Dienstag, den 12. Januar 1943
Geliebtes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!
Nun ist der Tag wieder so weit, daß ich ganz bei Dir sein kann. Zu kalt wird es heut abend [sic] draußen, vom klaren Himmel strahlt es und aus dem Schnee strahlt es. Die ärmsten, die nun in Kampf mit Wintersnot und Feindgewalt stehen müssen!
Herzelein! Will Dir heute erst noch ein paar Gedanken zu Deinen lieben Boten von gestern schreiben. Du erkennst es selber recht: Die Sehnsucht und die böse Ferne bringen uns manchmal Unruhe. Wir wissen einander in einem ganz bestimmten Lebens– und Pflichtenkreis, und wenn wir den verlassen wissen voneinander, dann klopft unser Herze wild, dann überkommt uns eine Unruhe wie die Nadel im Kompaß. Herzlieb, genau so ist es. Und in dieser Unruhe verzerren sich die Bilder – wir machen uns Sorgen und Gedanken, dann will sich unser Sinn verdunkeln, dann denken wir an alle Not und Gefahr um uns.
Herzlieb! Ganz unbegründet waren Deine Gedanken. Erstens: Wenn ich auch in einem reichen, schönen Heim zugaste war – so war doch längst nicht alles nach meinem Sinn. Du! Viel zu viel Bilder hingen an den Wänden, viel zu eng und ganz bunt durcheinander – keines gelangte so recht zu seiner Geltung und Wirkung. Im Möbel war die Wohnung ganz schlicht. Viel Teppiche gab es.
Zweitens: Wenn ich von der Liebenswürdigkeit des des Gastgebers schrieb, so doch immer gemessen an dem, was wir erwarteten und erwarten konnten. “Ihr seid zu einem rumänischen Professor geladen” – da befällt zunächst auch Dein Mannerli ein leichtes Grausen – keine Angst, aber in der Erwartung einer gewissen Steifheit, Unverbindlichkeit. Desto angenehmer waren wir nun überrascht, einen schlichten, bescheidenen, lieben, mitteilsamen Menschen zu finden. Und gleiche Interessen fordern die Mitteilsamkeit und das Kennenlernen und menschlich Schätzen und Liebgewinnen. Diese Mitteilsamkeit war gar nicht eine vieler Worte, denn der Gastgeber sprach nicht fließend deutsch – sondern mehr eine unausgesprochene – Herzelein, so, wie zwei sich einer gewissen Gleichgesinntheit und Gleichgestimmtheit freuen, zumal, wenn sie Brücken schlägt (zwischen) über mancherlei Verschiedenheit wie in unserem Falle. Und alle Kunst ist am ersten berufen, solche Brücken zu schlagen – ja schon immer – zwischen den Völkern. Ich denke dabei an die Sinfoniekonzerte in Saloniki. Herzelein – es ist ein klein wenig Sichbeheimatetfühlen, [sic] was man da erlebt, so wie im Gotteshaus hier in der Fremde in der ganzen Kostbarkeit. Dies Gefühl kommt hier in der Fremde schon bei Kleinigkeiten. Lag da z.B. “Naumanns Musikgeschichte" bearbeitet von Eugen Schmitz – und ich konnte sagen: dieser Eugen Schmitz war mein Lehrer am Konservatorium. Oder lag da ein Buch mit den Meisterwerken des Naumburger Doms. Und das Beglückende dabei: zu erkennen, wie überall der Deutsche das gewichtigste Wort spricht, wo von Kunst die Rede ist, wie das deutsche Wesen mehr als durch Reicher [sic] Glanz und Herrlichkeit durch die Kunst wirksam, innerlich wirksam und formend geworden ist.
