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[OBF-410630-002-01]
Briefkorpus

Großdehsa, Montag am 30. Juni 1941.

Herzallerliebster! Du mein liebes, teures Herz! Herzlieb mein!

Merkst es wohl an meiner Überschrift, daß ich unbeobachtet schreiben kann? Du!! Es ist wieder Mittag vorbei, Deine Eltern liegen miteinander auf dem Sofa in der Wohnstube, ich sitze am Tisch und denke Dein – die Mutter sitzt im Lehnstuhl am Fenster und strickt. Fidi sitzt am Tisch und liest in kleinen [B]üchern und in einem Briefe von K.s. Sie hat montags keine Schule. Dienstags, mittwochs, donnerstags[,] freitags, insgesamt 15 Stunden – bis jetzt – man möchte ihr natürlich gerne noch mehr aufhalsen. Aber da wird sie sich schon wehren, ohne jegliche Hilfe im Haushalt kann sie das nicht leisten. Herzlieb! Gestern waren wir im Kino: die "schwedische Nachtigall" – ein sehr reizvoller Film, uns hat er [s]ehr gut gefallen. Vor allem gesanglich bot er viel. Nachdem wir feststellten, daß unser Zügle erst nach ¾ Stunden fuhr, spazierten wir nochmal ins Cafè [sic] und genehmigten [uns] ein Vanille-Eis. Draußen prasselte unterdessen ein Platzregen nieder, der war ja nicht von Pappe. Gut, daß wir uns gut vorgesehen hatten mit Kleidungsstücken, sonst wären wir triefnaß geworden. Zuhaus erwartete man uns schon mit dem Abendbrot. Noch einige Stunden frohen Beisammenseins folgten, dann begab sich alles zur Ruhe. – Ach Herzlieb! Ich weiß nicht, ich kann in diesem Hause nicht warm werden – kann nicht zur Ruhe kommen. Ist es nun der Gedanke an die tote Mutter, oder liegt direkt so etwas Unruhevolles in dieser Atmosphäre? Die mich hier umgibt? Wenn ich abends im Bett liege und in die Stille, die unheimlische, hineinlausche da ist mir, als wolle es mir die Brust zersprengen so eng wird mir – so beklommen. Dabei ist alles so weit, die Räume – und so luftig!

Wir lassen 2 Fenster offen nachts. Ich weiß nicht, was das mit mir ist hier in Großdehsa – ich kann nicht warm werden. Und dabei bietet Fidi alle Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit auf, um uns unseren Aufenthalt hier so schön und bequem wie nur möglich zu gestalten. Bin ich undankbar? Ach – ich lasse es ja keinem [sic] fühlen! Aber, Herzlieb, ich freue mich auf den Tag meiner Abreise vo[n] hier! Genauso war es schon am [sic] letzten Male, als ich hier zu Besuch weilte – man sollte meinen, jetzt, wo ich alle die Lieben, Vertrauten mit um mich habe, müßte ich mich doch zuhause fühlen; doch es ist nicht der Fall.

Aber Dir, Liebster[,] geht es ja ebenso – es ist nicht der Boden für uns; es ist nicht der Ort hier, wo wir zwei uns wohl fühlen könnten.

Und weil ich gestern abend sooo lieb und sooo sehnsüchtig Dein gedachte – bis mich endlich der Schlaf überfiel, darum habe ich wohl auch soo lieb und süß von Dir träumen müssen, Du!! Geliebter!! Geliebtester!! Du bist zu mir gekommen, mit all Deiner großen, innigen, süßen Liebe! Ach mein Herzensschatz! Wie wonnevoll war mein Traum.

Ich hab Deine Nähe mit all Ihrer Süße gespürt, oh – sooo deutlich!!! Als wenn Du selbst bei mir wärest, [D]u selbst, Geliebter in eigner Gestalt! Und ich bin dann Hand in Hand mit Dir gegangen durch viele Straßen – und an einem Geschäft blieben wir stehen, ein Photograph hatte da in seinem Schaufenster viele Bilder ausgestellt. Und beim näher Zusehen erkannten wir, daß es unsre Hochzeitsbilder waren! Sonderbar Du!! So selig-froh drückten wir einander die Hände und sahen uns an – und [d]a blickte ich Dich zum ersten Male ganz an – von oben bis unten – und ich sah, daß Du eine Uniform trugst – ganz in Weiß. Ich wurde da auf einmal traurig; denn nun wußte ich – Du kamst nur zu Besuch zu mir – nicht für immer; denn Du trugst ja noch immer die böse Uniform. Ich kann so genau noch den Vorgang in meinem Innern nacherleben, der im Traume vor sich ging in mir! Und Du nahmst mich in Deine Arme und küßtest mich so lieb[,] sprachst mir Trost zu. Ich vergaß meine Trauer und konnte wieder ganz froh sein mit Dir – Geliebter! So ist es schon in Wirklichkeit gewesen! Du!!! Weißt, Herzlieb! Als Du dann sooo lieb, so süß und soo wild zu mir kamst im Traum – da bin ich vor Seligkeit aufgewacht, und ich lag allein in einer fremden Umgebung – in einem fremden Bett – allein. Ach Du!! Hast Du wohl gespürt heut Nacht, wie ich Dich rief? Du!! Du!! Wie ich mich sehnte!? Geliebter!!

