Mein herzallerliebstes Schätzelein! Mein geliebter, guter [Roland]!
Du! Heute drängt sich wieder mal alles zusammen. Dein Weibel hat viel Arbeit, Herzelein! Laß Dir erzählen.
Morgens ½ 7 sind wir aufgestanden, Mutsch und ich. Und weil die Sonne schien, lockte es uns, auf den Wochenmarkt zu gehen. Und wir stiefelten los, gleich nach dem Kaffeetrinken. Wie Du weißt, sind jetzt die Grünwarenbezugskarten ausgegeben, die Tage des Wochenmarktes sind gezählt. Wir sind ohne Marken losgezogen – ist ja teils unsre Verwandtschaft, die oben versammelt ist! Du ahnst nicht, wie die Polizei spekulierte! Paarmal bin ich zurückgegangen, weil ich keine Marken vorweisen konnte. Es war ein toller Kauf, wie ein Verbrecher kam ich mir vor. Dann hats geklappt. Ein Netz voll Spinat, Porree, Radieschen, Rapünzchen. Ich kaufte bei W.s, weißt von Oma F. die Schwägerin, wir waren schon dort. Mama kaufte bei K.s. Wir machen uns schon strafbar, wenn wir so hamstern! Aber wir sind ja 2 Familien, gelt? Eine Frau [Laube] kauft – eine Frau [Nordhoff] kauft. Solange noch Markt ist, wird das ausgenützt. Nun kamen wir erst um 1000 heim! Unsere Spinatmenge erhöhte sich über 20 Pfund! Und es galt jetzt als erstes, den Spinat in die Gläser zu bringen. Ach, das war eine Arbeit von einem ½ Tag, zu Zweien! Putzen, waschen, dünsten, wiegen, einfüllen, sterilisieren. 9 Gläser haben wir voll. Ich freue mich mit Mutsch sehr! Mittags gab es auch Spinat mit Eiern. Anschließend hatte ich einige Wege zu besorgen, Lauferei auch wegen der Kinderschar. 2 mal [sic] meinen Lebenslauf mußte ich schreiben. Für die Gruppenführerin des DRK. Für den Gau nach Chemnitz wegen dem Posten als Scharleiterin, die wollen wissen, wen sich [sic] vor sich haben. Nach Kamenz an die lieben Eltern schrieb ich auch ein Briefchen. Dann lief ich nochmal zum Gärtner, wir hatten versprochen Mutters Bekannte zu besuchen, die von einer Basedow-Operation zurück war. Ja, schon war es um 6, wir versorgten Vater zum Nachtdienst. Aßen selbst Abendbrot und gingen dann zu dem Krankenbesuch. Ich konnte nicht lange bleiben, denn abends im D.R.K. hielt Dr. H. Vortrag über Verabreichung von Medikamenten. Das war als sehr interessant uns vom Oberwachtführer H. empfohlen worden! Das war so. Dr. H. führte uns näher ein, wie man Medizin dosieren muß, damit sie im menschlichen Körper nicht als Gift wirkt. Wie ein Rezept zu verstehen ist lernten wir, wie es zu lesen ist. Das war ein Abend, wo wir in die Geheimnisse des Latein und der Dezimalrechenkunst zugleich eingeführt wurden. Für solche, die Apothekenschwester werden wollen, ist das wohl sehr empfehlenswert – wohl auch für die anderen Schwestern, aber ich hatte das Empfinden, des Doktors Ausführungen wurden nur von einem Viertel der Versammelten kapiert. Ich kam auch erst nach und nach dahinter. Na schön – man hat wenigstens eine blasse Ahnung und kann künftig auch seine eigenen Rezepte verstehen.
In der Hauptsache ging es darum, daß die Vorschriften eines Arztes bei der Verabreichung von Medikamenten peinlich beachtet werden, um den Kranken nicht zu gefährden.
Ach Herzelein! Wenn man den Schwesternberuf bis in alle Feinheiten und bis in alle Pflichten hinein bedenkt, dann wird man doch tief beeindruckt von der ungeheuren Verantwortung, die eine Schwester trägt. Und ich prüfe mich dann in solchen Augenblicken heimlich, frage mich: könntest Du das alles zu vollster Zufriedenheit erfüllen? Es ist kein leichter Beruf. Aber man arbeitet sich wohl in jede Aufgabe hinein. Wer von Grund auf gewissenhaft und sauber ist, dem muß es leichter fallen alles, als einem Menschen der Gewissenhaftigkeit und Ordnung schon an sich selbst mangeln läßt. Und darum denke ich immer wieder, wie bitterschade es ist, wenn Menschenkinder diesen Beruf ergreifen und können ihn kaum erfüllen, weil sie nicht befähigt sind dazu. Was treibt heute die Mädchen dazu, Schwester zu sein? Ehrlich doch nur das Verlangen um Männer herum sein zu können. Und nur weil der Mangel in diesem Beruf groß ist, werden auch solche weniger befähigte [sic] angenommen. Der Krieg übersieht eine manche Lücke jetzt. Ich möchte nicht wissen, wie gründlich in Friedenszeiten eine solche Aufnahmeprüfung ausfällt!
Ach Herzelein! Man muß alles bedenken, wenn man zu diesem Beruf überwechseln will. Und ich kann immer wieder sagen: ich wäre keine ideale Schwester, weil ich viel zu innig an unserem Leben [h]änge, an unser beider Geschick, Du! Und einer Sache, die alles fordert nur mit halben Kräften entgegentreten können, das liegt mir nicht. Das kann auch nicht befriedigen. Denke nur an ein Beispiel: Heidi.
Oh Herzelein! Solange ich Dich habe, gehöre ich Dir ganz, so ganz und mit allen Kräften! Du!!! Was ich jetzt daneben an andre abgebe, es ist ja nur Stückwerk, ein Bruchteil meines Wesens. Der Kern, die Glut meines Wesens, sie ruhen in Dir! So ganz tief in Deinem Herzen, Geliebter! Du!!! Oh! Du hast mich unverlierbar fest an Dich gebunden! Dein bin ich mit Leib und Seele bis in den Tod! Geliebter!! Und ich kann nicht anders, als Dich lieben, lieben, Du! Mein [Roland]! Ich will Dir immer wieder sagen, wie glücklich ich in Deiner Liebe bin! Wie sie mich erfüllt, so ganz! Ach Du mußt es ja spüren! Du mußt es wissen, Du! Geliebter! Ich bin Dein in Ewigkeit!
An Dir hängt mein ganzes Leben! Du!! Du!!!
Ich lasse Dich nicht!! Nie nimmermehr! Du!!!!!
Oh – ich folge Dir nach bis ans Ende der Welt! Ich lasse Dich nie mehr allein gehen! Und wenn ich Dir auch nicht leiblich folgen kann – meine Gedanken, sie begleiten Dich tagaus tagein, wie die Vögel mit mächtigen Schwingen, mit nimmermüder Kraft folge ich Dir! Du! Oh Herrgott droben! Behüte mir mein Liebstes!
Meinen Schatz in dieser Welt! Amen.
Geliebter! Ich küsse Dich soo heiß! Gut Nacht! In Liebe allezeit Deine [Hilde].
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Johanna Ufkes
Gemüsewarenmarken sind aus. Hilde und ihre Mutter hamstern auf dem Wochenmarkt. Hilde besucht einen Vortrag über Medikamentendosierung.