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Briefkorpus

Oberfrohna, am 5. Juli 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland], Du!

Ganz ruhig ist es geworden nach dem Gewitter; draußen, und bei mir drinnen. Klar ist die Luft, frisch und rein — man kann garnicht genug davon einsaugen, und es tut doppelt wohl nach dieser schwülen, feuchten Luft vorher. Ich wünschte, es wäre zwischen uns ebenso wie draußen, vorbei der lastende Druck — die gewohnte Frische und Freiheit umfing uns.

Einmal muß ich noch davon sprechen, auf Deinen Brief hin, Du. Ich weiß nicht genug von den Deutschen Christen, daß ich für oder wider s[ie] sprechen sollte. Nach den Predigten, die ich hörte, kann ich nicht allein meine Entscheidung fällen und meine Richtlinien ziehen. Es ist unter Deutschen Christen wie unter Bekenntnispfarrern die Predigt nicht jedes Mal aus unsrer Seele heraus gesprochen. Einmal fühlt man sich mehr hingezogen, einmal weniger. Und wenn ich nun einem Pfarrer, welcher Deutscher Christ ist, Dienst leiste, so sehe ich kein Unrecht darin, lieber [Roland]. Vielleicht nehme ich das mit dem Glauben in Deinen Augen noch zu leicht. Denn daß es so sein muß, das lese ich mit nicht geringem Erschrecken aus Deinen Zei[len]. Du hast das Ganze, worum es jetzt geht zwischen Kirche und Staat, besser durchdringen können als ich. Die Gründe dafür, das Warum hierzu brauche ich nicht erst anzuführen. Die Zeit, die ich verbringe beim Pfarrer, wird keinen Zwiespalt im Glauben zwischen uns beiden aufkommen lassen. Ich dringe nicht in die Entstehungsgeschichte dieser neuen Glaubensvereinigung, oder wie ich sie sonst nennen könnte, ein; aber wenn ich darüber Rechenschaft und Klarheit haben wollte, so brauchte ich nur mal um ein Buch zu bitten aus der Kirchenbibliothek, welches erklärend hierzu ist. Dann könnte ich und auch Du sicher Aufschluß darüber erhalten, warum wir das Deutsche Christentum nicht anerkennen wollen oder mögen. Meines Erachtens brauchen wir diese Dinge garnicht so weit vorgreifend auszudenken und aufzubauen. Ich bleibe, wer ich bin, und ich gehöre zu Dir.

Daran ändert die Tatsache, daß ich einige Stunden für die Kirchengemeinde Oberfrohna opfere, rein nichts. Als ich das Angebot für diese Hilfe annahm, waren meine Gedanken nicht darauf gerichtet: Ist das dein Gegner; ist das gegen deine Einstellung? Was du tun willst? Glaube mir, dazu war auch die Zeit viel zu kurz, daß ich mich hätte mit mir und Dir eingehend darüber auseinander setzen können. Ich sah: Hier wird einer gebraucht, ich kann helfen und eben weil ich kann, weil es mir möglich ist, die Stunden zu entbehren, darum konnte ich es auch nicht vor meinem Gewissen verantworten, nicht anzunehmen. Ich bin vielleicht zu gut.

Aber: daß Du jetzt denkst, ich setzte nun deshalb unser Schönstes hintan! [Roland]! [Roland]! Was denkst Du von mir? Könnte ich unsere Pläne, gerade diese, unsere Pläne um eines anderen willen zurücksetzen?

Lieber [Roland], ich weiß was ich will, ohne Deinen Hinweis.

Du kannst verletzend werden mit Deinen Worten, mit denen Du Dein Recht vertreten mußt. Ich sehe darüber hinweg — auch das noch, wäre die ganze Angelegenheit auch garnicht wert.

Ich betsinne mich ganz deutlich auf einen Tag, da unsre Freundschaft noch ganz jung war. Auch da war ich arglos, bedenkenlos zu gut mit einem fremden Menschen. Da kam das erste Mißverständnis zwischen uns. Ich bekannte und ich fühlte mich schuldig. Du verziehst mir. Und ich war dankbar und froh. Der Anlaß zu diesem Mißverständnis war von tiefer, schwerwiegender Bedeutung für uns, ich setzte durch mein unrichtiges Verhalten unsre Freundaft [sic] aufs Spiel. Der Gegner konnte gefährlicher werden, als er in Wirklichkeit war.

Hier kann ich mich nicht schuldig fühlen. Ich zerstörte durch meine Eigenmächtigkeit Dein Wunschbild, es tut mir leid.

Doch Du erleidest dadurch keinen Nachteil.

Du kannst Deine Liebe zu mir schwer teilen mit anderen, willst sie vielleicht nicht teilen. Zum einen kann mich das beglücken, wohl! Zum andern, Liebster! Gewöhne Dich an den Gedanken, Deine Liebe zu teilen: Frauen, die Mütter werden wollen, müssen ihre Liebe auch teilen, müssen ein großes, weites Herz haben.

Mannesliebe empfindet wohl anders, als Weibesliebe, so ist es.

