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[OBF-421129-001-01]
Briefkorpus

1. Advent, den 29. November 1 9 4 2

Herzelein! Geliebte! Mein liebes teures Weib!

Du bist zu mir gekommen! Geliebte! Drei liebe Boten sind zu mir gekommen! Du! Du!!! Sind nur papierne Blätter, aber von daheim – von Deiner lieben Hand. Und die Zeichen darauf, sie sind der Puls Deines geliebten Herzens – und was sie bedeuten, das ist Dein Herz selber, Deine Liebe! Du! Du!!! Deine Liebe zu mir! Oh Geliebte mein! Nun ist erst recht Adventssonntag und Verlobungstag. In Deinem lieben Dienstagboten erinnerst doch auch Du daran.

Ach mein Schätzelein hat bei allem schlimmen Drasch immer mein gedacht, so lieb gedacht. Gib nur fein acht, daß der alte Drasch Dein bißchen Muße nicht ganz überwuchert. Stoß ihn beiseite, wenn er Dich gar arg bedrängen will.

Wie es nur kommt, daß die Boten solange ausbleiben. Gewiß ist schon der Weihnachtspostverkehr. daran mitschuld. Wenn alle Frauen ihre Männer auch so lieb und reich bedenken u. beschenken, wie Du es Deinem Mannerli tust, dann muß es ja zu solchem Gedränge kommen auf der Post.

Ach Herzelein, wie stehe ich diesmal so armselig da – habe für Dich eine Kleinigkeit, für die andern alle noch nichts – und bekomme auch nichts zusammen mehr. Es kann eben nicht sein. Und ich würde alle so gern beschenken. Das kann mit einem Schlage auch noch ungünstiger werden – man spricht davon, daß es zukünftig nur noch die Hälfte des Wehrsoldes in Lei gezahlt werden soll, die andre Hälfte in Kantinengeld. Ja, davon geht die Welt auch nicht unter. Ach Geliebte! All das ist ja entbehrlich ohne Not, kleiner Verzicht — und Du verstehst das. Ach — wenn ich nur täglich noch zu Dir kommen kann und so die lebendige Brücke zu Dir bauen – wenn ich Dir nur meine Liebe und Sehnsucht noch künden kann – alles andre will ich gern entbehren. –

Nun will ich Dir erst von meinem Sonntag erzählen. Daß ich den Gottesdienst besuchte, weißt Du schon. Es wurden hier – nach alter Sitte – heute auch die Neukonfirmanden eingewiesen, sie saßen vorn unter der Kanzel. Die Kirche zeigte keinen Schmuck. Aber stattlich war die Gemeinde. Die Predigt war recht nüchtern, viel froher war mir ums Herze, viel adventsfreudiger. Wieviel beredter und herzenbefreiend waren da die alten, lieben Choräle – “Macht hoch die Tür!” Hell und klar war der Tag. Nach dem Mittag ( "Schokoladen"suppe – mehr Suppe als Schokolade, irgendein Braten. Soße und Kartoffeln) habe ich mich ein Stündchen lang gestreckt, bin ein wenig dabei eingeduselt – dann aber auf, den schönen Tag genutzt! Nach dem Carolpark wollte ich gehen. Dazu muß man von uns aus die ganze Stadt queren, es ist wohl gut eine halbe Stunde Weg. Zuerst durch die schattigen Straßenzeilen. In der Stadt liegt gar kein Schnee mehr. Er ist breitgetreten u. -gefahren. Nur der Schloßhof ist damit noch bedeckt, ein eigenartiger Anblick. Und nun durch das Judenviertel (Juden gibt es hier sehr viele, sind nicht gekennzeichnet) vorbei an der Markthalle. Da weitet es sich schon, die Häuser sind niedrig, man meint, man ginge durch ein Landstädtchen. Hier am Stadtrande stehen Kasernen, liegt auch ein großes Spital, Kriegslazarett. Und hier umfängt einen ein ganz anderes als großstädtisches Treiben. Joppen und Pelzmützen, Kopf- u. Umschlagtücher, helle Schürzen, mitunter auch vollständige Trachten, so steht das hier herum u. wandelt auf und ab, umsteht die einfachen Verkaufsstände: Obst und Zuckerzeug werden feilgehalten. Ich glaube, das ist das rumänische Volk. Viel Bauerngesichter, rund, klein und eng der Blick, das Gesicht nur nächste Sorgen verratend. Man sieht auch Herzlichkeit: Lachen, einen herzlichen Händedruck, jung und alt, mehr aber doch junges Volk dreht da durcheinander, schart sich um einen Soldaten. Da steht ein Drehorgelweib, ernsten, verbissenen Gesichtes. Dann wider Erwarten eine gepflegte, saubere Straße bis zum Park hin. Die Straßenbahn fährt durch. Und ich muß an eine der Chemitzer Vorstadtstraßen denken, die wir schon miteinander gingen. Und nun in den Park. Ich hatte mir nach dem Erzählen mehr davon versprochen. An manchen Stellen sieht es recht wild und ungepflegt aus. Im hinteren Teil steht ein Armeemuseum, zwischen den Bäumen Kanonen aller Sorten, kreuz und quer aufgefahren vom kleinsten Kaliber bis zum schwersten Eisenbahngeschütz. Vor dem Heeresmuseum, das erhöht liegt, das Grabmal des unbekannten Soldaten, aus einem Kandelaber züngelt eine Flamme. Das Drumherum ist recht ungepflegt und jedenfalls noch unfertig. Bleibt das liebste: ein paar schöne Wege, Parkwege, mit hart getretenem Schnee, Bäume und Sträucher mit ihren so mannigfachen Formen und Gestalten, liebe Schwestern und Brüder.

