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[OBF-410622-002-01]
Briefkorpus

Schmilka, am 22. 6. Sonntag 1941.

Geliebter! Mein [Roland]!

Oh Du!! Wo soll ich denn zuerst beginnen? Soo viel stürmte heute auf mich ein. Du!! Du!! Freude, die mich erfüllt, die sich Dir kund tun will – Sorge, die mich bedrückt, die sich Dir mitteilen möchte. Ach Herzlieb! Will ich mir doch erst die Sorge von der Seele schreiben, Du!!! Auch Du wirst heute dieselbe Sorge mit mir teilen. Es geht ja wieder um unser Vaterland, um unsre vielen, tapferen Soldaten, ach Du!! Ich frage mich: mußte das sein? So wird sich eine manche Frau verzweifelt fragen, die nun ihr Liebstes wieder im härtesten Kampfe weiß. Rußland – unser nächster Gegner. Und bei allem Nichtbegreifen und Nichtverstehen regt sich doch leis die Frage: wäre nicht eines Tages die Auseinandersetzung doch noch gekommen, zwischen Deutschland und Rußland? Standen wir dem Freundschaftsbündnis nicht schon von Anfang an mit gemischten Gefühlen gegenüber? Ich, von mir aus gesehen, kann keine Bindung erkennen zwischen Deutschen und Russen. Aber um der großen Politik willen hat sich schon manches fügen müssen. Und auf die Meinung eines Einzelnen kommt es in diesem großen Geschehen ja nicht an.

Herzlieb! Es war heute früh ½ 7 Uhr, als wir im Zuge nach Dresden saßen und die ersten Gerüchte um die Kriegserklärung schwirrten. Ich hörte zu — ich konnte es nicht glauben, ich konnte nicht! Bis eine alte Dame dann in Freiberg zustieg, die heute früh ½ 6 Uhr Dr. Göbbels im Rundfunk hörte, selbst hörte — dann erst glaubte ich dem Gerede. Aber fassen kann ich die Tatsache jetzt noch nicht. Es ist zu furchtbar! Das große, große Rußland — unser Gegner! Gott stehe uns bei.

Geliebter! Und wieder ist Schmilka, das stille, traute Fleckchen der Hintergrund, der tröstliche, zu solchem schrecklichen Geschehen draußen an der Ostgrenze des Reiches. Ich sehe uns noch über die Karte gebäugt [sic] sitzen voriges Jahr, als der Feldzug im Westen im Gange war. Ach Du!! Du! Es ist gerade so, als wollte mich eine gütige Hand vor der eigentlichen Tragweite des allem bewahren. Es fügte sich wieder so wunderbar, daß ich in dem Moment, wo Sorge übergroß aufsteigen will, an einem Orte weile und unter Menschen, die mich loßreißen [sic] von den trübsten Gedanken – freilich, ein kleiner Schatten wird doch bleiben – trotz allem.

Du!! Mein [Roland]! Unser lieber Hellmuth! Er ist so weit an der Grenze, ich sorge mich so um ihn! Mein Gott! Möchtest Du uns gnädig vor allem Unglück bewahren! Ach Geliebter!! Wie wirst Du es nur tragen? Nun muß ich die Hoffnung begraben, daß ich Dich bald in meine Arme schließen, an mein Herz drücken darf! Du!! Du!!! Vorbei —— . Ich will ganz tapfer sein, mein Lieb! Wenn Du mir nur wiederkehrst!!! Wann, das ist jetzt so unbedeutend, dem großen schweren Kampf ins Auge gesehen. Du! Du!!

Wenn Du mir nur wiederkehrst! Mein [Roland]! Und nun soll ich mich den Urlaubsfreuden hingeben? Du!! Du!! Kennst ja Deine schwerblütige [Hilde]! Ach mein Lieb! Nur umso inniger schließt uns diese neue Sorge zusammen. Denn; gemeinsam tragen wir sie, gemeinsam beten wir um Gnade – gemeinsam gleich innig und heiß umfassen wir uns im Geiste, ganz fest! Und bitten Gott um ein frohes Wiedersehen in der Heimat. Mein [Roland] Du! Das ist mein ganzes Sehnen, Hoffen und Wünschen. 

[*] Viel liebe, herzliche Grüße von der Mutsch!

