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Briefkorpus

Donnerstag, am 22. Mai 1941.

Mein geliebtes, teures Herz! Du mein lieber, liebster [Roland]!

Da wäre nun heute ein Feiertag – Himmelfahrt. Aber das Gesetz schreibt es diesmal in Anbetracht des Krieges anders vor. Alle Werke sind in Betrieb und es kann heute wohl niemand so faul sein wie ich! Faul – das ist aber nun doch wieder zu viel gesagt. Bin ich faul, wenn ich an Dich schreibe, Herzlieb? Du!! Wirst wohl in diesem Falle der Einzige sein, der mir recht gibt und wohl will! Aber weißt, was Freunde dazu sagen, das kümmert mich auch garnicht. Ist mir völlig schnuppe. Hauptsache ist, mein Dickerle versteht mich – mehr verlange ich nicht.

Herzlieb! Wirst Dich über das Bleigeschriebene wundern. Ich hielt es nicht aus im Zimmer heute. Es ist zu schön draußen! Und so bin ich gleich nach dem Aufwaschen mit Briefpapier bewaffnet losgezogen. Weil ich von früher her weiß, daß ein Himmelfahrtstag nie ohne Gewitter [a]bgeht, so hatte ich meinen bestimmten Plan. Ich bat Großmutter [Laube] um ihren Gartenschlüssel (Schrebergarten) da steht eine schöne Laube, und wenn's doch losgehen sollte mit dem Donnerwetter, da bin ich unter einem geschützten Dache und es kann mir garnichts geschehen. So sitze ich nun im Liegestuhl, den Block auf dem Schoße, Ringsumher [sic] ist alles still. Nur wenige Leute sind bei der Gartenarbeit. Und siehe da, jetzt kommt doch ein Gewitter heraufgezogen. Ich kann kaum noch draußen sitzen, die ersten Tropfen fallen schon und die Sonne ist bedeckt von dicken grauen Wolkenballen. Ein ziemlich heftiger Wind hat sich aufgemacht und jagt das Gewitter schnell heran – jetzt regnet es richtig gerade herunter. Die ersten Blitze zucken, Donner rollt. Ich glaube nicht, daß es toll wird. Gerade hinterm Wald kommt es heraufgezogen. Ich kann den Himmel übersehen von meinem Platz am Tische aus, denn es sind 2 große Fenster an der Vorderfront der Laube. Fürchten? Ach nein! Ich fühle mich ganz geborgen. Gott ist bei [u]ns allezeit – und wenn ich mit Dir reden kann, dann ist mir garnicht bange.

Es blitzt ganz tüchtig jetzt und wenn es donnert, so bebt der Boden unter mir. Aber das muß sein, die Natur braucht so ein Gewitter, damit alles vollends erblühen kann. Wie wird die Luft rein sein darnach! Wie wird es duften draußen, nach frischem Maiengrün! Wenn es heute noch aufhört zu regnen, gehe ich anschließend noch einmal durch den Wald. Ich freue mich schon darauf.

Ach! Da habe ich doch in meinem Kämmerle das Fenster offen gelassen! Ob's wohl Vater schließt? Ob er erwacht, wenn es so donnert? Jetzt mache ich mir wahrlich Sorgen. Und die Antenne ist nicht geerdet. Er wird wohl nicht so tief schlafen, daß er das Gewitter überhört.

Ich habe meinen kleinen Wecker mit, es ist jetzt 5 vor 3 Uhr. ¾ 3 [Uhr] hat es begonnen – mal sehen, wie lange es anhält. Es sind ganz gewaltige Schläge, die heruntersaußen [sic] und mir scheint, es ist direkt über mir jetzt, weil es so Hieb auf Hieb geht. Und der Regen klatscht an die Holzwände der Laube und prasselt auf das Dach von Teerpappe. Ich spür' schon, wie die Kühle hindurchdringt, durch die dünnen Wände. Anfangs zwitscherten die Vögel noch, jetzt ist aber alles still, ganz still hier draußen – ich höre nur die Stimme der Natur.

