnen und Stalin angreifen zu können. Wir können doch nicht anders, als auf den Sieg hoffen, der die Grundlage des normalen Lebens ist. – Hilde möge ihm doch leere Schachteln schicken für 100 – 150 g Inhalt. Er will versuchen Nußkerne zu bekommen und für Vater etwas zu rauchen. – Roland fragt bei Hilde an, ob sie jetzt eine Helferin für die 2 Kindergruppen hat, mit denen sie Laternen basteln will. Er rät ihr, die Stunden auf 3 zu verkürzen, damit die Kinder bei einbrechender Dunkelheit daheim sind.