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Briefkorpus

Sonntagabend, am 18. Mai 1941

Mein geliebtes, teures Herz! Mein lieber, guter [Roland]!!

Das Briefpapier ist alle und ich habe nirgends in der Stadt welches auftreiben können. Erst kommende Woche bekommen die Geschäfte wieder welches herein. Aber dies hier verrichtet es auch einmal, ja? Wenn es nur so beschaffen ist, daß mein Herzlieb alles Liebe erkennen kann, das ich ihm schreiben und sagen will! Dann ist’s schon gut.

Also, Sonntagabend ist, ¼ nach 10 Uhr. Das war ein rechter Mißklang mit dem dieser herrliche Sonnentag enden mußte. Laß Dir erzählen.

Um 2 Uhr nachmittags sind wir alle 3 und mit unseren lieben Bekannten, Herrn u. Frau N. (drüben bei der Kirche wohnen sie), losgezogen. Die Sonne meinte es soo gut und wir gingen die sonnigsten Wege. Nach dem Hohen Hain zu, bei der Knaumühle vorbei am Walde entlang – weiter in Richtung Hartmannsdorf, bis dahin konnten wir aber um Herrn N.s Willen nicht, er kann nach seiner Operation noch nicht gar so weit laufen. So machten wir dann im „Waldschlösschen“ halt, dort im Garten hielten wir Kaffeestunde. Als es kühl wurde für die Mütter, setzten wir uns noch ein wenig herein ins Lokal. Da gab es verlockend gut aussehenden Kartoffelsalat mit Eiern! Und wir aßen eine Portion. Bald machten wir uns wieder auf den Weg, um die Sonne auf dem Rückmarsch nochmal auszukosten. Gegen 7 Uhr langten wir daheim an. Da wird Mutsch plötzlich von einem heftigen Kopfschmerz befallen, es wird ihr übel und sie mußte brechen. Sie habe es schon lange gespürt, meinte sie, aber immer verbissen. Nun bettete ich sie gleich auf’s Sofa, kochte Lindenblütentee und machte Umschläge um die Stirn. Die Übelkeit kam immer nochmal zum Durchbruch. Sicher ist ihr der Kartoffelsalat nicht bekommen, oder hat sie sich gestern beim Reinemachen wieder übernommen? Sie kann eben nichts mehr vertragen, was über’s gewohnte Programm hinausgeht. Un[d] dabei habe ich ihr schon die meiste Arbeit abgenommen. Sie ist total mit ihren Nerven herunter. Und ich drücke auch drauf, daß sie mal ausspannt und in Erholung geht. Der Vater will es auch. Nun haben wir noch Karmelitergeist geholt. Die Kopfschmerzen lassen nicht nach. Ich habe ihr einen Umschlag gemacht und sie vorher schön eingerieben. Eine Wärmflasche gemacht und ins Bett gebracht. Sie schüttelt es nur so, sie friert. Bin neugierig, was sich hier herausstellen will. Hoffentlich wird’s nichts Schlimmes weiter. Sie soll versuchen zu schlafen. Wahnsinnige Kopfschmerzen hat sie. Und ich behaupte, das sind nur die Nerven – überarbeitet. Morgen bleibt sie zu Haus’, dann werde ich sehen, wo es hinaus will. Wenn ich nur erst Nachricht hätte, ob ich kommen kann mit Mutter, dahin, wo[hin] ich geschrieben habe, ins Gebirge. Dann müsste sie unverzüglich mit. Ruhe und Entspannung ist hier Hauptsache.

