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[OBF-430202-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 2. Februar 1943

Geliebtes, teures Herze mein! Meine liebste [Hilde]!

Da ist unser Stündchen wieder. Dein Mannerli klappt das Fenster auf zum Herzen – ach Du! Du!!! zur Heimat, zur Freiheit! – wer schaut noch solch liebes, glückvolles Bild? oh Du! Geliebte! wen erwartet noch solch goldene Freiheit, so viel Liebe? wen noch solch liebes, liebstes Weib? !!!! Oh Du! Du!!! Geliebte mein! Ich bin doch sooo froh und glücklich mit Dir! Ich bin doch mit Dir das reichste und glücklichste Mannerli!

Oh Du! Geliebte! Wie dankbar müssen wir sein, daß wir dieses Glückes so ungetrübt noch (haben) uns freuen können!

An das furchtbare Schicksal der vielen tausend Kämpfer müssen wir denken, die alle Hoffnung des Lebens bei vollem Bewußtsein mußten fahren lassen – es ist ungeheuerlich! Oh, wieviele werden die ganze Wucht solchen Gerichtes erfahren haben! Erschauern macht nur der Gedanke, daß ein Mensch solche Verantwortung auf sich nehmen kann.

Und an Dein Erleben denke ich vom vorigen Donnerstag – da Du einem das Geleit gabest, der nun am Körper gebrochen heimkehrt.

Welch unendliches Herzeleid häuft dieser Krieg wieder auf unser Volk! Und wie schlägt das Schicksal hart zu hier und dort. Wie tritt es fordernd vor immer mehr Menschen!

Oh Du! Laß uns beten um unser Glück, um unser und unres Volkes Heil!

Herzlieb! Daß ein neuer Krieg so furchtbar und leidvoll sein würde – ist es allen Menschen recht klar gewesen? Oh, mir hat es geahnt, und angesichts der fortschreitenden Technisierung und Entwicklung der Luftfahrt ist ein neuer Krieg ja auch oft genug als ein Schreckgespenst vor uns hingestellt worden – aber das hat die Menschen nicht bei der Vernunft zu halten vermocht.

In den letzten Tagen sind in einer französischen Stadt wieder Kinder die Opfer eines Luftangriffes geworden! Es ist eine ewige Schande!

Oh! Wollte Gott sich der erbarmen!!!

Dein lieber Bote vom Donnerstag abend ist bei mir, Herzelein!

Sei von Herzen bedankt für Dein treues Gedenken!

Ach, Du weißt, daß Du alle Freude mir damit schenkst!

Und was wollten wir einander lieber tun? Was könnten wir Lieberes noch einander tun? Oh Du! Geliebtes Herze mein! Ach Du! Jeden Tag, den Gott noch werden lässt in unserem Leben, will unsre Liebe sich künden, wir müssen ihn zusammen gehen – wir müssen einander festhalten über die Ferne – und damit alle Freude, alle Hoffnung, ohn [sic] die wir nicht leben könnten.

Oh Du! Meine [Hilde]! Welch eine Hoffnung lebt in unseren Herzen, welch reiche Hoffnung hat mit unsrer Liebe sich aufgetan, Hoffnung, dem Erdenleben zugewandt!

Oh sei Gott im Himmel uns gnädig. Sei er mit unserem Hoffen!

Nun hattest den Dienst wieder einmal hinter Dir! Das ermüdende Getriebe. Wer da täglich eingespannt ist, der weiß dann, was er getan hat, dem bleibt nicht mehr viel Kraft, sich noch Sorgen und Gedanken zu machen. Solcher Dienst taugt darum wohl besser unbeschwerten Menschenkindern und robusten Naturen.

Herzlieb! Ich empfinde es ja so dankbar, daß Du so tapfer eingetreten bist, daß Dir dieser Dienst abgenommen wurde. Du tatest es mir zuliebe! Du! Du!!! Ich weiß es!

Du denkst darum nicht falsch von mir – Geliebte! Ach nein – Du verstehst mich – und ich glaube, daß ich mit meinem Wunsche auch Dir gedient habe – daß ich Dich bewahrte damit vor Hast und Zersplitterug Deiner Kraft, daß ich Dich damit bewahrte vor der Stunde, da es Dir selbst zu viel wurde und Du vielleicht nicht mehr zurückkonntest.

Ach Geliebte, vor einer Zersplitterung auch Deiner seelischen Kraft, die dieser Dienst mit sich bringt, für den zumal, der mit ihm nicht schon vertraut ist, der darin nicht schon ein wenig hart geworden ist. Der Schwesternberuf ist auch Seelsorge und die erfordert auch Übung, erfordert nicht nur Mitempfinden – dann würde sie ja zermürben – sondern auch Härte, Routine, und wer die nicht besitzt, der kommt schwer zurecht damit. Ach, sie erfordert einen ganzen Menschen.