Ach, ich wünschte, die Pfade hätten gar nicht enden wollen – dann kann ich stille werden, dann kann ich Einkehr halten – dann werden alle Gedanken lebendig, die hinführen zu Dir – an den Zeisigwald mußte ich denken, in dem wir einst so miteinander wandelten. Über dem aber wurde es auch schon dämmrig. Und ich schickte mich an zum Heimweg. Die Möglichkeit zu fahren schlug ich aus – wollte mich doch recht auslaufen und wollte die Freude auf mein Schätzelein recht auskosten, das ich daheim warten wußte. In dichter Folge fahren die Straßenbahnen hier – und sind überfüllt zu jeder Tageszeit. Die B. sind offensichtlich faul zu Fuß. Auch im Park ganz wenig Besucher nur. Auf dem Heimwege begegnete mir das Orgelweib: die einbeinige Orgel vor dem Bauch, eine Zigarett[e] im Munde, so trottete dieses verschrobene Weibstück heimwärts. Männlein und Weiblein vor den Kasernen waren heiterer auch, und machten hier und da aus ihrer Anhänglichkeit wenig hehl. Und das Mannerli stiefelte durch – [sic] die Stadt, raschen weiten Schrittes, als gälte es noch daheim ein [sic] Adventsüberraschung zu bringen. Ach Geliebte! Wie würden wir wohl diesen Tag begehen – ganz allein?! Die große, himmlische Freude müßte aufklingen in Wort und Lied und Spiel – und darunter die Liebe, die ein Abglanz ist von der des himmlischen Vaters – unsre Liebe! Oh Herzelein! Lieb und still nebeneinandersitzen und in den Glanz des Lichtes schauen, unsres Glückes ganz inne werden! Ganz lieb einander festhalten und umschlingen – und mein liebs Fraule bringt etwas Feines zu knabbern – Pfefferkuchen, und Äpfel und Nüsse, und Mandeln – und Pfefferkuchen mit Mandeln für die Süßschnäbelein – ach Geliebte! meine [Hilde]! Die lieben Sterne zogen auf, als ich heimkam, und ich mußte fragend zu ihnen aufschauen: Wann, oh wann wird es sein, daß wir einander so ganz gehören! Du! Du!!! Mein liebes Weib! Und nun war doch das erste, daß ich nach Deinen lieben Boten fragte. Den lieben, langen, langen Sonntagboten will ich mir gleich noch vornehmen.

Er bringt zuerst eine häusliche Szene, die mir schon bekannt ist: verbrannte Pfefferkuchen. Läßt nun wohl Dein Mannerli gar nicht mitbacken? Oh ja, ich möchte doch mir auch gerne eine Pfefferkuchenfrau backen. eine, so ganz nach meinem Wunsche (!) – Da lauscht mein Fraule! – Du, ich denke, es wird eher eine nach meinem Geschick – und wenn es eine nach meinem Wunsche werden sollte, müßte ich doch alle Maße von meinem lieben Weiberl nehmen, das wäre wohl gar langwierig, und der Teig würde dann schwerlich langen. Beiß ich Dir lieber gleich selber mal ins Nasel, gelt? Du! Du!!!

Warteten doch daheim schon wieder neue Geschäfte auf mein Schätzelein. Schon auf der Heimfahrt ist es umhergerannt, in Dresden, in Chemnitz. Und schon wieder auf dem Bahnhof daheim warteten neue Pflichten, daß es kaum zur Besinnung kam, daß es kaum Zeit fand, sein Mannerli recht vorzulassen, bis es sich am Sonntag gewaltsam Luft schaffte.

Freut mich, daß Dir der Dienst am Montag ein wenig verkürzt wurde. Bist nun gar nicht dazu gekommen, mir auf dieses und jenes zu antworten. Ich wüßt vor allem erst einmal, ob denn meine Speckpäckchen angekommen sind – oder ob sie samt und sonders gemaust wurden. Auf solch kurze Empfangsbestätigung wartet man immer.

