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[OBF-421223-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 23. Dezember 1942

Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebste [Hilde]!

½ 11 Uhr zeigt die Uhr jetzt bei uns. Um 10 Uhr war ich zu Hause. Um 11 Uhr sollen alle zu Hause sein. Ich bin mit einigen Kameraden schon ½ 10 Uhr gegangen, und wäre es schon früher, wenn ich mich nicht ein wenig verpflichtet gefühlt hätte, auszuhalten – weißt, ich mußte eben so lange warten, bis mein Weggehen nicht mehr bemerkt wurde. War unsre Feier nun schon vorbei. Will Dir noch ein wenig davon erzählen. Sonnabenddienst war heut angesetzt, bis ½ 1 Uhr also. Um ½ 4 Uhr Hauptmusterung – ¼ 5 Uhr Abmarsch nach dem Festsaal, Uniform Seestiefel halben Schlag. Muß ich Dir erklären, gelt? Ganz einfach – die Stiefel an die Beine, die Hosenbeine drüber, zweimal etwa 5 cm breit nach außen umgekrempelt – ein komischer Aufzug in halbhoher-, in "Hochwasserhose“.

Der Festsaal, etwas größer als der Rautenkranzsaal, aber höher, war ein wenig weihnachtlich hergerichtet worden, viel war es nicht – auch ein Christbaum stand da, ohne Liebe geschmückt - Tische weiß gedeckt, zu zwei Plätzen eine Flasche Wein, das Besteck nahmen wir von uns mit. Nun füllte sich der Saal, etwa 100 Mann waren wir. Dazu etwa 20 Personen, meist weiblichen Geschlechts – die Hausgeister, die dienstbaren Geister der verschiedenen von uns benutzten Gebäude, dienstbar in mancherlei Weise, wie ich dann im Laufe des Abends erkannte – ich hätt' es ja auch nicht anders erwartet. Um 5 Uhr begann die Feier, nachdem der Admiral mit seinem Stabe Platz genommen hatte. Ein Programm lege ich Dir bei. Das Mannerli war hauptbeteiligt, hat Lieder begleitet, hat gesungen mit dem Chor, hat vorgetragen – es ergab sich so – und ich übernehme solche Aufgabe ohne Scheu nun – und entledige mich ihrer immer freier im Dienste an der Sache. Ein wenig Freude, einen Schimmer nur der Weihnacht galt es aufleuchten zu lassen – und das ist auch gelungen. Unsre Lieder gingen gut.

Der Admiral selber verteilte die Geschenke und die Weihnachtstüten – und mit "O du fröhliche" wurde der feierliche Teil beschlossen. Der Admiral sprach kurz, ganz ruhig und nicht etwa betont soldatisch. “Es gilt auch an den Sinn des Festes zu rühren, unsre Herzen der Weihnachtstatsache zu öffnen, die unseren Vorvätern schon das Leben lichter und das Sterben leichter machte, die uns alle hochgemuter dann in den Alltag soll gehen lassen." Das waren wichtige Gedanken, die aber viel zu wenig eindringlich vorgetragen wurden. Oh, heute bedarf es schon größeren Eifers und größerer Überredungskunst, um nur einige wenige aufhorchen zu machen. Dann begann der Schmaus. Gansbraten mit Kartoffelsalat. Richtig ¼- Gans hatt ich auf meinem Teller. Sie schmeckte sehr gut, war mir ein wenig hart und löste sich schwer von den Knochen. Zu Hause hätte das viel, viel feiner noch geschmeckt. Der Wein ließ auch einige Wünsche offen. Aber in solche Massenweihnachtsfeier geht man mit großen Erwartungen schon gar nicht hin. Ja, Herzelein, und dann begann der programmlose, der wilde Teil. Wenn ich schon länger hier gewesen wäre, hätte ich mir die Mühe genommen, auch ihn noch ein wenig zu straffen und ordnen. Aber so kannte ich weder die Leute, noch ihren Schatz an unterhaltenden Kräften. Es geschah nun auch weiter nichts mehr, als daß einer geigte gar nicht schlecht, und einer die Quetschkommode spielte, auch nicht ohne Geschick. Und nun zerflatterte das Ganze. Der Admiral ging wieder. Und nun machte sich störend bemerkbar, was mich schon anfangs befremdete, daß die Gefolgschaftsleute mit unter uns waren, den Rahmen einer echten Soldatenfeier sprengten. Sie haben wohl auch eine Bescherung verdient, aber die konnte man gesondert vornehmen.