Herzelein! Wie würde das Leiden und Schicksal fremder Menschen auf Dein gutes Herze einstürmen! Die beste und liebste Schwester würdest Du wohl sein in Deiner Güte — in Deinem sonnigen Wesen – ach, und damit wohl auch bald in Bedrängnis liebeheischender Menschen. Oh Geliebte! Ich glaube, daß Du mir die Treue hieltest. Aber ich müßte beiseitestehen die Zeit, wir müßten unsre Hände lösen für diese Zeit – Du, weil fremde Pflicht und Fürsorge Dich ganz in Anspruch nähmen, und wenn nicht zeitlich, so doch seelisch – und ich könnte nicht vor Dich kommen mit meinem Herzen jederzeit.

Jeder müßte derweil seinen Weg gehen, wir müßten uns am besten verabreden, einander nach dem Kriege wieder zu treffen.

Oh Du, könntest Du das?

Dein Tag wäre dann angefüllt mit schönster Pflicht und er verginge wohl im Fluge – aber der meine wäre desto leerer und freudloser dann.

Oh, Geliebte mein! Ich kann mir nicht denken, wie das wäre.

Unsre Liebe ist zu jung – oh Geliebte! ist ein stürmisch Drängen noch zu Eigenem, zur Zweisamkeit, ist ein Fordern aneinander, ist ein heißes Wollen zum Einssein, heißer noch nun in der Zeit der Trennung. Oh Geliebte! Wir sind zu tief und innig miteinander verbunden!

Herzelein! Gestern las ich, daß nach dem Aufruf durch das Arbeitsamt ein Fragebogen auszufüllen ist. Du wirst auch nichts vergessen darin? Ganz knapp und sachlich – aber nichts vergessen, und wenn die Nebenbeschäftigung in Stunden angegeben werden muß, so wie es ist, Du kannst bei drei Scharen mit Kartei und Vorbereitung und Lauferei gut 10 Stunden rechnen – gut Schätzelein.

Es ist doch so, daß Du viel mehr gar nicht schaffen kannst, höchstens eben an einem anderen Platze. Ja, und wenn Dich eben nichts schützt vor dem Wandern – ach Du, ich denke doch, daß Du daheim bleiben kannst, weil ich es so sehr wünsche – was solltest Du dann als besonderen Wunsch angeben? Kinderbetreuung – oder hauswirtschaftliche Betätigung - aber glaubst, Du kannst es so und so schlecht treffen – und als neuer Topf muß man überall erst mit der groben Arbeit vorliebnehmen. Ich denke dabei nur an Adelheids Dienst. Weißt, so ungelernt ins Blaue ziehen, das ist schlimm. Es ist bei mir eigentlich dasselbe. Jeder, der nun ein richtiges Fach studiert hat, wird nach seinen Fachkenntnissen eingesetzt, die Richter bei den Gerichten, die Ingenieure bei den Werften, die Ärzte, die Meteorlogen [sic] – und die sonst noch fachlich irgendwie gründlich geschult sind und darum notwendig, unbedingt notwendig, die haben ihren Platz — und seien es die Musiker. Weißt, das kann mich manchmal richtig ein wenig schmerzen – aber ja nur für die Zeit, da ich in der Fremde sein muß – daheim wieder habe ich schon meine Arbeit – meinen Beruf, meine 'Liebhaberei', ach und dann ganz neu dazu mein Fraule – und unser Heim – und was darin ist – Du! was kann das wohl alles sein?!!! Da langt ja die Zeit gar nimmer aus – gut, daß auch mal Ferien werden! Ach Schätzeli, Herzensschätzeli! Wenn es nur schon soweit wäre!

Du! Schätzeli! Wenn wir das erste Mal in unserm Stübel sind, da muß ich Dich aber fest, ganz fast an mich drücken – ach Du! Du!!! aus lauter Freude – und Dankbarkeit – und Liebe! Ach Du! Du!!!

Wir möchten doch so gerne miteinander schaffen, in Friedenszeiten beinahe, eine Selbstverständlichkeit – und jetzt ein liebster Wunschtraum, oh Herzelein, unser sehnlichster Wunsch.

Das wollte ich noch sagen:

Bei unseren Kindern sehen wir aber mal fein drauf, daß sie etwas Rechtes lernen – nach ihren Kräften – aber etwas Rechtes, etwas fachlich Tüchtiges.

Schätzelein!

Nun leb wohl für heute.

Behüt Dich Gott!

Bald komm ich doch wieder zu Dir!

Gestern gab es doch Löhnung. Ich habe diesmal Seife eingekauft. Für Vater kommt ein Räucherpäckel an Dich. Sollst ihm aber nichts wegnehmen. Wann denn wohl die Husche [Sächsisch: "Gans"] ankommen wird?

Heut ist es richtig lau bei uns, es taut. Morgen sollten wir den Eislauf des Berliner Schlittschuhklubs besuchen, daraus wird wohl nun nichts werden.

Schätzelein! Bleib mir fein froh und gesund! Ich hab Dich so sooo lieb!

Ach Du, unsagbar lieb! Ich küsse Dich vieltausenlieb und 

[Seite fehlt]

hinaus kann dieser Zustand währen!“

Herzelein, was Du dann gegen Ende Deines lieben Boten sagst, ich kann es nicht entkräften.

“Gehe hin, verkaufe alles, was Du hast, und folge mir nach” – so sprach Jesus zum reichen Jüngling, der sich vermaß, Gottes Gebot schon ganz erfüllt zu haben.

Und so ähnlich wird es uns von den Menschen zugerufen. – Und ich schaue ein Bild: einen Kämpfer, der trotzig dreinschauend sich vor sein verängstetes [sic] Weib stellt mit einem Blick, der da sagt: das ist mein Eigen! das laß ich euch nicht – was es auch fordert! –

Geliebte! Ich fühle die Größe meiner Forderung, ihre Leidenschaft, die Leidenschaft restloser Hingabe und Gefolgschaft, den Eifer der Pflicht, das Einstehen für ein Ideal – ich erkenne sie nicht in unseren Tagen.

Wohl sehe ich Zwang, Notwendigkeit, Schicksal und Pflicht, Ich hätte meine Pflicht getan auch – und kann nicht andes, als meine Pflicht tun – und so furchtbar es wäre, ich müßte sie auch tun bis zum Letzten, ein letztes Muß würde mein Herz erstarren machen, daß ich unsre ganze Hoffnung und Dich, mein liebes Weib darüber verlöre.

Oh, davor behüte mich Gott!!!

Oh Du, Geliebte mein! In heißer Liebe sind wir zueinander entbrannt! Sie hat in unserem Herzen alles ein- und umgeschmolzen – daß wir ganz nur dieser Liebe leben möchten, einander nur noch dieser Liebe leben möchten.

Ach, wer versteht das noch? Und in dem Fördern dieser Liebe scheint uns alles Große, alle Leidenschaft, aller Lebenswert zu liegen. Wir wissen, daß unsrer Liebe Eigennutz sich klären wird, wenn die Ferne und Ungeduld von uns genommen werden, wenn wir einander ganz in Liebe leben können.

Aber bis dahin wird die Ungeduld, die Unruhe, die zitternde Sehnsucht mit uns sein. Bis dorthin wird uns der Liebe leidenschaftlich Fordern immer wieder erfüllen.

“Es ist uns heiligste Pflicht mitzuhelfen nach all unseren Kräften” – ich kann es nicht, und ich tue es auch nicht jetzt – und wir taten es beide nicht bisher. Ich hätte nicht gekonnt, schon deshalb, weil ich Dich liebe! Weil ich Dich behalten möchte! Heiligste Pflicht– dann müssen wir Abschied nehmen für immer, dann müssen wir die Brücken abbrechen zur Zukunft, auslöschen die Liebe im Herzen –

Ach, ich will Dich nicht länger bei Deinen Worten nehmen und noch mehr verwirren.

"Frauen haben ein weites Herz, sie müssen Liebe geben.“ – Und wenn diese Liebe nicht verstanden wird – wenn sie mit Füßen getreten und ausgenutzt wird – wenn sie mißdeutet wird – dann kannst Du schon mein Ureigen sein wollen und bleiben – und mußt doch unwürdigen zu Diensten sein – mehr unwürdigen als würdigen, das weißt Du.

Aber ich mag nicht länger darüber schreiben heute. Vielleicht hast Du schon keinen anderen Ausweg mehr als den, welchen ich jetzt im Auge habe.

Es täte mir weh – und Du selber müßtest mir wehtun – und nur ein Menschenkind könnte das verstehen: Du selber.

Oh Du! Geliebte mein!!!

Denkend kommen wir nie zu Ende damit. Mit allem nicht, was geschieht in unseren Tagen.

Nur mit dem Glauben, daß all dies Schicksal ist – Gottes Wille. Und nur mit diesem Glauben vermag ich stille zu werden.

Frei handeln und entscheiden können wir nicht. Und wo ich es noch kann, da bestimmt mich die Liebe zu Dir – von der ich glaube, daß sie ebenso Gottes Wille ist.

Ich kann nicht anders.

Könntest Du denn anders?

Du weißt meinen Wunsch, daß ich Dich nicht in einem weitöffentlichen Dienst sehen möchte. Es kommt aus meiner Liebe Eigensinn, und dieser Eigensinn ist ein Stück meiner Liebe, meines Wesens. Wenn Du unser Zusammenleben bisher überschaust, dann ist darin ein Ringen um dieses Eigensein. Und dieses Ringen war desto stärker, weil wir noch nicht einander zu Eigen sind in letzter Vollkommenheit, weil unsere Zeit so vielen Menschen dieses Eigen raubt und weil wir uns ferne sein müssen. Wir wollen uns nicht nur zueinander gesellen wie die Masse um uns, wir wollen einander zu Eigen haben, ganz zu Eigen. Und dieses Wollen wäre schon zu einem Teile erfüllt,

[Brief unvollständig]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946