Heute früh kam noch kein Bote zu mir, Herzlieb! Seit vorige [sic] Woche, Freitag bleibt er aus – er wird etwas länger brauchen, weil er nun von Schmilka nach Großdehsa geschickt werden muß.

Gebe Gott, daß Du mir noch gesund und wohlauf bist, mein [Roland]! Das ist meine einzige Bitte. Die Alten und ich haben uns über den Garten hergemacht! Unkraut gezupft, gerecht, Bohnen gestöckelt[,] was das ist, wirst Dir aus dem Ausdruck nicht nehmen können. Es sind Stangenbohnen, die im Wachsen [be]griffen sind und für diese Pflänzchen bauten wir aus langen Stöcken ein Spalier, damit sie sich daran hoch ranken können. Fidi war derweile in der Stadt mit dem Rade und hat eingekauft. Lotti ist schon beizeiten ins Geschäft, die sehen wir nun erst heute abend wieder. Ach, es ist ja so schade, daß das Wetter so schlecht ist, aller [sic] Viertelstunden gibt’s einen Guß. Man kann sich auch nicht den kleinsten Spaziergang vornehmen ohne Schirm und Regenmantel. Hoffentlich wird das noch besser in dieser Woche, ich weiß nicht, ob ich das aushalte, immer hier drinnen zu sitzen – aber ich habe ein paar liebe Freunde, außer meinem Herzlieb: Bücher! Die können mich für Stunden die Umgebung vergessen machen – ach, wie es nur kommt, daß ich hier in diesem Hause so unruhvoll bin? Herzlieb!

Ich muß mich nur zu Dir flüchten! Dann ist [a]lles gut. Aber immer kann ich Dein auch nicht denken. Die Umsitzenden nehmen schon jetzt Anstoß daran – ob im Ernst? Ob im Scherz? Egal – stören tut es mich trotzdem. Oben im Zimmer steht kein Tisch, wo ich schreiben könnte, allein. Draußen ist es so empfindlich kalt, es bleibt eben im Wohnzimmer. Aber, wenn ich wieder von hier weg bin, dann muß ich Dich sicher zuerst einmal [ga]nz, ganz sehr liebhaben, mein Liebster! [Roland]!

Von vorigem Freitag will ich Dir noch erzählen, da bin ich mit Mutsch von Schmilka aus nach Lichtenhain zu H.s gefahren. Ach, war das schön! Schön! Früh sind wir los mit dem Zug bis Schandau, dann mit der Dampffähre bis zur Stadtmitte. Zuerst bin ich ]mal zur Girokasse und habe mir Deine Kontenauszüge geben lassen. Ich lies [sic] Deine neue Ans meine Anschrift zurück, damit sie mir künftig diese Sachen überweisen, es lag ein ganzer Packen rum und den hab ich nun bei mir. Du!! Schon über 800 RM stehen in Schandau – ich muß nur erst mal in Ruhe alles ansehen; ich kann’s noch garnicht glauben! Wieviel man Euch Lehrern aufgebessert hat ist unbekannt, meint Fidi, ein Prozentsatz nur wurde aufgewertet von dem, was man Euch einst abzog. Der Gehaltsrechner S. war krank, ich gab Deine neue Anschrift dem alten Herrn, der da unterrichtete, mit meiner Bitte, daß S. Dir bald mal Aufschluß geben möchte. Er versprach mir das. Mit dem Bus sind wir bis zum Gasthof gefahren. Ach, freu[te]n sich H.’s! Du hast ja keine Ahnung! Viel, vielmals lieb grüßen soll ich Dich von ihnen allen, es geht ihnen noch gut, sie haben viel Berliner da! Das Ehepaar (Ingenieur D. geb. Russe!)[,] wir lernten es vor’m Jahre kennen, war auch wieder da. Auch von ihnen herzl. Grüße. Wenn Du auf Urlaub kommst, dann sollst nur mal wieder zu H.’s kommen, Du glaubst nicht, was die auf Dich halten! So lieb nahmen sie uns wieder auf! Wir sollen nächstes Jahr alle zu ihnen in die Ferien kommen! Nachdem wir den Tag reichl. ausgenutzt hatten, ich führte Mutsch überall herum: Schule, Pfarrberg, Dorf u.s.w. liefen wir den alten, schönen Weg nach dem Wasserfall u. fuhren mit der Bahn bis Schandau u. liefen heim nach Schmilka. Mutter schüttelte einmal über das andre mit dem Kopf, daß Du die weite Tour aller [sic] 14 Tage gemacht hast! Sie kam nicht drüber weg! Du!!

Aus Liebe! Ja! Nun für heut: behüte Dich Gott! Ich liebe Dich!

Du!!! Liebe Dich! Mein [Roland]!

Deine [Hilde].

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Autor Hilde Nordhoff
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946