Bitte warten...
Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 5. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Hast Du den Aufruf des Führers auch gehört? Mir wurde gesagt, dass Ihr dort auch Radio und Zeitungen habt. Den heutigen Wehrmachtsbericht werde ich Dir wieder mit beilegen. es ist jetzt kurz vor 2 Uhr, um 2 Uhr wird er ja meistens durchgegeben.

Seit heute morgen sind wieder neue Divisionen im Vormarsch nach Westen. Worauf nun wohl zuerst losgegangen wird, auf London oder Paris, oder auf beide zugleich! Die Zahl unserer Toten ist ja verhältnismässig gering (10252), verwundet sind 42000, vermisst 8567. Wenn man dagegen hält, dass über 1 200 000 Gefangene gemacht worden sind, so ist doch der Erfolg. [sic] sehr gross. Churchill hat sich ja schon folgendermassen vor dem Unterhaus geäussert (lt. Hamburger-Fremdenblatt): „Das Britische Reich und die französischen [sic] Republik, fest miteinander verbunden, werden bis zum Untergang ihren Heimatboden verteidigen und mit äusserster Kraft wie gute Kameraden einander helfen. Wir werden unsere Insel bis zum Äussersten verteidigen. Wir werden uns niemals ergeben, selbst wenn – was ich im Augenblick nicht glaube – die Insel zum grössten Zeit [sic] unterjocht wäre und dahinsterben würde, würde unser bewaffnetes, von der britischen Flotte bewachtes Reich den Kampf fortsetzen“. Dass er überhaupt schon von der Möglichkeit des Untergangs spricht, ist doch wirklich schon viel, und doch wohl noch nie in der Geschichte Englands dagewesen.

Gestern nachmittag traf ich Ilse. Sie hatte einen Brief von Walter bekommen. Darin war geschildert, wie er Dich getroffen hatte. Ich hätte auch wirklich sehen mögen, wie Du beim Spänen des Fussbodens gewesen bist. Da wirst Du ja jetzt schön angelernt. Wir werden ja nun in unserer Wohnung keinen Pakettfussboden [sic] haben, aber andere Fussböden sind ja wesentlich leichter sauber zu machen. Da wirst Du also keine Schwierigkeiten haben.

Ich sitze im Augenblick in Druck. W. sitzt nebenan und hört den Nachrichtendienst. Er schielt andauernd herüber. Wenn er nun merkt, dass ich privat schreibe, wäre es nicht gerade angenehm. Ich habe heute schon für ihn schreiben müssen. Aufstellungen, Briefe usw. Einen Brief, auf eine Reklamation auf einen Einberufenen wollte er sofort haben, der Mann wartete darauf. Ich konnte so einige Sachen nur schlecht lesen, habe dann selbst phantasiert, ich weiss nicht, ob er etwas gemerkt hat. Jedenfalls hat er nichts gesagt. Vielleicht habe ich ja auch gerade das Richtige getroffen.

Das Wetter ist jetzt so sehr schön. Auch gestern abend wäre ich gern mit Dir spazieren gegangen. Ich habe oben vor meinem Fenster gesessen, da schien die Sonne so schön.

Fräulein Sch. sagt gerade, Du würdest sicher bald gefoppt werden, wenn Du jeden Tag Post bekommst. Ihr müsstet dann auf dem Kasernenhof antreten und jeder, der Post bekommen hat, muss vortreten. Ist das wahr? Ich [sic] darf ich Dir ja gar nicht so häufig schreiben. Gestern abend dachte ich auch, Du würdest anrufen.

Soeben habe ich wieder Arbeit bekommen. Mein höchster Chef war hier. Hoffentlich hat er nicht gesehen, dass ich einen Privatbrief in der Maschine hatte. Wenn ich nachher noch Zeit habe, schreibe ich noch etwas mehr, sonst herzliche Grüsse

Deine [Hannelore]

Das Oberkommando der Wehrmacht gibt am 5.6.40 bekannt:

Wie schon durch Sondermeldung bekanntgegeben, wurde gestern die Festung Dünkirchen nach schwerem Kampf genommen. 3 Generale [sic] und etwa 40 000 Mann verschiedener französischer Verbände ergaben sich unseren siegreichen Truppen. Bei Abbeville ist ein mit starkem Artillerie- und Panzer-Einsatz geführter feindlicher Angriff abgewiesen worden. Ebenso scheiterte ein Angriff auf unsere Gefechtsvorposten südlich Longwy unter schweren Verlusten des Feindes. Mit Kampf- und Sturzkampffliegern griff die Luftwaffe feindliche Ansammlungen südlich Abbeville sowie die Hafenanlagen von Le Havre erfolgreich an. In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages haben neue Angriffsoperationen aus der bisherigen Abwehrfront in Frankreich begonnen.

–.–.–.–.–.–.–.–.–

[* = Der gesamte Brieftext einschließlich des Wehrmachtsberichts ist mit der Schreibmaschine getippt, nur die Unterschrift ist handschriftlich hinzugefügt]

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost