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[NGM-421215-004-01]
Briefkorpus

Nr. 447

Hbg.-Neuengamme, d. 15.12.42.

Mein lieber [Heinrich]!

Wieder sitze ich unter dem Lichtbogenapparat mit meinem Knie, da ist die Stunde zum Schreiben wieder gekommen. Heute konnte ich zwei Briefe von Dir in Empfang nehmen, drei Tage lang hatte ich auch keine Post bekommen. Du wärst also auch lieber hier gewesen am Wochenende, gedacht hatte ich es mir ja. Ist Eure Abreise nun auf den 17.12. festgesetzt worden, oder hat sich das Datum noch verschoben? Kommen wirst Du vorher nun wohl nicht mehr, denn wenn es sonntags nicht geht, geht es ja wochentags erst recht nicht. Wie gut, daß Du auf der Hinreise hier vorgewesen [sic] bist, sonst hätten wir uns doch tatsächlich gar nicht gesehen. Aber sehr schwarz sehe ich für die beiden Pakete. Wenn Du am 13. noch nicht einmal das erste hattest, das ich am 7. abgeschickt hatte, dann wird Dich das große vom 12. wohl kaum mehr dort erreichen. Und nachschicken wird doch die Post ein so großes Paket nicht dürfen. Es ist ja auch gar keine Zulassungsmarke drauf. – Ich kann kaum sehen, was ich schreibe, so dunkel ist es schon, aber erst 4 Uhr.

Heute bekam ich auch einen Brief von Anna. Sie bedankt sich für die Tasche, sie ist ganz nach ihrem Geschmack ausgefallen. Sie meint, Du hättest jetzt eine große Familie zu versorgen; Du hättest „gute Einsicht beim zum Einkaufen“. Sie wollte Dir erst in einigen Tagen nach Dänemark hinschreiben. Wie die Post doch verschieden arbeitet. Von Anna habe ich nun schon Nachricht, daß sie das Päckchen erhalten hat, u. Dein erstes Päckchen war zwei Tage früher abgegangen u. ist noch nicht da, dabei liegt Ihlienworth doch weiter entfernt als Ratzeburg. Mit dem Zurückschicken der Bilder bist Du ja direkt prompt gewesen. Hans macht wirklich ein glückliches Gesicht. Er sieht überhaupt sehr wohl aus, das macht aber wohl zur Hauptsache die innere Freude. Er teilte mir mit, daß Lisa ihm geschrieben hätte, wir hätten eine große dicke Deern; sie hatte die Aufnahmen bei Vater u. Mutter gesehen. Ob er auch wohl gerne die Bilder haben möchte? Ich hatte ihm erst eins schicken wollen, aber dann dachte ich, das sieht doch wohl etwas angeberisch, oder wie soll man da sagen, aus. Was meinst Du dazu? – Du meinst also „schon wieder“ wäre zu viel gesagt bei Hermine u. Kind. Ich bin ja gespannt auf Dein Tempo u. die Zahl, aber da habe ich ja auch

2 [*]

noch etwas mitzureden. Vorläufig bin ich in dieser Hinsicht jedenfalls noch nicht zu sprechen. – Heute mittag war ich nach 4 Wochen Pause mal wieder mit Puppe zur Beratung. Sie hatte 1 zugenommen im Ganzen. Das ist mir eigentlich gar nicht genug. Ihr Kopf ist immer noch etwas weich, aber sonst sind sie mit ihr zufrieden. Aber da hättest Du heute mal sein sollen, was für ein Geblär [sic], man konnte sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Anni D. kam bei mir vor, wir fuhren dann zusammen hin. Ihr Junge weinte schon, noch immer daselbe Gequieke von damals, er wiegt übrigens jetzt schon 20 , ein Mordskerl. Als wir dort ankamen, war es verhältnismäßig noch ruhig, obgleich schon eine Menge Babys da waren, alle Tische waren besetzt. Alles wurde dann von dem kl. Dieter angesteckt, auch Puppe fing bald entsetzlich an zu brüllen u. war nicht mehr zu beruhigen, die Tränen liefen man [sic] immer so über die Backe. Schwester Gertrud sagte, die kann aber weinen. Als wir dann schließlich fertig waren, war ich ganz heiß u. naß, ich konnte mir man die Tropfen immer so abwischen. Als wir dann rauskamen, war Puppe wieder still, getrunken hat sie dann nicht viel, sie war so müde, das Weinen hatte wohl zu sehr angestrengt. Als ich sie dann weglegte, lag sie auch bald mit ihrem Daumen im Mund u. schlief. – Als ich gestern bei Dr. Z. zur Bestrahlung war, fragte er mich, ob ich noch Geduld hätte. Ich sagte nein. Dann, meinte er, sollte ich man mal zum Spezialarzt gehen. Er hat mir dann einen Überweisungsschein gegeben u. mich an einen Dr. Jürgen F. verwiesen. Ich habe dort dann angerufen. Nun hat der aber nur von ½ 9 – 10 Uhr Sprechstunde. Ich müßte also mit dem 7 Uhr Zug fahren. Ich wollte gleich heute morgen los, aber Papa u. Mutti wollten mich in der Finsternis nicht allein fahren lassen. Nun soll ich warten damit bis nächste Woche, dann hat Papa Ferien u. fährt mit. Mutti kommt gerade von M. nebenan, die älteste Tochter war dort, die hatte einige Zeit im Krankenhaus gelegen. Bei ihr lag auch eine Frau, die hatte auch nur ein dickes Knie, lag schon ½ Jahr dort, durfte nicht aufstehen, nicht einmal zum Klo, u. kriegte nur Bestrahlung. Ob mir das vielleicht auch noch blühen wird. Anfang nächster Woche werde ich ja nun zum Spezialarzt fahren, mal sehen, was der sagt. – Günter hatte sein erstes Weihnachtspäckchen schon bekommen, alles Eßbare schon verzehrt. Machst Du das auch so, aber Du hast sie ja noch nicht. – Nun hab einen lieben Kuß u. sei herzlichst gegrüßt von

Deiner [Hannelore]

[**] Eben haben wir zusammen telefoniert. Da ist ja schon ein großer Teil meines Gefasels überflüssig geworden, aber Du hast es Dir nun noch einmal anhören müssen. Wenn Ihr noch länger dort bleibt, dann mußt Du aber nächsten Sonntag kommen. Das sind da bei Euch wohl gar keine Menschen mehr, daß die sich so anstellen. Nur gut, daß Du die beiden Päckchen bekommen hast. Das mit dem Attest mußt Du mir noch mal näher ausführen. Muß denn da draufstehen, ernstlich erkrankt? Das kann man aber doch nur bei Lebensgefahr sagen. Ob sich Z. darauf aber einlassen wird? Ich glaube, er wird mich als lächerlich hinstellen, wie er überhaupt immer so höhnisch redet. Augenblicklich stehen wir beide nicht gut miteinander. Und der Spezialist in Hbg. wird mir doch sicher kein solches Attest ausstellen.

[* Die Zahl steht mittig mit Abstand oben auf der neuen Seite]

[** = von hier an ist der Brieftext von oben nach unten auf dem linken Seitenrand der vier Briefseiten geschrieben, beginnend auf der letzten Seite bis zum Ende des Nachtrags schließlich auf der ersten Seite.]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost