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[OBF-421130-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 30. November 1 9 4 2

Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Weib.

Ihr lebt daheim wieder nach der Sommerzeit, der gleichen wie wir? Ihr hattet Euch schon wieder umgestellt? Das ist wohl ein Irrtum. Schätzelein: nach Normalzeit sind wir Euch daheim eine Stunde voraus, wir leben hier nach der OEZ, der Osteuropäischen Zeit, der Petersburger, die nach dem 30. Grad östl. Länge von Greenwich sich richtet, während die MEZ sich nach der Görlitzer od. Stargarder Zeit des 15. Grades östl. Länge richtet.

Na, aus dieser Einleitung merkst Du schon oder merkst es nicht, daß Dein lieber Mittwoch[sb]ote schon bei mir ist, und der Donnerstagbote ist mit ihm gereist. Sie werden ein Schwätzchen miteinander gehalten haben – vielleicht sich auch gegenseitig ausgespielt, der dicke gegen den dünneren.

Ja, Herzelein, ehe ich darauf eingehe, will ich Dir nun [unklar] ein paar Gedanken zu dem Plane des Mietens vortragen. [*]

Numero 1 die Frage nach der Rechtlichkeit dieses Handels. Ich möchte nicht, daß wir Unannehmlichkeiten haben aus irgendwelchen Unterlassungen od. Übertretungen, daß man uns womöglich hinaussetzt. Ich müßte das alles in guter Überzeugung vertreten können – denn der zuständige Vertreter und der Verantwortliche, an den man sich hält, bin dann ich. Ich glaube nicht, daß bei der angespannten Wohnungslage, wo man so hinter jedem Raum her ist und auf der Vormerkeliste schon viele anstehen und warten: daß man da nicht mit etlichen Fragen an uns herantreten wird: Aus welchem Grunde und mit welchem Rechte lassen Sie sich in Kamenz nieder? Warum ist das Freiwerden der Wohnung nicht gemeldet worden? usw. Ich bin in den Bestim[m]ungen überhaupt nicht bewandert.

Numero 2: scheint mir die wichtigste. Wie denkst Du Dir Dein Leben dann? Willst Du allein hausen und haushalten? – Hast Du auch bedacht, daß Dir dann das Arbeitsamt auf die Nähte rückt? Daß man Dir dann womöglich fremde Leute in die Wohnung setzt? – Und wie auch – daß wir gar nicht recht in den Genuß der Wohnung kommen?

Wenn wir ein Kindlein erwarteten, würde das die Lage entscheidend ändern – aber so kann ich mir gar kein rechtes Bild machen von Deinen Plänen. Ja, und wenn es an dem wäre, daß wir von dieser Wohnung gar nichts hätten, dann schöbe sich auch die zweitrangige Frage nach den Kosten in den Vordergrund: in einem Jahre 720 Mk [sic], in zwei Jahren 1440 ℛℳ. Das ist der Spaß schon wert – so vermöchte auch das Mannerli zu denken – Du weißt, ich geize nicht.

Ja, und dann bleibt der Einwand, daß wir doch gar nicht am rechten Platze sitzen. Der Gedanke des Wohnungstausches ist doch eine Kombination mit dem Zufall, wo wir doch auf jedes Dorf versetzt werden können.

Ja Herzelein – ich sehe hier gar nicht klar, ich sehe nichts Klares, was mich in dieser wichtigen Entscheidung bestimmen könnte zu einem Ja oder Nein. Ich sehe für das Ja nur Deinen Wunsch, nun endlich [**] unser Nest bauen und Wirklichkeit werden lassen zu dürfen — und sehe diesen Wunsch mit einem Ja gar nicht recht erfüllt, sehe seine Erfüllung in Frage gestellt. Es scheint mir wirklich das wichtigste, daß Du Dir klar wirst über die Folgerungen für Dein Leben – und das ist etwas, was uns beide zuallernächst angeht und worüber wir zuallererst zwischen uns einig werden müssen. Und dabei müssen wir ins Auge fassen, daß dieser Krieg noch lange dauern kann, daß er noch ernster werden wird – ich glaube z. B. auch nicht, daß wir mit Sicherheit auf die zunehmende wirtschaftliche Besserung rechnen können, er kann Wendungen bringen, die all diese Berechnungen imfragestellen, so, wie es jetzt aussieht. Weiß nicht, ob Du an all das gedacht hast. Bitte, äußere Dich dazu.

