Bitte warten...

[OBF-401107-002-01]
Briefkorpus

Donnerstag, am 7. November 1940.

Herzallerliebster! Mein lieber, lieber [Roland]! Geliebter Du!

Die vergangene Nacht war ganz hell und sternklar. Alarm war zu erwarten und wenn man sich diesem Gedanken zur Ruhe begibt, schläft man meist ganz unruhig. Gegen 200 ertönte dann auch die Sirene, aber nicht bei uns, der Wind trug es von weit her. Ich wartete nun und lauschte, bis die unsre anfing. Nichts. Nach 3 [Uhr] entwarnte die andre Sirene wieder. Es schien wieder die Leipziger Richtung zu sein.

Aber mit meiner Ruhe war es vorbei. Du!! Tust mir recht leid, wenn Du so nachts paarmal raus mußt und an die Wache. Ich denke, wenn es dem Winter zugeht läßt das Einfliegen ein wenig nach; bis jetzt scheint's aber noch nicht so.

Ach, wenn doch bald Ruhe wäre. Nun wartet alles wieder mit Spannung auf die Wahlergebnisse von 'drüben.' Die beiden 'Erwählten' waren dieser Tage mal abgebildet in der Zeitung. Roosevelt ist äußerlich kein abstoßender, unsymphatischer [sic] Mensch, aber der andre, seinen Namen vergaß ich, umso mehr, schätze ich. Erster hält's mit den Juden und der zweite?

Ich fürchte nur, daß sie sich in diesen Krieg mit einmischen, und je mehr dazu kommen, um so mehr zieht es sich in die Länge. Wir werden's erleben.

Gestern war ich nun beim Lichtbildner, (man soll ja tunlichst Fremdwörter meiden!) glaubst, bei diesem Käppler in Limbach geht das Geschäft wie beim Zahnarzt! Alles voll, alles Bilder für Ausweise oder Kennkarten. Ich habe reichlich 1 Stunde gesessen, ehe ich drankam. Es war dann finster, wie ich heraus trat. Eine gute Lage hat er für sein Geschäft und ausgezeichnete Räumlichkeiten. Empfangsraum, gleichzeitig Verkauf von allerlei Zubehör seiner Kunst, gegenüber ein großer, hoher Arbeitsraum. Nach hinten hinaus die Räume für sein Dienstpersonal. Ich glaube das Frl. V. ist bei ihm beschäftigt. Weißt? Sie ging paarmal durch, als gehöre sie hin.

Am 16. November kann ich die Bilder abholen, wenn's gut geht! Hoffentlich zieh ich kein dummes Gesicht. Beim Passbild muß man den Kopf so komisch halten, so hoch.

Die junge Frau W., Schwiegertochter meiner früheren Chefin besuchte ich gestern noch. Sie hat ein kleines Mädel bekommen, da mußte ich unbedingt etwas schenken. Sie haben mir immer so viel geschenkt und so kann ich mich gleich einmal abfinden. Ein reizendes rosa Jäckchen kaufte ich für sie, da war sie ganz entzückt. Ach glaubst, wenn ich so die niedlichen Sachen einkaufe, möchte ich alles am liebsten selber behalten. Das ist zu schön, solch kleine Ausstattung zusammen[zu]tragen.

Und einen herrlichen Korbwagen hat sie für das Kind.

Man kriegt ordentlich Lust, sich auch solch kleinen Erdenbürger zu bestellen.

Herzallerliebster Du! So besinnlich wollen Dich meine Zeilen stimmen, Du! Ach bitte, mein [Roland], laß das Grübeln! Wir verstehen einander doch!! Wir wissen doch wie lieb, wie wert eines dem andern ist!! Warum willst Du denn Schatten heraufbeschwören aus der Vergangenheit, Du! Ich habe Dir nichts zu verzeihen, Geliebte!

Wenn ich früher einmal mein blutendes Herz bezwungen habe mit starkem Willen, Du — es ist vorbei — ich habe aber gefühlt, wie mein ganzes Leben zu vollem Wert erwachte durch jedemn Schmerz, der mich beschwerte. Aber gerade der Schmerz war es mein [Roland], der mich höher hob. Gerade der Schmerz der meine Liebe zu Dir von allen Anfang an begleitete, bis zu der Zeit, da wir uns gefunden, ließ mich nur tiefer, inniger zu Dir hinstreben. Ich hätte nie mehr aufhören können, Dich zu lieben. Und wären wir einander fremd geblieben, ich hätte mich verzehrt an dieser Liebe. Ich kenne ein ganz altes Verslein. Ich will Dir's aufschrieben.

