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[OBF-430102-001-01]
Briefkorpus

Neujahrstag 1943

Herzensschätzelein! Geliebtes, teures Herz! Meine [Hilde]!

Das Mannerli hat nun doch nicht den ganzen Tag verschlafen – Nach dem Essen hat es sich gleich einen Spaziergang verschrieben. Es war heute mittag [sic] ein wenig aufgeheitert, hohe Nebel zogen und deckten die Sonne gegen 3 Uhr wieder ganz zu. Baum und Strauch waren wieder versilbert, die Kälte hat den Nebel niedergeschlagen. Kennst ja meinen Spaziergang nun schon hinaus nach dem Ausstellungsgelände. Ich gehe ihn am liebsten – die schöne Allee erinnert an die Heimat, der Weg ist gut, man kann ihn gehen, ohne nach dem Boden zu sehen – und diese Wege liebe ich. Ach Herzelein – und so bin ich ihn heute wieder gegangen und habe ganz lieb Dein gedacht.

Waren seinerzeit die Sternsänger unterwegs, so sah man heute in den Straßen Kinder mit einem Blumenreis in der Hand – an einem Stab künstliche bunte Blumen zu einem Strauß befestigt – damit berührten sie die spendefreudig [sic] erscheinenden Passanten und sangen und sprachen dazu einen Vers, einen Glückwunsch wohl. Als ich so ging, bemerkte ich überall schon in den Straßen ein stärkeres Polizeiaufgebot. Dann kam ein Rudel Polizisten auf Motorrädern – und dann wieder ein solches Rudel und dazwischen etwa 10 –15 Luxuswagen, an einem die Standarte des Königs – im Rudel sausten sie vorbei, wäre nur ein Gefährt irgendwie gestürzt, es hätte einen Massensturz gegeben. Und nun kam ich auch dahinter – der König fuhr mit seinem Gefolge aus dem Stadtschloß in das Schloß, das gleich neben, eigentlich im Bereich des Ausstellungsgeländes liegt. Was ist es doch ein eigenartiger Zauber um solchen König. Ich empfinde es jedesmal, [sic] wenn ich am Schloß in der Stadt vorübergehe. Da liegt nun, umbrandet vom Großstadttrubel, ein großer, umfriedeter Bezirk, der mächtige Hof, leer ist er zumeist, und darum der königliche Bau mit hohen Fenstern, aus den von Leuchtern gespendet manchmal Licht dringt – märchenhaft, wie der Welt entrückt – königlich.

Und das Wesen nun um solchen König – gehütet wird er wie ein Heiligtum, wie eine wertvolle Figur, umschwärmt von seinem Gefolge stets und getragen im Bewußtsein der Menschen all – König – eine Person, in der die Menschen sich selbst ein Haupt setzen aus einem Urinstinkt so wie die Bienen und Ameisen – der König ist eine Person aus der Zeit, da die Menschheit noch gläubig war, in der aus tiefer Kraft und innerer Schau Märchen, Sagen und Mythen geboren wurden. Unsre Zeit könnte die Königsgestalt nicht finden. Als ich an der schwedischen Gesandtschaft vorüberging, kehrte eben der Gesandte zurück im vollen Schmuck, einen Helmbusch auf dem Kopfe – er kam gewiß von der Gratulationskur. [sic] Auch die Wagen des japanischen und türkischen Gesandten fuhren vorbei. wenn [sic] die hohen Diplomaten nur mal ein Friedensrezept finden wollten. Ja, Herzelein – dann bin ich am See entlang durch das Ausstellungsgelände zurückgekehrt. Kälter wurde es, trübe auch, und ich beschleunigte meinen Gang – wollte mich nun ein wenig lang strecken. Ist auch geschehen bis zur Stunde, da die Post sonst kommt – aber sie ist heute ganz ausgeblieben. Abendbrot habe ich nun gehalten. Und nun finde ich meine Müdigkeit nicht eher, als bis ich mit Dir noch Zwiesprache gehalten habe. Wo kann ich Dich denn finden? Ob Du wohl in Bisch. oder Kamenz weilst? Hellmuth wird heimgekommen sein. Elfriede noch im Krankenhause, so schreibst Du mir. Ist schon eine ernste Zeit, wenn ein Kindlein zur Welt kommen will. Und häßlich daran ist, daß, wenn nun schon alle körperlichen Schmerzen und Gefahren durchgestanden sind, womöglich noch eine geldliche Verschuldung bleibt; sie ist bei dem Kassenwesen wohl gemildert, aber in schweren Fällen doch nicht ganz ausgeschaltet. Aber was wiegt sie schon gegen die Freuden über den Besitz eines Kindleins. Noch zwei halbfreie Tage liegen nun vor uns – fein. Aber meine Schreibschulden! Ach — ich lasse mich von ihnen nicht bedrücken. Morgen muß aber nun mein Herzlieb zu mir kommen

Du! Am 6. Januar ist großer rumänischer Feiertag – Johannestag. Ein Brauchtum ist nun diesen Tag: In Anwesenheit des Königs und der höchsten geistlichen Würdenträger wird an einer bestimmten Stelle der Dombowitza (das ist unser Fluß) ein Kreuz ins Wasser geworfen. 3 Männer fischen es heraus, übergeben es dem Patriarchen, der küßt es und übergibt es dem König. Unser Gastgeber konnte uns dieses Brauchtum auch nicht deuten, es ist jedenfalls ein Weiheakt.

Ich bin in den nächsten Tagen wieder allein bei meiner Arbeit. Dem Z. ist der Vater nun gestorben, und er fährt nun noch einmal bis zum 10. Januar heim. Na, ich bin ja gerade in der Übung.

Herzelein! Jetzt will ich noch ein Stündchen in meinem Buche lesen. Hörst mit zu? Ach Du! Du!!! Könnten wir doch beieinander sein:

Morgen schreibe ich den Boten fertig. Gut [sic] Nacht! Du! Mein Liebstes! Mein All und Einziges! Ich küsse Dich – ich habe Dich so lieb – sooo lieb! Du!!!!! !!!!! !!!

Schätzelein! Man hat uns heute zu spät geweckt – wie an Sonntagen – hurra! Und Mannerlis Wecker hat sich auch nicht früher gerührt. Aber nun hurtig in die Geschäfte! Ist ja heute wieder nur der Vormittag bis ½ 1 Uhr. Ob denn heute der liebe Bote kommen wird? Ich freue mich doch sooo darauf! Es ist heute wieder milde draußen – ich will gleich wieder zu einem Spaziergang ansetzen. Gehst mit mir? Ich glaube, außer Deinen Gängen kommst Du auch nicht zum spazierengehen [sic].

Nun leb wohl, Herzelein! Bald, bald komme ich doch wieder zu Dir! Sooo gerne! Sooooo gerne! Du! Behüt Dich Gott auf allen Wegen!

Ich denke Dein immer in Liebe und Treue – und bin sooo glücklich in Deiner Liebe!

Ich küsse Dich herzinniglich! Und bleibe

ewig Dein [Roland]

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Kommentare

Daniela Ende

Di., 08.03.2022 - 14:20

Bzgl. Johannestag gibt es ein paar Ungereimtheiten: Ich konnte nicht herausfinden, warum er den 6. Januar als Johannestag bezeichnet. Der Johannistag (Geburt des Johannes des Täufers) ist am 24 Juni, diesen Tag kann er also nicht gemeint haben. Der damalige König hieß Michael I., er kann also auch nicht gemeint sein.

Das Fest der Heiligen Drei Könige ist in der christlichen Welt immer am 6. Januar, welches er später auch in einem anderen Brief [OBF-430107-001-01] so bezeichnet bzw. korrigiert. Allerdings sind die Mehrheit der Rumänen orthodox und nicht evangelisch wie Roland. In der orthodoxen Kirche wird nach westlicher Zeitrechnung Weihnachten am 6.-7. Januar gefeiert, da sie nach dem julianischen Kalender und nicht dem gregorianischen Kalender gehen. Der Kalender wurde in Rumänien aber in der Zwischenkriegszeit umgestellt. Es lässt sich also mit Rolands Beschreibung nicht genau festhalten, welches Fest er meint.

Einordnung
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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946