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[LBR-410310-005-01]
Briefkorpus

Escheburg, den 10. März 1941

Meine liebe kleine [Ella]!

Hast Du meinen letzten Brief erhalten? Du weißt doch, in dem ich Dir meinen Urlaub ankündigte. Ich nehme an, daß Du die Daumen gut gedrückt hast, denn ich bin ja tatsächlich hier. Doch leider muß ich schon am kommenden Sonnabend wieder fahren. Hast Du die Karte erhalten, die Anne oder Tudi Dir geschrieben hat? Gelesen habe , ich sie nicht. Ich weiß nur, daß viele Namen draufgeschrieben worden sind. Denn zufällig kam mein Freund am selben Tag wie ich auf Urlaub. Na ja, die Wiedersehensfreude war groß, und da haben wir gleich beides ausgibig [sic] begossen. –

Gestern war Sonntag. Da habe ich versucht, Dich in irgend einer Weise aufzusuchen. Doch das ist mir nicht gelungen. Heute ist mir klar geworden, warum mir das nicht gelungen ist. Liebe [Ella], ich wünsche, daß Deine Mutter bald wieder gesund sein möge.–

Jetzt ist die Uhr gleich zehn. Ich habe aber absolut noch keine Lust, ins Bett zu gehen. Mutter sagte eben gerade noch zu mir: ich sollt man zusehen, daß auch ich bald mit meiner „Krittzelei [sic]“ aufhören soll, und auch ja nicht nachher vergessen nacht das Licht auszudrehn! Damit wär ich jetzt alleine in der Küche.

Liebe [Ella]! Damit wir uns auch in der „anderen Hinsicht“ besser vestehen [sic] lernen, will ich Dir einiges von mir erzählen. Ich sage nun so einfach, von mir erzählen. Das kommt mir immer komisch vor. Es war man in der letzten Zeit meines Arbeitsdienstes, vor ungefähr drei Jahren. Da saßen mein bester Kammerad [sic], damals, und ich allein in der Stube. Draußen fiel der Schnee in dichten Flocken. Mein Kammerad [sic] hatte gerade einen Brief von seiner Braut gelesen. Da frug er mich, warum ich denn nie Post von meiner „Frau“ bekäme. Ob ich denn gar kein Mädel hätte. Ich erzählte ihm dann die Geschichte von meiner großen Liebe. Von einem Mädel das ich nicht einmal geküßt hatte und nachher als es es wegkam, sie war ein Jahr ungefähr bei ihren W Verwandten um kochen zu lernen, ich wiederum wohnte dort auf Zimmer, über ihren Verlust total den Kopf verlor. Als ich dann genug Dumheiten [sic] gemacht hatte, und ich dann endlich wieder klar denken konnte, beruhigte ich mich wieder. Nur mein Herz wurde kalt und hart wie ein Stein. Dann kam die Zeit zwischen Arbeitsdienst und Militär. Ich kam in der Zeit wenig mit Frauen zusammen. Hin und wieder aber doch mal. Meistens aber nur mit solchen welche auf jeden [sic] „Bums“ zu finden sind und für jedermann auf eine saublöde, billige Tour zu haben sind. Mein Herz, ich will mal so sagen, hielt einen Winterschlaf. Dann kam der Krieg. Jetzt im Vorfrühling vor einem Jahr kam ich ins Feld. Man bekam andere Gedanken. Als wir voriges Jahr um diese Zeit am Westwall saßen, bekam ich einmal am Sonntagnachmittag den Befehl, die Post zu holen. Ich brauste ja los. Als ich zurück kam, lag unser Ort gerade unter Feuer. Ich warte [sic] solange ab, bis die blöde Knallerei aufhielt. Als ich dann die Tür zu unserm Keller aufriß, waren alle Augen auf mich gerichtet. Ich brüllte nur: Hals und Beinbruch, alles in Ordnung! Dröhnendes Gelächter war die Antwort. Ein derber Witz folgte, und die blöde Knallerei war vergessen. Dann nahm ich die Postverteilung vor. Mit neun Kameraden lagen wir im Bunker. Alle hatten Post! Nur icht nicht. Da wurde das Radio angestellt, jeder machte es sich gemütlich und fing an zu lesen. Da überkam mich mit eimal [sic] ein sonderbares Gefühl. Wie ich da so zusah, wie sie alle so still und glücklich am lesen waren, kam ich mir unendlich überflüssig in der Welt vor. Unwillkürlich dachte ich da an die Frage meines inzwischen längst vergessenen Arbeitsdienstkammeraden [sic]. Ich nahm mir damals vor, ein frisches liebes Mädel zu suchen, welches auch dann an mich denkt, wenn ich weit und lange von Ihm [sic] entfernt bin. Und das glaube ich ja, liebe [Ella], in Dir gefunden zu haben. –

Mein größter Wunsch ist jetzt, [Ella], Dich noch einmal wieder zu sehen bevor ich wieder fahren muß. Ich werde am Mittwoch um 15.30 Uhr am Eingang des Lohbrügger Kinos stehen und Dich erwarten. Seh [sic] bitte mal zu, ob Du es machen kannst. So liebe [Ella] jetzt wünsche ich Dir eine recht gute Nacht. Träum süß.

Herzliche Grüße

Dein

[Albert]

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Autor Albert Müller
Korrespondenz Lohbrügge
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Über den Autor

Albert Müller

Albert Müller wurde 1919 geboren. Seine Familie kam aus Escheburg in Schleswig-Holstein. Auch in anderen schleswig-holsteinischen Orten hatte er Verwandtschaft. In seinen Briefen machte Albert Müller oft Andeutungen, dass es Geheimnisse bezüglich seiner Eltern gebe, die er erst später preisgeben

Über die Korrespondenz

Lohbrügge

Fotografie einer handgeschriebenen Liste mit Zahlen, aus dem Konvolut Lohbrügge, die Briefdaten sortiert.

Der Briefwechsel von Ella und Albert Müller befindet sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Erhalten sind fast 900 Briefe und Postkarten. Gesammelt wurden sie von Ella Müller, die Briefe von ihrem Ehemann, aber auch von Familienangehörigen aufbewahrte, zum Teil