Liebster! Herzallerliebster! Bitte gewöhne Dich daran, laß mich außer Dir auch anderem Guten gehören. Du mußt es jetzt üben, wenn Du auch glaubst, das ist dann etwas ganz anderes, wenn wir Kinder haben, unsere K[in]der, auf die könnte ich nicht eifersüchtig sein. Glaube mir, dann erst die Liebe teilen, wird Dir sehr schwer. Und ich habe Angst um diese Kinder, Du!

Mein lieber, lieber [Roland]! Wir haben einander so sehr lieb, und um dieser großen Liebe willen bitte ich Dich herzlich: Wir wollen vor unserem Hochzeitsfest, auf das ich mich so sehr freue, nicht mehr von alldem  sprechen. Ich denke, daß wir einander verstanden haben, Du!

Sieh, ich habe täglich so viele frohe Gedanken bei meiner Arbeit und wenn i[ch] müßig sitze und Deiner denke, und wenn ich mir vorsage, wieviel Male ich noch schlafen muß, bis Du, Liebster bei mir bist, ich werde jeden Tag unruhiger und glücklicher, denke ich mir das Wiedersehen mit Dir aus! Und über dieser ganzen, großen, freudigen Erwartung soll die Wolke stehen? Liebster! Das kannst Du nicht wollen! Einen Strich wollen wir ziehen von heute an unter das, was war; denn ich gehe nun noch einmal, dann nimmermehr.

Ganz froh, ganz glücklich, ganz einander vertrauend und der Liebe so voll wollen wir die Tage leben, bis wir vor dem Altar stehen werden. Willst Du, mein Liebster? O sag doch ja!

Ich will mich nicht darum drücken, mich mit Dir darüber auszusprechen.  nach [sic] dem Fest, in einer ruhigen Stunde darfst Du gern mich fragen, mit mir reden wie Du magst. Nur vor dem Feste nicht; reiße mich nicht damit unbarmherzig aus meinem Strahlenhimmel, der heute beginnen will, mit ganzer Herrlichkeit sich über mir zu wölben.

Ich weiß, Herzallerliebster! Du hast mich lieb! Du!

Danken möchte ich Dir für Deinen lieben Brief, Du! Und danken möchte ich Dir für Dein reiches Geschenk, Liebster! Ich war erschrocken fast, als ich es sah. Gefreut habe ich mich, Du! Ich will es aufheben, für uns. Die beiden, Papa u. Mutsch guckten nicht garstig über mein Geschenk! Das ließen sie sich gefallen! Heute schrieben Elfriede und Deine Mutter recht lieb, Du sollst lesen, wann Du bei mir bist. Elfriede kommt, wie wir sch[riebe]n. Christian hat seine Ferien vorverlegen lassen, damit seine Mutti die Oma pflegen kann während Elfriedes Abwesenheit. Mutter kommt am Mittwoch abend. Und Du, Liebster! Du? Wann kommst denn Du? Mittwoch nachmittag um 4 Uhr hole ich Dich am Bus ab! Hörst Du? Mutter erkundigte sich vorige Woche, ob der Schulmeister in Schmilka sitzt, oder ob er's Geld verfährt!! Du mußt gleich kommen, wenn die Schultüre zufällt. Die auswärtigen Verwandten bleiben über Nacht, die dürfen uns auf keinen Fall so kurz besuchen. Mutter u. Vater sagte auch, da wird schon Rat. Schreib mir nochmal heim, daß Mu[tter] nichts von Deiner ,Einkleidung‘ vergißt! Wollen wir denn Vermählungsanzeigen drucken lassen, hat das noch Zeit, wann Du kommst? Gestern hab ich mit meiner Brautjungfer meinen Brautschmuck beim Gärtner bestellt. Die Blumen für sie besorgen wir, ist richtig. Wenn nur die Soldaten kämen! Mit einem Landauer wird's wohl schwer halten, wir kriegen eine Absage nach der andern. Nun gibts bald kein Fuhrgeschäft mehr, das wir nicht kennen u. das nicht im Telephonbuch vom Vater aufgestöbert wurde. Müssen wir ein Auto nehmen, nicht wahr? Ob wir da eins bekommen? Am Sonntag werde ich Deiner denken, auch wir gehen zur Kirche! Morgen früh bringe ich die Urkunden zum Standesamt und bestelle die Trauung. Du wirst die Zeit noch erfahren, die wird man mir am besten dort sagen; wenn ich sage die Kirche. Trauung ist um 1300. Du! Das ist mein allerletzter Bogen Briefpapier! Kann Dir nun nicht mehr schreiben, mußt kommen, Du!! Liebster! Ich möchte ganz eins sein mit Dir! Möchte ganz froh und glücklich mit Dir warten auf unseren Tag! Kannst Du vergessen und mit ganz frohen Augen u. leichtem Herzen zu mir kommen, zu Deiner [Hilde], die Dich so lieb hat?! So von ganzem Herzen lieb hat! Du! Behüt Dich Gott!

Erhalte er mir Dich froh und gesund, Liebster! Ich küsse Dich! Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946