Als wir gestern durch den Wald liefen, roch es so wunderbar nach frischem Maiengrün; es war eine Wonne. Heute nun der warme Regen drauf, da wird’s schon tüchtig zu blühen und zu grünen beginnen! Ach Du!! Ich wünschte, nun könntest Du bei mir sein!! Dich mit mir am Frühling freuen! Aber das geht halt noch nicht. Und wir müssen uns einander nur erzählen, vom Frühling und von unsrer Sehnsucht. Ach Herzlieb, weißt? Umso herrlicher und kostbarer wird uns dann die Erfüllung sein! Wenn wir jetzt so lang‘ darauf warten müssen. Am Sonnabend ist mein Cousin heimgekommen. Auf [Ur]laub, von Saloniki! Er hat da bei der Artillerie mit gekämpft. 14 Tage sind sie gefahren! Mußten oftmals wieder umkehren, weil die Strecken unpassierbar waren – gesprengte Brücken, absichtliche Hindernisse u. auch Überreste von Kampfhandlungen [ver]sperrten ihnen den Weg. Sie haben es nicht zu erfahren bekommen, wohin man sie fährt, als sie von Saloniki wegfuhren. Haben angenommen nach Rußland. Bis der Lokomotivführer endlich einem verraten hat, nach Dresden [zu] ginge es und sie würden in Bad Schandau – Quartier beziehen! Da sei nun die Freude riesengroß gewesen! Ein Teil hat auch gleich auf Urlaub gehen dürfen. Wenn der zweite Teil dran war, geht es wieder weiter. Vermutlich zur Beschießung von Gibraltar.

Braungebrannt und gut sieht Karl aus! Er hat alles gut überstanden. Sie litten oft an Durst und Hunger – kein Brot! Aber sie seien doch immer gut durchgekommen. Viele Herrlichkeiten hat er mitgebracht vom Auslande und das hat natürlich bei seinen Lieben mächtige Freude ausgelöst. Sein Töchterchen, 3 Jahre alt, ist ganz aus dem Häusel [sic], seit der Papa da ist. Ich glaube, mir ginge das ja ebenso, Du!!! Er war seit September vorigen Jahres nicht mehr zu Haus’. Hat auch den Feldzug im Westen mitgemacht und Polen.

Und nun zurück zu Dir, Liebster!!

Du hast mir heute schon wieder einen lieben Brief geschickt! Und ich danke Dir von ganzem Herzen dafür, mein [Roland]! Am 9.5. ist er abgestempelt, am 8. Mai hast’ ihn geschrieben.

Herzlieb! Du sagst mir da von einer dummen Geschichte! 8 Tage will man Euch ohne Post lassen?! Weil sie nach Athen umgeleitet sei? So ein Blödsinn! Ich verstehe diesen Umstand nicht, glaubst? Mögen ‚sie‘ uns doch endlich mal in Frieden lassen mit dem dauernden Programmwechsel, es hatte sich nun wieder mal so schön eingespielt mit unsrer Post; Du bekamst alle Nachzügler und alle laufenden Briefe von mir und ich bekomme laufend etwas von Dir. Nun kommen die dusslichen [sic] Verfügungen wieder und mein [Roland] kann wieder warten. Auch noch soo lange! 8 Tage! Ach Du!! Hab ich eine Wut jetzt!! Aber das nützt ja alles nischt. Man muß immer warten, bis die Herrschaften geruhen....! Na, warte nur, Du! Wenn Du erst wieder bei mir bist, keinen roten Heller lassen wir dann noch der Feldpost zukommen, ja??! Und obendrein auch noch schlechtes Wetter! Ach ja – das macht das Maß des Trübsinn’s [sic] dann wohl voll. Aber, Herzlieb! Sei nicht traurig, bald wird die Sonne wieder scheinen! Und bald werden auch die Briefe wieder kommen. Geduld! Das ist oft ein hartes Wort. Und doch kommen wir ohne dies[es] Wort garnicht mehr aus in unsrer Zeit. Ist es nicht so? Wie unendlich lange haben wir hier in der Heimat zum Beispiel auf den Frühling, auf die Sonne warten müssen!! Es war oft nicht mehr schön zu leben, wenn man Tag um Tag diese Öde und winterliche Witterung zu spüren bekam.

