Sonnabend, den 2. Januar 1943
Herzensschätzelein! Geliebte! Meine liebe [Hilde], Du!!!
Die Post hat keinen Brief für mich – und gerade zu den Feiertagen hab ich doch viel Zeit, Dich recht lieb zu empfangen. Aber das ist nun nicht zu ändern, und ich muß mich vorerst einmal 24 Stunden länger gedulden. Ich habe den Abend nun gleich einmal benutzt, um ein paar Schreibschulden abzustoßen: Siegfried, Familie [Nordhoff], die Großmütter, U., Fräulein Sch. – D.s waren schon vor einigen Tagen dran.
Mein Schätzelein soll am morgenden [sic] Vormittag drankommen. Aber ich könnte doch nicht eher ruhig mich niederlegen, wenn ich Dein nicht gedacht hätte. Das habe ich doch den ganzen Tag schon, vorhin beim Schreiben schon in all die Nachbarschaft, in die ich doch durch Dich eingeführt wurde, die uns als ein glückliches Menschenpaar kennt – und auf meinem Spaziergang. ½ 4 Uhr war ich es, daß ich mich nach einem Mittagstündchen aufmachte. Ein herrlicher Tag war draußen geworden, frühlinghaft milde, still – meinen Lieblingsspaziergang zog es mich. Ach Herzelein – so froh und gut und friedlich wollte einem die Welt für Augenblicke scheinen – und wo ich mit Dir allein bin, ist sie es ja doch auch! Oh Herzeallerliebste [sic] mein!!! Ausspannende, lustwandelnde Menschen – lebensfroh springende Hunde – ein Sonntagsreiter – auf dem Eis sich tummelnde Kinder – hinter einem Kahn ein Entenjäger im Anschlag – der Kapitän in Zivil – das waren Bilder, die an den Frieden denken ließen. Und froh kehrte ich heim – und froh bin ich im Herzen - . [sic] weil ich Dich darinnen weiß – oh Geliebte mein!!! Ich bin nun müde! Will mich schlafenlegen! [sic] Ich denk, mein Schätzelein wird heute auch nicht zögern mitzugehen. Ach Du! Du!!! Komm zu mir! Laß mich Dir ganz nahe sein! Ich liebe Dich! Ich hab Dich lieb!
Und ich will bei Dir sein – Du hast mich lieb – hast mich am liebsten! Gut [sic] Nacht! Gut [sic] Nacht! Meine liebe [Hilde]!!!
Herzensschätzelein! Einen lieben guten Morgen wünsch ich Dir – so strahlend und frisch ist er wieder – es hat in der Nacht ein wenig geregnet – ach, so frisch wollt ich zu Dir treten, Dir mich einfach in den Weg stellen – und Du? – würdest Deinen Buben gleich überreiten wollen? – ich ließ mich aber gar nicht überreiten – ich hielt den Reiter auf – und hielt ihn fest – lang, lang, ganz lieb und lang! – ach Du! ein ganz liebes, langes Gutenmorgenküßchen [sic] geb ich Dir. Das Mannerli hat zwar lang im Bettlein gelegen – und müde war es doch auch – aber gut geschlafen hat es nicht – es hat mich jemand nicht schlafen lassen. Ganz wach war ich einmal wieder nach dem Einschlafen – und dann habe ich lauter Zeug zusammengeträumt, von Großröhrsdorf, Bischofswerda und Kamenz. Auch Du warst mit im Traume. [sic] Ich mein, Du weilst in Bisch. oder Kamenz – Ihr seid spät zu Bett, und da hat das Mannerli auch nicht eher Ruhe gefunden, als bis mein Herzelein sich mit niedergelegt hat.