Mein Herzlieb! Gestern abend war ich aber mit Mutsch im Kino, „Ohm Krüger“. Die Großmutter haben wir nicht mitgenommen, sondern auf einen weniger aufregenden Film vertröstet. Alle, die ihn sahen meinten, das ist nichts für alte Leute. Und wir erlebten es auch selbst. Es war ein erregendes Spiel, das vor uns abrollte. Die Grausamkeit der Briten dem kleinen, aber so unendlich tapferen Burenvölkchen gegenüber, trat uns hier wieder einmal so ganz drastisch entgegen. Also, schlimmer kann man Britenart kaum noch [sc]hildern[,] wie es in diesem Film geschieht. Du mußt ihn Dir mal ansehen, wenn Gelegenheit gegeben ist! Ich mag mich hier im Briefe nicht weiter äußern, gewiß, es war ein sehr eindrucksvoller Film, er hat ja auch die höchste Auszeichnung bisher erhalten, aber – es ist eben doch ein Film!

Er trägt dazu bei, die innere Einstellung von uns dem Engländer gegenüber noch klarer nach der angemessenen Seite hin zu verschärfen. Denen, die unsern Erzfeind noch nicht erkannt haben in dieser jetzigen Zeit, soll durch diesen Film letzte Gewißheit gegeben werden. – Ein Propagandafilm sage ich.

Dickerle! Dickerle! Wenn ich nur hier nicht in eine Verbannung geraten bin!! Das Wetter hält noch an wie zu Beginn!! Na, nur den Mut nicht sinken lassen. 'S geht ja erst ¾ Stunden!!! Bis zur Singestunde werd ich wohl heim sein? Heute abend haben wir in der „Germania“, weil die Pfarre von Gemeindemitgliedern besetzt ist. Es soll Kartoffelsalat geben, oder so was. Weil die Verfressenen die Gelegenheit wahrnehmen wollen, wenn die Singstunde mal im Lokal abgehalten wird! Wozu ich gehöre? Wird nicht verraten! Aber ich esse gerne [m]it! Du liebe Zeit!! Es gießt, es drascht!!! Ob denn bloß der Vater mein Fenster??? Es wird immer toller. Und in Waldenburg war schon am Dienstag Hochwasser, weil es so sehr geregnet hatte.

Ich muß gleich an unsre geplante Erholungsreise denken bei diesem Wetter. Bis jetzt haben mir die Leutchen wohl garnicht mal geantwortet auf meine Anfrage. Und da hatte ich nun auch noch eine Briefmarke dazugesteckt! Eine Woch[e] ist es her, daß ich schrieb. Ich lasse nun nochmal eine Postkarte los und verlange Gewißheit. Sonst ist Mutters Urlaub heran und wir wissen noch nicht, wo wir unterkommen. Ich muß mich ja dann weiterwenden, wenn's bei denen nicht paßt. Ach, denke nur! Gestern kam auch der Liegestuhl von H.s an! Er ist von einem Sebnitzer Geschäft abgeschickt worden. Und eine Rechnung ist noch nicht dabei.

Schön ist er! Groß! Breit! Können gleich 2 drinnen liegen. So einen brauchen wir, Du!!! Er ist aber ohne Gurt. Mit Sperrholz gearbeitet, weißt, so biegsam wie die Matratzengestelle, die wir in Chemnitz uns einst zeigen ließen! Das federt ganz schön. Wenn so unterm Popo starres Lattenrost wäre, das tät doch auch weh, wenn man lange liegt oder sitzt!!

Aber wir müssen uns trotzdem noch etwas machen, daß man weicher liegt. Sowas wie eine Auflage mit Rauhwolle gefüllt. Man kann das Fußgestell abnehmen, wie Frau S.s' ihre! Und dann ist es ein richtiger bequemer Gartenstuhl, wo man s[ich] auch mal an einen Tisch setzen kann damit. Ich werd ihn Dir schon mal knipsen, ja?!!

Nun kann's schön werden, damit ich mich nachmittags in den Garten setzen kann und nähen und stopfen. Vor Frau U. und den Leuten, die mich von der Straße aus sehen, mag ich nicht bloß faul im Stuhle liegen! Das mach' ich sonntags!

Du! Heute hab ich auch wieder gGeld fortgetragen, wovon der Mann nix woas! So heißt's doch immer! Der Herr Oberlehrer G. schrieb mir, daß er mir [da]nkbar wäre, wenn ich die Sache regeln wollte[;] es handelt sich um den Jahresbeitrag für die evang. Kirchenmusiker – 6 RM. Ich habe es auf sein Konto überwiesen heute. Es ist Dir doch recht. Verhält sich denn das auch wahrheitsgemäß? Sonst könnte doch jeder kommen: [„]hören Sie mal, der Mann hat noch die und jene Außenstände zu begleichen!“ Du!! Damit man mich hier nicht ausbeutelt!! Ich gebe mir himmlische Mühe über die 800 hinauszukommen mit meinem Bestand!