Der Mensch hält sehr viel aus, er ist zähe und unverdrossen, die kleinste, winzigste Hoffnung greift er auf und stärkt sich an ihr. Und dann? Siehe, mit einemmal [sic] ist die Erfüllung da! Und so er[ge]ht es uns in so vielen Dingen im Leben. Erst muß die Zeit gekommen sein, erst muß der Augenblick der Erfüllung heran sein – dann ist alles gut – und alles Trübe vorher vergessen, wie bald vergessen. So ist’s mit der Natur draußen – so ist’s in der großen Politik – so ist’s in jedem kleinen Einzelschicksal und, Du! So war es ja auch mit unsrer Liebe, mein [Roland]! Alles, alles Geschehen, es läuft nach einem höheren Plan und der Mensch muß sich in Geduld [un]d Demut fügen, will er nicht zerbrechen an seinem Geschick. Und zerbrechen, Du!! das wollen wir auf keinen Fall! Wir wollen alles ertragen und durchkämpfen, bis uns die Erfüllung winkt! Geliebter! Denk an unsre große Lebensaufgabe! An unsre Liebe! Kann man nicht alles ertragen, um solchen Preis?!! Du!! Alles ist nichtig und kaum der Rede wert, wenn wir an unsre Aufgabe denken, die wir beide nach diesem Kriege zu lösen gewillt sind. Herzlieb! Mein Glaube daran ist unerschütterlich: daß der Herrgott mit uns ist, so wie er schon immer mit uns war! Und wir lassen nicht von ihm, komme es wie es auch wolle; denn sein Spruch geschieht noch immer zur rechten Zeit und uns zugut [sic]!

Ich halte mir wieder und wieder unsern schönen Trauspruch vor Augen, in solchen Stunden. Er ist unser Licht auf unserm Wege, Herzlieb! Ich denke eben noch einmal zurück an Deine Reise nach Saloniki. Dein erster, ausführlicher Bericht davon ist nun auch bei mir eingetroffen. Der Bericht vom letzten Sonntag in Plovdiv und die ersten Schilderungen über Eure Fahrt. Geliebter! Geliebter!! Gott sei Lob und Dank, daß er mit Dir war in diesen Stunden der Gefahr! Ach Du! Wie froh bin ich, daß alles glücklich hinter Dir liegt! Deine Berichte, sie sind Zeugen, unvergängliche Zeugen aus diesen gefahrvollen Tagen. Und später, wenn wir sie zusammen wieder durchlesen, wird mir und Dir die Erinnerung an jene Zeiten genau so lebhaft wieder vor Augen treten, wie sie es jetzt tut, bei jedem auf andre Art. Du wirst Dich genau wieder an alle die Augenblicke der Gefahr, aber auch der unauslöschlich schönen Eindrücke hineinversetzen können – während ich die Minuten wiedererlebe, die ich beim ersten Lesen Deiner Zeilen empfand. Alles, was mir aus Deinen lieben Händen zugeht, es bleibt aufbewahrt für immer! Du!!!

Meine Ablegemappe wird immer dicker u. voller! Ich schau mit Stolz und glücklicher Besitzerfreude auf sie!! Du! Magst nun Deine Briefe immer mit Tintenstift schreiben, das verblaßt nicht so sehr! Ich habe mir schon manchmal überlegt, Du! Ob wir die Briefe einmal unseren Kindern zu lesen geben werden! Wenn sie einst in das Alter kommen sollten und auch wie wir, an einen Lebensbund denken. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht doch recht schämen würde, Du!! Aber, man kann auch nicht absehen, ob man doch dadurch solch jungem Menschenkinde zu Hilfe kommen kann [ir]gendwie – ihm seinen Weg ebnen.

Ich weiß nicht – ich muß nur manchmal daran denken. Die Zukunft wird uns schon das Rechte tun heißen. Bis jetzt ist ja noch gar keine Hoffnung auf solch Erziehungswerk vorhanden, Du!!!

Meinst Du nicht manchmal auch, daß wir doch eigentlich garnicht [sic] mehr so lange warten sollten, uns ein Kindchen zu wünschen?

