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[OBF-430216-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 16. Februar

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Geliebte, Herzallerliebste mein! Meine liebe, liebste [Hilde]!!!

Bist wohl mit mir vorhin aus dem Dienst heimgegangen? Gehst nun an drei Tagen der Woche so mit mir? Hast wohl auch nach dem wachsenden Mond geschaut? Er steht heute in nächster Nachbarschaft eines Planeten! Das Mannerli wollte heute eigentlich gleich heimwärts, um sich Bratkartoffeln zu bereiten – aber ich mußte doch einen Umweg einschlagen. Mit Deinem lieben Boten vom Freitagvormittag kam ein Brief vom Vater in Kamenz.

"Herr F., H.s Schwiegersohn, wird auch nicht mehr heimkehren. Er wurde auf einem Flugplatz tödlich getroffen." Herzelein, ist das denn möglich? – Herr F., Christas Vater – ist das denn möglich?

Du kennst ihn mit mir. Und wir haben ihn zuletzt in Kamenz gesehen, war er da nicht in Uniform? – nicht mehr heimkehren.

Ach Herzelein! Kann denn so mit einem Male alles vorbeisein? So jäh und unvermittelt alle lieben Bande zerrissen für immer?

Oh Gott im Himmel! Wir erschrecken vor Deinem Spruch – vor Deinem Ratschluß. Du! Du! Großer Gott im Himmel! Sei uns gnädig! Hilf uns! Erbarme Dich unser! Erbarme Dich der so hart Betroffenen! Mache uns still und getrost! Stärke unseren Glauben an Deine Verheißung, an die Güte und Weisheit Deiner Führung! Erbarme Dich unser! Amen!

Oh Geliebte! Es ist jeder Tag eine Gnade Göttes. “Kaufet die Zeit aus!” – ach, wo sind solch starke, fromme Menschen, die das immerzu recht bedenken? Unser keiner [unklar] besteht vor Gottes Gericht. Und die Gott nun gnädig führt durch alles Kriegsgewitter und Ungemach, die den Schein der Friedenssonne erleben dürfen – die müßten das als eine heilige Verpflichtung immer auf sich fühlen.

Oh Geliebte! Mit unserem Denken kommen wir hier nicht mehr zurecht. Da wollen tausend Fragen und und Zweifel kommen – oh Herzelein! Wir übersehen nicht einmal die Zusammenhänge unsrer Politik, ob recht, ob unrecht – wie wollten wir erkennen können, warum Gott so und so mit uns Menschen ins Gericht geht?

Wir könnten nicht beweisen, daß da eine Gerechtigkeit waltet, kein Mensch vermag das, so wahr er nicht über seinen eigenen Schatten zu springen vermag – aber es vermöchte auch niemand zu beweisen, daß Gott ganz ferne stehe solchem Schicksal, daß hier ein blindes Schicksal walte, im Kriege wenigstens. Nein Herzelein! Dagegen spricht all unser Glauben und Vertrauen, dagegen zeugt die ganze Weltordnung um uns, die auch dem unscheinbarsten Lebewesen seine Rolle zuschreibt.

Gott ist im Schicksal auch des einzelnen Menschen.

Gott sieht auch Dich und mich.

Oh Geliebte! Dies Wissen ruft uns auf und rüttelt uns wach zu heiligem Ernst. Und dies Wissen macht uns auch getrost – oh Du! Du!!! Geliebte mein! Halt mit mir an am Gebet! Darin liegt alle Kraft, aller Trost, aller Frieden!

Onkel Pauls Jungen hast Du wohl auch kennen gelernt. 17 Jahre ist er alt nun, das Schmerzenskind seiner Eltern – meldet sich freiwillig, auch noch zu den Fallschirmjägern!

Vater zählt sie einmal alle zusammen, die in der Familie [Nordhoff] jetzt draußen sind: 11 Mann. Sei Gott ihnen besonders nahe, die mitten in den Schrecken dieses Krieges stehen!

Herzelein! Geliebte! Das liegt nun heute obenauf! Du verstehst mich! Meine [Hilde]!

Sei von Herzen bedankt auch für den kurzen Gruß. Er kommt ja mitten aus dem Wirken Deiner Liebe! Um Deinen [Roland] zuallermeist.

Oh Geliebte mein! Das Scheiden aus diesem Leben wird wohl härter, wenn man nicht allein steht – aber das Leben darum desto köstlicher und reicher– wenn gute Liebe uns bindet. Und ein Überlegen und Wägen gibt es ja da überhaupt nicht. Daß wir miteinander nun gehen, das gehört ganz zuerst mit zu unserem Schicksal – oh Geliebte – das haben wir zu deutlich erfahren, als daß darin uns noch jemand beirren könnte. Und erfahren es täglich neu als ein gütiges, gnädiges Geschenk, als ein Gottesgeschenk. Oh ja, Geliebte! Und freudig greifen wir zur Botschaft Christi, daß wir uns als Gottes Kinder fühlen dürfen, daß wir Gottes Kinder sind.

