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[NGM-400622-003-01]
Briefkorpus

22.6.40.

Meine liebe [Hannelore]!

Und nun bin ich seit gestern schweigsam geworden. Sowie es mir nur irgendwie möglich war, habe ich Dir einen kleinen Brief zukommen lassen. Gestern konnte ich aber einfach mit dem besten Willen keine 10 Minuten zum Schreiben finden. Von morgens 5 Uhr bis abends 22 Uhr ging der Dienst tatsächlich ununterbrochen. Gewiß, man steht mal ¼ Stunde angetreten, ohne was zu tun, aber dann kann man ja auch nicht den Federhalter quälen. Dein Brief bereitete mir schon eine große Schwierigkeit, aber man kann beim Lesen eher abbrechen. Er war meine einzige Freude am gestrigen Tage. Auch heute haben wir zeitlich gesehen strammen Dienst gehabt, und zwar bis 20 Uhr. Und jetzt ist es 20 ½ Uhr. Abendbrot haben wir bereits eingenommen, es hat sehr gut geschmeckt, denn der Appetit war gewaltig. Wir haben alle damit gerechnet, heute oder morgen für einige Stunden auf Urlaub gehen zu können, aber man gönnt uns diese Freude nicht. Dies ruft eine Verärgerung hervor. Wenn man drei Wochen lang mit größtem Bemühen seinen Dienst geleistet hat und dabei 30 bis 35 Jahre alt ist und nicht auf Nachturlaub darf, während anderswo 20jährige Rekruten nach 14 Tagen schon auf Wochenendurlaub fahren können, ist es wohl erklärlich, daß sich eine Verbitterung auftut. Kraft durch Freude, kennt man hier anscheinend nicht!

Heute hast Du mich nun sogar durch 2 Sachen erfreut, aber ich muß schon sagen, die Münchner Illustrierte Presse habe ich mir noch nicht begucken können. Es wird sich aber wohl noch eine Gelegenheit dazu finden. – Den ganzen Nachmittag haben wir in unserer Stube de gearbeitet. Der Fußboden machte uns Kummer. Jetzt ist er gespänt und sieht ganz ordentlich aus. Ich habe heute noch Stubendienst, muß die Stube abmelden und dafür sorgen, daß alles tipptopp ist. Schade, daß wir keine frischen Blumen auf die Tische stellen können. Der Strauß von Dir hat vielfach Bewunderung hervorgerufen und sehr stark zum guten Eindruck beigetragen, aber leider sind einzelne Blüten so empfindlich, so daß sie nicht mehr berührt werden dürfen. – Soeben haben ich einen Laufdienst tun müssen und nun bin ich ganz aus dem Konzept gekommen. – Am Donnerstag haben wir die zweite Spritze bekommen, sie war aber in der Wirkung nicht stärker als die erste. Und morgen geht nun das Singen an. Scheiße!! Verzeih mir den Ausdruck, aber es stimmt.

Ich bin nun ob Deines Einkaufes in Hamburg und Bergedorf gespannt. Du triffst so schön die Vorbereitungen für unser Heim, und ich vermag Dir nicht zu helfen, so gerne ich es möchte. Aber es wird schon wieder anders werden. Und nun wünsche ich Dir einen schönen Sonntag und eine frohe Woche. Ich hoffe aber, daß wir uns morgen doch noch sehen.

Herzliche Grüße Dir und Deinen Angehörigen

Dein [Heinrich].

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Autor Heinrich Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Heinrich Wilmers

Abbildung von der Vorderseite eines Notizbuchs in Leder von Heinrich Wilmers.
Ba-NGM K02.Pf1_A4, Notizbuch Heinrich Wilmers, Datum und Ort unbekannt.

Heinrich Wilmers wurde 1907 geboren. Seine Eltern waren Bauern in Niedersachsen. Er und seine Geschwister waren sehr in die Arbeit auf dem Hof eingebunden. Er hatte zwei Schwestern und drei Brüder, die ebenfalls zur Wehrmacht eingezogen waren. Ein Bruder fiel 1944. Heinrich Wilmers war Lehrer, erst

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost