Bitte warten...
Briefkorpus

Oberfrohna, am 14. Mai 1939.

Mein lieber [Roland]!

Pünktlich, wie immer, erreichte mich heute morgen Dein lieber Bote, und ich danke Dir auch recht schön dafür. So viele Neuigkeiten kann ich ja auf einmal fast gar nicht verdauen! Ich wünsche mir so sehr, daß Deinem Besuch nichts Unvorhergesehenes entgegentritt — ich muß Dich recht bald bei mir haben, Du!

Auch ich hatte heute Kirchendienst: Einweisung des neuen Hilfsgeistlichen. Sein klingender Name: Harald, Willfried P., aus Halle; geboren in Erfurt, 27 Jahre alt und lang ist er, wie der Johannistag. Seine Stimme gefällt mir nicht, er lispelt auch ein wenig. Ein umfassendes Urteil über seine Predigt, über seine Art der Gemeinde gegenüber kann ich Dir nicht geben, ich war völlig unaufmerksam heute. Am Mittwoch ist also der verhängnisvolle Tag — womöglich kommst Du dann mit dem Sträußchen am Hute zu mir? Ich besinne mich noch auf die Zeit Deines Hierseins; es war auf dem Heimweg nach der Singstunde, im Scherz entstand ein kleines Wortgefecht und ich wünschte Dir brennend, daß man Dich zum Militär hole. Und Du wolltest mir den Gefallen nicht erweisen, mir meine vorzeitige Schadenfreude noch zu vergrößern.

Und wie steht’s nun heute?

Ach Du! Ich erwarte mir das Beste von der Zukunft. Ein kleiner Trost ist: Musterung ist noch keine Einberufung. Und einmal sagtest Du, so bestände großer Mangel an Lehrkräften.

Wiederum — die politische Lage heute, sie erfordert, daß jeder deutsche Mann eine militärische Ausbildung genossen hat. In Deinem Falle käme ja gewiß nur die Zeit von einem Vierteljahr in Frage?

Wir wollen abwarten und das Gute hoffen!

Du glaubst ja nicht, wie ich den Kopf voller Sorgen hatte in dieser Woche. Sie sind wohl heute nicht völlig gebannt. Papsdorf gab eine Verordnung heraus, die betrifft nur den Kreis Chemnitz, wie man sagt. Jeder Fabrikant ist verpflichtet, je nach Größe seines Betriebes, dem Landwirt junge Mädels bis zum 25. Lebensjahr, zwecks Verrichtung landwirtschaftlicher Arbeit aller Art, zur Verfügung zu stellen. Diejenigen, welche Kenntnisse hierin haben, sollen sich freiwillig melden. In unser[e]m Betrieb ist das nicht der Fall, auch sonst meldete sich keine freiwillig. Unser Chef muß ein Mädel stellen. Das Los mußte entscheiden. Du! Wie ich in diesen Minuten an Dich dachte! Und es entschied — für ein Mädel in meinem Alter. Sie weigerte sich, ging zu einem befreundeten Arzt, damit er ihr vielleicht ein Attest ausstellt zu ihren Gunsten. Recht kleinlaut kam sie wieder, sie wurde nach dem Gesundheitsamt Chemnitz überwiesen. Das alles besagt aber noch lange nicht unsre Befreiung, wenn sich irgendetwas herausstellt, und ihren Abstand erfordert, steht uns übrigen eine neue Wahl bevor.

Eine mächtige Wut hab ich, das kann ich sagen. Ich glaube, auch ich würde alles versuchen, freizukommen. Stelle Dir vor, ich müßte ein ganzes, langes Jahr zu den Bauern!! Ein halbes Jahr würde doch vollkommen genügen. Und dazu können sie ja die jungen Mädchen nehmen, die die Volksschule verließen und sowieso ihr Landjahr abdienen müssen. Es ist überhaupt eine große Lumpenwirtschaft (entschuldige!), die Söhne und Töchter der Bauern gehen in die Fabrik, um Geld zu verdienen; oder studieren, lernen irgend etwas und wir haben das zweifelhafte Vergnügen und dürfen ihre Arbeit verrichten. Sie sollen ruhig erst einmal alle die Bürschchen heranholen — dann mögen sie weitersehen. Ich habe garnichts dagegen, wenn wir in den arbeitsreichen Erntewochen abwechselnd mithelfen; das ist sogar ganz gesund für uns.

Ich lehne mich nur so auf, weil sie einfach eine herausgreifen und dazu zwingen. Fragen nicht, wie die Verhältnisse liegen, ob die Eltern materiell auf ihre Kinder angewiesen sind, ob sie im eigenen Haushalte unentbehrlich sind, ob sie gebunden sind und aus diesem Grunde wirtschaftlich nicht in der Lage sind ein Jahr Arbeitszeit, Verdienstmöglichkeit einzubüßen. Maßgebend ist im höchsten Falle noch die Gesundheitsfrage, das andre tritt zurück.

Der Bauer verpflichtet sich, außer der freien Beköstigung, einen wöchentlichen Lohn von 8.- RM zu zahlen, das übrige soll der Chef tragen. Es heißt, wir müßten unseren üblichen Lohn weitergezahlt bekommen. Das ist nicht wahr. Eine die sich freiwillig meldet, bekommt wöchentlich etwa 18.- RM und das kann sie ja unmöglich sparen, sie braucht ja auch Kleidung. Nun, wir wollen uns beide nichts so sehr sorgen, wir wollen in Ruhe abwarten, was geschieht.

Vielleicht wären wir beide garnicht so schlecht aufgehoben, was meinst Du? Du beim Militär als strammer Soldat, ich beim Bauer, als stämmige Magd?

Siehst Du, jetzt kann ich schon wieder Unsinn treiben mit diesen ernsten Dingen. Ich freu mich ja so sehr, daß Du kommst, Du! Mein lieber, lieber [Roland]!

Sieh nur, daß Du so bald wie möglich abkommen kannst am Mittwoch. Wenn Du die Zeit nicht einhalten kann[st], dann kommst Du einfach zu uns, ohne daß ich Dich abholen kann, ja? Der Weg ist Dir ja bekannt, dann klingelst Du einmal ‚Sturm’, Mutter nimmt Dich in Empfang, sie ist daheim und erwartet Dich zu jeder Tageszeit. Ich soll Dich überhaupt herzlich einladen und grüßen von den Eltern!

Übrigens, gib ein wenig acht, lieber [Roland]! Ab 15. Mai treten neue Fahrpläne in Kraft, vielleicht kommen wir dadurch ein bissel aus der Reihe. Zu schreiben brauchst Du mir nun nicht noch mal, weil Du ja selbst noch nichts Gewisses weißt. Alles übrige [sic] wollen wir mündlich ausmachen. Am Mittwoch will ich besonders fleißig Deiner denken.

Wie uns das Schicksal lenkt, wird es recht sein, wir wollen Gott vertrauen — Liebster.

Ich freue mich auf Dein Kommen! Ich bin in Gedanken immer bei Dir, Du! Ich habe Dich lieb! Ich grüße und küsse Dich herzlichst,

Deine [Hilde].

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946