Nun will ich mir Deinen lieben Mittwochboten vornehmen. Erzählst mir, daß nun auch allmählich die kleinen Hilfsquellen versiegen. Von der Schließung all der Betriebe und Geschäfte habe ich auch bei uns gelesen. Und habe auch daran gedacht, daß nun ein mancher seinen Vorrat erschöpfen wird.

Ich will Dir noch feine Strümpel besorgen bis zum Urlaub – denn solange es geht, laß ich Dich nicht barfuß laufen, hörst mich?! Hier gibt es noch viele, und sind gar nicht so unerschwinglich. Wenn ich nur mehr Geld hätte, wollte ich Dir auch ein paar stabile Schuhe noch kaufen, es gibt hier noch sehr schöne – aber ein Paar nicht unter 5 000 Lei das sind 50 ℳ über drei Löhnungen.

Aber sonst weiß ich Dich zum Glücke so versorgt, daß Du nicht ärmer als andere umherlaufen mußt – und Eure Geschicklichkeit wird Rat werden lassen, wo ein Ungeschickter damit schon lange zu Ende ist.

Und Wäsche haben wir keine übrig, nicht ein Stück.

Auch Vater schreibt, daß Mutters Fuß wieder Beschwerden macht. Ich wundere mich nicht, sie mutet sich zu viel zu.

Ja, Herzelein! Damit wirst freilich heute schief ankommen, wenn Du vorbringen wolltest, daß Du Dich als Hilfe in der Verwandtschaft bereithalten willst. Das gibt es nicht mehr, das gilt nicht mehr. Aber bei Dir selber mußt das vormerken, und dies als inneren Widerstand mit einschalten. Was ich schon gestern und immer schon sagte und dachte: Euer Bündel ist nicht zu leicht. Und ein wenig schwerer, könnte es leicht zur Not werden – ich denke dabei mit an Kamenz. Herzelein! Es ist schon ein großer Segen, wenn Ihr zu dritt bleiben könnt. Mußt mir auch wieder mal etwas über Vaters Befinden schreiben.

Na – Klein-Mathis verwöhnt? – seine Mutter berichtet anders – und daß sie mit ihm streng verfährt, das glaube ich wohl – sie hat schon ihre Grundsätze.

Und nun muß mein Herzensweiberl auch mal von der 'bösen Schwiegermama' eine Anspielung gefallen lassen. Was uns die Eltern hier und dort zudenken und zutrauen – gelt? Daß wir uns so lieb haben möchten - und auch den Weg finden zum Kindlein – Du! Du!!! Ach, sie ahnen wohl, wie lieb wir uns haben - aber wir wissen es, Herzelein! wir wissen es! Sooo lieb – sooooooooooooo lieb! Oh Du! Du! Du!!!!! !!!!! !!! Und niemand wird es je erfahren – und schauen – Du!!!

Und ich schau es nur von Dir – und Du es von mir! In der Stunde der Liebe! Sooo ungeduldig ist mein Schätzelein – sooo voll Sehnsucht mein liebes Weib! „Komm bald zu mir!" – Oh Geliebte! Ich will bald kommen! Komme mit der gleichen Sehnsucht, und warte mit derselben Ungeduld – und will mich doch mit Dir der Geduld vor Gottes Fügung befleißigen – und will mit Dir ganz eins sein in dem Wunsche nach dem Kindlein – ja! ich will es Dir schenken – ich kann Dich nicht länger warten lassen – so gern ich es nun mit Dir getragen hätte – Gott soll es fügen! Er wird es fügen zu unserem Besten, er allein kann wissen, was uns frommt und nützt. Siegfried hat geschrieben. Ich stehe bei ihm wieder in der Schuld. Will ihm zum Geburtstag auch ein Päckchen schicken mit etwes Süßem. Einen Schreibebrief habe ich schon lange begonnen – und bin seither nicht mehr drübergekommen [sic]. Mein Herzensschätzelein hat mich zu sehr in Anspruch genommen. D.s haben Dich also schon mehrmals eingeladen. Ist recht, daß Du nun auch Deinen Stolz hast.

Magst Du mit mir nicht gern hingehen?

Ach Herzelein, Du, in meinem Schutz, an meiner Seite – es sind gute Leute, und sind ältere Leute – wir wollen ihnen mit dem Glanz unsrer jungen, gläubigen Liebe auch den letzten stäubigen Rest irgendeines albernen Vorurteils vertreiben. – Wirst im Urlaub mit mir gehen? Herzelein! Wir beide wollen schaffen, daß es nicht ein verlorener Abend wird.

– Ach Du! Aber darin stimme ich mit Dir doch überein, daß dieser Urlaub noch mehr wie die vorigen ganz für uns dasein soll. Übrigens beträgt die Urlaubsdauer nicht wie bisher gemeldet 18 + 2 Tage, sondern 22 + 2 Tage – 4 Tage, 96 Stunden, länger – ist doch fein, gelt? fast drei Wochen – Herzelein!! Du!!!

