10.)
Montag, am 26. Oktober 1942.
Herzallerliebster Du! Mein liebes, herzliebes Mannerli!
Nun ist´s doch endlich wieder soweit, daß ich zu Dir kommen kann, bin doch immer ganz ungeduldig und unruhig, wenn der Nachmittag heran ist und ich habe noch nicht mit Dir geredet. Ach Du! Am allerliebsten schlösse ich mich doch ein ins Stübel, ließe garniemanden [sic] zu mir herein, als mein liebes Schätzel allein!
Aber das sind so meine Wünsche, die sich mit der Wirklichkeit garnicht immer in Zusammenklang bringen lassen. Du weißts' schon.
Herzelein! Die Uhr zeigt schon wieder die 6. Abendstunde gleich an, in einer halben Stunde wird es Abend läuten. Wo wirst Du sein? Hast mir noch garnicht gesagt, wie Deine Dienststunden liegen und ich weiß nun noch garnicht so recht, wo ich Dich suchen soll.
Ach Du! Wenn ich mich nur bis zu Deinem Herzen finde, gelt? Und das kann ich doch, oh Du!! Du!!! Mein Einziggeliebter Du!
Wunderschöne Herbsttage sind uns noch geschenkt, Liebster.
Die Sonne läßt die buntbelaubten Bäume aufglühen einzigartig schön! Die Natur beut sich, wie ein einziges, herrliches Gemälde. Der Himmel von so unwirklich zartem Blau verklärt das Ganze zu seltener Schönheit. Ach, könnte ich mit Dir durch diese Tage gehn! Ob Du auch einmal ins Freie gelangst schnell, da wo Du jetzt weilst? Ach Liebster! Wenn Du kannst, nütze jedes Stündchen zum Spazieren! Nimm die letzte Glut und Sonne, dieses Licht in Dich auf, ehe der lange, dunkle Winter anbricht! Lieber will ich einmal nur mit einem kurzen Gruß bedacht sein! Hörst Du, Liebes? Oh gehe Du auch hinaus und laß Dich froh und glücklich stimmen von der Natur. Ach so nah ist dann die Allgewalt Gottes so ganz tröstlich und beruhigend; alles im Innern glättet sich und weicht einer tiefen Stille und dankbaren, demütigen Ergriffenheit.
Herzelein! Gott führt alles so wunderbar hinaus, so wunderbar! Wir müssen nur ein Auge haben dafür. Ach Du! Warum wollen wir auch einen einzigen Augenblick nur zweifeln daran, daß Gott das Beste mit uns vorhat. Herzlieb! Vertrau mit mir! Und sei voll starker Zuversicht! Gott ist mit allen gleich gütig und väterlich: Sein Wille ist der beste.
Ich bin heute, nachdem wir Mittag hielten und wieder Ordnung hatten in der Wirtschaft, mit Mutsch ein Stück hinausgelaufen in die Sonne, in den Wind. Ach, sagten wir uns: Wer weiß, wieviel solch schöner Tage noch, laßt sie uns nützen! Einen Weg verbanden wir damit, wir holten beim Bauer L. nochmal Rotkraut. Nun haben wir genug! 1 Zentner. Es mußte erst auf dem Felde geschnitten werden und so gingen wir gleich mal mit, weißt? den [sic] Feldweg hinter dem Gut hinaus, der endet in Fichtigstal da, wo keine Häuser stehen; er läuft parallel mit dem Weg, der in die Nordstraße mündet. Mutsch und Frau L. schnitten Kraut, ich sackte ein; 2 Wagen hatten wir mit. Und ich hatte Muse [sic], mich umzuschauen auf dieser Höhe. Ach Schätzeli! Ich weiß nicht, ob Du jemals schon auf dem Weg gegangen bist, jedenfalls müssen wir ihn zu Deinem nächsten Urlaub einmal gehen. Ich war doch so entzückt und angenehm überrascht von dem Ausblick, vom Rundblick. Welch eine Weite bot sich dem Auge, an noch keinem anderen Plätzel im Ort habe ich es schon so erlebt. Ringsum bot sich dem Auge etwas, ringsum! Und noch dazu die stimmungsvollen Herbstfarben! So etwas wunderschönes Herzlieb! Ich war ganz betroffen von dem eigenartigen Liebreiz meiner Heimat.
So einen Gesamteindruck hatte ich noch nicht. Ach, jenes Plätzel werde ich wohl nun noch öfter aufsuchen, wenn das Wetter es erlaubt. Und nicht nur der Blick in alle umliegenden Orte wird frei, auch das ganze Himmelsgewölbe spannt sich hoch über dir, ach so frei, so leicht, so glücklich wird einem da, Du! Geliebter! Wie freu ich mich schon der Zeit, da wir glückselig Hand in Hand so gehen und uns ansprechen lassen von Gottes schöner Welt. Ach Du! Wenn Du erst bei mir bist für ganz! Schätzeli! Ich bin doch so froh heute, Du bists' gewiß auch – Du! Nun will ich Dir noch weiter erzählen. Post ist nicht gekommen heut [sic]. Aber morgen ganz gewiß. Möcht wissen, ob du schon etwas von mir in Händen hast, Liebster.
