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Briefkorpus

[*] Hamburg-Bergedorf, den 7. Juni 1940.

Mein lieber [Heinrich]!

Gestern habe ich Deinen dritten Brief bekommen. Du schreibst gar nicht, dass Du von mir schon einen Brief erhalten hast. Das ist aber doch wohl anzunehmen. Dies ist übrigens der vierte. Deinem Brief nach bist Du ja noch ganz gut mit dem Dienst fertig geworden. Ilse hatte von Walter gehört, dass Ihr feste rangenommen werdet, von morgens um 5 Uhr bis abends um ½ 9 Uhr, mit einer Mittagspause von 1 Std. Abends wäret Ihr dann totmüde [sic]. Ist es wirklich so schlimm? Und nachts kann man dann noch nicht einmal ordentlich schlafen. In den letzten beiden Nächten, von Mittwoch auf Donnerstag und Donnerstag auf Freitag sind wir zu Hause auch im Luftschutzkeller gewesen. Papa hatte das Schiessen gehört. Ich hätte wohl nichts gemerkt, aber sie haben mich dann geweckt. In der ersten Nacht haben wir von meinem Fenster aus herrlich die Scheinwerfer gesehen und das Explodieren unserer Geschosse in der Luft. Zuerst kam immer ein heller Schein am Himmel, dann das Explodieren in der Luft, und nach einer ganzen Zeit hörte man erst das Geknatter. Als dann das Surren der Maschine hörbar wurde, mussten wir in den Keller. Nachher sind wir noch auf der Strasse gewesen, die Nachbarn waren alle auf, und alles begrüsste sich. Letzte Nacht war das Geschiesse eigentlich noch heftiger. Wir sind gleich in den Keller gegangen. Papa hatte die Korbsessel für sich und Mutti runter gebracht. Ich hatte einen Küchenstuhl, der bald sehr drückte, Günter war zuerst mit einem Stuhl unten. Ich sagte dann, eigentlich wäre doch hier der Liegestuhl ganz gut angebracht. Da hat er sich ihn geholt, anstatt ihn mir zu geben, hat er natürlich selbst drin gelegen, obwohl er heute morgen ja noch so lange schlafen konnte,, [sic] die brauchen ja immer später zur Schule, wenn Luftschutzalarm war, der Vater von einem Freund ruft jeden Morgen bei uns an, damit er nicht vergeblich nach Bergedorf fährt, aber in letzter Zeit sind wir ja selbst aufgewesen. Als wir in der letzten Zeit im Nacht im Keller sassen, war das Motorengeräusch des Flugzeugs einmal sehr stark zu hören, als wenn er gerade über uns war. Nachher erzählte Herr M., ein Flugzeug wäre im Sturzflug heruntergekommen, sie wären dann schnell in den Keller geflüchtet. Er meinte, er hätte Bombenabwürfe gehört. Heute morgen kam dann gleich ein Junge zu Papa, und erzählte, dass bei ihm im Feld drei Bomben abgeworfen seien. Sie waren in einem Roggenfeld gelandet. Papa kam natürlich gleich rein und erzählte uns dies. Da seht Ihr, wie ernst es ist, wir hatten nämlich immer noch gelacht, wenn wir im Keller sassen, besonders, als wir Papa in einer Wolldecke in seinem Sessel sitzen sahen. – Ihr müsst ja in Eurem Luftschutzkeller stehen, das ist sicher kein Vergnügen nach dem anstrengenden Tag.

Walter bekommt am Sonntag auch keinen Urlaub. Ilse und ich wollen Euch dann zusammen besuchen. So zwischen 2 und ½ 3 Uhr werden wir wohl dort sein. Hoffentlich hast Du dann keinen Dienst. Soll ich Dir noch etwas mitbringen? Dann musst Du noch einmal anrufen, denn ein Brief wird wohl nicht mehr herkommen.

Gestern ist von der Dienststelle bei uns angerufen worden (W., der Sachbearbeiter auf dem fraglichen Gebiet), ob wir nun die Wohnung haben wollten. Dort ist noch kein Schreiben angekommen. Ich dachte, du hättest längst an die Leute geschrieben, es war dort noch nichts angekommen.

Gestern abend waren wir bei R. wegen Deckel [sic] für Blechdosen, da haben wir uns die Lampen noch einmal wieder zeigen lassen. Gestern abend mochte ich diese helle Kartonlampe schon gar nicht mehr so gerne leiden. Ausserdem hatte sie auch schon einige Flecke, also sehr empfindlich ist sie doch. Es war dann dort noch eine marmorierte flache Schale, die Form, wie wir sie in Hamburg auch gesehen haben, in grün mit schwarzen Verschnörkelungen. Die Stange zum Aufhängen, [sic] und der Knopf unter der Lampe waren in diesem gelblichen Metall, ich weiss nicht, ob das sehr praktisch ist. Eine andere Lampe war in hell-beige, auch etwas durchwirkt, aber nicht dunkel, mit hellbräunlichen Kreisen. Das war keine flache Schale, sondern der Rand bog wieder nach innen etwas um. Sie hatte in der Mitte eine Metallstange, also nicht drei Kordeln, wie wir sie in Bergedorf ausgesucht hatten. Die Nachttischlampen gefielen mir alle nicht sehr.

H.i will morgen auf Urlaub fahren. Sie fährt nach Thüringen, in das Schwarzatal. Heute morgen rief sie mich an und wollte sich verabschieden. Morgenfrüh [sic] will sie fahren, morgens um 7 Uhr fort, um 19 Uhr erst dort. Sie hat eigentlich sehr viel Mut.

Gestern hat Mutti bei den beiden B.s wegen Spargel angerufen. Bei Richard B. bekommt sie am 24. Juni 10 Pfund. Das ist ja noch eine ganze Weile hin. Bei dem anderen war nichts zu machen.

Herzliche Grüße

Deine [Hannelore]

Das Oberkommando der Wehrmacht gibt am 7.6.40 bekannt:

Die Operationen des Heeres und der Luftwaffe südlich der Somme und des Aisne-Oise-Kanals schreiten planmässig und erfolgreich fort. Die Weygand-Linie wurde auf der ganzen Front durchbrochen.

Deutsche Kampfkräfte griffen in der Nacht zum 7. Juni erneut britische Flugplätze mit Erfolg an und kehrten ohne Verlust zurück.

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Der Küstenabwehr unserer Marine gelang es, an der nordfranzösischen Küste ein feindliches Schnellboot zu vernichten.

Die Gesamtverluste des Gegners betrugen am 6. Juni 74 Flugzeuge, davon wurden 64 im Luftkampf, 10 durch Flak abgeschossen. 9 eigene Flugzeuge werden vermisst.

Die Luftwaffe zerstörte das Sendehaus des norwegischen Senders Ingöy bei Hammerfest.

Dem Oberleutnant und Kompagniechef eines Pionierbataillons, Gerhard Vogt, ist es am 2. Juni bei der Erstürmung des befestigten Ortes Bergues südlich Dünkirchen durch kühnes und entschlossenes Handeln gelungen, mit seinem Stosstrupp ein französisches Bataillon zu überwältigen und gefangen zu nehmen.

–.–.–.–.–.–.–.–.–.–.–

[* = Der gesamte Brieftext einschließlich des Wehrmachtsberichts ist mit der Schreibmaschine getippt, nur Gruß und Unterschrift sind handschriftlich hinzugefügt]

[** = Fehlerhafter Satzanfang mit x-Zeichen unkenntlich gemacht]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost