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[OBF-401031-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 30. Oktober 1940.

Herzallerliebster! Geliebter Du! Mein lieber, lieber [Roland]!

Einen Tag und eine Nacht schneite es, und noch fallen die Flocken, lautlos. Der Winter ist da. Nichts draußen, das noch ohne Weiß dastünde. Das helle Schellengeläut der Pferdegespanne, die eilig durch den schon hohen Schnee fahren, erinnert mich ganz wundersam an meine frühe Jugend. Wenn die Pferde ihre Wintergarnitur Kumt und Zaumzeug umhatten, wenn es lustig vorbeibimmelte, wir Kinder am Fenster, die Nasen kalt, weil wir sie vor Ne[u]gier und Aufregung an die Fensterscheiben drückten; da konnte mich die Mutter nicht mehr halten. Nun mußte aber der [Sch]litten hervor und später die Bretter. Denn nun war es soweit! Die Schneedecke war dick genug.

Heute ist das ein wenig anders geworden. Es ist nicht mehr eine so große Aufregung, solch Fest wie damals, wenn der erste Schnee fiel. Man denkt mit einiger Sorge daran, so früh im Jahr schon der erste Schnee, noch dazu so viel. Es ist noch Kriegswinter. Was das bedeutet, wissen am besten die Erwachsenen. Die mancherlei Entbehrungen, die diese böse Zeit mit sich bringt, stehen vor unserem Auge. Nicht nur an das Eigene denke ich hier, nein, an die Allgemeinheit. Vor allem an unsre Soldaten. Wenn nur die Kälte nicht wieder so abnorm wird wie vergangenes Jahr. Ach, wenn man noch weiterdenken wollte, an alles, was so ein Winterhalbjahr mit sich bringt und zu denken, bei den jetzigen Verhältnissen, es könnte einem der Mut vergehen.

Ich will nicht zu viel sorgen, zu schwarz sehen. Ich sorge vor, so gut ich kann und wirtschafte sparsam und überlege dabei. Wir werden ihn alle überstehen den 2. Kriegswinter. Wenn uns nur vor allem Gesundheit beschieden ist. Der Herrgott wird uns auch durch diese Zeit führen, voll Güte und Weisheit, wie wir es immer schon erkannten. Ich glaube fest daran. Wenn wir nur gesund, frohgemut und gläubig bleiben, [w]as soll uns dann geschehen? Alles andere ist zu ertragen.

Vor einem Jahre, um diese Zeit, waren Deine lieben Eltern bei uns zu Besuch. Weißt Du noch? Zum ersten Mal bei uns zu Haus. Und wir beiden? Wie froh waren wir, wie glücklich in uns[e]rer heimlichen Liebe, Du!

Es war die Zeit, wo das Heimlichste, Köstlichste uns ganz gefangen nahm. O, wenn ich zurückdenke, Du!!

Wir beiden, allein mit unserem namenlosen Glück, in unserem verschwiegenen Kämmerlein, Du!!

Und dann, welch Glück, welche Freude! Ich reiste mit Dir!, [rei]ste mit Dir an Deinen neuen Wirkungsort, nach Schmilka. Zu Haus ließen wir die beiden Elternpaare. So froh waren wir zusammen! Ich sehe uns noch wie heute, wie selig wir abreisten. Grad wie zur Hochzeitsreise, sagtest Du. Das gefeierte Paar stiehlt sich heimlich davon. Und in Schmilka dann — Du! Wieder fanden wir ein kleines Märchenschloß, fast schien es, nur für uns bestimmt. Es wurde uns da wieder ein Paradies, eines der Schönsten. Mein [Roland]! Du!! Die Gabe letzter Traute, sie ward Dein. Denkst Du noch daran zurück? Damals bin ich wohl erst recht erwacht aus dem Träumen [me]iner Mädchenzeit. Damals fühlte ich mit unnennbarer Wonne, doch auch mit Scheu, daß ich ein Weib bin, Du! Dein Weib! Ganz Dein! Nimmermehr könnte ich im Leben noch einmal schenken, was ich Dir schenkte, Du!! Nimmermehr.

Und in Deinen lieben, guten, treuen Händen liegt all mein Sein beschlossen. Du! In wessen Händen könnte mein Leben geborgener sein, als in den Deinen? Du!! Du!! Wovon ich träumte, wovon ich lebte, was mein ganzes Sinnen und Trachten erfüllte, seit ich Dich gesehen — es ist Wirklichkeit geworden!! Selige, glückliche Wirklichkeit!!

Du weißt, mein [Roland]! Wie sehr, wie innig ich Dich liebe. Ich lasse Dich nie, nie mehr solange ich lebe.

Und wenn erst der Frieden kommen wird, Du!! Du!! Dann beginnt unser Leben, unser gemeinsames, geliebtes Leben, das wir froh und zuversichtlich, vertrauensvoll fest anfassen wollen, Du! Das wir uns zimmern wollen, aufbauen wollen, nicht nur für uns beide, Du!? O nein! Für wen wir mitbauen, mitschaffen, das ist uns ja heute in dieser Stunde selbst noch süßes Geheimnis, mein Lieb! Aber, daß es immer eingedenk eines kleinen Menschenwun[ders] geschieht, all unser Streben und Mühen, das soll uns stets leuchtendes Vorbild sein. Das soll uns auch Kraft spenden in schwachen Stunden. Magst Du? Mein [Roland]? Willst auch Du mit festhalten, an meinem Wunsch und Willen?

am Donnerstag.

In einem Deiner letzten Briefe schreibst auch Du von diesem Glück, das noch in der Zukunft liegt. Von unserem Kindlein. Du!, aus Deiner übergroßen Liebe soll es einst [g]eboren werden, Herzlieb!! So habe ich mir's im Geheimen gewünscht. Mein [Roland]! Aber auch meine große, ganze Liebe muß dazufließen, Du!! Damit unser beider Herzenswunsch vollkommen wird.

Ob ich dann auch für Dich noch genug Liebe habe? Herzallerliebster! Du!! Nie, nie sollst Du je daran zweifeln! Dir gehört mein ureigenstes Sein, Du! Du bist ja der Grund zu meinen Lieben, für das kleine Menschenkind. Frauenliebe, wahre Frauenliebe, sie vertieft sich ja mit dem Leben eines Kindes. Sie wird nur tiefer, inniger strahlen für den Mann, der sie einmal besitzt.

An eines mußt Du Dich nur gewöhnen — mit dem Gedanken mußt Du Dich schon heute vertraut machen. Zuerst steht dann unser Kind. Und Du bist ganz gewiß vernünftig und einsichtsvoll, das weiß ich. Du hast ja den gleichen Wunsch, diesem kleinen, hilflosemn Wesen Beschützer zu sein, es liebevoll sorgend in da[s] Leben zu leiten. Solch Menschlein ist ja so ganz auf Gedeih oder Verderben seinen Beschützern ausgesetzt. Und daß wir uns einander in der Sorge und Mühe um das Kind nicht überbieten, daß wir vernünftig Maß halten werden in allem, was auch dazu gehört, darauf wollen wir fleißig, gegenseitig aufeinander achten. Wir möchten doch unser Kind einmal erziehen, nicht aber verwöhnen.

Ein Kind darf und soll den Haushalt und das harmonische Zusammenleben zwischen den Eltern nicht aus den Fugen reißen. Es soll vielmehr die Grundlage sein zu freudigerem, noch besserem Schaffen und Streben. Es soll uns dem Sinne des Familienlebens zuführen. Ach Du! Mir ist nicht bange darum, wenn wir einmal zu dreien sein werden. Und Zeit für Dich?! Du!! Die habe ich ja immer, Du!! Beim größten Drasch! Das habe ich Dir doch auch bis auf den heutigen Tag schon immer bewiesen, stimmt's? Vielleicht läßt das einmal nach, wenn ich alt und müde bin. Aber schau, bis dahin hat's noch so lang Zeit.

Nun sei erst einmal recht herzlich bedankt für Deinen so lieben Sonntagsbrief! Mein lieber, guter [Roland]!! Ich will ihm ja ganz fein brav, ganz still und ganz vernünftig zuhören! Meinem lieben, langen, guten [Di]ckerle! Du!! hast ja so recht, es ist ja doch alles so lieb und gut gemeint; alles, was Du mir sagen willst, mit väterlicher Stimme, Du!! Und ich versprech’ Dir, mein liebster, bester Großer, Du! Aber mit einem langen — bangen Atemzug — ich will ganz ruhig sein, warten. Ich habe nicht so viel Geduld wie Du. In vielen Dingen nicht. Und wie ich einst in Schmilka vor Deiner Schulstubentür lauschend, wartend auf Dich, stand. Ach Du! Da wäre ich lange mit einem Donnerwetter dazwischengefahren, wenn’s ewig nicht klappt! Ich will Gedul[d] lernen, auch bei Dir, von Dir, Du!! Wie gut, daß Du nicht auch so bissel wild bist wie ich. Ich glaub, da hätte es sonst schon manchmal eingeschlagen, hm? Aber es ist wahr, Du! Und es steht doch bitterer Ernst hinter Deiner lieben, gutgemeinten Warnung: Du möchtest mich stark und gesund wiedersehen! Und ich will auch immer an unser langes Leben denken, das ja noch vor uns liegt! Herzlieb!! Du!! Ich will.