Kann ich Dir auch noch ein anderes sagen: Du schreibst in einem anderen Zusammenhange, daß Rumänien doch stark nationalsozialistisch beeinflußt sei. Es gibt hier eine Partei, die Legionäre oder Grünhemden, die ähnliche Zielsetzungen hat wie unsre Partei, besonders in der Judenfrage. Diese Partei ist jetzt verboten, schon länger. Aber es arbeitet im geheimen, gerade auch in den letzten Wochen, sodaß selbst im Rundfunk davon gesprochen wurde. Die Anhänger erwarten deutsche Unterstützung und sympatisieren [sic] stark mit uns im Gegensatz zu einer englandfreundlichen Strömung. Aber Deutschland ist o gegenwärtig nur an der Festigkeit dieses Staates gelegen. Unser Gastgeber nun ist ein solcher Legionär. Einpaarmal [sic] hat unser Gespräch daran gerührt.
Über das Verhältnis und die Stellung der Deutschen Hausdame kann ich Dir nichts Näheres berichten. Sie ist schon lange im Hause und hat den Buben aufgezogen. "Wirst Du auch nicht unzufrieden werden, wenn Du nun vielleicht manchmal einkehrst in diesem schönen Heim?” – Herzallerliebste mein! Du! Du!!!
Weißt Du denn auch recht, wie schön es bei uns sein wird? Wie schön es bei uns sein wird – in unserem Heim! Mit Dir! mit Dir!!! Oh Geliebte, Herzallerliebste mein!
Ganz schlicht wird unser Heim sein? Herzelein! nicht ungerecht sein: schlicht wird es sein – kann es darum nicht schön sein? Und gediegen wird es sein, gediegen, Herzelein, von dem Walten Deiner Liebe darinnen – Du! Du!!! Das ist eine ganz besondere Zutat!! Und alles darinnen uns lieb geworden, erarbeitet und erschafft. Und zwei Menschenkinder werden unablässig sinnen, immer schöner es zu gestalten, immer eigener – oh Geliebte! und werden es erfüllen mit ihrer Liebe und ihrem Leben – und ihrem Leben – so Gott will – Du! Du!!! Oh Herzelein! Darfst nicht vergessen, daß ich Dein [Roland] bin, der mehr auf das Sein gibt als das Scheinen. Oh Geliebte! Schaffen will ich doch mit Dir! etwas [sic] uns erschaffen – das weckt doch in mir lauter Freude und Lust mehr als es das könnte, was uns mühelig [sic, wie "Mühe"] in den Schoß fiele.
Oh Geliebte! Und beinahe ein wenig beschämt denke ich daran, wie lieb und reich Du ausgestattet bist schon – nichts bringe ich mit – ein Liedrian, ein Vagabund – und legt sich nun in ein feines, gemachtes Bettlein. Nein, Geliebte! Ich freue mich sooo dankbar darüber, daß wir so reich beginnen können – viel reicher doch als unsre lieben Eltern – Du! Du!!! Oh, ich denke so glücklich daran, wie Du mit der lieben Mutsch so tapfer und fleißig und eigensinnig geschafft hast – liebes, tapferes Mädel, Du! So fein vorgesorgt und alles bereitet für das Mannerli einmal, das Du doch noch gar nicht kanntest – oh Geliebte mein, so lieb Dich bereitet äußerlich und innerlich — und ich bin nun der glückliche – oh Du! das glücklichste, und reichste Mannerli – Herzelein, daß ich es noch einmal sage: so lieb Dich bereitet äußerlich und innerlich – zur Hochzeit des Lebens – in diesem Rüsten und Bereiten erkenne ich doch so viel Liebe, und Streben, oh Herzelein, alle reiche Weibertugend – oh Geliebte, Du weißt, wie Du mich schon immer erfreut hast mit diesem Reichtum. Ach Du, so erfreut, daß ich mich manchmal dessen gar nicht wert fühlte – Herzlieb! Du!!! Wollen wir den Gedanken der Ebenbürtigkeit für immer ruhen lassen? Er hat keinen Raum mehr in unsrer Liebe. Laß mich zum Beschluß dessen folgendes sagen: In der Rassenkunde von Günther steht bei der (nordischen) Betrachtung der nordischen Rasse in Schweden dies: Man hat beim Anblick des Bauern das Gefühl, daß er auch ein Architekt oder Kaufmann sein könnte, bind, wenn er wollte – und umgekehrt. Und jeder ist in seinem Stand ein Herr, mit seinem Eigensinn bei der Arbeitsleistung und seinem Stolz – in jedem lebt die Kraft zu allen Möglichkeiten. Geliebtes Herz! Ich verstehe diesen Gedanken. Es sagt also doch auch: in der innewohnenden Kraft ruht der Wert dieser Menschen, ob sie nun entfaltet ist oder nicht, ob sie sich nun so oder anders entfaltete. Und dieses Entfalten ist doch weitgehend bestimmt von der Umwelt, von den Umständen und Verhältnissen, in die wir geboren sind. Ich hätte es auch 'weiter gebracht' , wenn ich hätte können studieren – ich hätte es mühelos geschafft – und deshalb fühle ich mich auch niemals minderwertig – denn was nun nicht entfaltet wurde, es ist doch in mir (ach Du, deshalb bin ich aber auch nicht stolz, ich kenne auch meine Grenzen) –.
