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[NGM-421225-004-01]
Briefkorpus

Nr. 453

Hbg. - Neuengamme, d. 25.12.42.

Mein lieber [Heinrich]!

Nun ist der 1. Weihnachtstag schon bald vorbei, es ist schon wieder nach 10 Uhr. Ich wollte so gerne etwas lesen, aber viel wird nun nicht mehr davon. Heute nachmittag waren Mutti u. ich in Curslack, Papa u. Puppe haben eingehütet, Puppe hat die meiste Zeit geschlafen, Papa geschrieben. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, alle vier rüberzugehen, aber gegen Nachmittag wurde es immer nebliger, so daß wir es für besser hielten, Puppe nicht rauszubringen. Da hat Papa sich dann erboten, bei ihr einzuhüten. In Curslack ist der Weihnachtsmann noch sehr reichlich gewesen. Rudi u. Grete waren direkt friedensmäßig beschenkt. Anschließend sind die Curslacker dann mit zu uns gekommen. Nachdem ich zunächst den Kampf mit Puppe zu bestehen hatte, waren wir dann alle gemütlich beieinander. Um ½ 9 Uhr waren wir dann erst beim Essen u. dann kam wieder Puppe. Ich habe schon fast ein Grauen, wenn es wieder so weit ist. Es gibt aber auch keine Mahlzeit mehr, wo Gisela ordentlich trinkt. Ich weiß nicht, was mit dem Mädel los ist. Sie will einfach nicht trinken, weder Brust noch Flasche, auch ihren Brei ißt sie nicht auf. Mit großem Kampf kriegen wir vielleicht die Hälfte von dem, was sie nehmen muß, hinein. Dabei hat sie nicht etwa in der Zwischenzeit Hunger oder schreit, nein, sie schläft oder ist vergnügt. Wovon sie wohl nur lebt, aber zunehmen tut sie nicht. Ihren Stuhlgang mußten wir seit etwa 14 Tagen regelmäßig holen. Gestern u. heute kam es nun mal von selbst, an den letzten Abenden hat sie einen gebratenen Apfel bekommen. Mit Müh u. Not haben wir ihr heute abend wieder etwas Milch eingelöffelt, weil sie sich nach wenigen Zügen mit Händen u. Füßen, Kopf im Nacken, sträubt, weiterzutrinken u. dabei ein Geschrei, es ist wirklich zum Verzagen, so geht es Mahlzeit für Mahlzeit, nur morgens die erste, da geht es etwas besser, aber ohne Geschrei u. Widerstreben geht es nie ab. 5x am Tag! Wenn sie dann nachher nicht wieder so lieb wäre, lacht u. jauchzt, so könnte mich das zur Verzweiflung bringen. Aber es kann ja so nicht weitergehen. Alle möglichen Flaschengerichte habe ich ihr schon zu geben versucht.

Nun bist Du Weihnachten doch wieder nicht gekommen, u. ich hatte bis zum letzten Augenblick darauf gehofft. Auch Mutti u. Papa hatten fest damit gerechnet. Heute morgen kam Mutti noch mal neugierig in mein Zimmer, ob Du vielleicht über Nacht gekommen bist. Der gestrige Abend verlief sehr still u. ruhig. Wir haben nicht einmal gesungen, was sonst noch nie vorgekommen ist. Papa hat nur einige Lieder gespielt. Puppe saß auf Muttis Arm, etwas hat sie wohl schon vom Tannenbaum gemerkt, aber als Papa dann an zu spielen fing, hat sie ihn immer groß angeguckt. Papa u. Mutti haben sich sehr zu ihren Sachen von Dir gefreut u. danken Dir herzlichst. Papa hat heute gleich Günter davon berichtet: eine feine Zigarrentasche. Er will sie gleich Weihnachten mit zur Jagd nehmen. Puppe hat von ihrem Opa ein Auto u. einen Hund auf Rädern bekommen, von ihrer Oma ein Kleid. Einen Wickeltisch haben wir jetzt auch. Ich habe 2 Sammeltassen, 1 Schale, Strümpfe, Waschkorb, 6 2. [sic] kl. Fahrkarten nach Hbg. Von Deinen sämtlichen Geschwistern habe ich Weihnachtsgrüße bekommen, das ist sonst noch nie vorgekommen, das macht wohl Deine Anwesenheit in Dänemark. Ich war natürlich nicht darauf gewappnet, hatte nur an Deine Eltern u. W.s geschrieben. Rudolf hatte wieder einige Tage Weihnachtsurlaub, vielleicht hatte er ja eine Gans geliefert, wer weiß. Das wird dort wohl auch ziehen, wie bei den Zwetschgen seinerzeit. Beziehung ist doch das halbe Leben. Wir haben jetzt durch R. mehrere Porzellansachen bekommen, sonst ist nichts zu haben. - Heute abend rief Frau H. an. H.i liegt schon seit Montag im Krankenhaus, hat Lymphentzündung, war beim Baden ausgerutscht, mit der Hand in die Fensterscheibe gefallen, geklammert, genäht, nach einigen Tagen dick u. entzündet, Krankenhausbehandlung erforderlich, das gerade zu Weihnachten. - Heute morgen kam Dein Brief Nr. 415 v. 2.12. - Vielleicht erreicht Dich dieser Brief als letzter im alten Jahr, so wünschen wir Dir alle ein glückliches u. gesundes Neues Jahr. Was 1943 uns wohl alles bringt! - Wenn es uns an gemeinsamen Stunden so viele wie 1942 schenkt, dann will ich zufrieden sein.

Nun hab einen lieben Weihnachtskuß u. sei herzlichst gegrüßt von Deiner [Hannelore]

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Autor Hannelore Wilmers
Korrespondenz Neuengamme
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Über den Autor

Hannelore Wilmers

Abbildung von einem Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, grüner Karton mit Schreibmaschinenschrift. andes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.
Ba-NGM K02.Pf1_.A14, Haushaltspaß von Hannelore Wilmers, 1944, Hamburg, herausgegeben vom Landes- und Hauptwirtschaftsamt Hamburg.

 

 

Hannelore Wilmers, geb. Baumann, wurde 1917 geboren, sie lebte bis 1999. Sie war Tochter eines Lehrers und seiner Frau in Neuengamme. Ihr jüngerer Bruder war bei der SS. Hannelore Wilmers besuchte das Luisen-Gymnasium in Hamburg-Bergedorf. Dann arbeitete sie in einer Motorenfabrik als

Über die Korrespondenz

Neuengamme

Abbildung mehrerer Bündel Briefe aus dem Konvolut Neuengamme, von Kordeln zusammengehalten, in einem Schuhkarton durcheinander gewürfelt.

Die Briefe von Hannelore und Heinrich Wilmers befinden sich im Archiv des Kultur- und Geschichtskontors in Hamburg-Bergedorf. Über 1600 Briefe und Karten wurden von den Autoren nummeriert, sortiert und sorgfältig zu je 100 Stück gebündelt aufbewahrt. Die von Hannelore Wilmers verwahrte Feldpost