Du weißt nun, wie ich mich über Deine lieben B[il]der gefreut hab. Und das ist schön, weil auch Du nun ganz genau so froh und glücklich sein kannst, wie ich. Weil wir nun wieder einmal einander glücklich bekennen, wie unendlich lieb wir uns haben. Du!! Ich war am Sonntag ebenso froh wie Du; so heimlich, innerlich froh. Trotzdem ich für den Sonntag nicht das beste Los gezogen hatte. Die große, liebe, heimliche Freude umgab mich wie ein schützender Damm, an [d]en das wenig Schöne; das, wogegen ich mich doch so gesträubt hatte vorher, garnicht heran k[on]nte.

Ich dachte immer: Mal los, frisch voran! Ihr könnt’ mich alle um den Ring pfeifen! Wenn ihr doch wüßtet, wie ich glücklich bin und nochmal so glücklich, wenn ich euch alle nicht mehr um mich sehe! Wenn ich wieder mit ihm allein sein kann, mit meinem Geliebten, mit meinem Einzigen!

[Du] warst mit dem Kamerad H. aus.

Er schreibt aber schlecht. Sag’ ihm ruhig: für einen Briefwechsel mit ihm tät’ ich mich bedanken, da ginge mein letzter Geist noch hops! Wenn ich auch reichlich miserabel schreibe, aber deutlicher bestimmt als er. Dein Vater redete mit mir mal von ihm und seiner Sippe! Sein Großvater oder Vater, oder auch Bruder—weiß nicht mehr, war der Vormund Deines Vaters u. seiner Stiefgeschwister. Ein Friedrich H.. Mußt ihn mal selbst fragen, wenn’s Dich interressiert.

Mein Bekenntnis. (Sofern Du den ‚Schlingel’ zurücknim[mt).] Ich vergegenwärtigte mir, wie Du Dich mit Schreibblock bewaffnet, in den Treppenflur stiehlst. Das Bild ist ganz köstlich! Es macht mir aber darum auch Deinen Boten nur noch lieber und werter. Weil ich allein ermessen kann, wie glücklich der ist, der ungestört einen Brief schreiben kann! Ich habe das am eigenen Leibe erfahren[.] Ein komisch-entsetztes Gesicht machte ich nur, weil Du Dir den Treppenflur als Zuflucht erwähltest!

Ich seh’ Dich richtig vor mir. Wie ein verliebter Primane[r] auf verbotenen Liebeswegen! Selbstverständlich sieht Dich mein grünes Auge sitzend! Sitzend auf kaltem Stein!! Also bitte, was liegt näher, als die Sorge um den Liebsten? Mehr natürlich noch die Sorge um den so am ärgsten der Kälte ausgesetztemn Teil am Liebsten!!

'Du bist mit allen Wassern gewaschen', das ist bei uns hier ein Ausdruck für einen Menschen, wie — sakra — ich find meine Schulbücher nicht gleich! Na eben, wie der Hauptgefreite Richter: 'der paßt auf alle Kanten' — der weiß sich immer zu helfen — nicht so ein tieferer Sinn ganz, wie man hat, wenn man Richters Wesen kennzeichnen will!!

I[ch] bewahre, ich denk doch nicht an Dein süßes Popochen, das etwa nicht gewaschen ist!!! Wie wird’ ich denn!!! [D]u bist ja übrigens garnicht adlig!

Bist nun zufrieden, mein liebs Dickerle??

Wie brav ist Deine [Hilde], kein bissel Schlechtigkeit steckt doch dahinter! Du weißt es eben noch garnicht [sic] genug zu schätzen alles Gute, an Deiner “lieber Frau!” Ich möchte Dir ja gerne helfen, Deine lausbübische Plauderei von vorigem Sonntag fortsetzen. Aber weißt, das ist mir doch zu riskant! Soviel Lösegeld habe ich überhaupt nicht, um mich von meinen Flegeleien, für die ich ja nicht garantieren kann, daß sie unterbleiben um mich davon bei Dir loszukaufen. Du! Wenn ich Dir einen guten Rat geben kann als kluge Frau!! Lasse Dich nicht etwa mal mit einer Frau in die Wette ein, wer die längere Zunge hat!!! Verstehst?

Ich fürchte, Du würdest sie verlieren! Dickerle!! So, jetzt erst mal Schluß für heute. Ich will in die Singstunde gehn. Sonntag haben wir Dienst: das verlegte Reformationsfest. “Ein feste Burg”, im 4/4 Takt und eines aus den 'Festglocken' singen wir, ich komme im Moment nicht drauf. Wo wirst denn nun heut Deinen lieben dick pfui!! Deinen lieben Kopf ins Kissen drücken, mein Herz?

Ich will ganz lieb und fest an Dich denken, daß Du garnicht einsam sein mußt, mein lieber Hubo, Du!

Gut Nacht! Schlaf wohl! Du!!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946