Herzelein! Und in dieser Gesinnung stehe ich Dir doch gegenüber – Du liebes, rankes Weib! Ganz frei – mit dem Gefühl der Ebenbürtigkeit – Ich schwöre nicht auf die Rassenkunde, ich lehne den Materialismus des Blutes, wie man ihn jetzt betreibt, ab (die Menschenopfer dieses Krieges nur noch nach Litern Blutes gemessen) – aber ich erkenne in gewissen Grenzen doch die Wahrheit dieser Gedanken. Vor der Ebenbürtigkeit des Blutes, des inneren Reichtums und Vermögens, wird der Wert der Bildung doch herabgemindert, verstehe recht: der Wert der Bildung für die Beurteilung des Menschen. Denn Bildung kann man erwerben – inneres Vermögen aber ist ein Gnadengeschenk unsres Schicksals. Oh Geliebte! Soll ich Dir sagen, was ich Dir alles zutraue? – Du weißt, wie ich Dich hochschätze! Weißt Du auch noch, daß ich von meinem geistigen Fraule zuerst mich gefangennehmen [sic[ ließ – von der Schreiberin der geliebten Briefe? Ach Du! Du! Du!!! Herzallerliebste mein! Und was ich Dir hier sage – das empfinde ich auch – und ich glaube nicht, daß ich jemals anders Dir begegnete, daß Du irre werden müßtest. Herzelein! Oh Geliebte mein! Frei stehen wir einander gegenüber – nicht ein leises Gefühl der Überlegenheit jemals – Du!!! – aber lauter Glück und Liebe zwischen unseren Herzen! Und dieses Glück und diese Liebe sind bei mir eben, seit ich Deine Ebenbürtigkeit erkannte! Aber die Liebe, Herzelein, die lebt nicht von gleichem Blut und gleicher Art allein, sie lebt und entzündet sich vor allem an dem Grade des Ergänzens und Hinneigens. Oh Du! Du!!! Keinen Augenblick kann ich mehr sorgen, daß Du mir nicht überallhin folgen könntest – und überallhin nehme ich Dich mit – alle Freude, alles alles muß ich mit Dir nun teilen! – Herzelein – das will ich nicht, das muß ich nicht – das geschieht alles von selbst aus lauter Liebe! Oh Du! Was wird das für ein freudig Nehmen und Geben sein! Oh Herzelein – mit lauter Freude laß Dir dann schenken, was ich habe. Du bleibst mir nichts schuldig! Oh Geliebte! Das Mannerli muß doch in vielem selbst erst noch lernen – in vielem wieder von vorn beginnen – und laß 10 Jahre ins Land gehen dann gemeinsamen Lebens – oh Du! Du!!! Herzelein! Wie reich wird es dann blühen in unserem Garten!!! Unzufrieden? Mit solchem Schicksal? Mit solcher Hoffnung? im Leben mit meinem einzigen, geliebten Weibe? – Du! Du!!! Mit keinem König tausch ich – und Dich laß ich nimmermehr!!! nimmermehr!!!!!