Als wollte der Frühling nahen, so ist es draußen. Die Weiden am See saften auch schon wieder. Ich freue mich auf den Frühling, er wird meinen Spazierweg wundersam verzaubern. Vielleicht kann ich ihn in diesem Jahre auch mit Dir daheim erleben! Du!!! Herzelein! Nun stapfen wir doch miteinander schon im neuen Jahre – miteinander? – ach freilich, Du bist mir doch immer lieb zur Seite. Und nun will die Hoffnung sich wieder beleben. Vielleicht birgt das neue Jahr in seinem Schoße die entscheidende Wendung zum Frieden – vielleicht führt es den Silberstreif des Friedens herauf? In dieser Hoffnung hat das vergangene Jahr uns doch enttäuscht. Nun hast auch Du die verschiedenen Jahresaufrufe gelesen. Am zuversichtlichsten sprach Hermann Göring – er spricht als einziger die Hoffnung auf den Frieden aus – Adolf Hitler ist bedeutend vorsichtiger – er spricht wieder von dem Kampfplatz, auf dem einmal einer als letzter stehen wird – einmal – Ach weißt, ich gebe auf diese Reden nichts – sie sind alle zu einem Teil in ihrer Wirkung berechnet. Die regierenden Männer könnten uns auch einmal ihre Erwartungen sagen, die sie auf Grund ihres Überblickes, ihres Einblickes in die Kräfteverhältnisse, ihrer Berechnungen haben – aber das tun sie nicht – das können sie nicht – damit würden sie unsere Stellung ja auch an die Feinde verraten, die ja ebensowenig [sic] die Wahrheit herausgeben. Und was an Schicksalsfällen und Schicksalsspiel dazwischentritt, das können sie ja auch nicht berechnen.
Herzelein! Wir erkennen den furchtbaren Grimm und Hass, mit dem auf beiden Seiten gekämpft wird, wir ahnen den Kräftevorrat der Engländer und Amerikaner, wir sehen die Kräfte unsres Volkes auf das äußerste angespannt – und können uns darum leichtgläubigen und leichtfertigen Hoffnungen nicht hingeben. Wie weit die Kraft des russischen Widerstandes wirklich Kraft ist oder Verzweiflung, können wir nicht beurteilen. Man wird sich hüten müssen, den Russen zu unterschätzen, wie es bisher geschehen ist.
Und dennoch müssen wir hoffen – weil wir einander sooo lieb haben, weil ich Dir heimkehren will – weil wir einander leben wollen!!! Oh Geliebte! Meine [Hilde]!! Wenn ich diese Hoffnung nicht in mir hätte – wenn Du mir nicht zur Seite wärest! Meine Hoffnung, Du!!!
Heute ist das Mannerli nun wieder U.v.D. Um 3 Uhr spielt im katholischen Dom der Organist vom Freiburger Münster Improvisationen über deutsche Weihnachtslieder. Das will ich mir anhören, dazu lasse ich mir freigeben. Wird heute Dein lieber Bote kommen?
Mein Magen ist auch froh, daß er Sylvester [sic] gut überstanden hat. So essen und trinken durcheinander am laufenden Band kenne ich doch von je nicht. Jetzt tät ich freilich mal von der Gans oder dem Spanferkel zulangen – einmal – naschen – Mein Schätzelein wird den Kochlöffel schwingen — und bei uns wird gleich schon etwas Gutes auf dem Tische stehen. Jetzt ist ja Monatsanfang, die Wirtschaftskasse ist noch gut gefüllt, die billigen Gerichte sind noch nicht in Sicht. Ach Du! Ich esse doch auch gerne die einfachen Gerichte, sehr gerne – nur muß es zu den suppenartigen etwas Festes geben als Beigabe: ein Stück Gebäck – oder ein Kompott. Na, ich glaube, mein liebs Fraule ist darin erfinderisch genug - schon um sein eigenes Leckermäulchen zufrieden zu stellen – gelt?
Herzelein! Nun leb wohl! Bis auf ein paar Stunden. Bald komm ich wieder zu Dir! Behüt Dich Gott!
Ich bleibe in Liebe und Treue ganz Dein!
Ewig Dein [Roland]!
Dein glückliches Mannerli!
Ich weiß doch etwas Süßes für's Mündlein, das kann mein Fraule gar nicht kaufen – das muß reifen im Sonnenstrahl und im Schein des Herzblümeleins [sic]
Du! Du!!! Wenn ich wieder bei Dir bin, wollen wir mal nach den Früchten schauen? – Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Nicole Andert
Roland schlief nur kurz; in der Nacht war es sehr kalt. Er lag wach und dachte viel an Hilde. Er schwärmt sehr verliebt von seiner Hilde, beschreibt sich als Sonnenstrahl, sie als seine Blume und sinnt über das Wunderwirken ihrer Liebe nach. Für ihn ist Hilde seine Heimat und er ist glücklich, zu wissen, wo er hingehört.