Wem nie durch Liebe Leid geschieht,

 

Denn ward auch Lieb' durch Liebe nicht;

 

Leid kommt wohl ohne Lieb' allein,

 

Lieb' kann nicht ohne Leiden sein.

Du! Erkennst Du auch die Wahrheit, die drinnen steht? Herzallerliebster! Mein [Roland]! Wir wollen einander lieben, das heißt auch: wir wollen einander helfen, geben, schenken, wollen einander ergänzen — es soll eins vom andern erfüllt sein. Und was das eine aus übervollen Herzen schöpft und verschenkt aus lauter Liebe, Du!, das soll das andre annehmen ohne Zögern, ohne einen inneren lästigen — das ist vielleicht zu derb gesagt — bedrückenden Zwang zu empfinden dabei, daß es im gleichen Maße, im gleichen Werte zurückgibt. Das Beschenken, es kommt von ganz allein. Bei einem braucht es mehr Zeit zur Reife, beim andern weniger. Du!! Du schätzt das, was Du mir darbringst immer so gering ein, Herzlieb!! Das sollst Du nicht!! Wenn ich nicht erfüllt und beglückt wäre durch Dein Geschenk, Deine treue große Liebe, Du!! Wenn ich dies Wunder, dies herrliche Wunder des Geliebtwerdens nicht empfinden könnte, glaubst Du denn, ich würde so immer nur Dich glücklich machen können? Nein. Du! Erst die frohe Gewißheit Deiner großen treuen Liebe zu mir gibt, daß der Brunnen meiner Liebe nicht versiegt, daß er vielmehr immer heller, klarer strömt zu Dir hin, nur zu Dir! Du!!

Bitte Herzliebster! Mache Dir doch keine Gedanken mehr nun! Wenn es nun über uns gekommen wäre wie ein Frühlings gewitter [sic] so rasch, und so schnell vorbei? Glaubst Du, daß wir einander so tief noch liebten wie jetzt, daß wir eines von des andern Treue und Wert überzeugt wären ganz ohne Zweifel? Ich kann es nicht glauben! Die Welt liefert zu viele Beispiele hierfür.

Wie sich unser Weg wandte, wir spüren darin wunderbar Gottes Hand, die alles menschliche Denken, Hoffen und Wünschen regiert. Wir sollen nicht darüber nachgrübeln, Du!! Wie es war, warum es so und nicht anders kam. Sind wir denn nicht so unermeßlich reich beschenkt worden durch Gottes Güte? Wir sind einander gewiß geworden, über allem Mißverstehen und Schmerz der Prüfungszeit. Mehr Glück kann uns nicht werden, Du!!

Ich weiß froh und glücklich, daß ich Dir Erfüllung sein kann, mein Geliebter!!! Erfüllung Deiner Sehnsucht und hohen Meinung von der gemeinsamen Lebensfahrt! Sag! Du!! Was kann wohl ein Weib mehr beglücken als dieses? Und ich will unsern Herrgott immer wieder bitten, daß er mir die Kraft schenke, Dir alles zu sein, Dir das Leben so lieb und gut wie nur möglich zu bereiten. Herzlieb!! Deine Liebe, Deine Verehrung, Dein ganzes geliebtes Wesen macht es mir ja so leicht, ganz allein nur für Dich zu leben, ganz in Dir aufzugehen.

Möge uns der Vater oben gnädig sein in unserem Glück. Mögen er uns ein gemeinsames Leben in Frieden schenken.

Herzallerliebster! Mein lieber, liebster [Roland]! Ich will Dir mit all dem sagen, daß ich Dich ganz, ganz sehr liebhabe! Daß ich Dir garnichts zu verzeihen habe! Daß Du ganz froh, ganz leichten Herzens, ganz glücklich sein sollst mit mir und auch von Herzen dankbar dafür, wie es Gott uns schenkte!

Ach, ich will, ich möchte doch soo gerne kommen, zu Dir, daß wir einander unsre große Liebe und das Glück aus den Augen lesen können! Ob ich kommen darf?? Dein Bote blieb heut aus Du! Er wird morgen kommen. Herzallerliebster! Mein innigstgeliebter guter [Roland]! Du!! Behüt Dich Gott auf allen Wegen! Bleib gesund!

Ich bin in unendlicher Liebe und Treue ganz Deine Holde.
Und Du bist mein Dickerle! Mein Hubo! Mein!!!

 

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946