Heute kam Feldwebel J. zurück – und Ob. Gefreiter M. fuhr los. Dann soll also Heinrich folgen und dann Dein Mannerli.

Weißt, auf welche Tage es zielt? Du! Du!!! Am 11. April spätestens möcht ich bei Dir sein! Du! Das Mannerli paßt doch ganz gut auf! „Wirst wohl noch viel über Dich müssen ergehen lassen – " - Du! Du!!! Liebes, Liebstes! Auch im Urlaub schon? So nahe heran – über mich ergehen – lasse ich doch nur ein Menschenkind – und das istmeine liebe Hanna!

Die darf mich allein so lieb haben! Und die will ich tragen mit meiner Liebe! Oh Herzelein! Ich kann all Deine reiche Liebe annehmen, weil letztes Vertrauen, letztes Schenken zwischen uns ist – ohne Vorbehalt – was Dein ist, ist auch mein! Eines sind wir! Liebe um Liebe, Treue um Treue!

Ja! ja! Geliebte! Dein Büberl hält Deiner Liebe ganz still – aber dann mußt auch Du ihm, dem Mannerli, stillhalten – Liebe ist Frage und Antwort, Schenken und Beschenktwerden – oh, muß ich das meinem Herzensweiberl erst sagen? Du!!! Du!!!!! Herzelein! Wir sind so glücklich!!!

Oh Geliebte, und das Geheimnis dieses Glückes? Wenn jemand uns darum fragte, sich einen Rat holen wollte? Oh Herzelein! Geliebte! Da müssen erst zwei so sich sehnen und ausziehen nach solchem Glück – und müssen treu sein schon in solchem Suchen – wie meine liebste [Hilde] – und müssen einander finden – oh Herzelein, und müssen es dann so fühlen wie wir: gesucht – und gefunden! – ersehnt – und ganz erfüllt! – müssen einander so im Herzen lieb gewinnen und finden und gewinnen in der Tiefe – Und der Weg zu solchem Finden wieder?

Ist gläubiges Sehnen nach letzter Erfüllung, nach ganzer Lieber – ist heiße, innige aber auch feine geduldige Liebe – ist letztes Aufgeschlossensein füreinander, letztes Vertrauen – Herzelein, ist letzte Treue auch in der Liebe!

Treue im Suchen – und Treue im Lieben!

Oh Herzelein! Aber wir sind nicht so töricht zu glauben, daß solch Glück nur der Kunst unsres Schmiedens zu danken sei.

Ach, die Treue unsres Wesens danken wir letztlich Gott – und der Glaube, der uns leitet, es ist Gottes Wirken.

Oh Herzelein! Im Grunde kann man niemandem so raten! Raten ist zu wenig. Aber unsre Kinderlein können wir anhalten zu Treu und Glauben, in ihre Herzen können wir das Saatkorn legen zu solchem Glück, wie wir es fanden.

Oh Herzallerliebste mein! Ich gehe hier in der Fremde in Deiner, unsrer Liebe, die wir nimmer verlieren können – weil sie so heiß und tief im Herzen brennt, weil wir treu sein und glauben müssen. Oh Geliebte! weil sie immer tiefer ins Herz sich uns senkt – und weil sie immer neue Schätze und Kostbarkeiten uns erschließt – und das, solange wir lieben – und das, solange wir leben!

Herzelein! „Wer von mir trinkt, will immer mehr”, so raunt auch der Brunnen guter Liebe – oh Du! Du!!! immer neu, und immer inniger drängt es uns zueinander – "mein Leben, ich schließ es um Deines herum" - Herzelein, je länger, je mehr und mehr, und lieber, und festeroh Du! Du!!! wenn wir erst ganz einander und miteinander leben können – lieben können!!!

Helfe uns Gott dazu in Gnaden!

Leb wohl, meine liebe [Hilde]! Bald komm ich wieder zu Dir im Briefe – bei Dir bin ich ja immer mit meinem Herzen! Und Du, bist, bei mir! Ich liebe Dich!

Und küsse Dich, herzinnig!

Und bleibe ewig

Dein [Roland], Dein glückliches Mannerli!

Du! Du!!! Mein Ein und Alles! [Hildi]lieb mein!

Du! Ich sehne mich doch nach Dir!!!

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Kommentare

drew.bergerson

Do., 30.03.2023 - 01:26

Mathis ist der neugeborene Sohn von Rolands Bruder Hellmuth und Schwägerin Elfriede

Siegfried ist Rolands jüngster Bruder.

"Drübergekommen" ist in Sachsen üblich, bedeutet "dazu gekommen."

“D.”s sind Freunde von Rolands Familie. Hilde hatte am Anfang das Gefühl, dass diese auf sie hinuntergeschaut hatten, da nicht Rolands Stand entsprechend. Nun hat sie ihren Stolz und reagiert auf deren Einladung nicht.

Strümpel sind Strümpfe.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946