Gegen ½ 9 Uhr hatte sich alles in Gruppen und Grüppchen aufgelöst, und es war dann so ähnlich wie in einer ordinären Hafenkneipe. Es zeigte sich, daß die dienstbaren Geister dienstbar in mancherlei Sinne sind. Ach Herzelein! Da war ich ganz allein und fehl am Platze. Und es war mir eng und dumpf zumute wie in einer zu kleinen Stube. Ich setzte mich dann zu einigen Kameraden, denen ich es anmerkte, daß es ihnen ähnlich ging. Und mit denen bin ich dann auch früher nach Hause gegangen. Ich wollte dieses Treiben auch nicht länger beobachten. In mir schwang noch, was ich in der Feierstunde diesen Menschen zurief: „dess' sollt ihr froh und fröhlich sein” – aber darunter meinen wir eine ganz andere Fröhlichkeit, oh Geliebte, eine viel tiefere, innigere – eine anspruchsvollere auch. Ach Du! Wieviel Armut des Herzens, wieviel Anspruchslosigkeit ist unter der Menge. Wieviel Ausspruchslosigkeit [sic] auch in dem, das uns das höchste ist: die Liebe.

Oh Herzelein! Geliebte! Geliebte!!! In solcher Gesellschaft wird alle Unfreiheit mir doppelt bewußt – da wird das Sehnen sooo laut nach Dir! nach Dir! Nach meinem lieben Weibe, mit dem ich das Leben gut und schön gestalten will. Dazu gehört Kraft des Erkennens und Wollens – dazu muß gute, wahre Liebe in uns glühen, und wir müssen sie nähren und hüten, diese Glut. Oh Geliebte[!] Geliebte! Du! Mein liebes Weib! Das Spieglein schau ich unsrer Liebe – und darüber werd ich sooo froh und glücklich – daraus leuchtet in aller Schöne und Reine unser Glück! Oh Du! Meine liebe, liebste [Hilde]!!!!! Wie lieb ich Dich! Wie gehör ich ganz zu Dir! Du. Du! Du!!!!! !!!!! !!!

Herzelein! Ich bin müde heute. Morgen – morgen will ich ganz lieb und lange zu Dir kommen – ganz lieb und lange – allein zu Dir! Das wird mein schönstes Weihnachten sein. Oh Du! Du!!! Ich werde gar nicht traurig sein – oh Du ganz drin im Herzen der froheste und glücklichste Mensch auf Erden – durch Dich!

Ich werde gar nicht allein sein! Ach Du! Zwei liebe, liebe Boten sind wieder gekommen – oh Herzelein, ich sehe mich umdrängt und fühle mich ganz eingehüllt in lauter Liebe, so traut, und lieb und warm – oh Du! Du! Du!!! [das "Du!" wird jedes Mal ein Stück größer] Du breitest den Mantel der Liebe um mich – wie ich mein ganzes liebes Weib mit meiner Liebe umhülle – mein! ganz mein!!! Wie kannst Du mich nur sooo liebhaben! Du!!!!! !!!!! !!!

Oh Herzelein! Und Bescherung wird auch bei mir sein – am reichsten bin ich doch beschenkt – durch Dich – durch Dich! Oh Geliebte! Laß Dich auch immer so von mir beschenken!

Um 5 Uhr werde ich zur Christvesper gehen – und dann ist Bescherung – und dann gehöre ich ganz Dir! Oh Geliebte! Dir gehör ich doch immer – immer – ganz – ganz Dir! – Oh Du! Du!!! Wie bin ich so glücklich – sooo glücklich mit Dir – meine [Hilde]! Meine [Hilde]!

meine liebe, liebste, herzallerliebste [Hilde]! Du!!!!! !!!!! !!!

Behüt Dich! Gott! Oh segne er unsre Liebe!

Grüß auch die lieben Eltern!

Auf Wiedersehen, Herzelein – Du! Ich komme doch bald, bald wieder zu Dir! Wie gerne?

Du! Du!!! Weißt Du es noch? – Wie lieb? – oh Herzelein! Ich hab Dich so sehr lieb! Sooooooooooooo lieb!

Ach Du! Und möcht es Dir so gerne leben! Dir leben! Oh, möchtest Du so glücklich sein in meiner Liebe wie ich es bin in der Deinen!

Ich liebe Dich! Ich küsse Dich herzinnig. Ewig

Dein [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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