Freitag, den 8. Januar 1943
Herzelein! Meine [Hilde]! Mein liebes, teures Weib!
Da ist sie wieder, die Stunde, auf die ich mich freue, ach, die ich manchmal kaum erwarten kann, zu der meine Gedanken oft schon im voraus eilen – daß ich ganz unaufmerksam bin im Dienst. Ja, ja, so hat mein Herzelein das Mannerli an allen vier Zipfeln – weiß nicht, ob es vier sind. Ach Du! Du!!! Liebstes mein! Zwei liebe Boten sind schon wieder gekommen vom Sonntag und Montag – immer schneller kommen sie – ich glaub, eines Tages kommt mein Schätzelein selber – oder ich zu ihm – ja? Du!!!
Herzlieb! Die schönen hellen Tage hier bei uns verheißen das aufsteigende Licht. Wenn auch noch Winterstarre und Wintertod umgehen – das Licht steigt – dem Frühling zu – und, so hoffen wir fest, unserem Wiedersehen! Ach Du! Du!!! Lang ist das doch gar nimmer hin. Heute mußte ich eine Akte in die Wiedervorlagemappe tun für den 15.3. Wird gar nicht lange hin sein, muß ich sie wiederholen – und dann ist es schon an der Zeit, daß ich meinen Urlaubswunsch anbringe und auf den Urlaub zu sparen, ist es jetzt schon an der Zeit. Führerpäckel bekommen wir nicht – will doch das Mannerli wenigstens so etwas schaffen. Du! Wieviel Freude das macht!!! Du tätest nicht anders wie ich. Ich seh [sic] schon jetzt ab, mein Geld langt gar nicht zu allen Wünschen. Aber etwas Zusätzliches [sic] werden wir haben – und das ist fein. Ach Schätzelein! Fast scheint es mir noch zu früh, an den Urlaub zu denken, aber bald, bald müssen wir es, Du!!! Oh Du! So wie es jetzt ist, da kann man doch mit dem Urlaub noch rechnen, das können ja all die vielen nicht, die an der Front stehen – da können Kindlein geboren werden, da kann einer daheim ganz schlimm krank sein – sie können nicht weg – und viele, die noch zur Beerdigung eines lieben Menschen zu spät kommen. Das darf man sich gar nicht länger ausmalen – wenn man nicht trübsinnig werden will.
So sind meine Gedanken gleich bei Hellmuth und Elfriede. Herzliebstes, weiß gar nicht, wie ich mir das denken soll: die Brustdrüsenentzündung operativ beseitigt, doch nicht die Brust ganz abgenommen – Ja, Herzallerliebstes, ein Kindlein bringt viel Freude und Sorge – und beide wiegen sie doppelt in dieser Zeit – und beim Mannerli, das Weib und Kind lassen muß und wieder ziehen, da wiegt die Sorge wohl mehr als doppelt. Soviel leichter doch, wenn die Eltern beide an den Sorgen tragen können, so viel leichter alles in der Geborgenheit und Stille des Friedens. Und vor Komplikationen ist keine Mutter sicher. Ach Du! Herzelein! Ich will nicht bange machen – Du! Du!!!
Weißt, was mir so wunderlich ist: wie ein Kindlein, ein neugeborenes, schon so im Widerstreit liegen kann mit der Welt – denn ich kann all das nicht anders sehen als auch den Ausdruck eines Urlebensgefühls, Urlebensmutes. Wenn ein Kindlein seinen Lebensquell meidet oder nicht findet, so erscheint mir das mehr nur als eine körperliche Ursache zu haben. Ich denke auch daran, wie manche Kindlein doch richtig in dieses Leben genötigt werden müssen – wie sie sonst gleich dieser Welt wieder den Rücken kehren würden. Ist das nicht wundersam – die Stunde der Geburt. Ich glaube, den Hellmuth hat man auch hereinnötigen müssen.
Daß bei Elfriede sich nun eine Entzündung gleich einstellte, das mag seinen Grund haben in ihrer Zartheit – ich glaube aber auch mit aus in der Enttäuschung und der Scheu vor der Unnatur. Ach, was spielen da wohl für Empfindlichkeiten – und ich glaube, deren viele werden zunichte, wenn Mann und Weib sich liebend Aug [sic] in Auge schauen können, wenn sie einander Kraft und Segen strahlen können – Du! Du!!! Ja, wier freudvoll, und wie sorgenvoll kann solch kleiner Lebensanfang sein. Wie schwer findet manches Kindlein sich in diese Welt – und es ist doch von Anbeginn schon das Gesetz, das Schicksal dieses neuen Lebens wirksam.
Hast Mutters Brief gelesen an mich? Weißt, was sie in diesem Zusammenhang schreibt, es ist mir in seiner lieben Herzhaftigkeit etwas zu derb gesagt, so, daß es das Ohr eines liebenden Mannerli verletzen könnte: "Der Kleine hat nicht angebissen. Ich glaube, bei [Hildi] kommt das nicht vor, das Kleine wird genau so verfressen wie seine Mutter und Großmutter." Weißt, das ist wieder so robust gesagt wie die ,Weibsen', [sic] von denen ich gestern sagte. Herzelein, ich bin nicht überempfindlich, aber ich brauche gar nicht weiter darüber zu schreiben – Du verstehst mich ganz. Wir sehen das anders in unserem Lieben. Und Du schaust es wie ich, mit liebenden Augen, mit Gedanken, die zart und lieb und leis [sic] ein Wunder umfangen, hohen Mutes und Sinnes. (Du wirst das der Mutsch nicht vorhalten, sie würde das nicht verstehen und würde nur sich dann vor mir zurückhalten – ich habe sie doch lieb in ihrem Wesen – und diese Entgleisungen bedeuten doch eben nichts anderes, als daß die Eltern nicht so das Wunder der Liebe erfuhren wie Du und ich). Ich schreibe doch davon nur, damit Du erkennst, wie glücklich und voller Freude und Wundergläubigkeit ich das Blütenwunder des Weibes schaue – ach Du! Du!!! Du!!!!!
Daß wir miteinander diesem Leben recht viel Freude und Schönheit abgewinnen wollen – Herzlieb, auch das ist nicht nur Einbildung – sondern: Wie ich die Welt anschaue, so schaut sie mir zurück. Ob ein Mensch die Liebe als einen Rausch der Sinne oder als ein Wunder, ob ein Mann die Frau als ein Mittel, seiner Lust zu fröhnen, [sic] oder als den wundersamen Gegenpol seines Wesens erlebt, das (ist nicht) hat seinen Grund nicht in der unterschiedlichen Einbildungskraft, sondern in dem Grade verschiedener Herzensbildung und Erlebnisfähigkeit. Und das ist so wahr und wirklich, [Tinte verwischt] wie, daß der Blinde nicht sieht, der Sehende aber sieht, daß der Unmusikalische ein Lärmen vernimmt, der Musikalische aber den Reichtum der Klangwelt erlebt, daß ein Empfangsgerät für lange Wellen die Kurzwellen einfach nicht aufnehmen kann. Ja, es ist eine Frage der Wellen und Schwingungen und der Empfänglichkeit und Empfindsamkeit. Und er ist ja sinnlos, hier jemandem zu predigen, wenn er kein Ohr dafür hat – es wäre erfolglos, jemanden bekehren zu wollen.
Herzelein! Du berührst all das auch ein wenig in Deinem lieben Montagboten, wo Du von dem Besuch der Familie N. erzählst. Und Deine Gedanken dazu sind ganz die meinen. Du erlebst es auch wie ich, daß unser Lieben uns enger und inniger verbindet miteinander als mit den Eltern – daß unsre Herzen einander am weitesten und tiefsten aufgeschlossen sind – das muß ja auch so sein – das ist das Gesetz der Liebe. Daß wir aber gerade aus unserer Heimlichkeit leichter und froher und dankbarer wieder hinfinden zu den Eltern. Das habe ich an mir doch so deutlich erfahren. Herzelein – weil dann die Spannungen zwischen Eltern und Kindern gelöst und aufgehoben sind. Es möchten nun Eltern sein, die ihre Kinder so lieb geleiten und sie verstehen – ich glaube, daß auch sie es eines Tages doch erfahren, daß die Kinder sich lösen und gleichsam sich freimachen, daß sie eben ein Eigenes werden können. auch das ist ein Gesetz.