Sonntag Kirmes in Mittelfrohna.
Nachdem ich an Dich schrieb vormittags, und wir mit allem andern fertig waren, sind wir beide los. Vor 200 [Uhr] kamen wir hin. Es war schon Hochbetrieb in der Küche, alles steckte in Vorbereitungen für den „Riesenfraß"! Es bruzelte, kochte, duftete, alles miteinander! Und es war eben Kirmesstimmung, trotz der Zeiten. Wir spannten uns auch gleich mit ein: Kuchenschneiden, Geschirr bereitstellen, ach und der hundert Handgriffe mehr. Um 3 [Uhr] ging dann der Drasch los und wir kamen nicht mehr zu Atem bis abends um 900 [Uhr]. Um die Zeit war die letzte Portion raus, dann hatte die liebe Seele Ruh! Durch das Prachtwetter hatten wir Gäste über Gäste! Und es war Krach und Zank, weil nicht für alle das Essen langte. 10 lange Kuchen hatte Oma gebacken, die sind alle geworden. Karpfen, Truthahn, Hähnchen, Gulasch, Wiegebraten und auch noch Kartoffelsalat mit Wurst gab es – alles weg – alle. Die Leute haben bald den Teller mitgegessen! Es ist zum lachen [sic]. Aber die Köchin freut sich, wenns’ so schmeckt. Wir würden doch gerne allen etwas geben, wir hatten aber nichts mehr. Die Leute sind zu verfressen, glaubst? Ich weiß garnicht, wer alles da war, bin nur aus der Küche gekommen, wenn ich auf den Lokus mußte. Die Oma und die Friedel [**] freuten sich ja mächtig, daß wir 3 sie so unterstützten. Es ist halt ein bessres Hantieren mit eingearbeiteten Kräften. Es ist auch mal ganz schön zur Abwechslung, doch für immer möchte ich es nicht tun. Um Mitternacht waren wir zuhaus [sic], müde. Heute früh nun hab ich bis 8 [Uhr] geschlafen! Dann Kleider aufgeräumt, Schuhe geputzt, Schlafzimmer in Ordnung gemacht, gebohnert, grüne Klöße gekocht und nochmal Gänsebraten mit Rotkraut dazu! Wenn Du doch hättest mithalten können, Schatz!
Ja, auch nach Bastelmaterial lief ich schon wieder am Vormittag, Transparentpapier und Verdunklungspapier bekam ich. Nun kanns [sic] wieder losgehn! Beim Schuster war ich. Eine Frau in der Limbacher Straße stickt mir auch meinen Kragen aufs neue Kleid! Und dann wusch ich auch noch einen Asch Strümpfe, für mich. Du! Ich sag Dir mein Programm nur mal, damit Du zum Vergleich siehst, wie faul Dein Weibel ist, wenn Du bei mir bist! Ei! Ei!! Du, das muß besser werden, wenn wie dann immer beisammen sind! Ach, dann hat doch mein Mannerli auch seine Geschäfte, gelt? Und es bleibt vielleicht manche Tage ganz wenig Zeit zum Liebhaben? Ach Du! Wir wollen uns nur darum noch keine Kopfsorgen machen, kommt doch alles, alles ins rechte Gleis, gelt?
Laß nur erst Frieden sein! Und uns beisammen! Ach Du! Weißt Du denn noch, mein Herzelein, wie ich Dich liebhabe? Ach, wie ich Dich so unendlich liebhabe, Du?!! Du!!!!! Mein Ein und Alles bist Du! Mein Herzblatt! Mein liebes Buble! Oh Du! Der Herrgott behüt Dich mir! Mein Sonnenschein! Für heute gut [sic] Nacht. Herzenschatz, ich hab Dich lieb! Deine [Hilde].
Wie ist die Regel? Die Formate verlängert die Note um einen halben Ton?! [**]
[** über dem Wort "Friedel" ist ein Fermate-Zeichen, dass auf jenen Satz verweist, der vertikal von oben nach unten an den Rand der letzten Seite von Brief geschrieben wurde: "Wie ist die Regel? Die Fermate verlängert die Note um einen halben Ton?!"]
Hilde Nordhoff
Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.
Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen
Oberfrohna
Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946
Merle
Der Inhalt kann so zusammengefasst werden: Hilde erlebt schöne Herbsttage vor dem nahenden Winter und wünscht sich Roland herbei, um diese mit ihm gemeinsam zu verbringen. Bei der Rotkrauternte auf dem Feld entdeckt sie einen schönen Platz mit Panoramablick in ihrem Heimatort, den sie ihm bei seinem nächsten Urlaub unbedingt zeigen möchte. Bei der Kirmes hilft sie der Oma in der Gaststätte „Und es war eben Kirmesstimmung, trotz der (Kriegs-)Zeiten“ und die Gäste aßen die kompletten vielfältigen Speisen auf. Für Bastelarbeiten mit den Kindern besorgt sie Verdunklungspapier, das sonst für die Fenster verwendet wird. Sie wünscht sich Frieden und sehnt diesen herbei, um auch wieder mit Roland zusammen leben zu können.