Wenn nur in unsrer Geschichte erst einmal der [Z]eitabschnitt gekommen wäre, da man einen klaren Blick gewänne! Ich sehne ihn oft sooo dringend herbei! Ach Geliebter! Auch Du!!! Ich weiß es ja und spüre es aus jedem Deiner Boten, daß auch Du Dich sehnst, nun endlich das eigene Leben zu beginnen. Und mit uns sehnen sich so viele mehr.

Immer wieder kommen wir darauf zurück – Geduld – Geduld in allem – das ist die große Schule dieser Zeit!

Du sagst es auch schon, Herzlieb, es ist bei Gott schon beschlossen, das Ende dieser Zeit – auch diese harte Zeit hat ein Ende, ein Ende zu rechter Zeit. Mein Herzlieb! Ich harre treulich mit Dir aus! Ich sehe nicht links, nicht rechts, unzufrieden und neidisch! Oh nein!!

Ich bin mir innerlich ganz klar, daß auch diese Station in unsrem Leben nicht ohne eine tiefere Bedeutung an uns vorübergehen wird. Und ich will geduldig und tapfer und dankbar warten und erfahren, was Gott uns hiermit lehren will, uns sagen will.

Tapfer und dankbar will ich mein Los tragen, das [L]os unzähliger Frauen und Mütter. Geliebter!! Auch Du mußt es tragen. Und wir wollen einander tragen helfen in Liebe und Treue und Hingabe. Wer so wie wir beide in unendlicher, inniger Liebe verbunden ist, der spürt in seinem Los keine Last, nein, er fühlt sich durch die Liebe des andern herausgehoben aus aller kleinlichen Not und Sorge, und er erkennt nur noch tiefer und beglückender den Wert am Lebenskameraden. So wie wir zusammenstehn, können wir uns nur noch inniger verschmelzen in unseren Wesen – wir sehen in dieser Trennung keine Gefahr des Verlierens, nein!, nur die Gewißheit unlösbarer Zusammengehörigkeit, Bewährung unsrer Treue.

Wer diese Trennung benutzt, um die Begriffe Liebe und Treue in den Schmutz zu ziehen, ist in meinen Augen ein widerlicher Schuft – ganz gleich, ob Weib, ob Mann.

Ein großes Opfer ist es, daß wir einer wie der andre unserm Vaterlande bringen. Und jeder sollte sich der Größe und dem [sic] Wert dieses Opfers bewußt sein. Geliebter! Nur gute, große und schöne Gedanken sind es, die mich bewegen, wenn ich an Liebe denke. Darum kann ich auch niemals vom Wege abgleiten. Wenn doch alle Menschen so wie wir herrlichste Erfüllung fänden in ihrem Bund fürs Lebens – dann könnte ihnen ja gar keinen Moment lang der Gedanke an Untreue, böse Lust, gefährlich werden.

Mögen die Zeiten noch so hart und bitter kommen für uns, ich bleibe mir selber treu und wenn [es] ums Letzte ginge. So sehr, wie ich mich in Liebe und Hingabe an Dich, mein Lieb[,] verschenke, so unbeirrbar fest halte ich an meiner Reinheit, als Dein Weib. Dessen kannst Du ganz gewiß sein. Was mich mit Dir verbindet, das löst keine Macht der Erde – und über alles Leben hinaus halte ich Dir die Treue, mein Geliebter!

Ich habe, was ich vom Leben wünschte, einen Menschen, dem ich mich mit Leib und Seele verschrieb und der mir alle Seligkeit und höchstes Glück beschert hat – mehr kann es auf Erden nicht geben, kein größer Glück, als Deine Liebe. Du!!!

Das weiß ich ganz, ganz gewiß! Geliebter!!! Und darum will ich nur Dein sein, Du!!!

Immer nur Dein! Du sollst mich lieben, mich ganz erfüllen! Und ich will Dir danken dafür mit dem Schönsten und Besten, was ich habe, mein [Roland], Du!!!!!!

Gott behüte Dich mir! Mein Leben!

Behalte immer lieb Deine [Hilde], Du!!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946