Herzelein, es hat mir so leid getan, daß Du so ganz allein das neue Jahr betreten mußtest – es wäre recht lieb von Mutter gewesen, wenn sie mit Dir gewacht hätte. Ach, das soll kein Vorwurf sein. Und ich bin darum desto glücklicher, daß Du doch zum Frohsein Dich durchrangest [sic] – allein – ach, nein, mit mir, Geliebte! Oh Du! Du!!! Du!!!! Herzblümelein! Ich lasse Dich nicht! Ich vergesse Dich nicht! Oh Du – ich lasse Dich nicht allein! Du wartest mein so lieb und treu – und ich eile zu Dir wenn ich mir loskann – ich komme zu Dir – und bring Dir all meine Liebe – alle – Du, mein Herzblümelein! Oh Du! Ich eile zu Dir – Dein Sonnenstrahl – und scheine Dir – und hülle Dich ein – kein Zipfelchen laß ich unbedeckt – ich hülle Dich ein in all meine Liebe! – und bleibe bei Dir – und hab Dich lieb – ewig lieb!!
Oh Herzelein! Geliebte! Laß mich ins Bettlein gehn mit meinem Frohsein – mit meinem Glücksgefühl. Es ist noch kalt im Stübel, wir haben doch heute noch einmal lüften müssen. Bald komm ich wieder mit Tinte und Feder – und mit dem Herzen bin ich immer bei Dir – Du! Mein Liebstes, mein Alles! Mein geliebtes Weib! Herzlieb, Geliebte mein!
Behüt Dich Gott! Er segne unsre Liebe!
Oh Geliebte! Ich weiß mich so glücklich eins mit Dir! Ich weiß nichts Schöneres und wünsch mir nichts anderes, als mit Dir zu leben – Oh Herrgott, hilf uns dazu – Amen!
Ich küsse Dich vieltausendlieb
und bleibe in unwandelbarer Liebe
ewig Dein [Roland]
[Ab hier neuer Zettel, Datum nicht vorhanden. Wahrscheinlich am nächsten Tag zum Brief hinzugefügt.]
Herzelein! Geliebte! Will Dir schnell noch einen lieben Gruß schreiben, bevor der Bote auf die Reise geht. Ist schon wieder mal Sonnabend. Ich bin heute U.v.D. Die Freude auf den freien Nachmittag ist also hinüber. Aber ich werde zu Dir kommen können – und das ist doch die Hauptsache. Muß Dir noch machnches zur Antwort sagen. Ist doch immer etwas zu schreiben, gelt? Zu bereden! Ach Du! Wie sooo lieb ich Dich habe und es mit Dir meine, das muß ich Dir doch täglich sagen – so wie in Wirklichkeit dann später auch. Wie ich es Dir dann sage? Nun, mit Tinte und Feder – im Herrenzimmer schreib ich dann – und fein versiegelt bringt Dir’s dann der Postillion ins Haus – freust Dich schon drauf? – Du! Du!!! Oh Herzelein! Du! Du!!!
Und mein Schätzelein wird dann wohl Sprechstunden festsetzen für den Empfang solcher Grüße – gelt? – Du! Ich glaub, diese Vorsätze halten nicht lange.
Oh Du! Wenn wir dann immer umeinander sind, dann müssen wir uns erst einmal ganz sattessen an den süßen Früchten der Liebe – Du! Du!!!
Aber jetzt wird es wieder dienstlich, Schätzelein! Ich muß – muß in der Ferne sein – muß mit meinen Gedanken hier sein – muß diese Arbeit tun. Aber was ich will – und wo mein Herz ist – da bist Du, Du ganz allein! Geliebte! Dein ist mein ganzes Herz - Ich habe Dich so lieb, sooo lieb!
Dein [Roland]
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Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946