Herzelein! Daß Du die Rede nicht mißverstehst von der Tür, die ins Schloß fiel. „Du hast Dich entschieden für mich” schreibst Du. "Und nun bleibst Du auch bei dieser Entscheidung" – so könnte man sich das fortgesetzt denken und, was man wollte: aus Liebe, Treue, Beharrlichkeit, Bequemlichkeit, trotz –
Herzelein! In diesen Worten schwingt zu wenig von dem Glanz und der Freude und Kraft der Liebe – Oh Du! Du!!!: Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!!!!! !!!!! !!! Die Tür ist ins Schloß gefallen in diesem Sinne: daß nun zwei Liebende die Liebe zum erstenmal erleben – und das kann man nur einmal im Leben. Kommt nun drauf an, wie die Liebenden sich fühlen im Kämmerlein: ob sie schmerzlich die Gefangenschaft der Liebe spüren, die Zweisamkeit, ob sie immer nach der Tür schauen – oder ob sie gar nicht mehr an die Tür denken, in ihrem Liebesglück ganz darauf vergessen, daß es überhaupt einmal eine Tür, eine Entscheidung, ein Leben in der Einsamkeit gab. Zu welchen wir gehören? Zu den Glücklichen, den ganz ganz Glücklichen – Geliebte mein!!! Liebste Gefangenschaft! Goldene Fessel! Süße Last! Glückvolle Zweisamkeit!!! Du! Du!!! Haben wir es nicht schon erlebt? Erfahren wir es nicht täglich? – und das Mannerli, Dein [Roland], jetzt eben?
Oh Geliebte! Wenn wir so einander liebbehalten, dann können wir uns auch nicht auseinanderleben. Herzelein! Das Mannerli könnte Zerstreuung suchen, ich denke jetzt gar nicht an schlechte, könnte Familienanschluß suchen, könnte seine meine Freizeit füllen mit Studien, lebendigen und aus Büchern, hier im fremden Lande, könnte so feine meine Kenntnisse bereichern – und tue es doch nicht – und könnte es nicht – müßte es durchsetzen gegen mein Herze – und fühlte mich dann sooo arm und heimatlos – nein, Herzelein, das könnte ich nicht, ich müßte krankwerden vor Heimweh und Sehnsucht nach Deiner Liebe!
So erlegt uns die Liebe ganz von selbst Beschränkungen auf – und wir fühlen keinen Zwang, keinen Verzicht, im Gegenteil, wir folgen damit unsrer Liebe, unsrer Sehnsucht, miteinander zu leben!!!
Oh Du! Du!!! Und diese Sehnsucht ist nie noch zur Ruhe gekommen, solange wir nun schon einander fernesein [sic] müssen – sie ist nur größer geworden – und wird nicht ruhen, bis Gott uns einander ganz wiederschenkt.
Oh Herrgott im Himmel! Segne unseren Bund! Führe uns zusammen zu gemeinsamem Leben! Behüte meine [Hilde]! Schenke uns Kraft und Geduld zu treuem Ausharren! Amen!
Gut Nacht, nun, meine liebe [Hilde]! Sei ganz froh und glücklich mit mir! Du! Geliebtes Weib! Mein! Mein!!! Mein Alles, Du!!! Ich liebe Dich! Und küsse Dich herzinnig!
Und bleibe ewig
Dein [Roland]!
Dein! Ganz Dein! – Mein, Du! Ganz mein!!! Eines wir beide! Meine liebe [Hilde]!!!
Roland Nordhoff
Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Emilie
"Und das Beglückende dabei: zu erkennen, wie überall der Deutsche das gewichtigste Wort spricht"
An dieser Stelle wird wieder einmal sehr deutlich, wie sehr Roland von Nazi-Ideologie und der Überlegenheit des Deutschtums überzeugt ist...