Ja, und nun hat mein Herzlie auch ein ganzes Bündel Gedanken und Pläne wieder mitgebracht aus Kamenz. Die Matratzen aus Lichtenstein, die Töpfe und Tiegel aus Schmilka, die Möbel aus Kamenz – die Möbelfuhre von B.s – all das will besorgt sein, und ich kann dabei nicht ein bissel behilflich sein. Und dazu schon wieder ein neuer Plan, zu dem ich mich äußern soll. Nun, das will ich mir erst mal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Es will hier mancherlei bedacht sein. Zunächst ist das Rechtliche solchen Mietens zu klären 2. Ich weiß weder wo noch was gemietet werden soll. 3. Welche Folgen ergeben sich für Dich aus solcher Haushaltung? Für Euer Zusammenleben zu dritt? 4,60 ℳ Miete im Monat sind im Jahre 12 00 ℳ – und dann wohnen wir womöglich gar nicht drin 5. Darin macht Euch keine Hoffnung, daß man mich nun so nach Wunsche nach Kamenz versetzt, weil ich dort Wohnung habe. 6. Und der Gedanke des Tausches ist natürlich auch eine Kombination mit dem Zufall. Herzelein, so sehr ich es Dir gönnte, auch wenn ich nicht Teilhaber sein könnte dieser Freude – aber [g]edacht sein will das schon. Und Du magst mir dabei raten und bedenken helfen.

Ich sehe, meine Mutter ist schon halb drin in dem Handel – aber hier behalten wir uns natürlich alles vor. Das ist ja auch ein halber Schwarzhandel, den ich so von heut auf morgen überhaupt nicht eingehe.

Also, darüber erst wenigstens einmal schlafen – und ein andermal mehr davon. In diesem Zusammenhang erfahre ich nun auch von der Geschichte unsres Herrenzimmers. Das heißt, richtig klar sehe ich hier trotzdem noch nicht. Ist das Herrenzimmer nun von dem Baumeister, oder von dem geschiedenen Manne? Komische Geschichten, die mit dem Möbel ja nichts zu tun haben – bei uns sollen sie jedenfalls solche Geschichten nicht erleben.

Ja, und nun bugsieren wir alles erst mal auf U.s Boden, von Kamenz nach Oberfrohna, und dann wieder von Oberfrohna nach Kamenz? – Ja, wenn man auch nur eine Ahnung, einen Anhalt dafür hätte, wielange dieses Kriegstheater dauert – aber so sind alle Berechnungen ins Graue. An ein schnelles Ende zu unseren Gunsten glaube ich nicht mehr. Und so, wie es jetzt ausschaut, schlagen wir uns mit den Russen noch länger als ein Jahr. Aber das kann nicht unsre Sorge sein, das steht in eines anderen Macht.

Ob denn nun das Kindlein schon da ist? Bub oder Mädel – wenn es nur froh und gesund erst mal schreit und seine Mutter alles gut übersteht, dann ist eitel Glück und Freude und Dankbarkeit. Wie wird Hellmuth warten – wie wird er sich um Elfriede sorgen. Ja, Freude und Sorgen ziehen dann ein, die Mann und Weib so gerne teilen möchten, die erst recht dann zwei Menschen verbinden und die Familie bilden und formen – und dieser Krieg hintertreibt all das. Ach, darüber nachzudenken macht nur tieftraurig.

Herzallerliebste! Und ich will doch heute ganz froh mit Dir sein – ganz froh und dankbar das erste Adventslicht in mich aufnehmen – es hat mir heute früh so hell gestrahlt. – Ganz froh und dankbar mit Dir unser gnädiges Schicksal bedenken – und unsrer Liebe uns freuen! Du hast mich lieb! Du gehst mit mir! Und ich soll Dich führen dürfen, soll an Deiner Seite mein Leben erfüllen dürfen. Oh Geliebte! Wie hält mich diese Liebe! Wie ruft sie mich zum Leben, zum Durchhalten! Ich will Dir bleiben, Dir heimkehren! Wie hält sie alle Hoffnung und allen Glauben lebendig! Wie weckt sie immer aufs neue alle Sehnsucht, mit Dir zu leben! Und manchmal alle Ungeduld. Und manchmal ein grimmiges Dreinschauen in diesen unseligen Krieg, der uns immer länger voneinander trennt.

Oh Geliebte! Geliebte! Du! Du!!!

Ich will mich nun niederlegen! Es ist spät geworden. Heinrich ist noch unterwegs. Will noch einmal Deine lieben Boten lesen – will Dein denken – will Gott Dich anbefehlen und unsre Liebe – will ihn bitten um Kraft zu Geduld – ach, ihn bitten, doch ein Ende zu machen -

Herzelein! Ich bin so ganz Dein! Ich lebe so ganz in Deiner, in unsrer Liebe!

Ich küsse Dich herzinnig! voll dankbarer Liebe!

voll heißer, sehnsüchtiger Liebe! voll Sehnsucht, mit Dir zu gehen und zu leben!

Gott behüte Dich! Er bewahre Dich vor allem Übel. Er segne unseren Bund und sei uns armen stündigen [sic] Menschen ein gnädiger, barmherziger Vater! Er fülle unser Herz mit dem Schein der Liebe und Gnade, mit dem rechten Glauben, der da stille und froh und geduldig macht!

Ich habe Dich lieb! So unendlich lieb! Mein Alles, Du! Mein Leben!

Meine liebe, liebste [Hilde]!

ewig

Dein [Roland].

 

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946