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Briefkorpus

Oberfrohna, am 2. Oktober 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Ein heißer Schreck durchfuhr mich heute in der Kirche. Ich glaubte Sie unter der Gemeinde sitzen zu sehen. Im selben Moment als ich Sie entdeckt glaubte, wurde es nämlich neben mir laut: „Seht an, da ist Herr [Nordhoff]!” Dann aber wendete sich der Herr einmal um und wir sahen den Irrtum.

Vorigen Sonntag, um diese Zeit da ich schreibe, waren wir schon unterwegs nach den Schrammsteinen. Es ist mir gerade, als spare der Wettergott die Sonnentage nur für uns auf; denn bei uns hier herrscht seit 2 Tagen wieder trübes, unbeständiges Wetter. Wie ich mich über diese herrlichen Aufnahmen freue — darf ich die alle behalten? Während ich schreibe, habe ich sie vor mir auf dem Tisch liegen, ich kann sie immerzu ansehen. Schade, daß Sie auf dem großen Bild so ernst schauen, das nächste Mal werd ich aber bestimmt energisch sein. Ich knipse einfach nicht eher, bis Sie mal richtig lachen. Daß die Bilder, die uns beide zeigen, ein wenig dunkel geraten sind, macht sie mir umso geheimnisvoller. „Zwei im Märchenwald”, so denke ich mir die Überschrift. Eigentlich könnte man über jedes Bild eine kleine Geschichte erzählen, aber das würde dann doch zu weit führen. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, betrachten wir sie nochmal gemeinsam. Die Landschaftsaufnahmen finde ich sämtlich reizend, zur Orientierung trägt das kleine Büchlein, das Sie mir schenkten viel bei; es ist eine Landkarte drin, die zeigt den Lageplan vom Kuhstall und die nähere Umgebung. Auch die Aufnahme, welche die „Hohe Liebe” zeigt, ist sehr gut gelungen, das Dorf im Hintergrunde ist doch Lichtenhain? Und daß Sie mir die Wirtsleute als sie Besuch hatten und das liebe kleine Mädel mitschicken, freut mich sehr.

Etwas ist mir auf der Rückreise durch den Kopf gegangen, worüber ich mir Gedanken mache. Habe ich mich den Wirtsleuten gegenüber recht benommen? Indem ich mich für alle Mühe und besondere Sorgfalt, mit der Frau H. Ihrem Besu[ch] gerecht wurde, nur einfach bedankte, für die mir zuteil gewordene Gastfreundschaft. Aber hätte ich beim Abschied in Ihrer Gegenwart gefragt, was ich ihnen schuldig sei, hätte ich Ihnen da nicht wehgetan, Sie beleidigt? Ein Geldgeschenk, ein Trinkgeld, wie man sagt — der Gedanke daran ist für mich demütigend. Ich weiß nicht, ob alle Menschen so denken. Aber man muß doch in dieser Hinsicht einen Weg finden, sich auf keine beleidigende, aufdringliche Art, dankbar u[nd] erkenntlich zeigen zu können. Vielleicht halten mich Ihre Wirtsleute für undankbar, weil ich alles, was sie für mich taten als Selbstverständlichkeit hinnahm. Ich weiß, daß Sie die Kosten getragen haben für Ihren Besuch, daß sie nichts eingebüßt haben. Doch ich denke, daß ich auch meinerseits dazu beitragen muß. Ich bin darin unerfahren. Bitte raten Sie mir doch, wie ich es recht mache. Ich hatte an eine kleine Handarbeit, irgend ein Geschenk gedacht, wenn ich wieder mal hinkomme. Aber dies auf eine Art, ohne mich dabei hervorzutun, nur einzig und allein als Beweis meiner Achtung und Dankbarkeit. Sie werden raten können, weil Sie sie besser kennen als ich.

Die Gedanken in Ihrem Brief, die Sie verbinden mit unserm Gespräch am Sonntagabend, machen mich froh. Sie lassen mich wieder erkennen, wie edel Sie sind in Ihrem Denken und Handeln. Ich sage das nicht ohne Stolz — es hat noch nie, seit ich Sie kenne, einen Moment gegeben, da ich einmal nicht zu Ihnen aufblicken konnte.

Ein hohes Ziel ist uns gesetzt: Das Glück der reinen Liebe. Es macht mich froh, daß wir beide den gleichen Gedanken im Herzen tragen, den Willen uns zu mühen, dies Ziel zu erreichen, dazu beitragen, was in unseren Kräften steht.

Manchmal bin ich recht verzagt, wenn ich mein ganzes Sein im Gegensatz zu Ihnen betrachte. Ich habe so große Angst, daß ich Sie einmal verlieren könnte.

Mit seiner ganzen Wucht kam dieses Gefühl am vorigen Montag über mich. Ich konnte nicht anders — bitte, verzeihen Sie mir.

Frieden ist im Land, wie wert um dieses Wort ist.

Ich freue mich mit Ihnen, mit allen Menschen. Wie vieles Unheil ist nun abgewendet. Seit uns die Gewißheit wurde, herrscht eine ganz andre Stimmung unter den Leuten — Sie werden das auch erleben. Wollen wir Gott danken dafür und hoffen, daß dieser Frieden von Dauer ist.

Nun werden die Flüchtlinge bald Lichtenhain verlassen. Bei uns im Lager befinden sich etwa 70 st [Unklar] tschechische Gefangene. Soldaten, Zivilisten, auch einige weibliche Angestellte der Post. 20 Polizisten aus Chemnitz halten Tag und Nacht Wache.

Jetzt ist es schon so weit gekommen, daß alle Neugierigen, die unnütz rumstehen 1 RM Strafe zahlen müssen. Nachts wird das Lager von Scheinwerfern bestrahlt, da einer versuchte, auszubrechen. Wir sind gespannt was weiter mit ihnen geschieht.

Die Eltern waren froh als ich unversehrt zurückkam, Mutter holte mich von der Bahn ab. War das ein Erzählen, sie wollten kaum glauben, daß so nahe der Grenze alles friedlich war. Wie schön es da bei Ihnen ist, konnten sie nun erst recht an den Bildern sehen und die gefallen ihnen sehr gut. Sie hatten gewartet auf eine Nachricht von uns, doch ich hab ihnen gesagt, daß ich der schuld[ige] Teil war. Trotzdem sind sie aber nicht bös.

Sind Sie denn auch gut angekommen zu Haus? Ich fand vorigen Montag lange keine Ruhe, als ich schon zu Bett lag. Denken Sie nur was ich für ein Kerl bin, bis zum Mittwoch darauf taten mir die Beine weh vom Laufen. Sonst kann ich eigentlich nicht klagen nach einem Marsch; ich denke das liegt am ungewohnten Gelände.

Die Schallplatte vom „Troubadour” läuft fast jeden Abend einmal [ab], Vater meint, ich soll sie unters Kopfkissen legen, bis ichs auswendig kenne. Eine Woche ist nun vergangen, viel länger kommt mirs vor. Ich wünsche mir sehr, daß die nächsten 4 Wochen recht schnell vergehen. Ihnen für Ihre Ferientage schönes Wetter und recht gute Erholung, damit Sie frisch und munter das letzte Viertel des alten Jahres antreten können.

Seien Sie nochmals bestens bedankt und recht herzlich

gegrüßt von

Yours [Hilde Laube].

The parents say hello.

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Ba-OBF K02.Pf1.381002-002-01d.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946