Eines ist mir aber klar geworden bei dieser Gelegenheit, und das bitte ich Dich in meinem Sinne mit aller Energie durchzusetzen: Da Mutter nun nur noch halb arbeitet und schlechter verdient, da wir die Gastfreiheit der lieben Eltern immer länger in Anspruch nehmen müssen, ist es mehr als billig, ist es unsre Schuldigkeit, die meine zumal, daß wir etwas mit in die Wirtschaft steuern, wenigstens 50 ℛℳ im Monat. Das ist kein Rechnen mit den Eltern, dazu ist es viel zu wenig. Das ist mir eine stillschweigende Selbstverständlichkeit – ist auch eine kleine Betonung unsrer Eigenständigkeit – womit ich beileibe nicht sagen will, daß sich in dem persönlichen Verhältnis etwas ändern soll, das ist ja auch gar nicht möglich, so wie wir zu den lieben Eltern stehen. Die Eltern werden abwehren – ich werde ihnen selbst noch schreiben, und sie werden es dann schon verstehen.

Was sagst Du dazu, Schätzelein? Bitte sage mir dazu Deine Meinung, vor allem auch darüber, ob Dir die Summe zu niedrig scheint. Ich möchte unsre Beisteuer von dem Monat an, da Mutter nur noch halb arbeitete, das wäre ab Oktober. Ab Dezember also denke ich nun die Beisteuer laufend, ab Oktober rückwirkend. Das werden die Eltern ja nun gar nicht mögen. Das [***] legst Du ihnen einfach stillschweigend auf ihr Sparkonto. Herzelein! Sollst nicht denken, daß ich damit Dein Verdienst um der Eltern Haushalt irgendwie verkleinern will. Du verstehst mich schon recht – wir haben ja ähnliches auch schon besprochen. Die Eltern werden sich zuletzt doch freuen. Und wir wollen ja auch nicht so unbesehen Reichtümer sammeln. Ich denke, daß wir uns darin schnell einig werden.

Vom Ergebnis der Mietverhandlungen unterrichteßt [sic] mich bitte. – Wir wollen nicht engherzig sein – wollen aber auch den Preiswert nicht aus dem Auge lassen.

Die 1000 ℛℳ für’s Herrenzimmer zahle ich von meinem Schandauer Konto - also bitte schicke mir meine und Deine Nummer, damit ich die Zahlung anwei[s]en kann, ich habe die Nummern doch vergessen.

Bald ist auch wieder mal ein Brief an den Bezirksschulrat fällig – will mal anfragen, wo die Beförderung zum planmäßigen Lehrer stecken geblieben ist, im Januar dieses Jahres (!) schrieb man [****] uns ja: “ich beabsichtige usw." Bei dieser Gelegenheit werde ich unsre Wünsche, die Zuweisung eines Wohnsitzes betreffend, mal mit vorbringen.

Ich verspreche mir nichts davon, aber vortragen müssen wir es den Herrn [sic] doch einmal.

Ja, Herzensschätzelein, Dein Mannerli ist in seinem beruflichen Vorwärtskommen gar stiefmütterlich behandelt worden, besonders in der neuen Ära. Als ich vom Seminar kam, gab man mir eine meinem Abschneiden entsprechende Stelle, damals sah man noch auf Leistungen. Weiß nicht, was ich nun so schlecht gemacht habe, daß ich so auf den Hund gekommen bin. Die Schulräte lernen ja ihre Leute überhaupt nicht mehr kennen. Der von Dippoldiswalde hat mich seinerzeit mit einer Empfehlung fortgeschickt – aber dann war es auch Schluß damit. Der Chemnitzer war mein Freund nicht. Von dem hätte ich mir aber auch nichts gefallen lassen, der war mir zu dämlich dazu. So hat er mich fortgeschaufelt – und ich war nicht weiter böse darum – die 'Chemnitzer Luft' [*****] war mir nicht recht bekömmlich. Ja, und den weiteren Gang kennst Du ja. Lichtenhain habe ich mir 'verscherzt' – ich konnte nicht anders handeln. Ja, und so hat es sich geschickt, daß ich eben heimatlos war und wurde, als der Krieg mich holte und wir uns zusammentaten.

Ach, ich war nicht weiter traurig über dieses Geschick – nur heute erkenne ich nun, daß es uns zum Schaden und Nachteil ist – habe nicht noch genug an meine Freude gedacht und mit dem Kriege gerechnet. Aber was hätte ich auch anders machen sollen? Ach Herzelein! An dieses Berufsschicksal kann ich so mit voller Gelassenheit denken – das kann mich eigentlich im Herzen nicht treffen – einmal, weil ich entschlossen bin, es zu meistern, und zum andern, weil ich mich dazu kräftig genug fühle. Ja, Herzlein! Auch das mußt Du nun mit mir tragen, tragen in mannigfachem Sinne. Wirst Frau Lehrer sein müssen. Mußt es leiden müssen, daß Dein Mannerli sich seiner Arbeit auch zu einem Teile widmet. Wirst mit mir ziehen müssen und seßhaft werden, wohin das die hohe Behörde eben bestimmt. Ach ich weiß, daß Du dieses Tragen in Deiner großen Liebe ganz selbstverständlich auf Dich nimmst, und gerne auf Dich nimmst aus Liebe zum Mannerli. Ach viel wichtiger ist Dir doch (wie mir), das Mannerli selber zu tragen mit seinem Herzen und Wesen – die äußeren Dinge sind dazu doch nur Anhängsel.

Frau L. war wieder bei Dir – erwidere ihr dankend die lieben Grüße -

Vom Dienstag schriebst Du, daß sie so gut auf gelegt war – und nun ist sie wieder niedergeschlagen.

Ach Schätzelein – ein wenig bänger muß sie schon sein und mehr in Sorge. Zumal bei der Entwicklung der Dinge jetzt im Mittelmeer. Gewiß gilt es auf der Insel jetzt wieder erhöhte Alarmbereitschaft. Kreta ist dem Engländer ein Pflock im Fleische. Aber es ist noch ein Unterschied zwischen Sorgen und Verzweifeln. Ach, furchtbar doch, wer von solch dunklen, ausweglosen Geschichten geplagt ist, wer ihnen nicht den rechten Widerstand des Glaubens entgegensetzen kann. Und einzig unser Glaube kann uns Frieden und Zuversicht geben.

Oh Geliebte! Der Glaube nach dem Worte, dem hohen, dem ehernen, das auch schwerstes Menschenschicksal und härteste Schicksalsprobe einbegreift: „Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen” [Bibeltext Roemer 8,28]. Dieses Wort gilt vom Leben, wie vom Sterben. Und es gilt auch ein Sterben in Verzweiflung, in dieser finstersten Nacht – und es gilt ein Sterben im Glauben.

O Geliebte! Meine [Hilde]! Der Glaube an unser Schicksal, unser gemeinsames Schicksal, läßt uns so glücklich lieben, läßt uns so sicher gehen in unsrer Liebe – läßt uns so ganz einander lieben – und dieser Glaube läßt uns demütig aufschauen zu Gott dem Herrn – von ihm empfangen wir unseren Spruch — und darum können wir hoffen! Oh Herr – Gott– hilf uns! Sieh uns beide stehen! Oh segne unseren Bund! Oh Gott im Himmel, sieh uns beide! Gib uns allzeit die rechte Kraft und Geduld, Dir stille zu halten! Amen! Behüt Dich Gott! Du! Mein liebes Weib! Meine [Hilde]!

Mein Ein und Alles, Du, mein Leben!!!

Ich liebe Dich!!! Ich bleibe ewig

Dein [Roland].

Gut Nacht! Herzelein! Ich bin Dir so nahe immer in meinen Gedanken! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Liebstes mein!!!!! !!!!! !!!

 

[* Seitenzahl -1- am Blattende]
[** Seitenzahl -3- am Blattende]
[*** Seitenzahl -5- am Blattende]
[**** Seitenzahl -6- am Blattende]
[***** Seitenzahl -7- am Blattende]

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Kommentare

Zusammfassung Jonas & Schomu

Roland belehrt Hilde über die verschiedenen Zeitzonen, OEZ und MEZ. Danach äußert er Gedanken zur Mietwohnung: Er selber wäre sich nicht sicher über rechtliche Schwierigkeiten, man könnte fragen, warum sie auf einmal die neue Wohnung beziehen wollen, wo doch die Wohnungslage so angespannt ist. Er selber kennt sich damit nicht aus und wüsste auch gar nicht, wie Hilde dann ganz alleine leben sollte und weist darauf hin, dass auch andere Leute dort einquartiert werden könnten. Er selber würde als Vertreter an den rechtlichen Fragen festgemacht werden. Das Herrenzimmer würde er aber vom Sch.er Konto bezahlen. Außerdem schlägt er vor, den Eltern einen Beitrag zu geben dafür, dass sie beide dort wohnen und essen dürfen und fragt, was Hilde darüber denkt. Zuletzt beteuert er seine Liebe zu Hilde und bittet Gott um den Schutz der Beziehung und der Liebe.
Hilde rund Roland ließen sich in K. nieder, weil Hilde vorher auch bei ihren Eltern gewohnt hat und das quasi "ihr Job" war, wenn sie jetzt auszieht, würde das Arbeitsamt wahrscheinlich auf sie zukommen, weil ihr Job zur Pflege der Eltern nicht mehr greift. Roland erinnert sie also daran, dass sie nicht einfach allein hausen und haushalten kann, weil ihnen dann das Arbeitsamt auf die Nähte rückt.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946