Ja Du!!! Ich geb' mir Mühe! Und ist der liebe 1. heran, dann meldet sich aus jeder Himmelsrichtung ein andrer und will Geld haben. Na, das ist nun mal so auf der Welt. Was sollte wohl auch mit all dem Gelde werden, wenn man's uns nicht wieder abnähme?!

Und nun kommt das Schönste und Liebste! Heute bekam ich 2 liebe, liebe Boten von Dir! Sei tausendmal lieb und herzlich bedankt, mein Schatz!! Auch Ansichtskarten waren mit dabei, schön! Ich freute mich! Nur scharde [sic], daß es so wenig Auswahl gibt in Ansichtskarten. Aber Deine eignen Aufnahmen geben dafür reiche Entschädigung und man hat noch viel mehr Freude daran und ist stolz darauf. Du auch? Heute soll ich wieder nachfragen kommen, ob Bilder entwickelt sind. Ich bin schon so gespannt. Also: 2 Nachzügler kamen an heute[.] Vom 9. + 10. Mai – Freitag, Sonnabend, die noch ausstanden. Ich habe sie doch sooo lieb aufgenommen, Du!!! Sooo viel Liebes sagst mir wieder, mein Herzlieb! Und ich kann Dir meinen Dank dafür garn[ic]ht so lieb sagen, wie Du mich lieb beschenkt und beglückt hast, Du!! Du!!

Ach Geliebter! Du rufst meine ganze Sehnsucht, meine ganze, große Liebe hervor mit Deinen lieben Zeilen!! Ich möchte doch am liebsten gleich mal bei Dir sein, um Dir zu sagen, um Dir zu zeigen, wie sooooo lieb ich Dich habe! Du mein Sonnenschein! Mein Glück! Du!!! Mein allerliebstes, gutes Mannerli! Du!!!!! Wie lieb Du mich hast! Oh Du!!! Wie wohl es mir tut, sagst Du mir das!! Und in einem seiner Boten sagt mir mein Dickerle, daß es gebadet hat! Richtig in einer Wanne? Das ist schön, Du! Nun, in „S.“ kannst Dir das wohl jede Woche leisten und noch öfter? Wenn es immer so heiß ist, dann badet man lieber einmal mehr. Ich hab ja so gelacht, Du!: „es paßten mir richtig die Sachen viel besser darnach!“ Also war es höchste Zeit! Du armes Hascherl!

Aber nun kann ich doch mein neuwaschenes Mannerli gleich mal ganz tüchtig drücken, ja? Brauchst garnicht zu gucken! Ein schmutziges drücke i[ch] nämlich nicht!! Ach Du!! Du!! Wenn Du jetzt vor der Tür stündest und Einlaß begehrtest und kämst von langer Reise, verstaubt, schmutzig, daß ich Dich eben noch erkennen könnte hinter dem Schmutz – wie wollte ich Dir um den Hals fallen und Dich küssen und ganz fest drücken! Da wär' mir ganz wurscht, ob Du sauber bist oder nicht!! Du!! Du!!!

Ach mein [Roland]! Wie nur, wie soll ich Dir [d]enn sagen, wie sooooo unendlich lieb ich Dich habe! Es scheinen mir alle Worte soo blaß, soo mager und dürr. Ach Du!! Mußt eben gleich mal zu mir kommen, damit ich Dir selbst zeigen kann, wie ganz sehr lieb ich Dich hab!! Du!!! Ach, es gibt doch keine größere Sehnsucht, kein höheres Ziel, als an Deiner Seite durch dieses Leben zu wandern!

Ach Du!! Möchte uns doch bald, bald der Frieden beschert sein! Möge Dich unser Herrgott gesund und froh heimkehren lassen. Daß Du Dich nach mir sehnen mußt, Geliebter, Du schreibst es mir, und ich fühle es so beglückend, so froh! Ich weiß, wie Du auch mich verlangst, ebenso sehr wie ich Dich, Geliebter!!!