Geliebter! Nun will ich Dir erzählen wie ich hierher kam und wie ich alles fand. Mit dem 1. Zug sind wir heute, am Sonntagmorgen losgefahren von Hause. Es verlief die Fahrt ganz planmäßig und ohne Störungen. Nur – von Dresden bis Schmilka mußten wir stehen, soviel Andrang herrschte auf der „böhmischen Linie“! Ach war es ein wundersames Gefühl, als ich die bekannte Strecke wieder einmal abfuhr. Wieder ging's nach dem Elbschlößchen – diesmal saß kein Herzlieb an meiner Seite, oder wartete mein in Dresden oben, weißt schon! Am altbekannten Plätzel! Ach Herzlieb, alle [d]ie lieben, lieben Erinnerungen tauchten vor mir auf! Und es war so komisch, daß alles, alles so war wie einst – nur mit der Ausnahme, daß Du fehltest! Du!!! Die Fähre war vollbeladen heute – um 11 Uhr vormittags langten wir ungefähr hier an – ein ganz herrliches Wetter begleitete uns! Viel warm!! Und nun gings dem linken Ufer zu – ja dem linken von mir aus gesehn, als wir so angefahren kamen – gerade die Seite, wo ich mein Herzlieb haben will, auf der richtigen Seite. Es standen nur Fremde umher, kein vertrautes Gesicht. Doch auf einmal grüßt eine Kinderstimme „Heil Hitler, Frau [Nordhoff]“, es war die Susi H., die kannte mich noch und freute sich. Die erste Frage galt Dir!!

Nun langten wir am Garten der „Helvetia“ an, ich bin erst mal rein anfragen, wie es mit der Beköstigung steht! Und die liebe Großmutter stand an der Theke wie immer, erkannte mich freudig und der Wirt und der Kellner – alles wie einst. Und die erste Frage galt wieder Dir!! Viele herzliche Grüße von all den lieben Bekannten! Auch von Frau Sch.!

Na, ich war gern gesehen als Tischgast mit Mutter. Da war mir natürlich ein Stein vom Herzen gefallen. Und wir aßen heute zu Mittag in altbekannter Güte. Ein Hochbetrieb, sag ich Dir! Frau S. bedient noch – die nette junge Frau nicht mehr. Nun bei Frau Sch.! Große Freude – herzliche Begrüßung! Und dann der Drasch, weil sie die Daten vermoddelt hat und uns nun bloß 8 Tage bei sich wohnen lassen kann! Nun bin ich bloß neugierig, wo wir werden die 2. Woche kampieren! Ich wandte mich gleich an den Herrn Bürgermeister. Er versprach mir, sein Möglichstes zu tun. Und er läßt Dich viel, vielmals herzlich grüßen! Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Er hat wieder sämtliche Räume vermietet. Hochsaison in Schmilka! Viel Betrieb! Denke nur mal Dickerle! Du galtest in Schmilka als vermißt! Weiß nicht wer das Gerücht in Umlauf gebracht hat! Meinen großen langen, schneidigen Matrosenhubo vermißt melden! Den kann keiner übersehen! Aber im Ernste! Du siehst nun wieder mal, was die Leute nicht alles wissen. Drum gucken mich die Kinder am Ende so neugierig an. Ich erkläre mir das nun, seit es mir Frau Sch. erzählte. Auch der Briefträger hat sie gefragt nach Dir!

Ich habe den Nachmittag mit Mutsch im Liegestuhl unten am Wasser verbracht, es war so schön! Und ich habe ganz lieb [un]d innig Dein gedacht! Du!! Ach, ich bin ja sooo müde heute! Du!! Und ich habe Dir noch so viel zu erzählen! Herzlieb! Läßt mich erst mal ausschlafen? Ja? Du!! Morgen denke ich wieder ganz lieb Dein. Es ist jetzt 7 Uhr vorbei, wir wollen Abendbrot halten und noch ein Stück nach Herrnskretschen zu laufen, ich nehme den Boten mit zum Kasten, Herzlieb mein!

Am Sonnabend fand ich keine Stunde Zeit für Dich, Herzlieb! Sei bitte, bitte nicht bös! Die Mutter konnte nichts tun mit ihrem bösen Kreuze, ich hab bis ½ 2300 [Uhr] geplättet u. bin heute früh 4 Uhr aufgestanden. Jetzt mein Lieb! Sei lieb, oh lieb geküßt und ganz innig gegrüßt von Deiner [Hilde]; Gott behüte Dich mir! Du!!! Ich will in Deinem Bettlein schlafen! Will vom Herzlieb träumen! Du!!! Ach – Du!! Ich werd vor lauter süßen Gedanken lang nicht einschlafen – trotz meiner Müdigkeit!

Liebster!! Liebster!!!!!

 

[* = oben an den Blattrand geschrieben] 

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946