Ach Geliebter!! Geliebter! Laß' uns ganz stark sein und tapfer, diese böse Zeit zu überwinden! Daß wir einander nie untreu werden können, des bin ich so gewiß! Ach Du! Das gibt es ja nie und nimmer, daß eines von uns unser großes Glück verrät!! Wir sind so innig und fest miteinander verschlungen und verbunden – keinen Atemzug lang könnte ich einem andern gehören! Nein!! Nein!!!!! Mußt nicht denken, daß ich bei meiner Jugend in größerer Gefahr stehe deshalb! Du!! Du!!!

Ach Du!! Wenn Du nur an mich glaubst, so fest wie ich an Dich, dann kann gar kein Zweifel kommen. Ich habe Dir die Treue gehalten schon sooo lange, noch ehe ich auf Deine Liebe bauen durfte! Ich habe mich Dir rein erhalten über alle Versuchung und alles Bedrängen hinweg – ich war stark, ich sah ganz deutlich meinen Weg vorgezeichnet – und ich kann nun, da ich Dein bin, Geliebter erst recht stark sein und treu! Oh Du! Du weißt ja, wie ich mit allen Fasern meines Herzens Dein bin! Du hast mich so ganz! Geliebter!! Das sollst Du immer froh und glücklich wissen! Und Du kannst fest auf mein Wort bauen, Du! Mag um mich her noch so viel Unbegreifliches gescheh[e]n, ich weiß zu wem ich gehöre!! Du!! Du!!! Ich gehe meinen Weg, unsern Weg! Und wenn ich ihn als Einzige gehen müßte, ich gehe ihn mit Freuden Geliebter! Das sollst Du mit ruhigem Herzen wissen! Einst kommt der Tag, das alles Warten und Bangen vorüber ist. Und dann wollen wir uns doch mit ganz frohen, hellen Augen anschauen, wenn wir uns umfassen, um gemeinsam den Weg fortzusetzen! Ich könnte Dir nicht in die Augen blicken, wenn ich das Geringste mir zuschulden kommen ließ! Ach, Geliebter! So wahr und lauter wie wir immer voreinander standen, so soll es auch immer bleiben! Das erst gibt unserm Bund die Innigkeit, die Beständigkeit, es gibt ihm den ganzen Halt. Was ist einen Ehe [o]hne Vertrauen? Furchtbar, das zu erleben! Und doch sehen wir so viele um uns her, die sich kein Gewissen daraus machen, wenn sie die Ehre wegferfen [sic], den heiligen Stand der Ehe in den Schmutz treten. So wird es zwischen uns nie und nimmer sein.

Und wenn diese Trennung noch Jahre währte. Ich habe mich ganz sicher und fest in der Gewalt. O ja, ich glaube ich könnte mich darüber abquälen – aber nie würde ich mich sittlich [ve]rgessen. Undenkbar.

Dazu ist mir die Zeit viel zu ernst, als daß ich meine Gedanken und Gelüste auf diese Art ausschicken würde. Ich gehöre Dir und sonst keinem. Ich bin Dein Eigen, ein Stück von Dir! Und ich will nur immer Dein bleiben! Nimm mich an Dein Herz, mein Lieb! An Dein liebes, gutes, starkes, treues Herz! Da ist alle Seligkeit und dort allein ist mein Glück! Geliebter!! Du weißt es, Du!!

Wir halten und bewahren einander unsre tiefe Liebe. Kein Mensch kann sie uns je entreißen, das ist gewiß! Du!! Nun laß Dich ganz lieb küssen!!! Du!! Ich sehne mich nach Dir! Nach unserm Nahesein, Geliebter! Nach Dir – nach Dir!! Mein Glück! Behüte Dich Gott auf allen Wegen! Er führe uns recht bald zusammen, zu unsrer Lebensfahrt!

Ich gehöre Dir ganz! Ich bleibe Dir allezeit, Du!! Herzlieb! Ich bin Dein! Und das ist mein ganzes Glück, Du!! Und Du bist mein! Ich halte Dich ganz fest. Ich lasse Dich nimmer – nimmer! Du!! Mein liebes, gutes Mannerli! Mein herzlieber [Roland]! Mein!!!

Deine [Hilde].

Nun will ich heimgehen Geliebter! Das Unwetter hat sich verzogen, der Regen nachgelassen. Es ist 5 Uhr vorbei. Leb wohl! Auf Wiedersehn! Morgen zu Haus bei mir!!

Deine [Holde].

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946